Interview: "Globkes gehoeren nicht ins Kanzleramt" ruprecht plauderte mit dem SPD-Intellektuellen Peter Glotz Sich ihn im Bierzielt vorzustellen ist eine rechte Anstrengung selbst fuer die lebhafteste Phantasie. So verwundert es kaum, dass auch seine Partei, die SPD, deren bayerischem Landesverband Peter Glotz angehoert, ihn seit jeher weniger in der Rolle des bramarbasierenden Rhetoren, sondern des kuehlen Analytikers und Vordenkers gesehen hat. Der 56-jaehrige Publizist und Bundestagsabgeordnete war u.a. Wissenschaftssenator in Berlin und Parlamentarischer Geschaeftsfuehrer der SPD; neben der Bildung gehoeren auch Aussen- und Medienpolitik zu seinen Fachgebieten. Als ruprecht ihn am Dienstag vergangener Woche zum halbstuendigen Interview traf, sprach Glotz so druckreif, dass er uns danach erklaeren konnte: "Vorlegen braucht Ihr mir den Text zur Autorisierung nicht; passt bloss beim Thema Studiengebuehren ein bisschen auf, was Ihr mich sagen lasst." ruprecht: Herr Glotz, Sie haben in der "Wochenpost" ueber die Tschetschenien-Frage geschrieben: "Russland platzt, wenn Moskau den Kaukasus preisgibt. Wenn Russland platzt, geraet Europa in Gefahr, auch Westeuropa." Schuetzen die Bomben auf Grosny den Frieden in Bayreuth oder Hannover? Glotz: Ich habe hinzugefuegt, dass dies keine Entschuldigung fuer den blutigen Dilletantismus Jelzins ist. Die Politik, die Gratschow und Jelzin dort machen, ist absolut abwegig. Abwegig ist aber auch die seit Kroatien in Deutschland grassierende Vorliebe fuer Sezessionen. Damit kritisiere ich uebrigens nicht die Bundesregierung, die versucht, mit dem Problem einigermassen sachlich fertig zu werden, sondern einige unserer Journalisten, manche Abgeordnete und sonstige Kommentatoren des Zeitgeschehens, die dazu neigen, Figuren wie Dudajew in Tschetschenien, Tudjman in Kroatien oder Iszetbegovic in Bosnien zu grossen Helden zu erklaeren und nicht zu erkennen, wie schrecklich solche Leute ihre Voelker ins Unglueck stuerzen. ruprecht: Sie plaedieren fuer eine "machiavellistische Aussenpolitik". Was verstehen Sie darunter? Glotz: Ich habe selbstironisch im letzten Satz dieses Artikels gesagt, dass vermutlich solche machivellistischen Gedanken im re-romantisierten Deutschland nicht besonders ankommen. Damit habe ich mich noch nicht zum Ersatz- Machiavelli- sten erklaert. Man muss aber in der Aussenpolitik auch Interessen und Zusammenhaenge analysieren, so wie Leute wie Kissinger das immer getan haben. In Deutschland gibt es da durch die 40 Jahre, die wir - berechtigterweise - unter Vormundschaft standen, keine Tradition mehr. Das habe ich kritisiert. Man muss ganz einfach sehen: Niemandem nuetzt es, wenn in Russland statt Jelzin irgendwelche Schirinowskis oder andere an die Macht kommen. Aus diesem Grund muss man Verstaendnis haben fuer das Interesse Moskaus, wenigstens die GUS zusammenzuhalten und unter Umstaenden auch eine Wirtschaftsgemeinschaft mit der Ukraine zustandezubringen. Und wenn der Westen dann Sezessionsbestrebungen in diesen nationalistischen Bewegungen ueberall unterstuetzt und zumindest publizistisch feiert, dann wird es irgendwann da drueben schief gehen; und dann koennen wir da drueben auch irgendwann einmal ein voellig radikalisiertes Regime bekommen. ruprecht: Zur deutschen Innenpolitik: Sie haben die Bildungsexpansion in der Bundesrepublik selbst aktiv vorangetrieben. Heute studieren 1,8 Millionen Studenten an Deutschlands Hochschulen. Brauchen wir die alle? Studieren die das richtige Fach? Glotz: Es gibt sicher auch viele, die das falsche Fach studieren. Es ist aber manchmal auch fuer Bildungsexperten schwierig, einem Zwanzigjaehrigen zu sagen, was denn nun das Richtige und was das Falsche ist. Ich habe x-mal erlebt, dass man jungen Leuten gesagt hat, studiert Lehrer, und als sie fertig waren, war kein Job mehr da. So leicht sind solche Zahlen also nicht planbar. Ich glaube, wir haben mit 30% eines Altersjahrgangs ungefaehr die Zahlen, die alle grossen Industriegesellschaften auf Hochschulen im tertiaeren Bildungsbereich haben. Ich fuerchte allerdings, dass es noch mehr werden. ruprecht: In der vergangenen Woche ging durch die Presse, Sie haetten sich fuer Studiengebuehren ausgesprochen. Die Beschlusslage Ihrer Partei sieht ganz anders aus. Ist der Vordenker Glotz seiner Partei wieder einmal um zwei Jahre voraus? Glotz: Das weiss ich nicht. Ich habe gesagt: Meine Partei ist dagegen; ich selbst bin nicht sicher, ob man auf Dauer ohne solche Instrumente auskommt, man muss das im Zusammenhang mit der gesamten Bildungsfinanzierung diskutieren. Die muss man auf neue Fuesse stellen. Man kann sich aber durchaus die Frage stellen, warum eigentlich die Krankenschwester und auch der geringverdienende Facharbeiter herangezogen werden sollen, um 100% der Ausbildung von den 30 % zu finanzieren, die letztlich dann doch die Chancen auf die besten Jobs haben. Gegen Studiengebuehren spricht etwa, dass die Gefahr besteht, dass die Laender sagen, jetzt haben wir Geld von den Betroffenen, jetzt koennen wir unsere Budgets noch weiter zuruecknehmen. Diese Diskussion ist noch nicht ausgegoren, und ich habe auch nicht die Absicht, allein wie ein Derwisch auf dieser Szene herumzutanzen. Mehr will ich dazu heute nicht sagen. ruprecht: Ein ganz anderes Thema: Die PDS versucht, sich als die Sammelpartei der deutschen Linken zu praesentieren. Graebt die PDS der Sozialdemokratie das Wasser ab - gerade auch in Osteutschland? Glotz: Das haengt vom Verhalten der SPD ab. Ich hoffe, dass die Partei klug genug ist, jetzt auch auf fruehere SED- Mitglieder und die Buerger in Ostdeutschland zuzugehen, die natuerlich weitgehend mit diesem Regime damals kooperiert haben. Wenn sie das tut, dann kann die PDS verschwinden. Natuerlich koennten wir uns als SPD auch so bloed verhalten, dass die PDS als Vertretung ostdeutscher Menschen eine Zeit lang uebrig bleibt, so wie frueher der BHE als Vertreter von Vertriebenen. ruprecht: Egon Bahr hat verkuendet, eine der wichtigsten staatsmaennischen Leistungen Konrad Adenauers sei die Integration der Alt-Nazis - etwa des Rassegesetz- Kommentators Globke - in das System der neuen Bundesrepublik gewesen. Die SPD ist nicht sehr waehlerisch, wer sie im Osten waehlt... Glotz: Egon Bahr hat die Aeusserungen, die er zu diesem Thema getan hat, vor allem zu Globke, inzwischen zurueckgenommen und in vernuenftige Bahnen gelenkt. Dass man ein Volk nicht aufloesen kann, auch nicht nach historischen Katastrophen, ist leider unbestreitbar. Deswegen konnte man in den Jahren '45 bis '60 ohne Ingenieure, Richter, Rechtsanwaelte, Unternehmer, die mit Hitlers Regime kooperiert hatten, nicht auskommen. Aehnlich ist das auch mit Ostdeutschland, wenn man nicht sagen will: 'Alles was wichtig ist, wird von Wessis gemacht, und die Ossis benutzen wir nur noch als Handlanger und Handarbeiter.' Dies kann nicht der Sinn der Wiedervereinigung sein. Insofern wird man auch mit Menschen kooperieren muessen, die sich mit diesem Regime eingelassen hatten, es sei denn, sie haben Verbrechen begangen - solche Leute muss man ausschliessen. ruprecht: Und was ist mit den ostdeutschen Globkes? Glotz: Globke waere hier genau das falsche Beispiel; Globkes gehoeren nicht ins Kanzleramt, und Leute, die etwas mit dem ZK der SED zu tun hatten, muessen nicht mehr in die Politik. Aber Sie koennen den Professor, der normal an seinem Institut mitgemacht hat und im Vorwort seiner Buecher irgendwelche Marx-Engels-Zitate hatte - wenn er ein ordentlicher Professor war, wenn er etwas von Elektrotechnik verstand-, nicht auf Dauer in die Wueste schicken. Helmut Kohl wird Ihnen da uebrigens auch nichts Anderes sagen. ruprecht: Zur Medienpolitik: Stoiber und Biedenkopf moechten die ARD von elf auf sechs Anstalten eindampfen und das Erste mehr oder weniger abschaffen. Ist das eine Bedrohung der Medienvielfalt? Glotz: Ja, ich halte diese Plaene eindeutig fuer eine Bedrohung des oeffentlich-rechtlichen Systems, das nur dann funktioniert, wenn es wirklich zwei grosse Vollprogramme gibt.Das Erste Programm abzuschaffen ist natuerlich fuer das Oeffentlich-rechtliche System ein Selbsttor, eine Destruktion, vielleicht auch eine beabsichtigte Destruktion. Das Erste abzuschaffen waere so, als ob Sie den Kaefer bei VW abschaffen, aber ohne neue Modelle zu haben. De facto wuerde sich das auswirken als eine erhebliche Verstaerkung der Marktsstellung von SAT1 und RTL. ruprecht: Sehen Sie auch die Meinungsvielfalt durch Stoibers und Biedenkopfs Plaene bedroht? Glotz: Natuerlich zielen die Plaene auf die Meinungsfreiheit. Die beiden Herren haben das ja genau raushaengen lassen, indem sie gegen den WDR polemisiert haben, der ihnen zu links, zu gruen oder weiss der Teufel was ist. Deswegen behaupten sie nun, der WDR beherrsche die ARD, was der pure Unsinn ist. Natuerlich ist es schwieriger, in die ARD hineinzuregieren, denn der Intendant des Bayerischen Rundfunks kann sehr wenig tun, wenn Herr Bednarz als Journalist des WDR eine Sendung macht, die dem Herrn Scharf nicht gefaellt. Das ist im ZDF anders. Insofern wuenschen sich die beiden Herren offensichtlich eher zentralistische, regierbare Sender, auf die man zugreifen kann. ruprecht: Was wuenschen Sie sich? Glotz: Ich bin dafuer, dass die ARD die ARD bleibt. ruprecht: Zwei kurze Fragen noch zu Ihrer Rolle in der SPD: Sie haben sich, als Willy Brandt 1987 den Parteivorsitz abgab, als "Mann Brandts" bezeichnet. Nun haelt sich Brandts Witwe seit einiger Zeit mit Umdeutungen seines politischen Erbes in den Schlagzeilen. Wie reagieren Sie als "Mann Brandts" auf das Gezerre um den Grossen Vorsitzenden? Glotz: Man kann Frau Seebacher-Brandt nicht verwehren, ihren eigenen Weg zu gehen. Der Weg fuehrt schon seit langem von der SPD weg, und man ihr auch nicht verwehren, sich ein eigenes Bild von ihrem Ehemann zu machen... ruprecht: Aber dieses ihr Bild traegt sie dann doch mit einiger Autoritaet in die Oeffentlichkeit... Glotz: Das wird sie tun, und dann ist die SPD gefordert, mit einiger Autoritaet den Willy Brandt zu zeichnen, den sie sieht, denn Willy Brandt ist nun mal ein grosser Staatsmann gewesen und nicht der Privatbesitz seiner zweiten Frau. ruprecht: Letzte Frage: Sie haben einmal gesagt, Sie besetzten in der SPD die "Planstelle des Intellektuellen". Sie haben aber auch schon versucht, etwa Spitzenkandidat in Bayern zu werden... Glotz: Das ist auch prompt gescheitert. ruprecht: Richtig, darauf bezieht sich auch unsere Frage: Leiden Sie gelegentlich ein bisschen darunter, dass die SPD Sie in diese Schublade steckt: 'Der Mann ist unser Vordenker'? Glotz: Darunter habe ich oft gelitten, aber das habe ich hinter mir. Inzwischen habe ich mich mit dieser Planstelle abgefunden. (hn/bpe/alf)