"Demokratie finde ich total weltfremd!" Mit einem Neonazi unter vier Augen Schau dir doch die Realitaet an", fordert Thomas. Das will ich gern, und weil ich es will, sitze ich ihm gegenueber. Thomas studiert Jura an der Ruperto Carola, ist 21, blond, braunaeugig; ein Schmiss ziert seine linke Schlaefe. Ich kenne Thomas seit meinem sechsten Lebensjahr. Wir wohnten im selben Stadtteil, besuchten diesselben Schulen. Mit zwoelf Jahren traeumte er davon, in Australien als Sprengmeister $ 20.000 im Monat zu verdienen. Heute traeumt er von anderen Dingen: "Deutscher Volkskoerper, Abschottung nach aussen", so lautet die Kurzvision von seinem Neuen Deutschland. Thomas ist Nationalsozialist. Nicht wenigen wird die Intention eines Artikels, der die Formulierung nationalsozialistischen Gedankengutes ungefiltert einschliesst, a priori verdaechtig erscheinen. Ist nicht jedes Wort zuviel, das von "Rassentrennung, Fuehrungsstaat und Arbeitslagern als politischen Zielsetzungen" spricht? Insbesondere in Zeiten angestrebter Korrektheit mag die Antwort auf der Hand liegen, und um so entschiedener vertreten werden, je genauer man weiss, was als korrekt zu gelten hat. Auch Thomas weiss ganz sicher, was "korrekt" ist. "Im Dritten Reich gab es das gefluegelte Wort vom gesunden Menschenverstand, eigentlich glaube ich auch daran. Die Leute sind im Grunde vernuenftig, auf einer rationalen Ebene wuerde man sich fuer uns entscheiden" - es ueberrascht, diese Worte aus seinem Mund zu hoeren. Er, der keine 5 Minuten vorher offen aussprach, wie er sich das denke, mit freier Mei- nungsaeusserung in einem Staat nach seinen Vorstellungen: "Die ersten Jahre nach der Machtergreifung wird es noch gewisse Probleme geben, wenn wir noch nicht gefestigt sind. Aber danach kannst du die Leute reden lassen. Das ist fuer uns dann kein Problem mehr. Die Leute benehmen sich derzeit wie Lemminge." Die Frage, ob man radikalen Randgruppen in einer offenen Gesellschaft die Moeglichkeit zur Meinungsaeusserung untersagen soll, ist eng mit der Frage verbunden, wie weit man dem vielbeschworenen gesunden Menschenverstand wohl ueber den Weg traut. Gab es im Dritten Reich zuviel oder zuwenig davon? Gleicht unsere Faehigkeit zur Meinungsbildung tatsaechlich der von Wuehlmaeusen aus noerdlichen Kaltzonen? Wie muendig darf´s denn, bitteschoen, sein? "Dieser Staat ist verlogen und auf Desinformation aufgebaut. Goebbels haette seine wahre Freude an diesem System gehabt" - auch Thomas sieht dies System als Mediendiktatur mit faschistoiden Zuegen. Eine Analyse, der hier am Campus nicht wenige zustimmen wuerden. Auch oder gerade im Antifaschistischen Arbeitskreis. Doch selbst wenn sich das Volk bei "freiem Informationszugang" nicht fuer ihn und seine Kameraden entscheiden wuerde, "haetten wir trotzdem recht. Wir wuerden die Leute zu ihrem Glueck zwingen. Die oeffentliche Meinung zieht erfahrungsgemaess irgendwann nach. Dieser Staat ist das beste Beispiel dafuer." Mein Menschenverstand will genauer wissen, wie er sich das konkret vorstelle, mit der Machtuebernahme: "Ich gehe nicht davon aus. dass wir auf parlamentarischem Weg an die Macht kommen werden, aber es ist meine feste Ueberzeugung, dass dieses System von alleine kaputt geht. Da brauchen wir eigentlich nur den Posten zu halten und zusehen, dass wir am Tag X da sind." Den Tag X sieht er "noch mindestens 20 Jahre entfernt. Zur Zeit geht es den Menschen zu gut", weiss Thomas; "Bauch voll - Hirn leer, aber irgendwann", davon ist er ueberzeugt, "wird es mit der Kriminalitaet, Arbeitslosigkeit und der Umweltverschmutzung soweit kommen, dass man sagen muss, es geht nicht anders, und dann wird man einfach nicht an uns vorbeikommen. Es werden radikale Massnahmen notwendig sein", setzt er an, "im Zentrum unserer Ideologie steht das Voelkische. Wir sagen: Auslaender gehoeren hier nicht her, es gibt einfach nur Aerger, wenn die hier sind. Bei uns steht die Gemeinschaft im Vordergrund. Wenn jemand nicht dazu gehoert, schicken wir ihm eine Aufforderung, das Land zu verlassen... Tut er das nicht, nehmen wir ihn in Abschiebehaft. Die meisten der Auslaender werden das Land verlassen muessen (bis auf wenige Tausend). Das wird auf staatlicher Ebene geregelt." Sein Mundwinkel verzieht sich, die braunen Augen sind fest entschlossen. Ob in seinem Staat ein Ghanaer und eine Deutsche heiraten duerften, will ich wissen: "Gehen wir zu einem anderen Thema. Das ist mir zu heikel, das Thema ist mir einfach zu riskant", antwortet er, und auch auf die Frage, was denn in seiner Welt vor 50 Jahren in Auschwitz passiert sei, will er sich "aus strafrechtlichen Gruenden nicht aeussern". Das Thema ist auch einfach nicht wichtig", und: "Ich habe keinen Bock, mir wegen so einem Pippifax meine Zukunft zu verbauen." In Sachen Auschwitz will es Thomas ganz genau nicht wissen. Noch sehr gut erinnere ich mich daran, wie er im Geschichtsunterricht bei gleicher Thematik zu bedenken gab: "Das kann doch gar nicht sein, dass man die Juden bei zwanzig Grad minus mit dem Wasserschlauch abgespritzt hat. Bei diesen Temperaturen ist das technisch gar nicht moeglich." Da gab es keinen Aufschrei, kein entschiedenes Contra. Der Lehrer war sprachlos. Auch die Klasse schwieg, manch einer kicherte duemmlich. Thomas blieb unwidersprochen. Wo endet die Bereitschaft, sich mit der Welt, in der Thomas lebt, auseinandersetzen zu wollen? Auf die Anschlaege von Moelln befragt, spricht er ganz offen: "Wenn man einen derartigen Hass auf Auslaender hat, sollte man sich allein aus taktischen Gruenden zurueckhalten, weil, es bringt nichts. Ich moechte kein pseudomaessiges Mitleidsgefuehl abgeben. Es verbrennen tausend Menschen jeden Tag. Natuerlich ist es immer tragisch, wenn gerade Kinder den Schirm zumachen." Wie alles angefangen habe, will ich wissen: "Ich bin mal mit 13 Jahren von zwei Zigeunern verdroschen worden. Eigentlich war es mehr eine Rangelei. Damals bin ich aus reiner Wut gegen Auslaender dazu gekommen; es hat dann zwei Jahre gedauert, bis ich den Kontakt hatte, aber da ich zu den richtigen Leuten gekommen bin, hat es sich bald in die richtigen Bahnen gelenkt. Dann war ich dabei. Erst langsam, und dann immer mehr. Frueher war es mehr wie ein Sport, heute ist es Ernst", was er vor allem darauf zurueckfuehrt, "dass es in Baden-Wuerttemberg in Sachen Verfolgung total psychomaessig geworden ist. Da wird jeder Kindergeburtstag von LKA-Beamten gestuermt." Doch Thomas kann der deutlichen Trendwende auch positive Seiten abgewinnen: "Es gab Grabenkaempfe, solange es Organisationen gab. Die Verbote haben uns naeher zusammenruecken lassen. Jetzt sind alle illegal, jetzt verstehen wir uns. Jetzt geht es nur noch um die Sache. Ich habe alle bei mir zu Hause gehabt, bis auf den BND. MAD, Verfassungsschutz, Staatsschutz, alle." Er sagt das nicht ohne Stolz, und die Verfolgung seiner Ansichten scheint er als Indiz fuer deren Richtigkeit und Attraktivitaet zu werten. Man wisse dort im Prinzip alles ueber ihn, "die haben allgemein gute Arbeit geleistet", was auch dazu fuehrte, dass von den verbotenen Organisationen, die er kennt, "alle einen Gang zurueckgeschaltet haben." "Ein terroristischer Untergrund existiert nicht." Dies alles beruhigt, wenn es denn stimmt. Doch muss nicht der gesunde Menschenverstand, auf den Thomas und seine Kameraden Anspruch anmelden, das eigentlich "Wehrhafte" an einer Demokratie sein? Oder verlassen wir uns besser auf die Dienste von Menschen, die man auch dann Spitzel und Schnueffler nennen muss, wenn sie auf der richtigen Seite arbeiten? Schnell gelangt man in einem Gespraech mit Thomas an die Grenze. Sie ist schon lange ueberschritten, als er widerspricht: "Die Freiheit, in diesem Land unabhaengig von Hautfarbe und Nationalitaet leben, lieben und Kinder bekommen zu duerfen, ist absolut nicht wichtig. Warum soll ich denen nicht vorschreiben, wo die ihre Kinder kriegen sollen?" Hier stockt die Argumentation, sie dringt nicht weiter. Fuer jemanden, der nicht glaubt, dass Menschenrechte vom Himmel fallen, bleibt kaum mehr, als zu sagen: "Schau dir doch die Realitaet an!"; und auf den gesunden Menschenverstand zu hoffen. (eile)