Diesseitig Mel Ramos in Mannheim Die Aktdarstellung ist so alt wie die Kunst selbst, und die For- men, in denen uns Nacktheit entgegentritt, sind vielfaeltig: pointiert abstrahierte Fruchtbarkeitsfetische aus der Zeit der Hoehlenmaler; ideale Nacktheit in der klassischen Antike und im Klassizismus; heroische Nacktheit in der Repraesentationskunst autoritaerer Staatsformen; erotische Nacktheit masturbierender Aphroditen aus dekadenten Epochen; und schliesslich die natuerliche Nacktheit der Akte einer Paula Becker-Modersohn — um nur ein paar grob zugeordnete Beispiele zu nennen. Auch bei Mel Ramos, dem neben Warhol, Segal und Lichtenstein wichtigsten Vertreter der amerikanischen Pop- Art, steht die Aktdarstellung - genauer: der weibliche Akt - im Zentrum der kuenstlerischen Arbeit. Die vom Kunstverein Lingen initiierte Retrospektive, die derzeit im Mannheimer Kunstverein zu sehen ist, zeigt mit den insgesamt fuenfzig Zeichnungen, Aquarellen und Arbeiten auf Leinwand, fast alle Leihgaben der Louis K. Meisel Gallery, New York, hochkaraetige Beispiele aus allen Schaffensperioden Ramos'. So ist das Fruehwerk aus den Jahren 1961/62, das sich mit der Ikonographie der Comic-Superhelden beschaeftigt, mit einigen wichtigen Exponaten vertreten, und erfreulich ausfuehrlich sind die juengeren und juengsten Werkphasen dokumentiert, die das Verhaeltnis zwischen Kuenstler und Modell und in den "Unfinished Paintings" den Akt des Zeichnens bzw. Malens thematisieren. Daneben sind Ramos' Aktualisierungen von Schluesselwerken der Kunstgeschichte zu sehen; beissend ironisch ist beispielsweise "Nude descending a Staircase" (1989), das mit der prallen Koerperlichkeit des dargestellten Aktes, der Bezeichnung einer konkreten Situation (nach dem Bade naemlich), dem symmetrischen Bildaufbau und der vergleichsweise stockkonventionellen Malweise voellige Ignoranz gegenueber dem revolutionaeren Vorbild Marcel Duchamps an den Tag legt. Der Schwerpunkt der Ausstellung aber liegt erwartungsgemaess auf den Arbeiten aus den mittleren und spaeten sechziger Jahren, die sich mit der Aesthetik der Werbung auseinandersetzen: Akt vor Coca-Cola-Emblem, Akt mit Zahnpasta-Tube, Akt auf Hamburger. Mit ihnen hat Ramos seinen Ruhm begruendet, und das mag auch damit zusammenhaengen, dass diese Malerei des schoenen Scheins auf den ersten Blick nicht unproblematisch ist. Noch lange nach dem Schock, den der Einbruch der Trivialkultur in die Kunst zur Zeit der Pop-Art bedeutete, gilt Ramos nicht wenigen als "Pin-up-Maler", der nicht nur die Funktionsweisen der Werbung unveraendert uebernimmt, sondern dabei auch die Frau zur Ware degradiert. Ein Akt inmitten maechtiger Kaesestuecke wirkt per se ironisch, und das Problem des Voyeurismus beim "Blick durchs Schluesselloch" wird durch seine Thematisierung entschaerft. Schwieriger ist der Fall des beruehmten "Fruit Salat" (1965), in dem wiederum eine - freilich weitgehend asexuell wirkende - nackte Bruenette lagert und mit werbetypischem prallem For-You-Pathos zur Einverleibung ebenso des Salates wie ihrer selbst einlaedt; ihre runde Brust, die sie zwischen Arm und angezogenem Bein birgt, referiert auf die Fruechte, die sich im Salat unter ihr in zerstueckelter Form wiederfinden. Allerdings muss neben dieser Lesart der diskriminierenden affirmativen Aktdarstellung auch die Moeglichkeit einer kathartischen Wirkung der Werke eingeraeumt werden, denn die kunstspezifische Praesentation der Sujets - Oel auf Leinwand, Rahmung, Museumssituation - ist geeignet, sie in ihrem Gehalt in Zweifel zu ziehen. Aber ganz abgesehen davon gibt Ramos auch einige Hilfestellungen, die das Verstaendnis der Werke lenken koennen. So waehlt er durchgehend grellfarbig monochrome und dezidiert zweidimensionale Hintergruende; die Posen der typisiert und idealisiert dargestellten Modelle sind nie aufreizend; und die Darstellungsweise zeigt die distanzierte Kuehle, die unter dem Begriff der Hard-Core-Malerei in die Kunstgeschichte eingegangen ist und aus der sich die verfremdende Ueberschaerfe des Hyperrealismus entwickelt hat. Die Bilder sind also mehr Substrat als Imitat der Werbeaesthetik. Sie geben durchaus implizite Denkanstoesse, verweigern aber die Stellungnahme. Ramos macht es dem Betrachter nicht so einfach, eine vorgefertigte und leicht uebernehmbare Werthaltung zu praesentieren, und gerade in diesem bewussten Mangel an Eindeutigkeit unterscheidet sich seine Kunst von den Funktionsmechanismen der Werbung - und definiert sich damit auch als solche. Die Farbenfreude und die elegante Sinnlichkeit, die Abwesenheit aller Sinnhuberei und Betroffenheit, die ueberzeugte Diesseitigkeit und das voellige Fehlen von Tiefe: das ist es, was das Oeuvre Mel Ramos' so sympathisch macht. In seinen eigenen Worten: "Bei grueblerischer Kunst verliere ich schnell die Geduld. Die duestere Seite interessiert mich einfach nicht." (jpb) Mel Ramos-Retrospektive, Kunstverein Mannheim, Augusta- Anlage 58, noch bis 5. Maerz; Oeffnungszeiten: Di-So 10-17, Mi 10-19 Uhr; statt eines Kataloges wird ein Album aus dem Taschen-Verlag angeboten (DM 15.00).