ruprecht goes on the record Das Vermaechtnis Clara Haskil: Eine der bedeutendsten Piani- stinnen des Jahr- hunderts Schneelandschaft. Ein laechelndes Maedchen im schwarzen Kleid huepft um einen grossen kahlen Baum, der in der Mitte eines runden Platzes steht. Von dem Platz fuehrt eine Allee weg. Eine aeltere Frau kommt und fuehrt das Maedchen die Allee hinunter. Das Maedchen weint leise. Diese Szene aus einem biographischen Film ueber Clara Haskil setzt das Wesen der Pianistin - hier noch als Kind - ins Bild: Ein Laecheln und Weinen zugleich. In den Mozarteinspielungen der 1895 geborenen Rumaenin, so zum Beispiel im "Jeunehomme-Konzert", erfaehrt die Vielschichtigkeit der Interpretin ihren vielleicht tiefgreifendsten Ausdruck. Doch Musik ist bei der stets von Krankheit gezeichneten und einsamen Pianistin keine Plattform fuer grosse Gesten. Vielmehr fliessen minuzioese Phrasierungen in weite Spannungsboegen ein, und decken transparente Klaenge selten gehoerte Ebenen der Musik auf. Eine souveraene Spieltechnik bietet die Grundlage fuer ausserordentliche Einspielungen. Komposition, Instrument und Interpretin sind eins, sind in grosser Selbstverstaendlichkeit schlicht Musik. Diese genialische Einheit vermochte Haskil, die schon mit fuenf eine Mozart-Sonate nach einmaligem Hoeren nachspielen konnte und das ohne musikalische Unterweisung, auch in die Kammermusik und das Konzert zu uebertragen. Im Duo mit dem Violinisten Arthur Grumiaux passt sich der Fluegel in Klang und Phrasierung an die Violine an, und obgleich hier zwei verschiedene Musiker, zwei verschiedene Instrumente spielen, ergibt sich eine intensive, aber nie praetentioese, gemeinsame Schoepfung von Musik. Die Verschiedenheiten sind Farben des Einen. Die draengende Leidenschaft in Schumanns Klavierkonzert ist ebenso beeindruckend wie die Melancholie in den Scarlatti-Sonaten. Nirgends findet sich ein Zuviel oder Zuwenig an Stilmitteln. Haskil kam erst ab 1950 zu Ruhm. Doch nur zehn Jahre spaeter starb die unter den grossen Musikern schon seit Anbeginn ihres Spiels hochgeachtete Pianistin. Deshalb stammen die Aufnahmen der Haskil-Legacy alle aus den 50er Jahren (mit einer durchaus akzeptablen Klangqualitaet). Das eingespeilte Repertoire hat seinen Schwerpunkt in den Klassikern Mozart und Beethoven, aber auch Chopin, Ravel, da Falla u.a. sind in einer immer wieder bemerkenswerten Weise interpretiert. Die grosse Kunst, die Ausdrucksmittel in Ausgewogenheit zu verwenden, darin besteht die Groesse Clara Haskils: Forcierungen muenden in Ruecknahmen, die Betonung des Einen liegt im Aufzeigen des Gegenteils, im Laecheln und Weinen.(h.b.) Clara Haskil "The Legacy", Vol. 1-3, Philips Classics