Feuilleton


Sprengmeister der Avantgarde

Pierre Boulez - Komponist, Dirigent und Politiker

Die Opernhäuser in die Luft sprengen" wollte er noch 1969, weil er in ihnen "Nistplätze reaktionärer Machenschaften" sah, wie er dem Spiegel erzählte. Dazu ist es dann aber doch nicht gekommen - zu seinem Glück, wie sich herausstellte, denn inzwischen trifft man ihn häufiger in derlei Örtlichkeiten an: im Orchestergraben, am Dirigentenpult. Auch sonst hat Pierre Boulez es meist verstanden, seine radikalen Impulse nicht gegen bestehende Institutionen zu verwirklichen, sondern sich diese nutzbar zu machen. Anfangs allerdings sah alles ganz anders aus.

Nach dem Studium von Mathematik und Komposition (u.a. bei Olivier Messiaen) schwebte dem gerade siebzig gewordenen Boulez ein eigenständiges, neues, von Tradition völlig freies musikalisches Vokabular vor. Also schritt er zum Vatermord und erklärte kurzerhand Arnold Schönberg - Stammvater der Avantgarde - für tot. Die öffentliche Hinrichtung fand bei den Donaueschinger Musiktagen statt, wo 1951 "Polyphonie X" uraufgeführt wurde und einen fulminanten Skandal verursachte. Boulez galt mit einem Schlag als einer der führenden Köpfe der musikalischen Avantgarde und war fortan in den Feuilletons der großen Tageszeitungen als Bürgerschreck verrufen. Lob kam von anderer Seite; so bezeichnete Igor Strawinsky die Mallarmé-Vertonung "Le Marteau sans Maître" als das einzige überzeugende Werk eines Komponisten der (damals) jungen Generation.

Von solcherlei Reaktionen jedoch unbeeindruckt war Boulez weiterhin damit beschäftigt, avantgarde zu sein. In seiner 3. Klaviersonate beispielsweise verband er die von John Cage frisch aus den USA importierte Idee des musikalischen Zufalls mit seinen eigenen konstruktiven Verfahren, begrenzte dadurch die Zahl der möglichen Varianten von unendlich auf x und schuf so den "gelenkten Zufall", die "variable Form". Außerdem griff er, um kompositorische Probleme zu lösen, häufig auf literarische Vorlagen zurück (bevorzugt Mallarmé und Char) und übertrug deren Strukturen auf die Musik. - Allerdings hatte diese Musik einen Makel: Man konnte ihre Konstruktionsprinzipien nicht hören. Also mußte sie kommentiert werden, was dann in Aufsätzen und Vorträgen auch ausgiebig geschah. Aber wenn man dem Musikschriftsteller Boulez auch Scharfsinn und Witz nicht absprechen kann, so wurde doch die derart drohende Verkopfung seiner Musik v.a. dadurch verhindert, daß er zugleich als Interpret tätig war.

Von Anfang an nämlich trat Boulez auch als Dirigent v.a. zeitgenössischer Musik auf. So bot sich ihm zum einen die Möglichkeit, durch "exemplarische" Interpretationen der Werke dieses Jahrhunderts dem Publikum diese als "schwierig" geltende Musik näherzubringen und dadurch die Grundlage für ein Verständnis seiner eigenen Werke zu schaffen. (Seine Abstecher nach Bayreuth, 1966 mit "Parsifal", 1976 mit dem "Ring", haben zwar Furore gemacht, stellen in seinem Dirigierrepertoire aber eher Ausnahmen dar.)

Zum anderen hatte Boulez als Dirigent ausgiebig Gelegenheit, seinen Klangsinn zu schärfen, was ihn seit etwa 1960 immer wieder dazu veranlaßte, seine Werke zu überarbeiten und zu erweitern - zum Entsetzen seiner Verleger zwar, aber sehr zugunsten des Klanges. So entstand mit der Zeit ein Klangbild, das bei aller Fülle doch klar, teils geradezu "kristallin" wirkt. V.a. seine Werke für große Besetzungen zeugen von ungebremster Experimentierfreude, die auch vor den traditionellen Grenzen des Raumes und der Technik nicht haltmacht: Das Orchester verteilt er oft in mehreren Gruppen im gesamten Konzertsaal und reichert das ganze mit Elektronik an, wie z.B. in "Répons". Hierin ist er bis heute in der Tat avantgarde geblieben.

1975 bot sich Boulez eine einzigartige Gelegenheit zur Sprengung musikalischer Grenzen. Nachdem er sich 1966 mit dem damaligen Kulturminister (!) André Malraux überworfen hatte und seither das französische Musikleben mied, lud ihn 1975 Georges Pompidou höchstpersönlich ein, an der Gestaltung seiner neuen Kulturpolitik mitzuwirken. So gründete Boulez, reichlich ausgestattet mit staatlichen Geldern, das "Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique" IRCAM, ein "Klanglaboratorium" voll neuester Tontechnik, und das auf Neue Musik spezialisierte "Ensemble InterContemporain". Damit war und ist er seit-her auch Herrscher über ein schier grenzenloses Reich klanglicher Möglichkeiten.

Nur eines fehlt im Œuvre des Komponisten/Dirigenten/Or-ganisators Pierre Boulez noch: ein Werk fürs Musiktheater. Denn wie gesagt, die Opernhäuser stehen nach wie vor. Aber möglicherweise bastelt Boulez ja doch noch an einer Bombe. Jedenfalls war jüngst zu hören, er schreibe an einer Oper. Text: Heiner Müller... (koben)


Unaufdringliche Wirkung

Im Zimmer des jungen Mannes scheint bereits längere Zeit nicht mehr aufgeräumt worden zu sein. Leere Pizzaschachteln liegen klumpig auf dem Boden rum, begraben einen Teil der zahllosen Bierdosen unter sich, während der Rest des Gebräus noch seiner Verwendung zwecks Durstlöschen harrt. Improvisierte Aschenbecher, gefüllt und spontan im Raum verteilt, tragen zur heimeligen Atmosphäre bei. Aus dem Bild ragt, durch die Weitwinkel-Perspektive grotesk verzerrt, ein Fuß, an dem sich der Betrachter langsam nach oben zieht, am Bein entlang, das in verwaschenen Jeans steckt, bis er schließlich im Gesicht eines jungen Mannes endet, der inmitten des Chaos mit gelangweilt-angenervtem Gesicht lümmelt und auf den Fernseher starrt, auf dem sich ein nacktes Mädchen lasziv räkelt.

"Porträt eines jungen Mannes" ist dieses Bild betitelt, wohl das lustigste und ungewöhnlichste der Fotoausstellung von Axel Gustav Hesse, die derzeit noch im oberen Marstall-Stockwerk zu sehen ist. Unter dem Titel "Menschen und Städte" hat Hesse hier S/W-Fotographien zusammengestellt, die schnappschußartig Einblicke in seine Reisen durch diverse Weltgegenden bieten, darunter etwa New York, Paris, Berlin und Weimar. Das besondere Interesse des Fotographen aber gilt Osteuropa. Polen, Prag, auch Teile der ehemaligen DDR bilden einen Schwerpunkt der Ausstellung. Axel Hesse hat hier versucht, die Stimmung des Wandels in seinen Bildern einzufangen, jedoch ohne pompöses In-Szene-setzen, sondern beinahe nebenbei bringt er den sozio-politischen Hintergrund seiner Bilder ins rechte Licht, so etwa wenn ein Bild den stalinistischen Kulturpalast in Warschau mit all seiner trotzigen Wucht zeigt und am linken Bildrand auffällig-unauffällig an einer Glasfassade das blitzende Logo von Mc Donald's klebt.

Das Unaufdringliche, Unauffällige scheint das Prinzip zu sein, dem der Künstler bei seinen Touren gefolgt ist. Axel Hesse bevorzugt die intimen Details, die versteckten Menscheleien der Großstadt. Anstatt auf die Glaspaläste, Stadtautobahnen und Einkaufszentren richtet er seine Kamera in die Hinterhöfe und Randviertel der Städte, wo ihm oft scheinbar Banales vor die Linse gerät, etwa eine "Katze in einer Hofeinfahrt in Weimar". Den speziellen Eindruck der Bilder vermitteln daher auch nicht die Motive selbst, bei deren Anblick sich der Betrachter fragt, warum er das nicht schon längst auch einmal fotografiert hat. Die Antwort heißt: Er hat es längst getan, nur bei ihm wirkt es merkwürdig aussagelos und leer. Axel Hesses Bilder dagegen leben von der Belichtung, einer schwachen, dunklen, weichzeichnerischen Belichtung, die oft Gegenlichtaufnahmen am frühen Abend verwendet. Dadurch, und durch die distanzierte Perspektive bekommen die Bilder ihren gewissen Touch romantischer Hoffnungslosigkeit.

Die Ausstellung zeigt keine atemberaubenden technischen oder motivischen Revolutionen, sie will auch nicht schocken. Aber es ist eine Reihe sehr ordentlich gemachter, ruhiger, unaufdringlich wirkender Bilder, die es sich lohnt, einmal anzusehen. (kw)

Axel Gustav Hesse wurde 1964 in Darmstadt geboren, studierte Romanistik, Anglistik und VWL in Heidelberg (Magister 1993) und arbeitet derzeit für einen Fernsehsender.


Der Mond am Vorabend

In den Semesterferien sprechen einen Freunde an: "Sag mal, da soll doch jetzt diese Heidelberger Studentenserie im Fernsehen kommen..." Na endlich, denkt man, endlich nimmt sich mal jemand dieses dankbaren Stoffs an. Was sich da alles für Geschichten erzählen lassen: Nervenkrieg vor Prüfungen, Frust wegen Geldmangel, wilde Parties, erhitzte Diskussionen, Liebeskummer, Nebenjob und Bücherstapel, und, und, und...

Doch wer jetzt donnerstags um kurz vor halb acht das ZDF einschaltet, läßt schnell alle Hoffnung fahren. Schon der Titel "Der Mond scheint auch für Untermieter" klingt wie ein Relikt aus Dalli-Dalli-Zeiten.

Gestellte Situationen, gestelzte Dialoge, unnatürlich herumstaksende Schauspieler, eigentlich fehlt nur noch Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer - von Studentenleben keine Spur. Im Mittelpunkt der Serie steht ein junges Ehepaar, dessen Hauptproblem darin besteht, den Urlaub für die Flitterwochen zu koordinieren, und die Schwiegermutter für einen neuen Hausgenossen zu gewinnen: den Schäferhund "Rocky". Der Hund ist höchst wichtig für die Handlung, denn er kommt immer ins Bild, sobald Herrchen und Frauchen sich an die Wäsche gehen.

Keine durchgebüffelten, keine durchzechten Nächte, stattdessen bieder-gepflegte Freizeitgestaltung, Kostprobe: "Wir wollten doch heute nachmittag in diese neue Boutique gehen". Na, dann.

Wieso bloß schaffen deutsche Fernsehserien es immer, auch die gewöhnlichste, alltäglichste Szene noch so hölzern und gekünstelt rüberzubringen, daß es klingt wie eine Kassette mit "Deutsch für Ausländer"?

Keine grotesken Stories über verzweifelte Wohnungssuche oder chaotische WGs; in der Serie - die laut ZDF-Ankündigung tatsächlich das Studenten-Leben darstellen soll - wohnen alle Leute in riesigen, frisch renovierten Appartements, inklusive Parkettboden und bunten Glasfenstern in der Dielentür. Die Hauptdarsteller sind auch schon um die dreißig, daheim haben sie immer aufgeräumt, und vor allem: Sie kriegen immer einen Parkplatz - typisch Heidelberg eben.

Wenn wenigstens ein paar Studenten-Klischees auftauchen würden, der Öko-Freak in Jesus-Latschen, der Karriere-Streßling mit Seidenhalstuch, der kontaktarme Bücherwurm... Stattdessen versucht schüchtern der fliege-tragende Vermögensberater Max eine adlige Zahnärztin anzumachen - erst indem er in ihrer Sprechstunde buchstäblich vom Stuhl hüpft, dann als er in einem der Heidelberger Oma-Cafés fast den Kaffee über ihren Rock (!) kippt- worauf sie ihn zum Ausritt in den Odenwald einlädt. Ausgang ungewiß.

Die dreieinhalb Szenen, in denen wirklich mal ein bißchen vom Studentenalltag zu sehen ist, müssen allerdings wirklich schwer zu drehen gewesen sein: Wie schafft man es bloß, Außenaufnahmen in Uni-Nähe hinzukriegen, ohne gleich das halbe Barbour-Jacken Geschwader im Bild zu haben?

Das einzig Schöne sind die Stadt-Ansichten, ansonsten bekommen die Fernsehzuschauer den gleichen kitschigen Eindruck vom Heidelberger Leben, wie jene drei bis vier Millionen Menschen, die jedes Jahr für ein paar Tage hier durchreisen: die Touristen. (alf)


Legger Salädsche

Berühmt wird man nur selten über Nacht. Oft heißt es, in kleinen Schritten voranzugehen. Einer dieser Schritte ist, von einer regional bekannten Band in den überregionalen Raum zu gelangen. Mit diesem gemeinsamen Ziel taten sich fünf Bands aus Stuttgart, Pforzheim, Karlsruhe und Heidelberg, die zuhause bereits die Säle füllen, zusammen und nahmen einen Sampler mit drei bzw. vier bisher unveröffentlichten Songs jeder Band auf. Aus der amerikanischen Geschichte entlehnten sie sich für diese CD, die für 20,- DM verkauft wird, den Titel "Salad Bowl", der zugleich Vielfalt, Einheit und Eigenständigkeit symbolisieren soll.

Forciert wird dieses ambitionierte Projekt durch gemeinsame Konzerte in jeder Stadt, so daß jede Band zusammen mit einem Lokalmatador neues Terrain erkunden kann. Mit dabei sind across the border (Irish-Folk-Punk), chase the bird (crossover), marshmallow overdose (die wohl bekanntesten, mit ausgereiften, gefällig arrangierten Popsongs), waiting for? (ska? wave? rock? von allem e biss'l und eine herausragende Stimme) und hey nonny nonny (well, we all know, don't we!?). Coole Idee, gelungene CD und schaut's Euch live doch einfach mal an am 18.5. in der Triplex-Mensa (19.30h). (jk)


ruprecht goes to the movies

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

Im Sumpf des Verbrechens (**)

Wie praktisch: Ein Film im Doppelpack! Denn mit Im Sumpf des Verbrechens bekommt man gleich zwei Filme. Alles fängt so konventionell an, daß man sich schon mal gelangweilt zurücklehnt und zwecks Adrenalinspiegel-Steigerung höchstens noch die typischen special-effects eines Thrillers erhofft: Junger, ehrlicher, talentierter Schwarzer wird der Vergewaltigung und des Mordes an einem kleinen weißen Mädchen angeklagt und legt unter polizeilichem Druck Geständnis ab. Doch im Gefängnis überlegt er sich's anders, und dem beauftragten Jura-Professor Armstrong (Sean Connery) gelingt es schließlich, seine Unschuld zu beweisen. Alles in Butter - denkt der gutgläubige Zuschauer. Doch nach einem nervigen Spannungstief fängt alles noch einmal von vorne an. Mit allerlei dramaturgischem Geschnörkel und logischen Verrenkungen versucht der Film uns jetzt weiszumachen, daß alles ganz anders war. Nach dem lange erwarteten Showdown in Floridas Everglades fragt sich der Zuschauer schließlich, ob der Drehbuchautor überhaupt selbst seine hyperkonstruierte Story verstanden hat. (kw)

Der Tod und das Mädchen (**)

In irgendeinem südamerikanischen Land (Ähnlichkeiten mit Chile wären rein zufällig): Die Diktatur ist abgeschafft, die Demokratie an ihre Stelle getreten. Der künftige Justizminister, der als Vorsitzender einer Kommission die Greueltaten des gestürzten Terrorregimes aufklären soll, wird nach einer Reifenpanne von dem freundlichen Dr. Miranda (Ben Kingsley) nach Hause gefahren. Seine Frau Paulina (Sigourney Weaver) glaubt ausgerechnet in diesem Mann ihren einstigen Peiniger wiederzuerkennnen, der sie - zu den Klängen von Schuberts "Tod und das Mädchen” - im Zuge der staatlichen Repression gefoltert und mehrmals vergewaltigt hat. Kurzentschlossen fesselt und knebelt sie den vermeintlich Fremden, der immer wieder seine Unschuld beteuert, und will "ihm den Prozeß machen”, während ihr Mann, den sie durch einen entsicherten Revolver auf Abstand hält, hilflos zwischen den Fronten steht.

Darf man, um Vergeltung zu üben, die gleichen Mittel anwenden und sich so mit dem Täter auf die gleiche Stufe stellen? Nicht zuletzt um diese Frage dreht es sich in Roman Polanskis neuestem Werk, das ohne die üblichen Rückblenden auskommt: Was in der Vergangenheit liegt, wird erzählt. Kein Zufall, da der Film auf einem Theaterstück basiert, doch damit bietet er trotz überzeugender Darsteller nicht viel, was eine gute Theaterinszenierung nicht auch bieten könnte. Spannend ist er jedoch allemal. (ah)

Bullets over Broadway (***)

"No, don`t don`t speak!" befiehlt die geliebte große Diva dem liebenden kleinen Dramatiker. Und fast möchte man selbst verstummen vor diesem neuen Meisterwerk Woody Allens. Doch unmöglich ist es, nicht in lautes Gelächter auszubrechen angesichts dieser Verrücktheiten: Ohne den Gauner gibt`s keine Kunst, ohne das gnadenlos unbegabte Flittchchen als Schauspieler darf das Stück nicht auf die Bühne, die Diva übernimmt zuletzt doch die Nebenrolle, und der brutale Prolet schließt mit dem kleinen Dramatiker ein geheimes Bündnis...

Um Himmels willen, worum geht's denn da eigentlich? Ums Lachen jedenfalls; vielleicht auch darum, was der Künstler ist: der sensible Mann mit der Nickelbrille oder der vierschrötige Bodyguard? Oder der, der ein Menschenleben für die Kunst opfert (spekulieren die Künstlerfreunde des Dramatikers am Anfang des Films - und siehe da, einer tut's). Whatever: Woody Allen - auch ohne Menschenopfer - ist definitiv ein großer, großer Künstler. (hee)

Drop Zone (-)

Wenn sinnlose Schlägereien nicht so viel mehr Zeit einnehmen würden, als die grandiosen Fallschirm-Szenen, wäre das hier fast ein guter Action-Film. Aber so wird der Streifen ohne vernünftige Handlung und mit magerer Besetzung eher zur Flop-Zone. Einziger Star ist Wesley Snipes als US-Marshall, dessen Bruder durch einen buchstäblich unglaublichen Terror-Akt zu Tode kommt: Ein krimineller Fallschirm-Profi kooperiert mit der Drogenszene und kidnappt für diese Zwecke einen Spezialisten für Computer-Codes. Aber dieses Kidnapping findet in einem Jumbo statt, der in Reise-Flughöhe dahinrast. Wie die Entführer entkommen? Durch die Luft natürlich...
Wer´s glaubt wird selig und geht rein. Viel geballert wird auch. (alf)

I.Q. (**)

Einfach unschlagbar: Walter Matthau als Einstein! Herrlich sind auch die drei alten, trotteligen Freunde Einsteins, die sich ständig darüber zanken, ob denn nun Zeit existiere oder nicht. Aber natürlich kommen auch diejenigen auf ihre Kosten, die eine Lovestory erwarten haben: Einsteins Nichte (Meg Ryan) wird von einem zwar nicht von der Intelligenz verwöhnten, aber dafür mit reichlich Einfallsreichtum bescherten Jüngling (Tim Robbins) umgarnt. Mit Hilfe seines genialen Freundes-Trios und seines unwiderstehlichen Charmes schafft es der getürkte Tankwart natürlich schließlich, das Herz seiner Angebeteten zu erobern. (gz)

Lamerica (**)

Ein ziemlich harter Schlag in die Magengrube, den Regisseur Gianni Amelio da seinen Zuschauern versetzt. Halbverhungerte, in Fetzen gekleidete Menschen, aus deren Augen nur der Wunsch nach einem Stück Brot spricht, eine vollkommen trostlose Landschaft, und Menschentrauben auf einem Lastwagen, die den Traum vom reichen Leben in der Ferne noch nicht aufgegeben haben. Das Bedrückende an der Geschichte ist, daß sie mitten unter uns in unserer Zeit spielt: im Albanien 1991.
Ein italienischer Unternehmer sucht einen Trottel, der für ihn als Strohmann agieren soll. Doch sein Plan funktioniert nicht wie geplant, und so landet er selber in der Mangel des albanischen Regimes.
Obwohl das Thema zugegebenerweise ernst ist, hätten dem Film ein paar Szenen zum Luftholen gutgetan. Nichts für Samstagabend-Unterhaltungssuchende! (gz)

Outbreak (*)

Was auch die ausgefeilteste Werbekampagne für einen eher mittelmäßigen Hollywood-Thriller nicht vermag - die Realität schafft es allemal: Traurige Berühmtheit erlangte in den letzten Tagen eine in der südzairischen Stadt Kikwit ausgebrochene Ebola-Epidemie, der bisher schon etliche Menschen zum Opfer gefallen sind.
Doch dies ist schon die einzige Übereinstimmung zwischen medizinischer Realität und cinematografischer Fiktion. Denn weder den Verantwortlichen in Kikwit noch den Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO käme eine "Lösung" in den Sinn, wie sie Wolfgang Petersen in seinem neuesten Film Outbreak propagiert.
Da empfiehlt eine Komission aus Militärs dem US-Präsidenten, die Bevölkerung einer infizierten amerikanischen (!) Kleinstadt mitgezielten chirurgischen Schlägen zu opfern. Szenen aus Hochsicherheitslabors für biologische Gefahrenstoffe sollen dem Zuschauer die Gefährlichkeit der mysteriösen Erreger, gegen die es bis heute noch keine Impfungen gibt vor Augen führen. Träger der todbringenden Fracht sind dabei bezeichnenderweise niedliche Meerkatzen, die als Versuchstiere die Seuche aus den "dunklen" Regionen unseres Planeten in unsere heile industrialisierte Welt einschleppen.
Wenn dann Dustin Hoffmann als rebellierender Offizier der Säuberungsaktion während des Showdowns dem Bomberkommando im Helikopter entgegenfliegt und die "Guys" beschwört, den Präsidentenbefehl zu ignorieren, ist die Spitze einer Reihe von unglaubwürdigen Handlungsabläufen erreicht. (sf)

Clerks (****)

27.000 $ Budget (loooowww!!!), krisselndes Schwarz/Weiß und ein Soundtrack voller Indiebands. Alles, was einen Film cool und kultig macht. Im 16-mm-Format gedreht. Des Cineasten Herz schlägt höher. Warum auch immer. Es geht um ein gott- und auch ziemlich menschenverlassenes Kaff irgendwo in den USA. Randal arbeitet in einer Videothek und sieht es als seine Hauptaufgabe an, keinen einzigen Film zu verleihen. Sein Freund Dante arbeitet im Gemischtwarenladen nebenan, obwohl er gar nicht dran ist, trauert einer vergangenen Beziehung und gleichzeitig seinem eigenen Leben nach und streitet sich mit seiner Freundin, wer mit wievielen, was und wie oft. Randal philosophiert, flucht und sieht die ganze Scheiße locker. Dieser Tag im Leben von Dante und Randal ist eine einzige Heldentat. Der Kritiker nennt so ein Werk erfrischend, zeitgemäß, unangepaßt. Die Dialoge sind köstlichst, die Darsteller natürlichst und die "Fuck"-Dichte unerreicht. Unbedingt ansehen! (jk)


Knarrende Stimme

Ernst Jandl in Ludwigshafen

Vielleicht liegt's ja am Namen, wer weiß? Nicht nur Ernst Jünger präsentiert sich in nahezu jugendlicher Frische, auch Ernst Jandl (aber hier erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten auch schon), der bekannte österreichische experimentelle Lyriker, 1925 geboren, tourt gerade wieder munter durch die Lande.

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Ludwigshafener Pfalzbau-Theaters unter dem Motto "Jazz in der Philharmonie” wird auch Jandl dort auftreten. Als "Ernst Jandl and the Neighbours” trägt Jandl seine Werke, darunter auch die berühmten Laut- und Sprechgedichte, vor. Begleitet wird er dabei von einer Jazz-Formation aus Flügel, Schlagzeug, Bass und Geige. Jandl und der Mann am Klavier, Dieter Glawischnig, Leiter der NDR-Big Band, hatten bereits vor 29 Jahren angefangen, gemeinsam Jazz und Text-Projekte zu erarbeiten. Für den Auftritt in Ludwigshafen übten die beiden Künstler jedoch eigens ein aktuelles Programm ein.

Der Lyriker, dessen Gedichte längst in die Schulbücher eingezogen sind, gilt als einer der bekanntesten deutschsprachigen Gegenwartsdichter. Seine in dadaistischer Tradition stehenden Werke widmen sich dem ironischen, tausendfach gebrochenen Spiel mit der Sprache, der Verfremdung, ja Verstümmelung, bis das ursprüngliche Sprachzeichen samt Bedeutung fast völlig zerstört ist und der Poet an seine Stelle etwas vollkommen Neues setzt. Dabei veräppelt Jandl oft genug auch seine Leser und Zuhörer, indem er ihr logisches Verstehen hirnsträubenden Tests unterwirft.

Bekannt wurde Jandl durch den Gedichtband "Laut und Luise” (1966). In diesem Werk, das sich überwiegend mit der Kriegsproblematik auseinandersetzt, führt Jandl die von ihm quasi erfundene Gattung der "Sprechgedichte” erstmals einem breiteren Publikum vor. "Sprechgedichte”, wer hätte das gedacht, entfalten ihre volle Wirkung erst beim Sprechen. Daher hat Jandl sie im Buchabdruck mit streckenweise sehr konkreten Anweisungen versehen, so etwa das Gedicht

ZWEI HÄNDE

und

*)

und

**)

und

***)

schrei mit zunge

mit folgenden Erläuterungen: *) klatschen; **) auf tisch schlagen; ***) der letzten zeile vorangehende realisation der letzten Zeile

Unbestritten bester Interpretator seiner Gedichte aber ist der Meister selbst. Gerade bei dem Lyriker Jandl nehmen die öffentlichen Lesungen einen wichtigen Platz ein, sehr viel wichtiger als bei den meisten anderen Poeten. In zahlreichen Rundfunk- und Fernsehauftritten hat Jandl durch seine unverwechselbare Art der Interpretation immer wieder demonstriert, wie entscheidend der Vortrag ist.

Trotz allem sind Jandls Gedichte mehr als Sprachblödeleien und überhöhter Unsinn. Jandl schafft immer wieder neue Wörter, potentiell mögliche Buchstaben- und Lautgebilde, die sich der Einengung entziehen zu versuchen, welche die Sprache unzweifelhaft für das Denken darstellt. Damit schafft er Möglichkeiten, Dinge deutlicher zu machen, als dies konventionelle Sprache vermag; Jandl verschafft der Sprache neue Freiheit. (kw)

"Ernst Jandl and the Neighbours” treten am Dienstag, dem 30. Mai 1995, um 20.00 Uhr im Pfalzbau-Theater Ludwigshafen auf.


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