Heidelberg


ruprecht-Serie "Heidelberger Profile"

Zivilcourage

Nicht nur Zeitzeugin: Marianne Meyer-Krahmer

Ein Datum ist Marianne Meyer-Krahmer wichtiger als der 20. Juli 1944. Zwei Tage vorher, am 18. im Morgengrauen, kam ihr Vater da zu ihr, um Lebewohl zu sagen. Es war die Art und Weise, wie dies geschah, die Atmosphäre, die sie wissen ließ: Deinen Vater siehst du nie mehr wieder. Sie war damals 25. Aber vieles ist ihr noch wichtiger geworden in ihrem Leben. Nicht nur Tochter von Carl Goerdeler zu sein, dem Oberbürgermeister von Leipzig, Widerstandskämpferin von Anfang an, schließlich Mitorganisatorin des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944. Nein, auch und vor allem ihre eigene Erfahrung, der Umgang mit dieser Zeit, ihrer Arbeit als Lehrerin. Wichtig, was Zeitgenossen nie so richtig klar war, was Generationen danach nie so richtig verstehen konnten. Zum Beispiel das Bild des anderen Deutschland. Das Deutschland, das nicht den braunen Massen hinterhergelaufen ist. Um daraus den Mut zu schöpfen für ähnliche Situationen: "Wenn Hitler mehr Widerstand gespürt hätte, hätte er manches zurückgeschraubt." Und doch blieb es bei Einzelaktionen. "Im Bewußtsein der Deutschen spielt der Widerstand kaum eine Rolle, wenig nur wird über ihn gewußt." Resignation nach langer Aufklärungsarbeit, ein bißchen Angst auch, daß der Mut irgendwann wieder einmal fehlt. Diese Aufklärung hat ihr aber auch selber geholfen, die Zeit nach dem 20. Juli zu bewältigen, ein Ereignis ihres Lebens zu verarbeiten. Obwohl sie die Rolle des Vaters ahnte, schon beinahe kannte, war die Vorstellung des 'Danach' zu neblig, zu schwach, um sich wirklich darauf einzustellen: "Als ich den Namen Stauffenberg am Morgen des 21. las, dachte ich, 'Oh Gott, Deinen Vater haben sie sicher auch schon' " - Schrecken, Angst um den Vater, und doch war sie sehr gefaßt. Die Option war schon immer da: "Ich bin dann zu Freunden gegangen und habe darüber nachgedacht, was jetzt zu tun wäre. Die Gestapo kommt doch bestimmt gleich zu Hause vorbei." Und doch hat sie die Notwendigkeit gebraucht, sich als Lehrerin von Anfang an mit diesem Stoff auseinanderzusetzen. Flucht in die Theorie vielleicht, viel mehr aber die Notwendigkeit, nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten und Aufenthalte in KZs Geld für die Familie, die verarmte Verwandtschaft zu verdienen. Wichtig ist ihr auch, nie das Vertrauen in Deutschland, in seine Menschen verloren zu haben. Nie hat sie mit dem Gedanken gespielt, Deutschland zu verlassen. Nie hat sie den Ort hassen gelernt, nur manchmal die Menschen: "Ich habe die Bevölkerung eines Dorfes gehaßt, in das wir nach unserer Befreiung aus dem KZ gebracht wurden. Hier waren wir die Kinder eines Vaterlandsverräters." Viel zu unvoreingenommen, offen geht sie auf andere zu, hat viel zu viel Sinn für die Schwachen, die verführten, betrogenen Kinder der Rabenmutter Nationalsozialismus. "Das war doch alles hin, woran die mal tief geglaubt hatten." Dieses Gespür hat sie, weil sie weiß: Intelligenz war kein Schutz gegen die Verführung, hereinfallen konnte jeder. Die Verführung des goldenen Scheins berauben, die Leichtgläubigkeit bekämpfen, und nicht nur in Gedenksituationen gehört werden, das will sie. Ein bißchen Resignation begleitet einen dabei immer. Auch Frust ob der verlorenen ersten 30 Jahre, erst 1986 begannen sich die Medien wieder zu interessieren. Und jetzt, 1995, wächst die Angst wieder, daß alles irgendwann einmal wieder aus den Köpfen weg ist, vergessen. Alles umsonst?

Marianne Meyer-Krahmer hat ihren Vater verehrt, in ihren Gedanken wird er immer leben, gerade aufgrund seiner Opposition, seiner Zivilcourage. Besonders beeindruckt hat sie dabei jene Geschichte: Vor dem Gewandhaus in Leipzig stand bis 1936 eine Statue von Mendelssohn-Bartholdy, dem christlich getauften Juden. Sollte diese Statue entfernt werden, so war klar, war für Goerdeler sein Weg des politischen Widerstandes am Ende. Sie war das Symbol seines Einflusses auf politischer Ebene. Die Figur wurde entfernt, Goerdeler reichte sein Pensionierungsgesuch ein. Er war kein Held, kein Märtyrer. Er hat nur von sich eine konsequente Verfechtung seiner Ideale gefordert und diese Einstellung an seine Kinder weitergegeben. Soll der Weg nach zwei Generationen schon beendet sein? (rot)


Haltung bewahren

Die Enthüllung eines universitären Kunstwerks steht bevor

Als letzten Herbst der Innenhof der Uni erneut aus seiner gerade wieder eingekehrten Ruhe gerissen wurde, nachdem er zuvor einige Jahre von Baulärm erfüllt gewesen war, kamen in manch älterem Semester ungute Erinnerungen hoch. Bilder von Höllenmaschinen, die sich in die Erde des Innenhofs hineinfraßen, Preßlufthämmer, die den Hexenturm erzittern ließen und bei den Historikern zu Seminarunterbrechungen führten; der Dozent, der in seiner Verzweiflung ein Fenster des Hörsaals aufriß und um Gnade schrie, nur um resigniert festzustellen: "Die haben ja Kopfhörer auf!"

Wer oder was hatte nun die neuen Wühlarbeiten ausgelöst? Antwort: die Kunst. Oder besser, die Kunst am Bau. So heißt ein Gesetz zur Kunstförderung, das vorschreibt, daß zwei Prozent der Bausumme eines öffentlichen Gebäudes für Kunst ausgegeben werden müssen. Nachdem das Tiefenmagazin 19 Millionen DM verschlungen hatte, machte das Land als Finanzträger deswegen noch einmal 400.000 DM für Kunst locker. Nach Ausschreibung eines Wettbewerbs entschied sich 1990 eine Kunstkommission (darunter Rektor Ulmer) für die "Waage des Cusanus", eine Plastik von Michael Witlatschil, Bildhauer und Zeichner aus Köln.

Für ein gewisses Aufsehen sorgte dann der zunächst auf dem Lüftungsschacht des Tiefenmagazins angebrachte erste Teil der Waage des Cusanus, der ein heiteres Spekulieren (ein Knochen?) auslöste. Nachdem im letzten Oktober ein riesiger Kran das Gerüst des zweiten Teils der Plastik über das Dach des Historischen Seminars in die ausgehobene Grube gehoben hatte, war so mancher Zyniker zur Stelle, der das Gebilde als neuerlichen psychologischen Beitrag zur Studienzeitverkürzung auslegte, als Hohngelächter gewissermaßen auf die ästhetischen Befindlichkeiten der Studierenden, bis dato vor allem durch architektonische Verbrechen à la Triplex-Mensa in Mitleidenschaft gezogen. Und: Ließ nicht der Knochen, der nun auch von der Spitze des neuen Gerüsts emporragte, apokalyptische Vorahnungen aufsteigen?

Nun, der "Knochen" ist indes eine römische Eins, und beruhigt können wir an dieser Stelle seine wahre Bedeutung kundtun: Zur "Waage des Cusanus" inspiriert wurde Witlatschil durch Nikolaus von Kues (Cusanus), Universalgenie des 15. Jahrhunderts (Hauptwerk: "Idiota"; erwähnt seien auch seine Überlegungen zur Quadratur des Kreises), der versucht hat, in seiner Gedankenwelt Philosophie, Mathematik und Theologie zu vereinigen. Die Zahl Eins stellt bei Nikolaus von Kues die göttliche Zahl dar. Der Bezug zu Heidelberg ergibt sich aus Nikolaus' Studienzeit an der hiesigen Alma Mater anno 1416/17.

Bei Teil 1 der Plastik "Die verlorene Ruhe" findet sich die Zahl Eins auf einem Straßenstück wie "verloren" liegengelassen wieder. Bei Teil 2 "Die gewonnene Haltung" steht sie senkrecht auf einem sich aufbäumenden Stück Straße. Im Innenhof soll mithin zwischen Ruhe und Aufbäumen die Spannung erzeugt werden, in der der Mensch Haltung bewahrt und Stellung bezieht.

Dem Universitätsbauamt oblag die Logistik bei der Installation der Plastik, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme allererster Güte ganze Heerscharen Heidelberger Handwerker beschäftigte. Bauamt und Handwerker hatten sich mit den Wünschen des Künstlers, der nur die Idee lieferte und nie selbst Hand anlegte, auseinanderzusetzen, etwa als er verlangte, der Befestigungspunkt der Eins bei Plastik 2 habe unsichtbar zu sein. Daß auch hier die Quadratur des Kreises nicht gelang, verhinderten unter anderem Sicherheitsüberlegungen.

Damit alles seinen gebührenden Rahmen erhält, soll das Werk demnächst einem staunenden Universitäts-Publikum enthüllt werden. Falls die Enthüllung von Rektor Ulmer persönlich vorgenommen wird, ist zu erwarten, daß er auch dabei nicht die Ruhe verliert, sondern vielmehr Stellung bezieht und insgesamt Haltung bewahrt. (ck)



ruprecht-Serie "Heidelberger Ecken"

Zwischen Kirche und Drittem Reich

Wer an einem heißen Tag seine Zeit mal nicht im Freibad verbringen will, dem sei ein Spaziergang auf dem Heiligenberg östlich von Handschusheim empfohlen. Seine Höhe und das reiche Grün trotzen selbst den hohen Temperaturen der kommenden Wochen. Abgesehen von vielen Wandermöglichkeiten auf gut gepflegten Wegen, nix mit rauf und runter, lohnt der Berg wegen seiner vielfältigen Sehenswürdigkeiten und dem guten Blick auf die Altstadt.

Für letzteres bietet sich der 1885 errichtete Aussichtsturm besonders an. Die ersten Spuren auf dem Heiligenberg hinterließen schon 400 v. Chr. die Kelten. Sie legten eine Fliehburg an, von der noch heute die zwei erhaltenen Ringmauern zeugen. Die Funktion, des ebenfalls auf sie zurückgehenden 55m tiefen "Heidenlochs", gleich neben dem Aussichtsturm gelegen, läßt immer noch Platz für die verrücktesten Spekulationen. Sicher scheint nur, daß die Römer es vertieft, und als Brunnen gefaßt wohl auch benutzt haben.

Vom nahe gelegenen 1090 erbauten Stephanskloster stehen nur noch die Grundmauern, da die Steine für den Bau des Aussichtsturmes verwendet wurden.

Auf dem Weg zur nördlichen Kuppe gelangt man zur 1934-35 errichteten Thingstätte. Selbst für die geplanten nationalsozialistis$ Thingspiele selten genutzt, steht sie nach Jahrzehnten der Ruhe heute unter Denkmalschutz und dient hauptsächlich Konzertaufführungen$ Die 56 Zuschauerreihen des Ovals steigen 25m hoch an und bieten bis zu 20.000 stehenden Zuschauern Platz.

Den besten Blick in die Rheinebene hat man vom Turm des ehemaligen Michaelsklosters. Von der Abtei Lorsch um 870 auf der höchsten Erhebung des Heiligenberges erbaut, bestand es bis etwa 1530. Von diesem Zeitpunkt an dienten die Steine der Ruine den Handschuhsheimer Bauern zum Bau ihrer Häuser. (bw)


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