Meinung


ruprecht "point&counterpoint": Tierversuche im Studium - überflüssig oder notwendig?

"Notwendig"

Prof. Dr. med. Wolfgang Kuschinsky

1. Physiologisches Institut der Universität Heidelberg

Tierversuche - ein emotionell belegtes Reizwort. Jeder kennt zur Genüge Bilder und Fotos, die ihm immer wieder im Fernsehen und auf Plakaten gezeigt werden. Durch eine dauernde einseitige, scheinbar objektive "Berichterstattung" soll der Eindruck erweckt werden, daß hier immer Tiere schwer leiden. Und das nun auch noch in der Ausbildung? Liegt es da nicht nahe, sofort und ohne weitere Überlegung alles abzulehnen?

Die Wirklichkeit sieht anders aus als das, was uns vorgespiegelt wird. Tierversuche in der Ausbildung gibt es in Deutschland fast überhaupt nicht mehr, und wenn, dann ohne jedes Leiden des Tieres, da alle Messungen in Betäubung vorgenommen werden - heute sollte man hierbei korrekter von schmerzfreier Materie sprechen. Die Diskussion wird von Tierversuchsgegnern immer wieder angefacht, um gegen Organentnahmen, zumeist von Krallenfröschen, Einspruch zu erheben. Die Tötung dieser Tiere ist nach dem Gesetzestext und Unhalt kein Tierversuch und unterscheidet sich in nichts von dem Schlachten von Tieren, das von unserer Gesellschaft in großem Stil toleriert wird. Die Zahlenrelation von über 300 Millionen Schlachttieren und wenigen hundert Krallenfröschen pro Jahr in Deutschland spricht für sich. Ist es wirklich sinnvoll, gerade bei den Krallenfröschen anzusetzen, wenn man etwas erreichen möchte? Daß Organentnahmen und Tierversuche nicht an jeder Universität zu Ausbildungszwecken durchgeführt werden können, heißt nicht, daß man sie überall abschaffen sollte. In dieser Frage sind sich zum Beispiel praktisch alle Physiologen einig. Sie haben in ihrer Fachgesellschaft, der Deutschen Physiologischen Gesellschaft, folgende Resolution verabschiedet: "Aufgabe der Physiologie ist die Erforschung von Lebensvorgängen, deren Kenntnis Grundlage ärztlichen Handelns ist. Die Erkenntnisse des Fachs basieren auf Untersuchungen an Menschen, an Tieren und ihren Organen sowie an Modellen. Den angehenden Ärzten ist dieses Wissen im Unterricht zu vermitteln. Aufgabe der Praktika ist es, den Studenten die Möglichkeit eigener praktischer Erfahrungen mit diesen Methoden zu bieten und das eigene Urteil zu schulen. Es ist daher notwendig, im Physiologischen Praktikum für Mediziner Versuche an Probanden, Tieren bzw. Tierorganen und Modellen anzubieten. Die aktuelle Durchführung der Lehre liegt in der ausschließlichen Verantwortlichkeit der örtlichen Hochschullehrer, die auch die lokalen Gegebenheiten des jeweiligen Instituts in ihre Unterrichtsgestaltung einbeziehen." Wohl bemerkt, diese Resolution wird auch von den Hochschullehrern getragen, die aufgrund der lokalen Gegeben-heiten nicht in der Lage sind, selbst Tierversuche in der Ausbildung anzubieten.

Übrigens ist die Resonanz der Studenten auf die entsprechender Praktika durchweg positiv: Sie gehen nach dem bisweilen von SATIS veranstalteten Theater eher skeptisch in die Praktika und sind hinterher umgestimmt und überzeugt, daß es sinnvoll ist, auch solche praktischen Erfahrungen zu sammeln.

Wir sollten uns klar sein: die Fortschritte der modernen Medizin wären ohne Tierversuche nicht möglich. Es wäre unehrlich, das abzustreiten. Diese Erkenntnis und die Konsequenz, dies beispielhaft zu demonstrieren, hat mit einer bisweilen behaupteten Erziehung zur Abstumpfung nichts zu tun, es sei denn, man wirft uns dasselbe vor, wenn wir zum Beispiel einen Hamburger essen und nicht des Rindes gedenken, von dem es stammt. Ich frage mich oft, mit welchem Recht die Gegner von Organentnahmen und Tierversuchen eigentlich Lederschuhe und Ledergürtel tragen - da wird die Tiernutzung auf einmal von ihnen akzeptiert.

"Überflüssig"

Wilfried Witte M.A.

Satis e.V. bei der Fachschaft Medizin Heidelberg

Tierversuche in der medizinischen Lehre sind überflüssig. Zu diesem Schluß kam im Frühsommer 1995 die im britischen Sheringham tagende europäische Valdierungskommission ECVAM, die sich um die Reduktion von Tierversuchen bemüht. Die Experten unterschieden zwischen "training" und "education". Diejenigen Wissenschaftler, die darauf angewiesen seien, sollten eine mindestens 60-stündige Ausbildung in Versuchstierkunde bekommen (training), in der Lehre (education) hingegen könnten die "Eingriffe und Behandlungen zu Ausbildungszwecken", wie es in Deutschland heißt, rasch abgeschafft werden.

Daß der Weg im humanmedizinischen Studium über Tierleichen führt, hält SATIS, der Bundesverband studentischer Arbeitsgruppen gegen Tiermißbrauch im Studium, für grundsätzlich falsch. Was es mit der biomedizinischen Forschung auf sich hat, das ist ein weites Feld. Die Frage aber, ob Versuche mit Muskeln, Nerv und Haut des Frosches und mit einem anästhesierten Kaninchen tatsächlich notwendig sind für die ärztliche Ausbildung, diese Frage betrifft Medizinstudierende in Heidelberg und andernorts praktisch. Man kann sie nicht damit abtun, daß z.B. viele Tiertransporte noch viel schlimmer seien, denn die Verantwortung trägt jede/jeder beim eigenen Tun - und welche Lehrenden oder Lernenden der Medizin fahren schon Sattelschlepper mit Schweinen durch Europa? Viele solcher Transporte sind pure Tierquälerei, aber die Universität Heidelberg wird sie als solche nicht abschaffen können.

In Heidelberg hat kürzlich die Medizinische Fakultät das Diskriminierungsverbot zu Papier gebracht: Wessen Gewissen gegen die Teilnahme am Tierversuch spricht, der soll keine Nachteile erfahren. Die Auslegung des Beschlusses durch die Physiologen sah bislang so aus, daß der Freitermin, den jeder Studierende sowieso hat, dafür genutzt werden könne, sich dem Anblick des pochenden Herzens des Versuchskaninchens zu entziehen. D. h. wer sämtliche Versuche an Tieren und Teilen von ihnen ablehnt, geht leer aus; wer alternativ Praxis bekommen möchte, ist im Nachteil.

So sehr die Auslegung des Fakultätsbeschlusses diesen im Sinn verkehrt, so wenig deckt sich die Auffassung, Tierversuche in der Lehre seien notwendig, mit der Rechtslage. Das Tierschutzgesetz bezeichnet Tiere nicht mehr als Sache und gesteht ihnen den Titel Mitgeschöpf zu. Dem liegt die moralische Argumentation zugrunde, daß Tiere, wenn bzw. weil sie leidensfähig sind, einen solchen Status haben, daß man ihr Lebensrecht zu respektieren hat. Das hat nichts mit Gefühligkeit zu tun: Tiere sollen nicht "vermenschlicht" werden, aber sie dürfen auch nicht als reines Mittel zum Zweck mißbraucht werden. Das Gefühl, das hier zählt, ist das Mitleid. Tiere können sich nicht per Sprache mitteilen. Philosophen, Theologen und Biologen schweigen sich über das Dasein der Tiere zu Versuchszwecken im wesentlichen aus oder äußern sich klar anthropozentrisch. So darf es nicht bleiben, die Problematik muß zur Sprache gebracht werden!

Der Gesetzgeber hat sich auf die Formel vom "vernünftigen Grund" geeinigt. Ohne diesen dürfen Tieren keine "Schmerzen, Leiden oder Schäden" zugefügt werden. Es gibt genügend Alternativen für die biomedizinische Ausbildung (nichtinvasive Selbstversuche, abiotische Modelle, audiovisuelle Mittel, Computersimulationen), die von einigen Universitäten auch schon angewendet werden (Marburg, Hannover, Halle). Der Lehrzweck kann anders erreicht werden als durch den original zuckenden Muskel oder das freigelegte Herz, dessen letzte Stunde schlägt. Ob die Anschauung durch das Versuchskaninchen nun am eindrücklichsten ist, ist völlig unwichtig, solange der Lerneffekt auch durch eine Simulation o.ä. erreicht werden kann: Lebensrecht geht vor Anschauung!

In diesem Semester wird erstmals auf das Versuchskaninchen im physiologischen Praktikum verzichtet und stattdessen ein Selbstversuch praktiziert. Es ist zu hoffen, daß solche Initiativen Schule machen!

(Red. "point/counterpoint:jr/gvg)


Wenn ein Grüner den Rotstift ansetzt

Tom Koenigs, Frankfurts Stadtkämmerer, über Erfolg, gerechte Kriege und die SPD

Tom Koenigs, 51, führt seit 1993 das Ressort des Frankfurter Kämmerers. Der umtriebige Grüne, Sproß einer altehrwürdigen Kölner Bankiersfamilie, kam auf verschlungenen Pfaden zur Macht über einen Sechs-Milliarden-Haushalt und Acht Milliarden Schulden. Nach Internat und Banklehre mischte Koenigs als Berliner BWL-Student ausgiebig bei Hausbesetzungen, WGs und APO mit. 1973 verschenkte er sein Erbe ("irgendwas zwischen 500.000 und fünf Millionen") dem chilenischen Widerstand und dem Vietcong. Dieser bedankte sich artig mit einer Lampe.
Auch mit Studienabschluß blieb Koenigs der APO noch bis 1972 erhalten, bevor er als Schweißer zu Opel ging. In der Betriebsgruppe "Revolutionärer Kampf" lernte er Joschka Fischer kennen, seinen späteren WG-Mitbewohner. Es folgten Taxifahrer, Übersetzer und Reisen nach Südamerika.
Koenigs wurde 1983 Mitglied der "Grünen" und war von 1987-89 Büroleiter des ersten grünen Ministers, Joschka Fischer. Seit 1989 verwaltet Koenigs das Frankfurter Umweltdezernat.
"Immer weniger Geld für immer mehr und teurere Bücher", so lautet die einhellige Klage der deutschen Unibibliotheken. Gingen 1995 die Grundetats im Bundesdurchschnitt erstmals zurück (2,8 Mio. pro UB), so stiegen die Bücherpreise in den vergangenen Jahren um durchschnittlich 15%, bei wissenschaftlichen Publikationen um gar bis zu 50%. Auch in HD werden die Folgen dieser rasanten Preisentwicklung immer spürbarer. Seminarbibliotheken sehen ihre Mittel schon zu Jahreshälfte erschöpft, Öffnungszeiten werden verkürzt, Standardwerke fehlen.

ruprecht: Kann man in dieser schwebenden Situation in Frankfurt als Stadtkämmerer arbeiten?

Koenigs: Die Situation wird natürlich nicht einfacher, wenn sich SPD und CDU auf Kosten der Grünen und der Haushaltskonsolidierung auf ein Personalpaket einigen. Die Gewichte sind neu verteilt worden, und die neue Mehrheit hofft, sich ohne weitere Einsparungen bis zur nächsten Kommunalwahl durchlavieren zu können. Der Kämmerer ist etwas aus den Schlagzeilen herausgekommen. Das macht das Arbeiten einerseits leichter, aber manchmal verläßt mich auch die Begeisterung ein wenig, wenn ich sehe, daß vieles von dem, was ich aufgebaut habe, gefährdet ist.

ruprecht: Sie haben gesagt, vieles von dem, was sie aufgebaut haben, sei in Gefahr. Können Sie als Stadtkämmerer zwischen all den Sachzwängen überhaupt noch parteipolitische Ziele durchsetzen?

Koenigs: Ich bin zu politischen Stellungnahmen berechtigt und bereit. Dort, wo es Magistratsbeschlüsse gibt, muß ich sie vertreten, aber ich trage natürlich erheblich zur Bildung solcher Beschlüsse bei. Meine Position ist eine politische.

ruprecht: Haben sie als ,Realo"-Grüner aufgrund ihrer Haltung schon des öfteren Streit mit ihrer Parteibasis bekommen?

Koenigs: Eher weniger. Wir wissen alle, daß wir weniger Geld haben als früher, und Sparkonzepte helfen schließlich oft auch, Institutionen auf Dauer lebensfähig zu machen. Die Grünen sind seit ihren Anfängen für die Staatsmodernisierung eingetreten. Wir haben unsere Basis in den Kommunen, wo man sich früher als auf den anderen Ebenen mit der Tatsache auseinandersetzen mußte, daß auch finanzielle Ressourcen endlich sind. Jetzt zwingt die finanzielle Krise auch den Bund und die Länder, hoheitliche Zöpfe abzuschneiden. Dieses Modernisierungsprojekt sollten wir nicht anderen überlassen. Wir haben einen programmatischen und praktischen Vorsprung.

ruprecht: Sehen Sie sich selbst eher als höchsten Finanzbeamten der Stadt oder als grünen Politiker?

Koenigs: Immer wenn auf die Beamten geschimpft wird, sage ich, ich bin ein Beamter, und immer, wenn auf die Politiker geschimpft wird, sage ich, ich bin ein Politiker. Aber ich betrachte mein Amt eindeutig als politisches Amt, das mich nicht nur der grünen Basis, sondern auch den Wählern insgesamt verpflichtet. Ich versuche, Lasten, die jetzt zu tragen sind, nicht auf die nächste Generation zu verschieben. Wir sind die Partei, die auch an die nächste Generation denkt.

ruprecht: Gibt es konkrete Beispiele grüner Finanzpolitik, die sich von der Ihrer Vorgänger unterscheidet?

Koenigs: Die Grünen stehen für finanzpolitische Innovationen. Wir holen uns auch gerne Anregungen aus der Privatwirtschaft; nicht, weil wir das alles ganz dufte finden, was die machen, sondern weil die soziale und ökologische Marktwirtschaft gute Instrumente für die Bewirtschaftung knapper Ressourcen hervorgebracht hat.

Ein Beispiel: Wir haben in Frankfurt die Verpackungssteuer eingeführt. Das bringt einerseit ein bißchen Geld von den Unverbesserlichen und anderseits eine deutliche Abkehr von Einwegverpackungen. Dieses finanzpolitische Steuerungsinstrument ,Verpackungssteuer" war viel wirkungsvoller als alle Erlasse, Gebote und Satzungen, die wir bisher zu dem Thema hatten.

Insgesamt scheint eine vernunftbetonte und nicht lobby-abhängige Modernisierung der Finanzpolitik etwas ganz besonders Grünes zu sein. Ein weiteres grünes Element ist Öffentlichkeit und Transparenz in der Finanzpolitik. Meine Amtsvorgänger waren eher in sich gekehrte Leute, die auf Fragen der Journalisten mit ja oder nein geantwortet oder eine unverständliche Zahl von sich gegeben haben. Das ist vorbei. Ich möchte Finanzpolitik zum kommunikativen Ereignis machen.

ruprecht: Zur Bundespolitik: Es ist - vor allem seit der letzten Bundestagswahl - in Mode gekommen, den Grünen einen Einbruch in die Wählerschaft der F.D.P. vorauszusagen. Glauben Sie, daß sich die Grünen dort Stimmen holen können? Ist das nicht mit zu großen Kompromissen verbunden?

Koenigs: Die F.D.P. ist eine Partei für die Besserverdienenden. Auch bei den Grünen gibt es Besserverdienende; die machen aber keine Lobbypolitik, sondern wählen die Grünen, weil sie ein soziales Gewissen bewahrt haben. Es gibt andere Positionen, die bei der F.D.P. völlig verwaist sind: Die freiheitlichen, antiklerikalen, menschenrechtsbetonten, marktwirtschaftlichen Elemente. Das ist tatsächlich etwas, was die Grünen bejahen. Sie wollen keine bestimmte Religion in den Vordergrund stellen, und sie haben ein massives Interesse an der Verbindung von Innen- und Außenpolitik mit der Menschenrechtsfrage. Und die Grünen stellen die Bürgerrechte über die Ordnungsrechte. Wenn von den Leuten, die das eigentlich Liberale hochhalten, also etwa die Gruppe um Frau Leutheusser-Schnarrenberger, einige zu den Grünen kämen, dann wäre mir das recht - egal, was sie verdienen.

ruprecht: Früher haben nicht nur Konservative gesagt: Die Grünen sind nicht regierungsfähig. Heute muß man sich eine andere Frage stellen: Ist eine auf allen Ebenen zerstrittene SPD überhaupt noch ein seriöser Koalitionspartner?

Koenigs: Auf die Seriosität kommt es mir weniger an als auf die Arbeitsfähigkeit. Die SPD ist im Moment sehr unübersichtlich, in Frankfurt wie in Bonn. Auf Bundesebene besteht die Option Rot-Grün besteht immer noch, wenn die Partei sich zusammenrauft. Natürlich müssen sich die Grünen fragen, ob sie nicht manche Dingen auch mit der CDU durchsetzen können. Ich kann mir eine Koalition aber im Moment leider auf keiner Ebene vorstellen. ,Leider", weil man von der Programmatik her durchaus gemeinsame Positionen finden könnte. Der Umweltschutz ist eine konservative Angelegenheit, die auch im CDU-Programm sehr schön drinsteht, aber nicht umgesetzt wird.

Die Grünen sollten sich die Option, einen Geißler zu finden, mit dem man zusammenarbeiten kann, immer offenhalten. Für eine institutionalisierte Koalition aber muß die jeweilige CDU sich noch sehr weit verändern - ich halte das jedoch nicht für ausgeschlossen.

ruprecht: Wo liegen die Gründe für den Erfolg der Grünen, die ihre Stimmen besonders der SPD wegenehmen?

Koenigs: Von der SPD wenden sich Leute ab, denen diese Partei zu zerstritten ist, denen aufstößt, daß programmatische Äußerungen nicht in die Tat umgesetzt werden. Wir haben ein paar Leute, die grünes Gedankengut fortentwickeln und so präsentieren, daß es jeder versteht. Wir haben keine Struktur, die nur dazu dient, einen Parteivorsitzenden zu wählen - wir haben aber einen Parteivorsitzenden. Offensichtlich ist das im Augenblick das Richtige. Wir haben die Frage der Frauenbeteiligung mit der Quote gelöst. Wir haben außerdem in den Kommunen oft eine wenig ideologische und an pragmatischen Fragen orientierte Politik gemacht. Auch die Grünen zanken kräftig, z.B. bei der Ausgestaltung einer Ökosteuer; das sind aber Sachfragen, und es ist ein Ergebnis absehbar.

ruprecht: Sie selbst haben als junger Mann mit Ihrem eigenen Geld in einem Krieg eine Seite unterstützt, die Sie für die richtige Seite hielten. Würde Sie das jetzt dazu bringen, sich hinter Joschka Fischers Befürwortung einer Intervention in der Jugoslawien zu stellen?

Koenigs: Ich sage allen, die eine Intervention kritisieren: Ihr habt für Waffen für El Salvador gesammelt, Ihr habt für den Vietcong demonstriert und Ihr seid der Meinung, daß der Tag des Kriegsendes ein Tag der Befreiung ist. Im Zweiten Weltkrieg wurde mit Hilfe der Amerikaner die ethnische Säuberung durch den Faschismus beendet. Wir haben unseren Eltern vorgeworfen, daß sie während der Nazi-Zeit nicht widerstanden, nicht die Seite der Gerechtigkeit gesucht haben. Jetzt mußten wir mitansehen, wie erst Schutzzonen gebildet, dann wieder überrannt wurden. Die UN hat auch den Leuten in den Schutzzonen gegenüber Verantwortung übernommen, hat gesagt ,Hier könnt Ihr bleiben, hier seid Ihr sicher", doch sie steht den Aggressoren mit gebundenen Händen gegenüber. In der Pazifismus-Debatte haben wir gesagt ,Waffen sind furchtbar" - das ist auch richtig. Aber es paßt nicht zusammen: Wenn wir nicht anders als durch Zähnezeigen zum Verhandlungstisch zurückkommen, müssen wir die Zähne zeigen. Die Diskussion darüber ist in Frankreich viel ehrlicher und eindeutiger. Die französischen Intellektuellen sagen einmütig: ,Dieses ist in unserer Generation ein Völkermord, den wir tatenlos mitansehen."

Die Frage ist doch, wie wir es erreichen können, daß in Europa multikulturelle Vielvölkerstaaten friedlich existieren können. Diese Frage ist überall aktuell, nicht nur in Sarajevo, sondern auch in Paris, Frankfurt oder Mölln. Und das möchte ich gerne im Zusammenhang sehen: Ich glaube nicht, daß wir uns aus der Verantwortung stehlen können. Spätestens unsere Kinder werden uns, genau wie wir unseren Eltern, die Frage stellen, warum wir zugesehen und nichts getan haben. Wer sagt, ,Ich bin nicht bereit, der Gewalt entgegenzutreten", vertritt eine Fundamentalposition und muß dann auch sagen ,Unser Engagement für Vietnam und El Salvador war falsch, ebenso wie die Intervention der Amerikaner in Nazi-Deutschland". Es stimmt eben leider nicht, daß man einem bewaffneten Aggressor mit leeren Händen entgegentreten kann, und Sarajevo hat das ganz deutlich gezeigt: Die momentane Chance auf Verhandlungsfrieden ist, so grob muß man es sagen, herbeigebombt worden; aber der Tag der Befreiung vor 50 Jahren ist auch herbeigebombt worden.

ruprecht: Eine biographische Frage: Sie sind der Prototyp einer neuen Politikerklasse: Von einer ,wilden Jugend" in eine etablierte politische Stellung hinein. Sehen Sie da einen ,Bruch" in Ihrem Leben, oder eher eine Konsequenz?

Koenigs: Von Konsequenz kann überhaupt keine Rede sein. Bis ich 45 war, wollte ich niemandes Chef sein, wollte nie in formalisierten Strukturen arbeiten. Ich habe aber immer Politik gemacht, und habe gesehen, daß die Politik des Einzelnen, des Demonstranten, des Anarchisten, an ihre Grenze stößt. Ich hatte dann Gelegenheit, in ,höhere" Positionen einzusteigen und wollte es einmal probieren - auf Zeit. Politikerkarrieren sollen nicht verewigt werden.

Viele sagen zu mir: ,Jetzt bist Du alt und etabliert, Du hast Dich sehr verändert." Aber sich zu verändern, ist kein Schaden, und alt zu werden ohne sich zu verändern, ist lächerlich. Meine wichtigsten Prinzipien habe ich beibehalten: Den Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit, nach Menschenrechten, und den Versuch, unkonventionelle Initiativen, ob von der Straße oder von oben., anzuhören und mit einzubeziehen.

ruprecht: Sie sagen, Ihre Ziele seien gleich geblieben. Aber die Wege zu diesen Zielen haben sich doch ziemlich geändert: Sie sind jetzt ein Teil des Systems.

Koenigs: Ich habe früher nicht geglaubt, daß es für die Umsetzung meiner Ziele einmal notwendig wäre, innerhalb der Strukturen mitzuarbeiten. Bis es die ,Grünen" gab, war ich immer ein Parteienfeind. Aber den demokratischen Weg habe ich immer gesucht. Es ist vielleicht neu, daß man sich so weit auf die Strukturen einläßt, aber in gewisser Weise ist es nur konsequent. Erst waren wir nur Oppositionspartei, dann haben wir die Chance zum Mitregieren bekommen und haben gesehen, daß unsere Wähler das auch von uns erwarten. Jemand, der sich als reine Protestpartei wählen läßt, wird das nur sehr kurze Zeit durchhalten, maximal eine Legislaturperiode, siehe die Hamburger ,Statt-Partei". Wenn man dauerhaft Politik gestalten will, muß man auch regieren. Und wenn man mich fragt, ob ein ,Grüner" Bundeskanzler werden soll, sage ich ,Natürlich!".

ruprecht: Herr Koenigs, wir danken Ihnen für das Gespräch. (kw, hn)


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