Alle Prüfungsordnungen der Uni Heidelberg im Netz - ein neuer Service von ruprecht, der FSK (und der ZUV natürlich, die die Dinger abgetippt hat).


ruprecht in kleinen Häppchen


Titel


Meinung


Hochschule


Heidelberg


Feuilleton


Verschiedenes


Wir müssen draußen bleiben

EWS beschließt Aufnahmestop - zuviele Magister, zuviele Lehrer

Zum ersten Mal schließt ein Institut in Heidelberg wegen Überfüllung seine Pforten - zumindest für jene, die im Wintersemester 96/97 anfangen wollen, dort zu studieren. In einem Akt der Notwehr hat die Leitung des Erziehungswissenschaftlichen Seminares unterstützt vom Mittelbau einen Aufnahmestop für 2 Semester beantragt. Der Fakultätsrat der Sozial- und Verhaltenswissenschaften hat schon zugestimmt und auch der Senat der Universität wird wohl sein Plazet geben.

Die Fachschaft des EWS ist zwar gegen diesen "NC von 0,0" - die studentischen Vertreter im Fakul-tätsrat waren folglich fast die einzigen, die gegen den Aufnahmestop stimmten. Doch auch sie sind ver-zweifeltgenug über die Lage, um die Reaktion nachvollziehen zu können.

Was die Situation am EWS so schwierig macht, ist die Tatsache, daß dort nicht nur Magisterstu-dierende - 900 Haupt- und 700 Ne-benfächler - lernen. Auch die 3000 Lehramtsstudierenden Heidelbergs machen dort allgemeinpädagogische und fachdidaktische Seminare. Dies - und ein regelrechtes Ausbluten der Lehrstühle in den letzen Jahren - führt dazu, daß das EWS unter den überfüllten Instituten Heidelbergs das allerüberfüllteste ist.

Natürlich gibt es verschiedene Meinungen darüber, wie man dieser Situation begegnen sollte. Der Aufnahmestop trifft nur eine kleine Gruppe - man setzt da an, wo man zunächst die wenigsten Rücksichten nehmen muß. Die Institutsleitung aber mußte sich auf dem Aktionstag, den die Studierenden vor zwei Wochen zu diesem Thema veranstalteten, die Frage gefallen lassen, ob sie genug getan hat, um die weggefallenen und wegfallenden Stellen auszugleichen. Nicht nur Fachschafter, auch Vertreter des Mittelbaus werfen der geschäftsführenden Institutsdirektorin Christiane Schiersmann (die allerdings erst seit einem halben Jahr vertretungsweise im Amt ist) vor, zuwenig nach Ausgleichstellen und Lehraufträgen gebohrt zu haben.

Die Universität und die anderen Fakultäten, vor allem aber das Wissenschafts- und das Kultusministerium stehen im Verdacht, die Versorgung der Lehramtsstudieren-den auf Kosten des EWS sicherstellen zu wollen. Denn die Frage, wie und wo angehende Lehrer ihre Päda-gogikseminare machen sollen, hat noch niemand richtig beantwortet.

Die Frage "Wohin mit den Lehramtsstudierenden?" wird immer drängender: Bald sollen künftige Gymnasiallehrer - wie in anderen Bundesländern - im Rahmen des pädagogischen Begleitstudiums doppelt soviel Pädagogik und Didaktik machen wie bisher; das EWS müßte also pro Veranstaltung noch mehr Leute versorgen. Angesichts dieser Erweiterung haben schon jetzt viele Lehramtstudenten mehr Scheine abgelegt, als verlangt. Auf die bereits hohe - und durch das Begleitstudium weiter forcierte - Auslastung des EWS mit Lehramtsstudenten hat das Institut aber keinen Einfluß. Denn über deren Zulassung entscheiden die Fakultäten, an denen diese ihr Fachstudium absolvieren, so daß dem EWS gewissermaßen nur der "Zugriff" auf die Magister bleibt.

Am zu 190 % überlasteten EWS erwartet die Studierenden eine tiefgehende quantitative Verschlechterung des Lehrangebots. Der Lehrstuhl "Allgemeine Pädagogik" ging an die Gerontologie und die verbliebenen fünf Lehrstühle sind eigentlich nur drei: Prof. Kaltschmid ist erkrankt und wird dieses Jahr vielleicht nicht mehr lehren; ohnehin fällt seine Professur in drei Jahren weg. Zusätzlich werden die Stellen von Prof. Schiersmann und Prof. Cube in zwei Wochen wieder zusammengelegt. De facto wird das EWS also mit drei Professuren auskommen müssen - in einer Situation, die schon mit fünfen kaum zu bewältigen war.

Dem vom Kultusministerium geplanten Begleitstudium setzte Wissenschaftsminister v. Trotha zwar das Versprechen von landesweit sechs neuen Pädagogik-Professuren entgegen, ob diese aber an die "6 großen Unis", also auch Heidelberg, (Schiersmann) oder aber an die, "die noch keine Fachpädagogik haben", gehen, also nicht Heidelberg, (Axel Zimmermann, Akad. Rat), steht in den Sternen. Gewiß ist nur, daß bis zur Landtagswahl auf Ministerialebene wohl nichts passieren wird.

Überhaupt wird die von Frau Schiersmann artikulierte Hoffnung auf ein "Sonderlehrprogramm" mit neuen Professuren weder vom Rektorat noch vom Mittelbau des EWS geteilt. Daß mindestens eine neue Professur am EWS benötigt wird, ist am Institut unumstritten, doch: Woher nehmen? Eine Umwidmung innerhalb der Fakultät, wie sie durch den momentan vakanten Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie von der Psychologie zum EWS möglich wäre, ist unwahrscheinlich. Wer gibt schon gerne einen Lehrstuhl her? Auch inneruniversitär erscheint eine Umschichtung fiktiv. Nachvollziehbar ist der Vorschlag, eine geeignete Stelle von einer Fakultät mit vielen Lehramtsstudenten einzuforden.

Ein Teil des Problems wäre wohl gelöst worden, wenn die geplante Integration der PHs vor zwei Jahren geglückt und daraus eine Kooperation zwischen PH und EWS entstanden wäre, in der die (auch schon ausgelastete) PH einen Teil des Begleitstudiums für Gymnasiallehrer geleistet hätte. Unter den jetzigen Umständen erscheint eine Kooperation kaum vorstellbar, obwohl beide Rektorate Gespräche bestätigen.

Gibt es andere Lösungen als den Aufnahmestop? Zimmermann klagt ein "massives Auftreten" des Instituts ein: z.B. Einstellung von Veranstaltungen, um auch auf Kosten eines Disziplinarverfahrens auf die Mißstände hinzuweisen. Vielleicht hätte auch einer der mit der Begründung "Bringt eh nix"nicht gestellten Anträge für neue Stellen Erfolg gehabt. Die Lösung "NC" scheint - einvernehmlich - vom Tisch; von studentischer Seite befürchtet man aber, daß der Aufnahmestop nur die Einführung eines NC für die nachfolgenden Semester vorbereiten wird.

(jk/hn)


Widerliche Bundesbrüder

Burschenschaften gründen einen neuen Dachverband

Die harte Front bröckelt. Was den einen zu links ist, ist den anderen zu rechts. Schon lange vorbei ist es mit der großen Eintracht. Sechs Burschenschaften hatten nun endgültig genug von den despotischen Grundsätzen der "Deutschen Burschenschaft" (DB), die immer noch nach einem großdeutschen Reich strebt und Ausländer und Zivis ablehnt. Sie gründeten in Hannover den Dachverband "Neue Deutsche Burschenschaft". Statt harter Gesetze und Willkür bei Sanktionen setzen sie auf Autonomie der einzelnen Verbindungen und Basisdemokratie.

"Der alte Dachverband hat die Grundsätze pervertiert," kommentiert Christian Albinus, Pressesprecher der Neuen Deutschen Burschenschaft, die Abspaltung. "Früher waren alle Burschenschaften in der DB, doch nach und nach traten immer mehr aus, weil ihnen deren Gesetzeskatalog zu undemokratisch war." Der neue Verband ist nur noch fakultativ schlagend und läßt auch Ausländer und Zivis zu. An Südtirol oder Ostpreußen melden sie keinerlei Ansprüche an, sondern sehen die deutsche Einheit als vollzogen und setzen auf den Europagedanken.

Die Heidelberger hielten sich bisher zurück, doch einige Burschenschaften - besonders diejenigen, die schon vor Jahren aus dem DB ausgeschieden sind - denken über einen Beitritt nach. Einzig für die Normannen ist dies überhaupt kein Thema.

Christian Albinus rechnet mit der Verdopplung der Mitgliederzahl innerhalb eines Jahres. Seine Verbindung, die Brunsviga Göttingen, hatte 1991 den Vorsitz auf dem jährlichen Treffen der DB und versuchte, den Dachverband von innen heraus zu reformieren, was jedoch scheiterte. Albinus wäre sofort ausgetreten; sein schlichter Kommentar zu dem Treffen: "Das war echt widerlich!" (gz)


Und wieder auf die Straße...

Am 8. Februar ist wieder "Zahltag"-Demonstration

Organisator der Demonstration ist das Aktionsbündnis "Zahltag", das sich aus Vertretern der FSK, des "roten Splitters", der LHG, der PH und der Hochschulgruppen der Jusos, der GEW und der PDS zusammensetzt. Um 12.30 Uhr ist Treffpunkt am Bismarckplatz. Von dort startet der Demowagen unter Spruch-Skansionen zum Uniplatz, wo in einem symbolischen Akt die "Chancengleichheit" zu Grabe getragen und bestattet werden soll. Die Positionen des Bündnisses sollen in einer Grab- bzw. Eröffnungsrede kurz erörtert werden. Geplanter Höhepunkt der Demonstration wird die Übergabe einer überdimensionalen Quittung an MdBs und MdLs sein, auf der die Zahl der Unterzeichner des "Heidelberger Aufrufs zur Hochschulreform" vermerkt ist.

Das Aktionsbündnis "Zahltag" wurde im November letzten Jahres gegründet, um den Plänen des Rüttgers-Ministeriums für eine Verzinsung des Darlehensanteils beim Bafög sowie denen der HRK für eine Erhebung von Studiengebühren den Kampf anzusagen. Zwei Aktionen sind seitdem schon gelaufen: am 23.November wurde das Elefantenplüschtier Ayla auf der Uniplatz-Kundgebung zur Gegenrektorin ausgerufen (ruprecht berichtete, siehe Dezemberausgabe 95), und am 18.Dezember fand die Demo vor den Parteibüros statt. Anfang dieses Jahres dann schien sich im Bündnis der Gedanke durchzusetzen, den Protest nicht alleine auf den Hochschulbereich zu beschränken, sondern gesellschaftlich auszuweiten, da sich auch die aktuellen Pläne der Regierung zur Hochschulreform in die derzeitige Politik eines allgemeinen Sozialabbaus einfügten. In diesem Sinne ist für den 1. Mai eine Solidaritäts-Demonstration mit dem DGB geplant.

Der RCDS, seit November noch mit im Aktionsbündnis dabei, nahm an einer weitgehenden Zusammenarbeit mit dem DGB Anstoß, da ein Bündnis aus Studenten und Arbeiterschaft nicht das Selbstverständnis des RCDS repräsentiere. Ein freilich tragischer, aber auch typischer Kommunikationsfehler war für den RCDS allerdings erst der endgültige Anlaß, das Aktionsbündnis zu verlassen: es herrschte nämlich bezüglich des Termins, an dem der "Heidelberger Aufruf zur Hochschulreform" ausformuliert werden sollte, ganz offensichtlich Verwirrung. Die Vertretung des RCDS nahm erst am 16.1. wieder an einer Sitzung des Bündnisses teil, der "Aufruf" aber war zu diesem Termin bereits fertig ausformuliert. Der RCDS konnte sich - wie auch immer - mit den Forderungen, insbesondere der Forderung einer "ausreichenden, elternunabhängigen Förderung aller Studierenden", mit dem Aufruf zum gemeinsamen Protest sowie der Solidaritätserklärung "mit allen, die - auch außerhalb der Hochschulen - (...) zur Förderung einer demokratischen und sozialen Gesellschaft" beitragen wollen, nicht identifizieren und schied aus. "Wir sehen einfach nicht ein, warum der Protest gegen die Situation der Hochschulen einen gesamtgesellschaftlichen Protest zur Folge haben sollte", sagt Fabian Magerl (RCDS) und bedauert gleichzeitig den Bruch des Bündnisses. Und negativ verbucht auch die Gegenseite den Ausstieg des RCDS. Es sei schade, daß nun die Vertretung einer breiten Studentenschaft vom Bündnis abgefallen sei, meint Christoph v. Friedeburg (Juso-HSG).

Trotz allen Bedauerns kann jedoch kein wirklicher Wille zur Kooperation bestanden haben, denn warum sollte es nicht möglich gewesen sein, den "Aufruf" eben wegen dieses Kommunikationsfehlers kurzerhand zu revidieren und konsensfähig zu machen, anstatt ein Bündnis aufzukündigen, das doch ursprünglich durch gemeinsame Ziele definiert war. Wie die Alten, so die Jungen! Natürlich ist es einfacher, zu polarisieren, als zu integrieren, aber das geheimnisvolle Paradoxon der Politik besteht doch darin, beides gleichzeitig zu tun. Wenn schon ein aus jungen Parteifunktionären bestehendes Aktionsbündnis an der Hürde eines potentiell relativ einfach zu erzielenden Konsenses scheitert, werden auch in dreißig Jahren die gleichen Politiker wie heute die verkrusteten Fronten bilden, wenn es um Asylkompromisse, "Bündnisse für Arbeit" oder auch die Hochschulpolitik geht.

Außerdem ist Heidelberg, genau gesehen, nur ein klitzekleiner Teil Deutschlands, auf den nur verhältnismäßig wenige blicken. Und wenn man dann als Angehöriger einer Partei die Vorgaben der Parteiväter verteidigen will, anstatt als Student gegen Bafög-Verzinsung und Studiengebühren zu protestieren, gehen die Stimmen in verschiedene Richtungen, werden nicht Stuttgart erreichen und erst recht nicht Bonn.

Der RCDS hat sich bisher noch nicht für oder gegen eine Teilnahme an der Demonstration am 8.2. entscheiden können. Das braucht er auch gar nicht zu tun. Gehe doch ein jeder am besten, wenn seinem eigenen Kopf der Sinn danach steht. Und gegen Bafög-Verzinsung und Studiengebühren sind wir doch eigentlich alle, oder? (th)


Ey!

Der Student
Ermahnet und bezahlet
Vom Papa (Homburg / Saar)
Kömmt er und wohnt und löhnet
Achttausend Mark im Jahr.
In Hörsäle er hastet
Und nimmt des Trugs nicht wahr
Glaubt an den Herrn Professor,
An Rektor Ulmer gar.
Hält stammelnd Referate,
Schläft ein im Seminar,
Und am Semesterende
Ist überhaupt nichts klar.
Zu einem Scheinlein kömmt er

Durch Fügung wunderbar
Weil Streber Jochen Kluve
Der Prüfungsnachbar war.
Der Hausarbeiten Thema
Ist Wissenschaft für sich
Er zweifelt an der Fachwahl
Und schreibet keinen Strich.
Die Zeit von März bis Juni
Da hat er keine Zeit

Da hat er keine Uni
Da liebt er eine Maid.
Zwei Wochen mit Beate
Zwei Wochen Germanist
Zwei Wochen Uni-Fasching
Danach dann: Kommunist.
Er ändert die Garderobe,
Trägt rot und grünes Haar
Und eh´ er sich´s versiehet
Studieret er vier Jahr´.
Mit Inter-Rail ist Essig
Die Krankenkasse streikt,
Der Herr Papa wird pampig
Das Erbe ist vergeigt.
Nun wechselt er die Wohnung,
Die Freundin gleich dazu
Einzig das Prüfungsamte
Läßt ihn noch nicht in Ruh´.
So quält er aus dem Bett sich
Und bringt sein Tränlein dar
Täglich um zwölf Uhr aufstehn:
Um zwei ist Seminar.
Er frequentiert die Mensa,
So schlimm er dabei fühlt:
In seiner Wohngemeinschaft
Wird nicht mehr abgespült.
Zum dreißigsten Geburtstag
Steht mannhaft der Entschluß:
Entweder mit dem Leben
Oder mit Studium Schluß.
Die vielen Jahre Denken
sind für die Prüfung Fluch:
Was Prüfer wissen wollte,
Steht nur in Prüfers Buch.
Er schwitzt, schwätzt und
bestehet
mit Gnaden, wunderbar

Und alles dieses währte,
Wenn´s kurz kommt, 13 Jahr´,
Dann setzt er sich ins Arbeitsamt,
Zu seinen Vettern nieder
Dort bleibt er auch,
Zur Uni kömmt er nimmer wieder.

[Ein allerletzter Dankesgruß von (step) an Em Punkt Claudius!]


Blaue Briefe

Die erste Heldentat der Studiendekane

Für manche kam der Schreck noch vor Weihnachten: Ende Dezember bekamen viele Heidelberger Studierende, die schon länger als 20 Semester an der Uni eingeschrieben sind, Post von ihrem Studiendekan - dem Mann, der sich seit Ende letzten Jahres um die Verbesserung des Studiums an ihrer Fakultät kümmern soll.

In freundlichen Worten stellte sich dieser zunächst vor: "Die ... neugeschaffene Studienkommission und der Fakultätsrat sowie das Rektorat erwarten von mir eine Reihe von Hilfen ... so unter anderem auch für die sogenannten Langzeitstudenten ... Zugleich wird von mir erwartet, der Fakultät ein Bild von der Lebenslage der Studierenden zu erarbeiten, die zu dieser Gruppe - mehr oder weniger berechtigt - gezählt werden."

Höflich, aber bestimmt, bat der Studiendekan den Adressaten zum Gespräch und vergaß nicht, um das Mitbringen von Studienbüchern, Scheinen und Zeugnissen zu bitten. Das Studentensekretariat sei gebeten worden, die Studierenden erst nach dem Gespräch rückzumelden.

Die abenteuerliche Praxis der Zwangsberatung bei Fachwechsel im Gedächnis, erschraken viele der Oldtimer ob solcher Formulierungen erst einmal gehörig. Andere gingen nicht hin, sondern schrieben zurück: Norbert B., Mediziner im 22. Semester, wollte wissen , "auf welcher gesetzlichen Grundlage Ihre Zwangsvorladung/Zwangsberatung ... beruht." Eine Antwort steht bisher noch aus.

Tatsächlich gibt es keine rechtliche Grundlage für diese Gesprächsaufforderungen; die Rückmeldung darf auch "Gesprächsunwilligen" gar nicht vorenthalten werden - der Zusammenhang wurde in dem Brief nur hergestellt, um "Höhere Semester" ins Beratungszimmer zu locken.

Auch den im Brief suggerierten Auftrag der Studienkommssion an den Studiendekan, konnte es in den meisten Fällen gar nicht geben. Einige Studienkommissionen, so z.B. in der Neuphilologischen und in der Philosophisch-Historischen Fakultät, waren noch gar nicht zusammengekommen, um dem Studiendekan irgendeinen Auftrag oder auch nur eine Empfehlung zu geben. In anderen Kommissionen war über solche Briefe oder Gespräche nie geredet worden.

Entsprechend sauer reagierten vor allem studentische Mitglieder von Studienkommissionen: In der Neuphilologischen Fakultät, in der die Studienkommission und der Studiendekan nur mit erheblicher Mühe überhaupt rekrutiert werden konnten und die von einer Diskussion über Studieninhalte oder -formen noch weit entfernt ist, distanzierten sich die studentischen Mitglieder schriftlich und öffentlich.

Den Vorwurf, sie hätten mit diesem Brief eigenmächtig gehandelt, konnte man den Studiendekanen allerdings noch nicht einmal machen. Sie hatten nämlich gar nicht selbst gehandelt, sondern die Univerwaltung handeln lassen und zumeist nur ihre Namen unter die von dort aus verschickten Standardbriefe drucken lassen. Peinlich für die Professoren, daß die Briefe Rechtschreibefehler enthielten; nur an wenigen Fakultäten hatte man sich die Mühe gemacht, eigene, ähnliche Briefe zu verschicken.

Die eigentliche Initiative für die Gespräche, wurde dem ruprecht von mehreren Seiten bestätigt, kam aus dem Rektorat, das die Studiendekane schon im November zu einer Gesprächsrunde geladen hatte. Die "Bereinigung des Studentenbestandes" hatte man dort schon früher zum Programm erhoben; und die peinliche Landtagsanfrage, die Heidelberg als die Universität mit dem größten Anteil an Langzeitstudierenden geoutet hatte, hatte man wohl auch noch in Erinnerung.

Trotz versteckter Drohungen und unklarer Urheber: Manche Gespräche, das berichteten nicht nur Studiendekane, sondern auch studentische Vertreter, haben den Beteiligten wirklich etwas gebracht ("manche waren schon froh, daß sie wieder von jemandem bemerkt wurden", formulierte es ein Studiendekan). Auch werden nicht alle Studienkommissionen von Rektorat, Verwaltung oder Studiendekan überfahren; es gibt Beispiele für fruchtbare Diskussionen.

Dennoch müssen sich auch die, die nicht nur "bereinigen", sondern helfen wollen, fragen, ob eine mit versteckten Drohungen und Halbwahrheiten gespickte Vorladung das Vertrauen schafft, mit dem solche Gespräche Erfolg haben können.

Die diesjährige Aktion hatte, wie auch in der Universitätsverwaltung unter der Hand zu erfahren war, zunächst einmal den Sinn, berufstätige Langzeitstudierende herauszufiltern - wer mehr als 83 Stunden im Monat arbeitet, darf exmatrikuliert werden. Langsam aber gewöhnt man die Studierende an "Beratungsgespräche" - bis sie eines Tages auch rechtlich zu Zwangsvorführungen werden können. Der Universität ist durch dieses Sieben (oder "Bereinigung") natürlich nicht geholfen - kein einziger Seminarplatz wird durch die Streichung einer Karteileiche frei. Das Klima an der Hochschule aber verschlechtert sich wieder ein Stückchen. (hn/hpc)


"Ich bin kein Pazifist!"

Der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano über Politik, Gewalt und Vaterland

Ralph Giordano, Jahrgang 1923, hat das Ende des Krieges in einem Keller unter Hamburg erlebt. Heute lebt er in Köln als freier Schriftsteller und Publizist, fast alle seine Bücher wurden zu Bestsellern, sein autobiographischer Roman "Die Bertinis" wurde für das Fernsehen verfilmt. Im Mai erscheint sein neues Buch: "Mein Irisches Tagebuch". ruprecht besuchte ihn in Köln.

ruprecht: In diesem Monat hat ein Asylbewerberheim in Lübeck gebrannt. Jetzt scheint sich herauszustellen, daß es kein rechtsradikaler Anschlag war. Als das bekannt wurde, da hat man richtig bemerkt, daß die Bevölkerung aufatmete.

Giordano: Daß aufgeatmet wird, ist angesichts der Leute, die umgekommen sind, überhaupt nicht angebracht. Aber das zeigt, wie wenig eigentlich getan worden ist in der Zwischenzeit, um uns von der Angst zu befreien. Weder hat der Staat seine Macht eingesetzt, um diese Leute so zu behandeln, wie sie zu behandeln wären, noch scheint mir der Mangel an Zivilcourage reduziert zu sein. Solange diese Republik, der demokratische Verfassungsstaat, gegen diese Rechte nicht stärker vorgeht, solange werden wir jeden Morgen einer solchen Nachricht entgegenbangen.

ruprecht: Wenn Sie Regierungsbefugnis hätten, wie könnten sie sich ein ideales Einwanderungsgesetz vorstellen?

Giordano: Eine ideale Lösung gibt es nicht, das ist wichtig. Denn es ist nicht meine Art, immer nur Utopien und Visionen zu entwickeln, dann die jämmerliche Wirklichkeit daran zu messen, aber nichts zu tun, um diese Wirklichkeit zu humanisieren - sondern einfach nur gegen sie anzustinken. Man muß Gesetze machen, die sicherstellen, daß Menschen, die wirklich in Gefahr sind, auch bei uns die Zuflucht haben, die die Verfassung ihnen garantiert. Der Einzelfall muß geprüft werden, es ist auch richtig, daß man fragt, ob in dem Herkunftsland wirklich politisch verfolgt wird. Aber das ist auch eine gefährliche Sache. Länder, in denen es jedenfalls formal demokratisch zuging, die können ihren Status von heute auf morgen verloren haben. Politisch Verfolgten Asyl zu geben ist sehr wichtig, das hat ja nichts besser gelehrt als unsere eigene Geschichte.

ruprecht: In ihrem Buch "Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein" schreiben Sie, daß viele ehemalige Nationalsozialisten in den Staatsdienst der beiden deutschen Staaten übernommen worden sind. Ist dieses Problem immer noch aktuell oder könnte man eventuell sagen, daß es sich "biologisch" erledigt?

Giordano: Die Fakten, die die Tätergeneration geschaffen hat, die zweite Schuld, das heißt also die Entstrafung der Täter, das ist etwas, was seine Schatten bis in unsere Zeit wirft. Auf der anderen Seite muß man sehen, daß es in Deutschland immer auch die Gegenkräfte gegeben hat, die gegen die zweite Schuld gekämpft haben, die Verdrängung hat in diesem Punkt publizistische Löcher bekommen. Doch die Täter sind bis auf wenige Ausnahmen nicht nur davongekommen, sie konnten auch ihre Karrieren unbeschadet fortsetzen bis in die höchsten Ränge. Hitler ist zwar militärisch besiegt, aber ideologisch ist er immer noch nicht geschlagen. Die Verdrängung ist etwas, was die politische Kultur bis auf den heutigen Tag mitbestimmt.

ruprecht: Die große Mehrheit der Leute, die jetzt den rechten Verführern folgt, wird eher aus der "sozialen Unterschicht" rekrutiert. Sind diese Leute für Pädagogisierungen überhaupt zugänglich?

Giordano: Unkenntnis ist gefährlich. Das ist etwas sehr Wichtiges. Es gibt die geistigen Urheber, das sind Frey und Co., die wissen natürlich, was war, lügen die Geschichte um, sind irreversibel . Bei diesen Menschen, die wir ansprechen, ist noch etwas zu machen. Aber, da haben sie recht, diese Leute sind am schwersten zu erreichen. Aber das ist natürlich alles mit Kosten verbunden. Wo sich mental für die Zukunft so Entscheidendes tut, da wird der Geldhahn zugedreht, oder er ist gar nicht erst geöffnet worden, weil das eine Größe ist, die von oben einfach vernachlässigt wird.

ruprecht: Laufen wir nicht Gefahr, uns nur gegenseitig auf die Schulter zu klopfen?

Giordano: Das ist ein großes Problem, aber ich würde es doch nicht allein so sehen. Innerhalb dieser Gruppe gibt es sehr wohl Abstufungen. Wenn ich das mal so sagen darf, ohne in den Verdacht der Unbescheidenheit kommen zu wollen, der Vordenker Giordano hat die Begriffe gegeben - die zweite Schuld, kollektiver Affekt -, das hilft schon, Zusammenhänge aufdecken. Auch wir brauchen Unterstützung durch Gleichgesinnte. Aber entscheidend ist, daß das, was man sich erarbeitet hat, natürlich auch an Leute geht, die anders denken. Was Sie sagen, ist ein Fakt, daß sich hier ganz einfach bestimmte Ebenen nicht berühren. Das ist ein höchst bedenklicher Zustand, allerdings darf man die Kreise, die sich aktiv auseinandersetzen, nicht unterschätzen, denn eine aktive Minderheit kann mehr bewirken als eine passive Mehrheit.

ruprecht: In diesem Zusammenhang: Die Lichterketten, waren die ein geeignetes Mittel? Da waren ja auch viele Leute, die sich vorher nicht mit der Problematik auseinandergesetzt haben.

Giordano: Ich mache diese Anti-Lichterketten-Koketterie nicht mit, und ich finde sie ganz scheußlich! Die Lichterketten haben den rechten Gewalttätern den Slogan "Wir sind das Volk" aus der Hand gerissen. Sie haben bewiesen, die sind nicht das Volk. Nur, es darf nicht bei den Lichterketten bleiben! Die Energie, die da sichtbar wird von unten, die muß über die Transmissionsriemen in die Exekutive und in die Legislative. Ich habe immer große Skepsis gegenüber Leuten, die das so absolutistisch abgelehnt haben. Wenn man sie fragt, wie denn ihr eigener Beitrag ist, dann ist von der Seite nichts als heiße Luft gekommen. Die Lichterketten sind meines Erachtens etwas gewesen, was seine Wirkung auch nicht verfehlt hat.

ruprecht: Können sie sich Situationen vorstellen, wo es legitim ist, Gewalt auszuüben, auch wenn es nicht primär um den Selbstschutz geht? Können Sie Gewalt, die von Links ausgeübt wird, bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen?

Giordano: Alle, die glauben, sie hätten die alleinseligmachende Wahrheit gepachtet, sie hätten den Stein der Weisen gefunden, sind gefährlich, ganz egal welcher Couleur. Aber ich würde schon unterscheiden zwischen Gewalt und Gewalt. Ich bin kein Pazifist, ich möchte, daß Sie das abdrucken. Wie kann ein Mann Pazifist sein, der sein Leben der Antihitlerkoalition des zweiten Weltkrieges zu verdanken hat? Tatsächlich in des Wortes buchstäblicher Bedeutung, ich bin befreit worden am 4. Mai 1945 in Hamburg durch die 8. britische Armee, und wenn die nur acht Tage später gekommen wäre, dann wären wir verhungert in der Illegalität, in dem Keller, Rattenkellerloch, in dem wir da gelebt haben. Solange die Welt von Diktatoren bevölkert ist, solange es die Saddams gibt, solange ist es auch nötig, Gewalt auszuüben. Wenn bei der Baader-Meinhof-Gruppe zunächst mal gegen diese Verdrängergesellschaft Wut, Zorn, Empörung aufgekommen ist, es also humane, moralische, ethische Antriebe waren, die diese Gruppe geformt haben, dann ist das zu verstehen. Der Weg der Gewalt, den sie gegangen sind, ist - auch im revolutionären Sinne - total kontraproduktiv, ein klarer Irrweg, den ich nicht gehe. Jede gewalttätige Auseinandersetzung bleibt problematisch. Da kann es natürlich viele Vorwände geben, hinter denen sich etwas anderes verbirgt, als die vorgegebene Absicht.

ruprecht: Eines ihrer letzten Bücher war "Ich bin angenagelt an dieses Land". Hat sich da grundsätzlich was verändert, sind sie immer noch "angenagelt"?

Giordano: Daran hat sich nichts geändert, und daran wird sich auch nichts ändern, das ist eine Bindung, die mit konventionellem oder gar konservativem Patriotismus gar nichts zu tun hat. Vor der Befreiung war ganz klar, daß wir Deutschland verlassen würden. Wir haben aber sehr bald gemerkt, daß die Täter davonkommen. Wenn ich da weggelaufen wäre, wäre ich mir vorgekommen wie ein Deserteur. Ich war immer ein Mann gewesen, der gerne schreiben wollte. Das war nur mit meiner deutschen Muttersprache möglich. Es hat Menschen gegeben, denen wir unser Leben zu verdanken hatten, und die sollten wir allein lassen in diesem Hunger und der Kälte Deutschlands? Mir ist klargeworden, daß hier in Deutschland Millionen Menschen genauso denken wie ich. Das ist eine verhältnismäßig späte Erkenntnis gewesen, aber umso nachhaltiger. Inzwischen hat die ganze Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich eine neue Dimension erreicht, alles das sind Dinge, die mich auf dieses Land nageln, das wird bis an mein hoffentlich sehr fernes Ende gültig sein.

ruprecht: Wie sieht es denn mit der Zukunft aus? Wie sieht der Weg Deutschlands unter den zur Zeit gegebenen Vorzeichen aus?

Giordano: Ob Deutschland wieder gefährlich wird, in dem alten Sinne, wie es gefährlich war, da komme ich eher zu einer verneinenden Antwort mit vorsichtig zweifelndem Optimismus. Die Deutschen von heute halte ich für die unkriegerischsten Deutschen, die es je in der Geschichte gegeben hat, ich halte sie auch für unnationalistisch. Es müßte ja mit dem Teufel zugehen, wenn sich da nicht auch ein Gesinnungswandel vollzogen hätte - vielleicht sogar der Backlash nach der anderen Seite: Daß Heimat und Vaterland für die Menschen gar nichts mehr bedeuten, in dieses Vakuum werden die Rechten stoßen. Die junge Generation, die schuldlos ist, muß ein Selbstbewußtsein haben, Sie müssen die Trauerarbeit leisten, die Ihre Vorfahren nicht geleistet haben. Da bin ich eigentlich ganz zuversichtlich. Es bestehen aber große soziale Gefahren. Vier Millionen Arbeitslose, das hat genügt damals, um Hitler an die Macht zu bringen. Da ist die soziale Unruhe bei uns sehr gering. Aber ich würde nicht darauf vertrauen, da können sich Verwerfungen ergeben.

ruprecht: Sie arbeiten gerade an "Mein Irisches Tagebuch". Die Ähnlichkeit zu Böll ist ja sicherlich nicht unbeabsichtigt.

Giordano: Nein, die ist nicht unbeabsichtigt. Ich kann nur über etwas schreiben, was mich entflammen kann. Nicht nur wegen dieses nordirischen Konflikts, sondern weil diese Insel am Rande Europas eine ganz spezifische Historie hat, die mit nichts vergleichbar ist. Da kommen noch andere Dinge hinzu, die Menschen, dann die Landschaft, dieses Bukett hat es mit sich gebracht, daß ich beschlossen habe: Nach "Ostpreußen ade" machst du Irland. Ich bin im März dahingefahren, im August zurückgekehrt, habe 100 Kassetten vollgesprochen, und daraus destilliere ich jetzt dieses Buch. Es wird ein sehr farbiges Buch, ein Erlebnisbuch, in das ich wieder mal mein Herz lege. Bölls Buch habe ich Mitte der 60er Jahre gelesen, da habe ich schon ein tiefes Verhältnis zu Irland gehabt, aber dieses Buch hat einen gewissen Anstoß gegeben. Giordanos Bücher sind selbstständig, jeder ernsthafte Leser wird das sofort merken, mit eigenen Erlebnissen, Erfahrungen, auch aus der Tiefe meiner Biographie. Böll sagt, die Iren sind die Nation, die niemals eine andere unterdrückt haben. Ich will da nichts idealisieren, aber die Iren sind ein ganz tolles Volk, die Unbefangenheit, das ist etwas, von dem wir wirklich nur träumen können.

ruprecht: Gibt es etwas, was Sie unseren Lesern gerne noch mitteilen würden?

Giordano: Ich glaube, daß ein Mensch, der sich von der fürchterlichen Vergangenheit nicht angetastet fühlt, auch in anderen Bereichen seiner Persönlichkeit nicht sensibel sein kann. Die Moral eines Menschen ist sehr wohl gekennzeichnet durch die Frage, wie man sich als junger Deutscher zu dieser Problematik stellt, die nicht verdrängt werden kann, wie man sieht. Das wollten die Verdränger ja, ist ihnen ja nicht geglückt, das Dritte Reich ist überall, jeden Tag ist es da. Jedem denkenden und fühlenden Menschen muß klar sein, was für ein Verbrechersystem hier im Herzen Europas die Macht erobert hatte und daß es die Väter und Großväter waren, die da mitgemacht haben. Unter diesem Aspekt rate ich Ihnen, sich selbst zu beobachten, wie dolent oder indolent Sie sind gegenüber dem Nationalsozialismus, weil das über ihre Reife, über ihre persönliche Entwicklung ganz wesentlich mitentscheidet.

ruprecht: Herr Giordano, ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch! (hpc)


Meinung: Im Gericht mit den Gerichten - oder doch nur "Hokus-Focus"?

Es war ja abzusehen, daß irgendwann nach den Skigebieten, den Kliniken und Unihörsälen sich auch die Mensen einem Test mit anschließender Hitparade nicht würden entziehen können. So bewertete die Burda-Postille Focus in ihrer Ausgabe vom 15. Januar zwanzig deutsche "Uniküchen" (Zitat Focus), darunter die Heidelberger Zentralmensa im Neuenheimer Feld. Das Ergebnis: Durchschnittsnote 3,7 und Platz 17 (von 20) für Heidelberg.

Das hiesige Studentenwerk fand das Ergebnis unverständlich (ich auch!) und verfaßte eine Stellungnahme, die sogar von der Rhein-Neckar-Zeitung veröffentlicht wurde.

In der Tat: Das Magazin Focus ist für seine oberflächliche, teils schlampige Recherche bekannt. Denn am Essen der "Uniküchen" ist ausnahmsweise mal nicht Ulmers Uni-Apparat schuld, wie Focus unterstellt, sondern das Studentenwerk. Ebenso gibt es keinen grünen PVC-Boden, das wäre ja mal eine fröhliche Farbe, vielmehr finden wir in allen Heidelberger Mensen ein depressives Farbgemisch vor, das entsteht, wenn man einen verdreckten Wasserfarbkasten reinigt.

Manche kritisieren ja, daß der Focus-Tester nicht über einen längeren Zeitraum in der Mensa aß, doch das möge man ihm verzeihen, denn wer riskiert schon freiwillig Mangelerscheinungen (z.B. Eisen, Kalzium und Jod S11).

Für die Öffnungszeiten gab's die Note 4, was für Studentenwerkschef Gutenkunst "nicht nachvollziehbar" ist. Man könne "von 9 Uhr bis Mitternacht warm essen"... von 14 Uhr bis 18 Uhr mal abgesehen, abends gibt's im Marstallhof ein Einheitsgericht, oder man schlemmt ganz zentral, im "Bistro im Feld". Wie soll man da das Klischee vom faulen, nichtstuenden Studenten aufrechterhalten, wenn dieser schon vormittags zum Essen aufstehen muß?

"Ein Rätsel" sei die Note 4 für Sauberkeit, so das Studentenwerk. Scheinbar fehlt es an Geschirrspülmittel, sonst könnte man sich ja im blankpolierten Porzellanteller spiegeln. Die Gestaltung wurde mit einer 5 bewertet, sie "entspricht dem Geschmack der 70er Jahre", was wohl wirklich etwas zu kritisch betrachtet wurde, denn solange die Nahrungsmittel nicht aus dieser Epoche stammen, kann man darüber hinwegsehen.

Außerdem müsse die Qualität des Essens doch toll sein, wenn täglich 10 000 Studis die Mensen frequentieren, meint das Studentenwerk. Was bleibt den Studenten denn aus finanzieller Sicht auch anderes übrig? Täglich zur Mensa nach Mannheim pilgern?

Zwei Kritikpunkte werden vom Studentenwerk gnädigerweise "ernster genommen": die mangelnde Freundlichkeit des Personals (Note 4) wird geprüft (mit dem Personal kann man's ja machen!), und die durchsichtigen Einweghandschuhe bei der Ausgabe sollen ersetzt werden... (etwa durch bunte Mehrweghandschuhe?) Aber mal im Ernst: Anläßlich der 14. Sozialerhebung, die in den "Mensa-Mitteilungen" (Januar-Ausgabe) veröffentlicht wurde, werden wir vom Studentenwerk gebeten, unser Feedback zum Mensa-Angebot zu erhöhen. Konstruktive Vorschläge sind gefragt und sollten von möglichst vielen gemacht werden, damit jedeR irgendwann ohne Gewissensbisse der/dem anderen "Guten Appetit" wünschen kann.


Will Stimmzettel haben jetzt!

Am 24. März ist Wahl im Ländle. Alle, die wählen wollen, dann aber nicht in Heidelberg sind, können die Briefwahlunterlagen ab Ende Februar in den Bürgerämtern abholen. Wer sie jetzt schriftlich anfordern möchte, schreibt dem Bürgeramt Mitte, Wahldienststelle, Bergheimer Str. 69, 69115 Heidelberg , seine Heidelberger Anschrift, das Geburtsdatum und die Adresse, unter der er ab der letzten Februarwoche erreichbar ist. Als Begründung für den Wunsch nach Briefwahl reicht: "Ich bin am Wahltag nicht da."


Gründlich durchgecheckt

Evaluation von Lehre und Studium am Anglistischen Seminar

Was in anderen Ländern schon gang und gäbe ist, steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen: die Untersuchung und Beurteilung von Lehre und Studium, Evaluation genannt. Eine Vorreiterrolle durfte in diesem Semester u.a. das Anglistische Seminar in Heidelberg spielen. Denn das Ministerium für Wissenschaft und Forschung Baden-Württemberg hat im Sommer letzten Jahres die Anglistischen Seminare in Tübingen und Heidelberg damit beauftragt, sich selbst zu evaluieren.

Das Ministerium untersucht das Anglistische Seminar in Heidelberg und das Englische Seminar in Tübingen als Beispiele einer typischen Geisteswissenschaft sowie die Informatik als Beispiel einer Technik-/Naturwissenschaft in Stuttgart und Karlsruhe. Das kostet zwar so allerhand, doch immerhin - so vermutet Burkhard Remppis von der Anglistik-Fachschaft - kann das Ministerium so erste Bemühungen vorweisen, die universitäre Lehre verbessern zu wollen. Prof. Dr. Andreas Höfele, geschäftsführender Direktor des Anglistischen Seminars Heidelberg, und Dr. Monika Müller, eine der Heidelberger Evaluationskoordinatorinnen, sehen in dem Projekt aber vor allem den Wunsch des Ministeriums, sich umfassend über die Lage und Probleme der Lehre bei den hiesigen Anglisten zu informieren.

Die gesamte Lehrevaluation hatte zwei Etappen, eine mit internen und eine mit externen Gutachtern. Die erste Etappe dauerte dabei deutlich länger. Die Untersuchungsvorbereitungen begannen bereits im August 1995. Fragebögen wurden erarbeitet, die im September und Oktober seminarintern an Dozenten und Studierende sowohl des Grund- als auch des Hauptstudiums, verteilt wurden; nach der Auswertung dieser Umfrage fanden Gesprächsrunden mit Studierenden, Mittelbau und Professoren statt (November 1995). Die Hauptarbeit leisteten bei alldem die beiden Evaluationskoordinatorinnen Frau Dr. Müller und Regina Wehrle, die die Fragebogenaktion durchführten, die Gespräche protokollierten und im Dezember 1995 schließlich einen Bericht erstellten, der für die zweite Runde als Grundlage diente.

Koordiniert und begleitet wurde das Heidelberger Projekt von der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) in Hannover, die mit ihrem Leitfaden für die interne Selbstevaluation den Ablauf des Verfahrens vorgab. Denn der Einstieg in dieses Projekt war gar nicht so leicht. Etwas Derartiges hat in Heidelberg noch nie, in Deutschland bisher selten stattgefunden; Frau Dr. Müller wußte nur von einer Lehrevaluation bei der Germanistik der Universität Hamburg.

Stufe zwei der Evaluation lief im Januar 1996 ab. Dazu besuchten am 15. und 16. Januar vier auswärtige Anglistikprofessoren, von den Heidelberger und Tübinger Anglisten gemeinsam als Gutachter ausgewählt, das Seminar in Heidelberg und untersuchten und bewerteten die dortige Lehre. Die Gutachter konnten sich trotz engem Zeitplan in Gesprächen mit den Lehrenden und in einer Gesprächsrunde mit den Studierenden ein recht gutes Bild von den hiesigen Anglisten machen. In der Diskussion mit den gut dreißig Studierenden wurde u.a. über die Fachschaft und ihre Arbeit, die Atmosphäre am Institut und die mehr oder weniger vorhandenen didaktischen Fähigkeiten der Professoren gesprochen. Eine weitere Frage der Gutachter zielte auf das Interesse der Studierenden an eher exotischen Seminarthemen anstelle des durch die Prüfungsordnung festgelegten "Mainstream".

Am Nachmittag des zweiten Tages präsentierten die vier Gutachter in einer Art Abschlußveranstaltung den anwesenden Dozenten und Studierenden ihre gewonnenen Eindrücke und Ergebnisse, noch etwas pointiert und - wie die Gutachter auch selbst zugaben - noch nicht nuanciert. Für den Bericht, den die Gutachter dem Ministerium schreiben, werde das noch genauer formuliert.

Die Professoren lobten am Institut beispielsweise den gute Bestand der Seminarbibliothek, die Raumausstattung und die Arbeit der Fachschaft. Besonders überrascht waren sie vom angenehmen Arbeitsklima, das im Vergleich zu anderen Seminaren, auch ihren eigenen Instituten, bemerkenswert sei.

Sie äußerten ihren Respekt vor der Heidelberger Universitätstradition und ihrer Bewahrung, doch Bedenken zeigten sie, an einem eher traditionellen Lektürekanon in der Literaturwissenschaft festzuhalten. Eine Kritik, die Literaturwissenschaftler Höfele nicht im Raume stehenlassen wollte. Das genaue Gegenteil sei der Fall, so Höfele, es würden ebenso neue periphere Richtungen der Literatur und der Literaturtheorie diskutiert und in Kursen behandelt.

Einen anderen Kritikpunkt der Gutachter wollte hingegen kein anwesender Dozent von der Hand weisen: die vernachlässigte Behandlung der Landeskunde. Dieser Bereich der englischen Philologie, als fünftes Rad am Wagen bezeichnet, bilde eine Randfunktion mit der Folge, daß die Studenten allein Experten in den Gebieten der englischsprachigen Literatur und der englischen Sprache würden, aber nicht im Bereich der englischsprachigen Kultur.

Die Erkenntnis, daß die Anglistik in Heidelberg deutlich "understaffed" ist, also zu wenig Dozenten hat - vor allem im Bereich der Sprachpraxis -, ist allen Beteiligten nicht neu, und am Anglistischen Seminar ist man froh und dankbar, daß dieser Tatbestand im Bericht der Gutachter nachdrücklich Erwähnung finden wird.

Für das Seminar selbst sieht Prof. Höfele die Evaluation (auch wenn der Antrieb dafür seminarextern war) als einen "heilsamen Prozeß der Selbsterforschung", der an sich nicht unbekannte Probleme akzentuiert und zu intensiven Gesprächen der verschiedenen Gruppen geführt habe. Für ihn interessant sei dabei vor allem die Erkenntnis, die Anglistikstudierenden wünschten sich vor allem im Grundstudium mehr Veranstaltungen mit der Vermittlung von Überblickswissen und Grundlagenkenntnissen.

Die Untersuchung habe auch zu "statistisch interessanten Ergebnissen" geführt, so Höfele, denn das Anglistische Seminar habe mehr Absolventen, "als das Statistische Landesamt sie führt" - ein für den Literaturwissenschaftler positives Zeichen für die hiesige Lehre. Interessant ist die Datenerhebung aber auch, da sie in solcher Ausführlichkeit noch nie durchgeführt wurde.

Ob die Evaluation zu Veränderungen am Seminar führen wird? Prof. Höfele kann sich dies seminarintern schon vorstellen, aber Frau Dr. Müller warnt vor illusorischen Hoffnungen: es sei doch sehr unwahrscheinlich, daß das Ministerium Geld für mehr Stellen zur Verfügung stellen werde.

Daher scheint die Hypothese mancher Anglistikdozenten, der Bericht werde "doch (wieder) nur in einer ministeriellen Ablage landen und nichts zu einer Verbesserung der Situation beitragen", nicht so abwegig zu sein. Um so mehr sollten die Anglisten ihre Chance nutzen: sie sollen den Bericht für das Ministerium kommentieren. (mab)


Demnächst im Äther

Die Arbeitsgemeinschaft Funk der Universität Heidelberg, Treffpunkt für radiojournalistisch interessierte Studierende, hat auch in diesem Semester wieder eine Magazinsendung mit Musik und Berichten rund um die Uni erstellt. Sie ist zu hören am Samstag, 24.2.1996, von 10.05 bis 11.00 Uhr im Kurpfalzradio des Süddeutschen Rundfunks, UKW 104,1 MHz. Themen sind u.a. "Magister in den Beruf", die Heidelberger AIDS-Beratung, Langzeitstudent Peter und die Arbeitslosigkeit nach dem Studium; außerdem wird ein Interview mit Prof. Peter Ulmer zu hören sein.

Auch der AK Medien möchte jetzt endlich, nach einigen Verzögerungen und trotz anhaltender Geräteprobleme, die Studentenschaft beglücken: Ab der ersten Sommersemesterwoche sollen die Mensen in Heidelberg (evtl. auch in der PH) und Mannheim - dort vielleicht auch die Musikhochschule und die FH Technik - mit einem einstündigen, wöchentlich wechselnden Programm beschallt werden.


Klagen und Kämpfe

Ausländische Studierende machen Mund auf: Beschwerden über die Jobvermittlung und deutsche Behörden

Shohred* gehört nicht zu den Frauen, die sich so leicht entmutigen lassen. "Jetzt habe ich schon zwei Monate durchgehalten, da werde ich nicht einfach aufgeben!" Diese Worte kommen aus dem Munde einer ausländischen Studentin, die den Kampf mit den deutschen Behörden aufgenommen hat - und verlor. Doch sie will weiterkämpfen.

Das David-Goliath-Spielchen begann, als Shohred ein Praktikum machen wollte. Für ihr Studium der Erziehungswissenschaften ist dies vorgeschrieben, und so fand sie auch ziemlich schnell eine Stelle im Kindergarten des Studentenwerks. Zwei Stunden pro Tag sollte sie dort arbeiten, möglichst für ein Jahr. Die Sache sah sehr gut aus, wenn da nicht ein kleines Problem wäre: Shohred kommt aus dem Iran. Für ausländische Studierende aus Nicht-EU-Staaten gelten nämlich andere Gesetze. Sie dürfen laut der "Verordnung über die Arbeitserlaubnis für nichtdeutsche Arbeitnehmer", die am 30. September 1994 geändert wurde, nur noch drei Monate pro Jahr arbeiten. Es ist schon ärgerlich genug für die Betroffenen, daß sie nicht mehr die ganzen Ferien, wie es vorher erlaubt war, arbeiten dürfen, doch Shohred hat doppelt Pech. Sie braucht ihr Praktikum für ihren Studienabschluß und hat darüber inzwischen auch von allen erdenklichen Stellen Bescheinigungen eingeholt, doch ihr Dilemma ist noch größer: Die Behörden selbst sind sich nicht einig, ob Shohred nun eine Arbeitserlaubnis erhalten darf oder nicht. Aus diesem Grund wurde sie vom Ausländeramt zum Arbeitsamt geschickt, vom Arbeitsamt zum Ausländeramt, und so weiter, bis es nicht nur ihr, sondern auch einem Herrn vom Ausländeramt zu bunt wurde. Er riet ihr, doch einfach ohne Bezahlung zu arbeiten. Shohred war inzwischen schon so verzweifelt, daß sie diesen Vorschlag annahm, doch selbst ihr guter Wille brachte sie nicht weiter: Man könne sie ohne Arbeitserlaubnis nicht arbeiten lassen, da dies illegal sei und der Kindergarten die Verantwortung für sie habe, falls ihr etwas passiere.

Nun steht Shohred also genau da, wo sie vor über zwei Monaten schon war, doch ans Aufgeben denkt sie noch lange nicht. Sie versucht ihr Glück jetzt mit Unterstützung eines anderen Professors, erhofft sich eine Klärung der gesetzlichen Lage vom Ausländerrat, bei dem sie ihr Problem vorgebracht hat, und vielleicht bekommt sie Hilfe vom Kultur- und Sozialbürgermeister Dr. Beß. Dieser hat sich ihre Klagen bei der letzten Sitzung des Ausländerrates angehört und ihr Hilfe versprochen.

Klar, Shohred versteht die Welt nicht mehr, zumindest die deutsche. Sie versuchte noch, wenigstens eine Erlaubnis für drei Monate zu erhalten, doch selbst die bekam sie nicht. "Die sind wirklich überhaupt nicht kompromißbereit!" Das einzige, was sie erreichte, war - nach mehrmaligem Drängen - ein schriftlicher Ablehnungsbescheid vom Ordnungsamt, auf eine Begründung wartet sie jedoch bisher vergeblich.

Dies ist einer der Fälle, mit dem sich der Ausländerrat z. Z. beschäftigt, seit sich mehrere ausländische Studierende dort beschwert haben. Die meisten Klagen kamen über die Arbeitsvermittlung des Studentenwerks. Dort würden sie diskriminierend behandelt worden sein, meinten einige, andere empfanden die beiden Damen einfach nur als unfreundlich. "Irgendwie versuchen sie, freundlich auszusehen, aber ich habe das Gefühl, daß sie uns diskriminieren", sagt Saniye aus der Türkei. Mit den Gefühlen ist das allerdings so eine Sache, darauf kann man kaum eine Anschuldigung aufbauen. Dies ist auch eines der Probleme des Ausländerrates, der den Studierenden natürlich helfen will, aber nur auf deren Aussagen die Beschwerden stützen kann, die er an die entsprechenden Stellen schicken wird. Eine Klärung der Lage ist allerdings dringend nötig, denn viele Probleme entstehen durch Unklarheit über den Umgang mit dem neuen Gesetz. "Allein die Voraussetzungen für Ausländer, eine Arbeit zu bekommen, sind schon sehr schlecht", erklärt Memet Kiliç, der Vorsitzende des Ausländerrates. "Laut deutschem Gesetz muß eine Arbeitsstelle nämlich zuerst von einem Deutschen besetzt werden, wenn dieser sie nicht will, von einem EU-Bürger, und erst dann kommen die restlichen Ausländer an die Reihe, von denen diejenigen, deren Heimatland ein besonderes Abkommen mit Deutschland hat, noch vorgezogen werden." Logisch, daß für Shohred und Saniye auf diese Weise kaum etwas übrig bleibt.

Die Beschwerden, die über die Jobvermittlung beim Ausländerrat eingingen, sind vielfältig. Shoreds Freundin Jaleh war darüber verwundert, daß gute Deutsch-Kenntnisse für eine Putzstelle erforderlich seien oder man Computer-Kenntnisse brauche, um bei der Inventur auszuhelfen. Daß sie so etwas nie geäußert hätten, sind sich jedoch die Vermittlerinnen des Studentenwerks einig. "Mit den meisten Ausländern kommen wir bombig klar", hält Frau Bender den Anschuldigungen entgegen, "aber einige kommen schon richtig aggressiv herein. Die haben von vornherein die Einstellung, daß wir für sie sowieso keine Arbeit hätten. Deren eigene Landsleute sagten, daß sie sich für die schämen würden." Ob nun aggressiv oder nicht, zu Mißverständnissen kommt es sicher immer mal wieder, sei es, weil man die Sprache nicht so gut beherrscht oder das System nicht versteht. Einige Ausländerinnen berichteten, daß ihnen immer gesagt wurde, die Arbeit, die draußen hängt, sei schon vergeben. Dies passiert jedoch genauso den Deutschen: Ein Angebot, das einmal einem Bewerber gegeben wurde, bekommt kein zweiter, solange die Arbeitsvermittlung von jenem keine Rückmeldung erhalten hat. "Deshalb sagen wir den Leuten immer, sie sollen am nächsten Tag noch mal anrufen", erklärt Frau Bender. Wer dies nicht richtig verstanden hat, kommt sicher schnell zu dem Schluß: Die wollen mich nicht! Daraus den Angestellten vom Studentenwerk oder auch den ausländischen Studierenden einen Vorwurf zu machen,ist problematisch.

Die Ursache für ein eventuelles Mißverständnis ist jedoch bei den folgenden Behauptungen nur schwer auszumachen. "Ich wollte im März ein paar Tage arbeiten, aber die Frau von der Jobvermittlung sagte mir, daß dies als ein voller Monat angerechnet würde. Das habe ich nicht verstanden", meint Saniye. Frau Bender versteht das auch nicht: "Das haben wir nie gesagt. Wir raten den Studenten meist, daß sie lieber während der Ferien jobben sollen, da sie dann mehr Stunden am Tag arbeiten und somit mehr verdienen können. Denn egal ob zwei oder acht Stunden, beides zählt als ein Arbeitstag."

Das einzige, was hier klar zu sein scheint, ist, daß es noch eine Menge Unklarheiten bei dem Thema gibt. Es wird sicher nicht schaden, wenn der Ausländerrat die betroffenen Stellen zusammenführt und versucht, Licht in das Dunkel der Gesetze - und vielleicht auch in die verschiedenen Aussagen - zu bringen. Wichtig ist vor allem erst einmal, daß das Ausländeramt, das Arbeitsamt und das Studentenwerk sich einig werden, wie denn nun die neue Verordnung angewendet werden muß. Dann hat Shohred vielleicht doch noch Chancen auf ihr Praktikum. (gz)

*Alle Namen Studierender wurden von der Red. geändert.


Leserbriefe

Zu: Meinung: Ein Pfeifkonzert, ruprecht, Nr. 39, Dezember '95, von Wolfram Eilenberger.

Hallo, Ihr ruprechts,

an dem Artikel "Ein Pfeifkonzert" von W. Eilenberger in der letzten Ausgabe haben wir folgende Kritikpunkte:

1. Mit keinem Wort wird die fundierte Einführungsrede von Kirsten Pistel (FSK) erwähnt.

2. Kritisiert uns inhaltlich, wie Ihr wollt, kein Problem. Nur hatte die Rede eines LHG-Vertreters (nicht FDP, wie Wolfram E. angibt) einen völlig anderen Inhalt als die der Juso-Hochschulgruppe (so ist übrigens unser Name). Uns in dieser Weise mit der LHG in einen Topf zu werfen, ist zumindest sonderbar.

3. Der Verlauf der Veranstaltung wird schlicht falsch dargestellt: Der RCDS-Redebeitrag war direkt nach dem der Juso-Hochschulgruppe und nicht, wie Wolfram E. schreibt, erst nach dem "linken Arbeiter" und dem ausländischen Kommilitonen. Die unbefangene Leserin erhält durch diese Verzerrung eine nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmende Vorstellung von der "Zahltag"-Veranstaltung.

Meinungen sind nett, guter Journalismus wäre auch nett. Bitte, laßt doch demnächst bei ähnlichen Gelegenheiten die Meinungen von Leuten schreiben, die selbst bei der betreffenden Veranstaltung anwesend waren!

Mit freundlichen Grüßen

Für den Arbeitsausschuß der Juso-HSG

Michael Kersten, Dieter Prosik

Mit großer Verwunderung haben wir den Artikel über die Aktion "Zahltag" gegen Studiengebühren und Bafög-Verzinsung gelesen und möchten dazu einiges richtigstellen.

Erstens fanden wir es richtig und wichtig, daß ein afrikanischer Kommilitone, der spontan den Mut dazu gefunden hatte, auf der Kundgebung zu Wort kam. Er wies auf die Konsequenzen von Studiengebühren für ausländische Studierende hin, die man wohl nicht ernsthaft bestreiten kann, die aber in den anderen Redebeiträgen nicht angesprochen wurden.

Zweitens ist die Rede des "Gewerkschaftsfuzzis", wie ein Mannheimer Betriebsrat in diesem Artikel bezeichnet wurde, tatsächlich etwas zu lang geraten. Dennoch sollte sich W.E. klarmachen, daß der Unterschied zwischen Studierenden und ArbeitnehmerInnen oft nur wenige Semester beträgt, und daß beide gesellschaftlichen Gruppen vom gegenwärtigen Sozialabbau betroffen sind. Das Beispiel Frankreich zeigt, daß es durchaus erfolgreich sein kann, sich gemeinsam gegen die herrschende Politik zu wehren. Jedenfalls sollte man sich endgültig von dem Gedanken verabschieden, alleine das elitäre Inselchen Universität retten zu können.

In diese Richtung sollte auch der kritisierte Redebeitrag weisen.

Drittens vermuten wir angesichts der Ausführungen zu unserem eigenen Redebeitrag, daß der Autor sich nicht auf die tatsächlich gehaltene Rede bezogen, sondern auf seine ureigensten, von keiner Realität zu trübenden Vorstellungen von einer "roten" Hochschulgruppe zurückgegriffen hat. Es scheint ein Privileg von W.E. zu sein, zu kritisieren ohne zuzuhören. Denn in unserem Redebeitrag wurde weder von "Ausbeutung" noch von der DDR (in der es übrigens tatsächlich keine Studiengebühren gab! Wir danken W.E. für den aufschlußreichen Vergleich!) gesprochen, sondern von der aktuellen Situation an bundesdeutschen Hochschulen. Daß eine sachliche Kritik an den derzeitigen Entwicklungen als "Hersagen des sozialistischen ABCs" bezeichnet werden kann, sagt einiges über das geistige Klima hierzulande aus. Dem Roten Splitter geht es aber nicht ums Phrasendreschen, sondern um konkrete Schritte gegen die Deform der Hochschule. Das haben wir in den letzten Wochen bewiesen und werden auch weiterhin den Protest der Heidelberger Studierenden mittragen - gemeinsam mit allen, die sich nicht wie W.E. auf Zynismus beschränken und sich durch ideologische Scheuklappen vom Widerstand abhalten lassen.

Roter Splitter


ruprecht-Serie: Revolte in Heidelberg

Wer "Studentenbewegung" sagt, meint meistens nur: 1968. Nicht so der ruprecht. In einer vierteiligen Serie beschäftigen wir uns mit - gänzlich unterschiedlichen - Formen studentischer "Revolte in Heidelberg" während der 70er Jahre: mit dem "Sozialistischen Patientenkollektiv" 1970/71 (vgl. ruprecht Nr. 35), mit den Unruhen bei Mathematikern, Juristen und Germanisten in der zweiten Haelfte des Jahrzehnts (ruprecht Nr. 37) - und, im hier zu lesenden dritten Teil der Serie, mit dem Ende des "Collegium Academicum" 1978, das auch das Ende der Revolte signalisiert. Ein abschließender Artikel im naechsten ruprecht blickt zurueck auf die pragmatischeren 80er Jahre, den "Unimut"-Winter 1988/89.

"So ist aus dem Haus ein Mythos geworden"

Vom Ort der "re-education" zum Hort der Rebellion - in einer Generation: das Collegium Academicum (1945-78)

Wenn Heidelbergs Studenten heute in den Räumen derZentralen Universitätsverwaltung in der Seminarstrasse 2 erscheinen, um sich den bürokratischen Ritualen ihres Daseins zu unterwerfen, ahnen die wenigsten unter ihnen, daß sie Boden betreten, der einst ihnen gehörte. Zwischen 1945 und 1978 beherbergte das ausgedehnte Gebäude im Herzen der Altstadt ein selbstverwaltetes Studentenwohnheim, das "Collegium Academicum" ("CA"), das gut 120 Studenten Heimstatt bot.

Gegründet in einer Zeit, da sich die Universität nach Weltkrieg und Nationalsozialismus um einen Neubeginn bemühte, sollte das CA der "demokratischen Selbsterziehung" seiner Bewohner dienen. Für anderthalb Jahrzehnte gab es akademische wie kulturelle Impulse, bevor es in den Sog der Studentenbewegung geriet, sich zu viele Gegner schuf und - als letzte Bastion der Revolte geradezu demonstrativ - geschliffen wurde. Geblieben von dem einmaligen Experiment ist so gut wie nichts.

Das Ende kommt im Morgengrauen, in Form mehrerer Hundertschaften der Polizei. Gegen 6 Uhr früh dringen Einsatzkräfte des baden-württembergischen "Sonder-Einsatzkommandos" und eine Hundertschaft der uniformierten Polizei durch die hinteren Türen in das Wohnheim ein. Weitere vier Hundertschaften riegeln die Umgebung ab. Behelmt und bewaffnet mit Sturmleitern, Äxten und Motorsägen, verwüsten die Polizisten die Räume und kippen die Möbel durch die Fenster. Innerhalb kurzer Zeit ist der Bau geräumt; die gut 150 übermüdeten Bewohner - sie haben die Nacht über im Gebäude gewacht - versammeln sich im Hof und, so will es die RNZ gesehen haben, ziehen "im engen Block durch die Seminarstraße liedersingend ab". "Dann", so erinnert sich der Schriftsteller Michael Buselmeier in seinem Buch "Der Untergang von Heidelberg", "wurden die Fenster mit Latten zugenagelt. Dem lebendigen Geist."

Umrisse.

Was da am Morgen des 6. März des Jahres 1978 - einem Montag - sein Ende findet, ist bei seiner Gründung ein halbes Menschenleben zuvor ein mit hohen Hoffnungen befrachtetes Projekt gewesen. Die Geschichte beginnt im Oktober 1945: Der Krieg ist für die Deutschen kaum ein halbes Jahr vorbei, die Universität steht kurz vor ihrer Wiedereröffnung, im ersten Semester werden sich gut 2.600 Studenten einschreiben - aber sie drohen ohne Wohnung dazustehen. Der neugewählte Rektor, der Chirurg Karl Heinrich Bauer, überzeugt die amerikanische Besatzungsmacht, der Universität die "Alte Kaserne" in der Seminarstraße als Wohnheim zu überlassen. In dem Barockgebäude, das seit seiner Erbauung um 1750 schon Jesuiten, Katholiken, Geisteskranke, Grenadiere, Schutzpolizisten, SA-Leute und die Soldaten des Wehrbezirkskommandos beherbergt hat, will er "das große Experiment eines ersten deutschen College... wagen". Bald hat es auch seinen Namen: "Collegium Academicum", "CA".

Schon in der ersten Novemberhälfte ziehen die ersten Studenten ein. Unter ihnen ist Wolfgang Helbing, Jahrgang 1917, der nach langer Odyssee als Reserveoffizier nach Heidelberg kommt. Helbing erinnert sich: "Von den Bewohnern war etwa die Hälfte in meiner Situation: Kriegsteilnehmer; ein Drittel hatte irgendeinen Offiziersgrad. Die andere Hälfte waren Studienanfänger, Vorsemester oder solche, die das Studium wegen des Krieges hatten abbrechen müssen." Die älteren Jahrgänge - noch 1950 werden unter 135 Collegiaten 100 ehemalige Soldaten sein - prägen die Atmosphäre, Männer wie Bruno Schwalbach: "Ein ehemaliger U-Boot-Kommandant."

Die Einrichtung des Collegiums ist dürftig. Hermann Weisert, Jahrgang 1925, der im Mai 1946 einzieht und bis 1953 im CA wohnt, weiß noch: "Ein Spind, ein Bett, jeder noch einen Schreibtisch - und damit hatte es sich schon. Man mußte schon jung sein, um das auszuhalten. Die Glühbirnen mußten wir hüten, das Zimmer haben wir immer abgeschlossen." Der Umgangston ist eher distanziert-bürgerlich: "Man blieb auch auf dem Zimmer lange beim 'Sie'. Wir wollten das 'Du' nicht, das hatten wir beim Kommiß." Ende Januar 1946 kann der Leiter, Joachim G. Boeckh, dem Rektor berichten, daß 185 Studenten, in der Mehrzahl Mediziner, untergebracht sind - in Zwei-, Drei- und Vier-, "einige" auch in Fünf-Bett-Zimmern. 65 Zimmer seien eingerichtet, "wenn auch nur in allerprimitivster Form".

Noch während die CA-Bewohner mit den Widrigkeiten des täglichen Lebensbedarfs ringen, organisieren sie jenes Gemeinschaftsleben, das das CA in jenen Jahren zu einem einmaligen Experiment macht. "Das CA", erzählt Wolfgang Helbing, "war kein Studentenhotel und keine WG im heutigen Sinne, sondern eine Form dazwischen - eine geistige Heimat für solche, die nicht nur ein Schmalspurstudium betreiben wollten." So entstehen schon bald die ersten Arbeitsgemeinschaften, "fächerübergreifend, ohne richtige Tutoren, nur mit Lebenserfahrung - das kam aus uns heraus, nicht von außen." Helbing erinnert sich: "Da fand kein outing statt, da wurde etwa die Frage erörtert, ob es wirklich viele Leute gegeben hatte, die keine Ahnung hatten, was im Dritten Reich geschah." Jeden Samstag- und Sonntagsabend veranstaltet der Leiter in seiner Wohnung "Offene Abende", zu denen sich jeweils etwa 30 Bewohner einfinden, einer Lesung - Herodot, Thukydides, Büchner, Rilke - zuhören und diskutieren. "Diese Besprechungen", so schreibt Boeckh, "sind das Wichtigste, das Fesselndste und das Schwerste. Sie gehen meist bis gegen Mitternacht und sind von einer solchen Lebendigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit, daß die Meinung mancher Menschen, die künftige Jugend sei dumpf und uninteressiert, als völlig unzutreffend zurückgewiesen werden muß." Collegiat Helbing empfindet solche Diskussionen als "geistige Befreiung" - "weil ich jetzt mit Leuten wieder vernünftige Gespräche führen konnte".

In diese Frühzeit des CA fällt auch der Beginn der CA-organisierten Vortragsreihen, die später für das "Studium generale" der Universität stilprägend wirken werden. Zur Premiere spricht in der neu hergerichteten Aula des CA der Jurist Gustav Radbruch über die Frage "Was ist Demokratie?"; Karl Jaspers diskutiert einen Abend lang über seine Vorlesung "Zur Idee der deutschen Universität", ein Studentenpfarrer referiert über "Gewalt und Recht", die Frage "Können Söhne von Arbeitern und Bauern an der Hochschule studieren?" wird erörtert.

Neben Arbeitskreisen und Vorträgen wird schnell die Selbstverwaltung zur dritten Besonderheit des CA. Als Joachim Boeckh im Oktober 1945 "Leitsätze" für das CA postuliert, steht an erster Stelle der Satz "Das viel gebrauchte Wort von der Demokratie muß zur Tat werden." Diese Anregung aufnehmend, entwerfen die Collegiaten eine Grundordnung für das CA: "Außer dem amerikanischen Konzept war da nichts, wir haben bei Null angefangen", erinnert sich Wolfgang Helbing. Zentrales Organ des CA wird der "Konvent", die Vollversammlung der Collegiaten, der die "Regierung" und die übrigen Organe der Selbstverwaltung wählt: den "Senior" als Vertreter des ganzen Hauses, den "Präfekten" als Betreuer des Hauswesens sowie beider Stellvertreter. In den folgenden Jahren wird die Selbstverwaltung zunehmend erstarken - und das Haus in gelegentliche Sinnkrisen stürzen.

Sinnsuche.

Anfang der 50er Jahre nämlich machen die Bewohner des CA eine merkwürdige Erfahrung: Die Selbstverwaltung, die, so Boeckhs Nachfolger Prof. Walther Peter Fuchs, "weiter geht als jede verwandte Organisation in der Welt", ist, wie es ein Senior formuliert, "saturiert". In der Folge begeben sich die Collegiaten auf die Suche nach dem, was sie in einer immer wiederkehrenden Formulierung "die Mitte" des Hauses nennen: "Wäre es nicht unsere Aufgabe", fragt etwa ein Senior 1951 in seinem Rechenschaftsbericht, "nachdem wir uns bisher fast ausschließlich mit unseren internen Problemen beschäftigt haben, nun mehr in das Gesamte der Universität hineinzuwirken?" Die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich ist, wie Wolfgang Helbing resigniert feststellt, "nicht erfolgt"; Gerd Steffens, der von 1963 bis 1970 im CA wohnt, kommentiert heute: "Das CA hatte, nicht anders als die bundesrepublikanische Gesellschaft jener Jahre, die Bedingungen seiner Herkunft verdrängt."

Auf ihrer Sinnsuche sind die Collegiaten schließlich erfolgreich. Beginnend mit dem Besuch einer Leipziger Theatergruppe im Sommer 1956, werden für die folgenden fünf Jahre die sogenannten "Ostkontakte" des CA, vor allem Studienfahrten nach Berlin, zur "Mitte". Bei dem ersten Treffen haben die Collegiaten die "für uns doch ziemlich peinliche Erfahrung" gemacht, daß die Gesprächspartner aus dem Osten ihnen in der Debatte überlegen sind. Das Resultat: Im CA beginnt eine zaghafte Marx-Rezeption; Arbeitsgemeinschaften diskutieren das "Kapital", Ernst Bloch spricht zweimal im CA. Als nach dem Bau der Mauer im August 1961 die DDR-Kontakte entfallen, wenden sich die Collegiaten einer osteuropäischen Alternative zu: Zwischen 1964 und 1968 treffen sich Heidelberger Studenten und - zum ersten Mal auch - Professoren zum Meinungsaustausch mit ihren Gegenübern von der Prager Karls-Universität. Erst das Ende des "Prager Frühlings" und die sich zuspitzende hochschulpolitische Situation in Heidelberg wird 1968 diesen "west-östlichen, westdeutsch-tschechoslowakischen Dialog" (Steffens) beenden.

In den sonst eher geruhsamen 50er Jahren kündigt sich auch schon eine Entwicklung an, die das CA schließlich die Existenz kosten wird: Das Haus öffnet sich zunehmend nach außen, in die Universität hinein. Seit Mitte der 50er Jahre kommen die AStA-Vorsitzenden häufig aus dem CA, bildet das Haus bei studentischen Debatten und Aktionen - etwa um die Wiederbewaffnung oder die Wiederzulassung der Korporationen - eine Art Kristallisationskern, prägen Collegiaten auch die Heidelberger Studentenzeitschrift forum academicum, wird das "Theater im Gewölbe" zu einer der besten deutschen Studentenbühnen.

Allem politischen und kulturellem Engagement zum Trotz: Als sich in den späten 60er Jahren auch in Heidelberg die Studentenbewegung regt, bildet das CA "keineswegs eine Vorhut, sondern eher den Nachtrab" (Steffens). Ein Doktorand der Soziologie, der 1966/67 das CA zum Thema seiner Dissertation macht, findet, "eine politische Figur wie beispielsweise der Berliner SDS-Führer Dutschke wäre im Collegium Academicum völlig undenkbar" - und tatsächlich steht die Mehrzahl der CA-Mitglieder der Studentenbewegung anfänglich allenfalls neugierig gegenüber. Doch seit Anfang 1968 finden sich auch im CA immer mehr Studenten, die sich engagieren wollten, und seit Mitte 1970 werden die Selbstverwaltungsorgane weitgehend von Sympathisanten der APO gestellt; als die Heidelberger Polizei am 10. Januar 1969 den AStA stürmt und 12 Studenten verhaftet, sind darunter vier Collegiaten.

Die Revolte erfaßt auch die Binnenstruktur des Hauses: 1969 werden erstmals Frauen aufgenommen, werden die Räume im Erdgeschoß und die Aula im ersten Stock studentischen Gruppen verschiedenster Provenienz für Treffen und Veranstaltungen geöffnet. Das neue CA-Statut von 1971 stärkt die Autonomie des Hauses - und verpflichtet die Bewohner, "ein kritisches Bewußtsein von Wissenschaft und Gesellschaft (zu) erarbeiten und wirksam (zu) machen"; die Aufnahmekommission ist sich einig, nur "Sozialisten im weitesten Sinne" zuzulassen.

Reservat.

Selbst als die Studentenbewegung sich nur noch in Rückzugsgefechten findet und das konservative rollback beginnt - schon Anfang der 70er Jahre, mit Macht ab 1975 -, bleibt das CA ein linkes Reservat. Hier besuchen linke Studenten Arbeitskreise zu "Marxismus und Psychoanalyse" und sehen im Kellerkino Filme, "die im aktuellen Bezug sowohl zur gegenwärtigen Situation in Indochina wie auch zu den momentanen Kämpfen der internat(ionalen) Arbeiterklasse stehen". Reinhard Bütikofer, der beim Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) Politik macht und später zu den Grünen geht, wird sich erinnern: "Das CA hat ein Stück weit die alte Stärke konserviert, als es drumherum schon ziemlich düster aussah. Ich kann mich nicht erinneren, daß wir 1977, 1978 irgendwas Intelligentes zustandegebracht hätten. Im CA ließ sich das ein bißchen leichter vergessen."

Das "letzte befreite Gebiet" CA (Michael Buselmeier) ist freilich schon Jahre vor seiner Schließung überständig. Tatsächlich ist schon seit der Wahl des konservativen Prof. Hubert Niederländer zum Rektor Ende 1972 die Trendwende unvermeidlich. Im Sommersemester 1973 versagt das neue Rektorat - erstmals in der CA-Geschichte - die Genehmigung für zwei Tutorenarbeitskreise (ein symptomatischer Vorgang, der sich wiederholen wird). In den Augen der Öffentlichkeit sind schon lange alle Aktivitäten, für die das CA eingedenk seiner toleranten Tradition Raum gegeben hat, dem Haus selbst zugeschrieben worden, und so ist es nicht nur im Jargon der Heidelberger Polizei zur "Roten Zelle" der Heidelberger Studentenschaft geworden. Daß im CA nicht die Kader-Linken, sondern eher Undogmatische und Unorganisierte den Ton angeben, ist für viele Beobachter eine zu subtile Differenzierung.

Folgerichtig beschließt am 18. Februar 1975 der Senat, das Gebäude zu renovieren und der Universitätsverwaltung zu überlassen; über das CA heißt es: "Mit Beginn der Renovierung wird die jetzige Institution aufgelöst." Die Collegiaten wehren sich mit Demonstrationen, Offenen Briefen an den Rektor, Leserbriefen in Tageszeitungen, Eingaben an den Senat, einem Brief an die Bevölkerung, einem Protest-Fest im Innenhof; 18 Collegiaten treten gar in einem dreitägigen Hungerstreik. Es hilft nichts: Nach einem Rechtsstreit erfolgt am 6. März, im Morgengrauen, die Räumung, die die Niederlage der Studentenbewegung symbolisch besiegelt. Reinhard Bütikofer kommentiert: "Wenn man das CA gelassen hätte, hätte das Modell nicht überlebt. So ist aus dem Haus ein Mythos geworden."

Epilog.

Erstaunlich ist, wie wenig Spuren bleiben. Victor Hugos romantisch-historischer Roman "Der Glöckner von Notre Dame" beginnt mit jener Episode, in der der Erzähler in einem finsteren Winkel der Kirche das mit der Hand in der Wand eingegrabene griechische Wort für "Verhängnis" entdeckt - letzte Spur des Schicksals eines Menschen, der, so Hugo, "seit Jahrhunderten aus der Mitte der Geschlechter getilgt" ist. Auch das CA hat "außer dem gebrechlichen Andenken" (Hugo) ehemaliger Bewohner kaum mehr als ein solch hilfloses Zeichen hinterlassen: Auf der Herrentoilette des Seminars für Alte Geschichte kann man, an der Wand in Augenhöhe zwischen zwei Pinkelbecken, einen kleinen, verblaßten gelben Aufkleber bemerken. Er ruft für den 26. Januar 1978 zu einer Demonstration auf. Das Motto der Kundgebung: "Das CA bleibt da!" (bpe)

Quellen u.a.: W. Schmitthenner, "Studentenschaft und Studentenverbindungen nach 1945", in: W. Doerr (Hrsg.), Semper Apertus; E. Wolgast, Geschichte der Universität Heidelberg; Denkschrift 1985-1985 & Denkschrift 1985-1992, hrsgg. v. d. Vereinigung ehemaliger Mitglieder des CA; H. U. Störzer, "Das Collegium Academicum der Universität Heidelberg", in: Ruperto Carola 55/56, 1975; H. Schweitzer, Kollegienhaus in der Krise; G. Steffens, "Collegium Academicum 1945-1978 - Zur Lebensgeschichte eines ungeliebten Kindes der Alma mater Heidelbergensis", in: K. Buselmeier (u.a. Hrsg.), Auch eine Geschichte der Universität Heidelberg; Zeitzeugen: M. Buselmeier, R. Bütikofer, W. Helbing, H. Weisert, J. Wolfinger (Dank); RNZ (Dank ans Archiv); Uni-Archiv (Dank an Frau Hunerlach).


CA und Studentenbewegung - Ein Gespräch mit Michael Buselmeier

"Das letzte befreite Gebiet"

ruprecht: Sie sind schon Mitte der 50er Jahre, als Schüler, im CA ins "Theater im Gewölbe" gegangen. Noch wichtiger aber wurde das CA für Sie natürlich '68...

Buselmeier: Ja, als das CA sozusagen unser Hort war, wo viele wichtige teach-ins und Gespräche mit Peter Brückner, mit Ernest Mandel - mit den großen Leuten, die uns unterwiesen, was wir denn eigentlich zu machen hätten - stattfanden, aber auch Mitglieder-Versammlungen des SDS (des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, d. Red.), die sehr spannend waren...

ruprecht: Wo genau war das?

Buselmeier: In der Aula im 1. Stock, vom Mittelgang links, gelegentlich auch in der Mensa im Erdgeschoß, wenn man reinkam, gleich rechts. Zu den SDS-Versammlungen kamen gelegentlich prominente Gäste, wie Hans Jürgen Krahl aus Frankfurt; der redete zwei Stunden ohne Punkt und Komma. Die Genossen, die ihn aus Frankfurt gebracht hatten, weil er nicht autofahren konnte, sagten, so, wir gehen jetzt eine Pizza essen, dann holen wir dich wieder ab. Nach zwei Stunden kamen sie wieder, packten ihn ein und gingen.

ruprecht: Sie sagten, das CA sei ein Hort gewesen...

Buselmeier: Sie müssen sich vorstellen, daß die Studentenbewegung in Heidelberg unglaublich stark war im Verhältnis zu anderen mittleren Städten...

ruprecht: Sie dauerte auch länger...

Buselmeier: Ja, sie hat relativ lange angehalten, über die Notstandsgesetzdebatte im Mai '68 hinaus. Das war nicht unsere Niederlage...

ruprecht: Die kam später...

Buselmeier: Ja, unsere Niederlage kam später, mindestens ein Jahr später, und selbst dann konnte sich die Bewegung fortsetzen, in die verschiedenen Nachfolgeorganisationen. In den frühen 70ern, nach der Spaltung (der Studentenbewegung, d. Red.), gab es im CA Tutorien, die sehr fortschrittlich waren - Musik, Theater, Philosophie. Ich habe drei Jahre lang, bis '74, ein Tutorium gemacht...

ruprecht: Die Tutorien kamen aus den 50er Jahren...

Buselmeier: Die hatten wir am Ende noch. Und dann: Wenn wir bei Demonstrationen von den Bullen durch die ganze Stadt verfolgt wurden - das war manches Mal nicht so ein arger Spaß -, war der Vorhof des CA, der ja historisch ein Ehrenhof ist, sozusagen tabu; wenn wir da drin waren, sind die Bullen nicht nachgekommen, das war befreites Gebiet. Dahin konnten wir uns zurückziehen. Darum war das CA der Ort, wo die heroischen Debatten stattfanden, wo später die Leute vom KBW (vom Kommunistischen Bund Westdeutschlands, d. Red.)das Sagen hatten, später auch die Spontis sehr stark waren mit ihrem KOZ, ihrem Kommunikationszentrum, mit dreisten Festen, wo man die Herrschenden verarscht hat...

ruprecht: Der AStA war ja gleich um die Ecke...

Buselmeier: In der Grabengasse, gleich neben dem Ziehank...

ruprecht: Wo heute die Mensa ist...

Buselmeier: Im 3. Stock. Ja, das CA - Ort der Debatte, der Feste, der Ort, an den wir uns massenhaft zurückziehen konnten - und zunehmend auch der Ort der Drogen. In den frühen 70er Jahren war die Untere Straße eine der Drogenmeilen Deutschlands gewesen; das war wirklich wild. Das wurde eine Weile toleriert, bis der Zundel...

ruprecht: Der damalige SPD-Oberbürgermeister Reinhold Zundel...

Buselmeier: ... Sauberkeit reinbringen wollte. Er schmiß die Drogenszene da raus, modelte die Altstadt um, vertrieb die Studenten, die da wohnten, und zerschlug gleichzeitig - mit Hilfe des Rektorats, der "Rhein-Neckar-Zeitung", des Landgerichtspräsidenten und anderer - die Studentenbewegung. Die linksradikalen Studenten lungerten auf der Straße rum, die Penner waren da, und die Drogenszene war da - und das schwappte jetzt alles in das CA rein. Das war ja das letzte befreite Gebiet. Auch halbkriminelle Elemente... Ich erinnere mich noch an die letzten Tage des CA, wenn man da ein Treffen machte, hörte man oft im Nebenraum Leute Regale aus der Wand reißen oder Möbel abschleppen...

ruprecht: Im Frühjahr 1978, als schon klar war, daß es zu Ende geht?

Buselmeier: Ja. Ich habe nicht arg geheult um das Ding, soll es weg sein, es war arg vergammelt, und da lagen die Penner in den Gängen herum, die Drogentypen, und man konnte kaum eine Sitzung machen, immer torkelte einer herein und störte...

ruprecht: Und die Schließung?

Buselmeier: Wir wollten das CA 'organisiert' schließen, mit einer Lyriklesung in der Aula - aber dann kamen die Bullen doch nicht. Wir dachten jeden Abend, die kommen, hoffentlich kommen die bald, damit das mal aufhört...

ruprecht: Was am 6. März geschah...

Buselmeier: Es gab eine Telephonkette. Ich wohnte ja nicht im CA, da wurde ich angerufen, nachts, recht dramatisch, der Boden dröhnt, hieß es, die Bullen nahen, massenhaft Bullen, (lacht) die ganze Autobahn ist voller Bullen, der Boden dröhnt - und das stimmte irgendwie. Als ich mit dem Fahrrad von Rohrbach, wo ich damals wohnte, in die Stadt radelte, hörte ich auch so ein Dröhnen, und auch als die Polizei dann vor dem CA ankam, war dieses Dröhnen da. Wir waren höchstens 200 Leute, oben in der Aula, und immer wieder stieg einer auf den Tisch und sagte was - und da habe ich zum ersten Mal den Bütikofer gesehen...

ruprecht: Reinhard Bütikofer, damals noch beim KBW...

Buselmeier: Der stand auf dem Tisch und sagte, Genossen, wir müssen das Haus verteidigen. Auf dem Hof stand ein alter, vergammelter VW, der sollte vor das Tor gestellt werden, um den Vorhof abzuriegeln. Und der Bütikofer sagte, wir müssen uns wehren - und das war vollkommen sinnlos. Dann kamen die Bullen, stellten vor dem Tor Wagen auf, die Flutlichtmasten ausfahren konnten, und strahlten das Gebäude an. Derweil kamen die Eliteeinheiten - das waren 1.500 Bullen, unfaßlich, wegen uns 200 lächerlichen Leuten - von hinten geentert, wo das Gelände höher liegt, und während sie reinkamen, gingen wir vorne schon raus. Die Polizisten haben sofort die Möbel aus den Fenstern gekippt, und es waren Handwerker da, die die Fenster zunagelten. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich mit den anderen mitmarschiert oder nach Hause gefahren bin. Es war das Symbol der totalen Niederlage.

ruprecht: Sie sind nicht allzu traurig über den Untergang des CA?

Buselmeier: Es war sowieso aus. Wir hatten ja nichts von unseren Positionen verteidigen können. Wir haben sie relativ lange verteidigt, fast zehn Jahre über '68 hinaus waren bestimmte Bastionen der Universität immer noch befreite Gebiete, etwa das Pädagogische Seminar. Irgendwann war es dann vorbei...

ruprecht: Und die Linke...

Buselmeier: Wir verloren Schritt um Schritt jeden Raum. Vorher beherrschten wir die Institutsgruppen, die Studenten nahmen sich den Hörsaal 13, wenn sie ihn brauchten, und verhinderten, daß Professoren Vorlesungen hielten oder Zundel einen Vortrag. Es schleppte sich so dahin, aber spätestens ab '75 ging es langsam zu Ende. Es hatte keinen Sinn, ein leeres CA zu verteidigen - gegen wen? Sie hatten gewonnen, und das war ihr gutes Recht. Jetzt kommt diese Heuchelei, die Zentrale Universitätsverwaltung "Carolinum" zu nennen, wo man schon die Geschichte des "Seminarium Carolinum" kennen müßte, der Pflanzschule der Jesuiten, die das Gebäude mal war - aber "Seminarium" wollen sie lieber nicht hinschreiben, "CA" schon gar nicht. Wer versteht schon "Carolinum"? Aber "CA" soll nicht mehr kommen, und "ZUV" klingt wie DDR. Es war alles aus, und das war gut so.

ruprecht: Und danach?

Buselmeier: Die Niederlage war so gründlich, daß anschließend die völlige grüne Friedfertigkeit ausgebrochen ist. Die Szene ist sozialdemokratisiert. Ich merke bei Führungen, daß die Menschen keine Ahnung mehr haben, vielleicht muß das auch nicht sein, aber irgendwann wird es wieder kommen, daß die Leute fragen, was haben die damals gemacht - die haben die Uni beherrscht, die haben sogar ein wenig die Stadt beherrscht... (Interview: bpe)


ruprecht-Serie: Uni-Geschichte

Meyerhof

Kaum einer kennt ihn heute noch, und doch war er einer der größten Wissenschaftler und Denker dieses Jahrhunderts, durchaus vergleichbar mit Albert Einstein, Max Planck oder Niels Bohr: Otto Fritz Meyerhof. Dabei war Otto Meyerhof ein echtes Universalgenie: interessiert in Geschichte und Archäologie und bewandert in Literatur und Kunst. Er schrieb Gedichte von überraschender Schönheit und Tiefe. Sein wichtigstes Steckenpferd neben der Forschung blieb aber immer die Philosophie. Als Anhänger der Schule Jakob Fries und Leonard Nelson publizierte er jahrelang Arbeiten in den "Abhandlungen der Fries'schen Schule". Er stellte seine gesamte Forschung daher immer unter das Wissen, daß Chemie und Physik nur ein Aspekt der Welt seien.

Meyerhof wurde am 12. April 1884 in Hannover als Sohn von Felix Meyerhof, einem jüdischen Kaufmann, und seiner Frau Bettina geboren, zog aber früh mit seiner Familie nach Berlin um. Er litt an einer schweren Nierenerkrankung, die ihn für Monate ans Bett fesselte. Zur Erholung kam der junge Meyerhof vier Monate nach Ägypten zu seinem Onkel Max, einem berühmten Augenarzt und Ägyptologen. Damals dürfte sein Interesse für Archäologie geweckt worden sein.

Zurück in Berlin machte er 1903 das Abitur. In dieser Zeit kam es wohl zum ersten Kontakt mit dem Philosophen Leonard Nelson, mit dem Meyerhof bis zum Tod eine freundschaftliche Beziehung hatte. Nach dem Abitur studierte Meyerhof Medizin in Freiburg, Berlin, Straßburg und schließlich in Heidelberg, gemäß der alten Tradition, mehrere Studienorte zu besuchen. In Heidelberg, wo er sich auch neben seinem Studium als Armenarzt betätigte, machte er dann Ende 1908 sein Staatsexamen - trotz größter Zweifel an seinen eigenen Fähigkeiten, oder wie er es selbst in einem Brief an Nelson ausdrückte: "Ich habe von Medizin nicht die geringste Ahnung." Zwei Jahre später promovierte er mit einer psychologischen Arbeit über die verschiedenen Symptome bei geistigen Störungen, die er in strenger Anlehnung an die Fries'sche Schule durchführte.

Denn seine biochemische Ader wurde erst kurz danach von Otto Warburg geweckt, den er in der von Ludolf von Krehl geleiteten Heidelberger Klinik traf. Zusammen mit Warburg arbeitete er an der Zoologischen Station von Neapel, ging dann aber schließlich nach Kiel, wo er 1913 habilitierte und als Assistent am Physiologischen Institut arbeitete. Dort lernte er auch die Malerin Hedwig Schallenberg kennen, die er 1914 heiratete; das Paar hatte drei Kinder.

Durch seinen schlechten Gesundheitszustand wurde er im ersten Weltkrieg zum "Landsturm ohne Waffe" gemustert und diente als Arzt 1918 an der Französischen Front. Nach dem Krieg begann er mit seinen Forschungen über die Muskelkontraktion und die dabei entstehende Wärmebildung, für die er 1923 zusammen mit seinem englischen Freund Archibald V. Hill den Nobelpreis für Medizin erhielt.

Im April 1924 wurde Meyerhof Leiter der Forschungstelle Physiologie des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Biologie in Berlin. Das KWI, später in Max-Planck-Institut umbenannt, war ein Beispiel interkultureller wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Dort arbeiteten zu der Zeit auch andere Nobelpreisträger wie sein Freund Otto Warburg, Carl Neuberg, Fritz Haber oder Otto Hahn. Es kam deshalb nicht selten vor, daß mehrere Nobelpreisträger an Diskussionen an Habers Kolloquien teilnahmen. Aber auch unter Meyerhofs Schülern am KWI waren nicht weniger als drei künftige Nobelpreisträger: die beiden Deutschen Hans Krebs und Fritz Lipmann und der Spanier Severo Ochoa.

Am 6. Sept. 1929 wurde Meyerhof ordentlicher Honorar-Professor und Direktor der Physiologischen Abteilung am KWI für Medizinische Forschung in Heidelberg. Seine darauffolgende Heidelberger Zeit war wohl wissenschaftlich die wichtigste Periode. Am 31.12.1935 wurde ihm auf Betreiben der NS-Studentenschaft aus rassischen Gründen die Lehrbefugnis als Honorarprofessor vom Rektor entzogen. 1938 entschloß sich Meyerhof zur Flucht mit seiner Familie aus Deutschland. Über die Schweiz kam er nach Paris, wo er seine Forschung als Mitarbeiter am Institut der Biologie et Physico-Chimique Paris unter ziemlich widrigen Umständen weiterführen konnte. Als dann aber die Deutschen 1940 in Frankreich einfielen, floh Meyerhof weiter nach Südfrankreich und über die Pyrenäen nach Spanien. Mit Hilfe der Rockefeller Stiftung kam er schließlich nach Amerika. Obwohl ihm in Pennsylvania nur ein kleines Labor zur Verfügung stand, brach er seine Forschungen nicht ab, sondern publizierte weitere 50 Artikel von seinen insgesamt 400 Publikationen.

Sein ungebremster Forschungsdrang erhielt 1944 einen schweren Schlag, als er in Folge eines Herzinfarktes zehn Monate im Krankenhaus verweilen muß. 1949 wurde er erneut ordentlicher Honorar-Professor in Heidelberg. Dieses Ereignis blieb jedoch im Schatten der Aufnahme als Mitglied in die "National Academy of Sciences". Zuvor wurde er in die "Royal Society" in London aufgenommen, was für Nicht-Engländer schwieriger zu erreichen war als den Nobelpreis.

Otto Meyerhof starb am 6. Oktober 1951 während der Arbeiten in seinem Labor in Philadelphia. Seine Forschungen endeten aber damit nicht. Zahlreichen Schüler, von ihm inspiriert, erlangten weltweit Ruhm, sie waren die sogenannte "zweite Meyerhof Generation". Es ist nur traurig, daß Meyerhof auch hier in Vergessenheit geriet, obwohl seine Heidelberger Epoche mit zu den wichtigsten zählt. (jr)


Rimbaud ... kurz vorm Abschnappen

Swing, Jazz, vulgäres Jahrmarktsgedudel

"Der Mann ist doch kurz vorm Abschnappen", konstatiert Roland S. Blezinger und freut sich wie ein kleines Kind, daß das so gut klappt. Er greift zur achtundzwanzigsten Kippe an diesem Morgen ("Roland, bis Du eigentlich nicht erkältet?"), und lehnt sich bequem zurück. Dieser Regisseur ist der fleischgewordene Traum des Filmhochschulanfängers: souverän, relaxed, faul.

Naja, die Frage, was er denn jetzt hier eigentlich zu tun habe, ist natürlich verfehlt. Für das Theaterstück "Rimbaud: Eine Zeit in der Hölle" liegen schon vier Wochen reine Textproben hinter ihm, in denen er sich mit nur zwei Schauspielern rumschlagen mußte. Sprachliche Einzelheiten mußten da in Kleinstarbeit festgeklopft werden, bis sie ins Konzept paßten.

Nach der Textprobe folgten dann die eigentlichen Proben: Music meets Rimbaud. Das Konzept, das sich die Kreativen des Heidelberger Theaters für ihre "Zeit in der Hölle" ausgedacht haben, kann nur als ehrgeizig bezeichnet werden. Eine Art Frischzellenkur mit jungem Blut soll dem Theater da verpaßt werden, nachts um 24.00 Uhr will man die Leute noch mal aus den Betten holen und ihnen die Werke eines zugedrogten Irren aus dem letzten Jahrhundert um die Ohren knallen. Der genialische Arthur Rimbaud, Urbild des Anti-Bürgers, hatte, kurz bevor er mit noch nicht einmal einundzwanzig Jahren beschloß, fürderhin auf jede Art lyrischer Betätigung zu verzichten, 1873 noch einmal voll zugelangt: "Eine Zeit in der Hölle" macht ihrem Namen alle Ehre. Das rhythmisierende Prosagedicht versteht sich als ätzende Abrechnung mit so ziemlich allem, was dem jungen Rimbaud bis dato begegnet war. In rauschhafter, oft schon barocker Sprache findet Rimbaud alles krank, inklusive sich selbst. Die bürgerliche Gesellschaft, die Kunst, das Leben an sich - alles wird durch den Dreck gezerrt.

"Als Text unverdaulich", findet Blezinger denn auch den Text, den er selbst vorgeschlagen hat. Überhaupt ist bei der Produktion fast alles von ihm. Zuerst einmal hat er den Text selbst übersetzt. "Es gibt viele gute Übersetzungen, aber die sind alle zu literarisch oder wortwörtlich. Meine Übersetzung sollte selbstverständlich wirken", meint der Schauspieler, der unter anderem derzeit in Tscheschows "Möwe" zu sehen ist und der mit "Eine Zeit in der Hölle" sein Regiedebüt gibt. Dabei sieht Blezinger in dem Text durchaus nicht nur ein postpubertäres Ankotzen der Spießergesellschaft, denn dafür würde sich heutzutage niemand mehr den Wecker stellen, sondern auch eine Art "Läuterungsprozeß". "Der Typ ist doch total am Ende, voll im 'cold turkey'. So hart wie die Jungs drauf waren - Opium, Absinth, und so - da wollte ich nicht nur das dramatische, sondern auch das selbstreinigende, Verständnis weckende Element mit einbringen", erklärt Blezinger seinen Job.

Damit der Zuschauer die nötige Ekstase aufbringt, dieser "wahnsinnigen Logik" zu folgen, ist das Ganze kein Rezitationsabend, sondern ein "Rockdrama". Rimbaud (gespielt von Dominik Warta), ist der front man einer Rockband, die ebenfalls auf der Bühne zu sehen ist. Zwar ist die Musik die meiste Zeit über als "Trägerwelle" im Hintergrund, ab und zu jedoch soll sie auch mal "überschwappen" - dann sind fetzige Soli und harte drums angesagt. Die übrige Zeit geben sich die Tonmeister rockig im Grundton, und ansonsten offen für alles: Swing, Jazz, Punk, Country-Shuffle, vulgäres Jahrmarktsgedudel. Manchmal scheint es beinahe ein Wettbewerb zu sein, wenn die Band wahre Klanggebirge auftürmt, schrille Kaskaden, Gebrause und Bombastisches, und Dominik per Mikro dagegen anbrüllen muß. Biber Gullatz, Bandleader einer Band, die gar keine ist, sondern nur ab und zu zusammen Projekte durchzieht, hat die Stücke selbst komponiert, teilweise erst während der Proben. Er hat sich Dominik Warta angeschaut, wie der den Rimbaud macht und danach Ideen für Themen, Motive, Melodien entwickelt. Viele Stücke entstehen auch beim Proben selbst. Blezinger ("Ich selbst bin nicht sehr musikalisch. Das ist eine völlig neue Erfahrung für mich.") will eine Melodie so und so haben, und Gullatz schaut, daß er das hinkriegt - life-composing nennt sich das dann auf Neudeutsch. Dafür gehen dann auch schon mal ganze Vormittage drauf, vor allem an den Stellen, wo Rimbaud seine Gedichte in sein Werk gepflanzt hat, die als Lieder aufgeführt werden. Kleine Verbesserungen ("Sollen wir das Bauernmädchen nicht mal ohne Musik machen?") führen schnell zum fundamentalem Umkrempeln, und dann unter Umständen, nach 1000 Mal Probieren, zu der Einsicht, daß es vorher doch am besten war. Ideen, Anregungen, Gespräche, Diskussionen - daraus bestehen diese wie wohl alle Proben, und effizienzorientierte Menschen schlagen da leicht die Hände über dem Kopf zusammen, wenn Blezinger alles noch mal haben will, um "vielleicht an der Stelle mal ne Pause zu machen", oder "das Ganze einfach mit mehr lustigem Touch." Was dem Text recht ist, kann den Noten billig sein. Life-composing fordert seine Zeit, und bevor schließlich die Melodie "steht", wird sie Biber noch etliche Male summen müssen, buntes Käppi auf dem Kopf, mit dem Fuß den Takt schlagend. Verständigung über Tonläufe erfolgt per Handzeichen; es ist eine Lust, der Kreativität auf die Finger zu gucken. Wie ein Geräusch von draußen setzt dann Keyboard ein, es folgt dezentes Schlagzeuggeklingel, schließlich Baßlinie, kreischige E-Gitarre. Dann nochmal, zur Sicherheit, schließlich der ganze Kram mit Dominik als front man. Wenn die Musik auf den Text trifft, ist das immer die Stunde der Wahrheit, Showdown auf der Inszenierungsstraße. Beide Seiten sind im perfektionistischen Rumpingeln drin, feilen an Kommata, drechseln an Phrasierungen, und dann soll das plötzlich zusammen klingen?! Aber, und das ist das wirklich Faszinierende an diesem Projekt, Text und Musik verstehen sich prächtig. Man wird natürlich sagen, bäähh!, olle Kamellen, schon mal was von Oper und Musical gehört? Nur, das ist etwas anderes, weil die Musik eigenständiger ist und gerade dadurch auch weniger Freiheit hat, was sich paradox anhört, aber zutrifft. Gerade in ihrer Beschränkung auf die Funktion als Textstütze liegt die Größe der Musik in "Eine Zeit in der Hölle"; wenn sie denn mal ausbricht, kann sie durch den Kontrast umso besser zeigen, was sie kann. Genau wie zwischen front man und Band bei normalen Rockgruppen existiert eine unterschwellige Konkurrenz, jeder will sich präsentieren, und davon haben beide etwas - die Band und Dominik.

Auf ihm und seinem grünen 60er -Jahre-Hemd lastet natürlich die gesamte Verantwortung. Mikrophonverstärkt, leise, melancholisch, resigniert stehen die alten Sätze im Raum, wo man noch mit Dämonen kämpfen und einen Gott anklagen konnte, wenn was schiefging. In den 5 locker unterteilten Abschnitten des Stücks (das ohne Pause gespielt wird), springt, wälzt rennt Warta auf der Bühne rum, dann wieder kauert er im Eck wie ein ängstlicher Hund. Rimbaud als Punk, als Mensch, der seine Exzesse lebt, seine Qualen rausschreit. Auf ein furioses Opening folgt die ruhige, traurige Passage der eigentlichen "Nacht in der Hölle", dann der Auftritt Verlaines, einige Gedichte von Rimbaud (als Lieder vertont) und eine Endpassage, in der noch einmal von Endgültigem und Endverzweifeltem die Rede ist: "Aber nirgends eine Freundeshand! und wo Hilfe finden?"

Auch wenn Rimbaud der eigentliche Held des Abends ist, sein Sex- und Saufkumpel Paul Verlaine (gespielt von Hannsjörg Schuster) bietet einen unentbehrlichen zweiten Blickwinkel. "Hören wir die Beichte eines Höllengefährten..." heißt es an einer Stelle, und Verlaine tritt auf. Auch die Lieder präsentieren die beiden eng umschlungen, locker-lasziv in den Hüften wiegend tanzen sie auf der Bühne. Hannsjörg Schuster als Paul Verlaine bringt einfach eine andere Farbe ins Bild, auch im musikalischen Sinn, und hilft so, dem Text etwas von seiner Rimbaud-Zentriertheit zu nehmen, wie auch im übrigen der echte Rimbaud ohne Verlaine ein vollkommen anderer gewesen wäre.

Rimbaud, und diese abgegriffene Etikette gibt's noch gratis dazu, das "enfant terrible" der Literatur, wurde also in unsere Zeit gebeamt, und das ist gar nicht so einfach. Pause: Auf der Probebühne legt der Drummer die Stöckchen beiseite, Biber Gullatz stellt sein Saxophon ab, alle schlurfen von dem kleinen Bretterrechteck weg, irgendwohin, auf einen Stuhl, ein altes Sofa, Kippe muß her. Die Proben sind Knochenarbeit, der scheinbar so spontane Text, der aus einer explosiven Mischung von Wut, Trauer und Verzweiflung entstanden zu sein scheint und daherkommt wie ein einziger Effenberg-Finger - es ist schwer, diese Wildheit und Ursprünglichkeit auf die Bühne zu bringen. Wie es so schön heißt: "Auch Spontaneität will vorher gut überlegt sein." (kw)


Ich mach´ mir die Welt wie sie mir gefällt

Leben aus dem Blauen heraus, ein bißchen ohne Regeln. Die Freiheit genießen. Wagenburgen mögen Pippi Langstrumpf. Deswegen heißt diejenige am Klausenpfad in Heidelberg auch "Hoppetosse", nach dem Piratenschiff von Pippis Vater.

Bunt bemalte Bauwagen. Ein bißchen blättert überall der Lack. Aber auch die klirrende Kälte dieses bedeckten Januartages klaut ihnen ein Stück ihrer Farbenfreude. Das Licht der Sonne fehlt, die die Farben sonst leuchten läßt. Doch in den Wagen ist es warm. Kleine Rauchsäulen steigen aus den dünnen Blechröhren. Zeugen der Wohnlichkeit. Kampf gegen die Unwirtlichkeit eines deutschen Winters. In der Wagenburg "Hoppetosse" am Klausenpfad direkt hinter dem Universitätsgelände Richtung Handschuhsheim wird noch mit Holz geheizt, in kleinen Öfen produziert rote Glut 15 qm Gemütlichkeit. Kleine Feuerlöscher an den Wagen für den Fall eines Brandes. Manchmal bringen Abbruchfirmen das Brennmaterial vorbei, das sie sonst teuer entsorgen müßten. Viel öfter aber holen die Bewohner ihren Bedarf im Wald. Mit Erlaubnis des Försters werden die unbrauchbaren Reste eines Einschlags abtransportiert. Eine Plastikplane bedeckt dann den Stapel, schützt das frische Holz ein bißchen vor der Nässe.

Draußen bleibt es trotzdem kalt. Frieren auf dem Weg zur Toilette. Richtung Osten steht dafür ein alter Güllewagen mit einem kleinen Klohäuschen auf dem Einfülloch. Ein ausgeschnittenes Herz verziert die Tür. "Kackwagen" nennen ihn die Wagenburgler. Ist er voll, wird ein Traktor vorgespannt, das Klohäuschen abgebaut und der restliche Wagen zur Kläranlage gefahren. Viel häufiger jedoch benutzen sie einfach ein Erdloch in einem Brombeerbusch und nehmen eine Flasche Wasser für die Hygiene mit. Das Loch wird dann irgendwann zugeschüttet. Ihren Müll sammeln sie und fahren ihn zu einem der großen Container in der Umgebung. Manchmal, wenn mehr als sonst anfällt, auch zum Recyclinghof an der Pleikartsförster Straße. Wer kein fließend Wasser hat, das mitreißt, was nicht gesehen und gerochen werden soll, wer keine große Tonne hat, um die sich allwöchentlich die Müllabfuhr kümmert, merkt, wieviel Dreck er macht. Begreift den Ärger von Verschmutzung. In die Augen, in den Sinn. Ganz von alleine daher das Bestreben, zu reduzieren. Hier ist jeder ein Umweltschützer, manchmal unbewußt, einfach so. Schon allein aufgrund der Lebensumstände. "Wenn 20 % der Menschen 80 % der Energie dieser Welt verbrauchen, ist das eine Sauerei", sagt Andi. Weniger Energie, weniger Wasser, weniger Platz braucht der, der in einem Bauwagen lebt. Oder Zirkuswagen. Oder Campinganhänger.

In Deutschland gibt im Durchschnitt jeder Mieter ein Drittel seines Monatslohnes nur für Wohnung aus. Ich sehe das nicht ein, dem Vermieter Geld in den Arsch zu schieben”, erklärt mir einer. In der Wagenburg wird mit Eigenarbeit bezahlt. Basteln, Renovieren kann hier jeder. Macht hier jeder. Hat auch jeder die Zeit dazu. Autos instand setzen, Wagen ausbessern, Wäscheleinen spannen. Holz hacken. Wasser holen. Von den Bewässerungsanlagen der Felder, doch das ist aufgrund der Mineraldüngung nicht trinkbar - diese Erfahrung haben sie selber machen müssen. Oder aus Quellen am Heiligenberg, trinkbar. Sogar einen 1000 l -Wassertank haben sie zum Transport und als Speicher. Im Sommer. Der Winter fröre alles ein. In der Zeit, die dann noch übrigbleibt, wird Geld verdient, für Essen, Kleider, Luxusartikel. Manchmal ein Walkman oder Radio, sogar ein Fernseher, 12-Volt batteriebetrieben. Und ein Handy. Mit dem telefoniert die ganze Wagenburg. Viel brauchen sie nicht, wollen sie gar nicht. Deswegen sind auch nur fünf der 16 Bewohner auf fremde Hilfe angewiesen. Einer studiert, zwei beziehen Arbeitslosenhilfe, eine Sozialhilfe. Und das Kind. Plastiktraktor und Kinderwagen vor der Wohnung, an einem Ast hängt eine Schaukel. Nicht jedes Kind hat einen Garten dort, wo es aufwächst. Faszinierend, zu merken, daß es ein Stück Lebensphilosophie, Lebensstil ist, wieviel Güter man benötigt. Um zu verstehen, warum sie eben nur gelegentlich arbeiten, einige sich in ganz kleinem Umfang selbstständig gemacht haben, mit einer Schrottsammlung, einer Tonflötenproduktion, als Silberschmied. Weil ihnen das Geld daraus reicht. Ansprüche sind keine feste Größe. Das Gefühl von Freiheit ist manchmal wichtiger als gesichertes Einkommen und garantierte Wohnung. Deswegen haben die Wagen auch Räder. Um wegfahren zu können. Die wenigsten machen es, aber was zählt, ist das Gefühl, es zu können. Was man braucht, ist ein Reisegewerbeschein. Den bekommt jeder. Dann darf man seinen Wagen quer durch Deutschland ziehen, bis zu drei Tagen auf einem Parkplatz übernachten. Dann wechselt jeden Tag der Garten, "im Sommer hat man das größte Wohnzimmer der Welt". Dann schreien einen trotzdem manchmal Polizisten an, weil man mit 12 km/h einen Anstieg bewältigt und die Autoschlange dahinter gerne schneller gewesen wäre. Haß der Eiligen.

Meist führt die Route dabei von Wagenburg zu Wagenburg, manchmal fragt man, ob ein Platz frei ist, meistens stellt man sich einfach so dazu. Oder man bleibt einfach da, wo man ist. Wenn das Land es erlaubt. Für die Heidelberger "Hoppetosse" hat der Winter noch eine andere Kälte: Nutzungsuntersagung und Zwangsräumung. Das besetzte Grundstück gehört dem Land Baden-Württemberg, das eine derartige Nutzung untersagt hat. Und "die Stadt ist dabei Exekutivgewalt des Landes", so Herr Pöltel vom Baurechtsamt Heidelberg. Sie muß also das Grundstück räumen, wollte jedoch durch ein Alternativgrundstück den Fortbestand der Wagenburg sichern. In Rohrbach bot sich eine Fläche an, die Bewohner der Wagenburg waren einverstanden. Der Gemeinderat nicht. Die gesamte CDU-Fraktion sowie eine schlußendlich entscheidende SPD-Stimme verhinderten die Umsiedelung. Das war Ende1993. Man hatte sich für die Verbannung der Wagenburg entschieden. Seitdem läuft der Streit, Klage auf Räumung und Gegenklage liegen seit Dezember 1995 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe vor. Vielleicht wird Mitte dieses Jahres entschieden. Vielleicht ist das der letzte Sommer der Wagenburg. Gelegen im sogenannten Außenbezirk der Stadt, für den kein Bebauungsplan existiert und somit aus Gründen des Umweltschutzes nur landwirtschaftliche Betriebe eine Baugenehmigung bekommen, besteht für die nachträgliche Legalisierung nicht viel Hoffnung. Doch trotz Illegalität sind sie beim Einwohnermeldeamt registriert. Zahlen Steuern, kriegen Post.

Im März steht das fünfjährige Jubiläum an, feiern will man trotzdem. Denn zur Wut reicht es noch nicht. Nur Resignation kratzt an dem Lack der Wagen. Verhindert den Bau von Gehwegen, das Anlegen kleiner Gemüsegärten, Anbringen zusätzlicher Solarzellen. Resignation ist die Tochter des Pessimismus. Und deswegen sind von den ehemals 37 Bewohnern bereits 21 nach und nach weggezogen. Die restlichen 16 haben sich noch ein bißchen Vertrauen in die Stadt bewahrt. Als sie den Grund ohne Genehmigung besetzten, war vielleicht etwas mehr davon da. Haben sie sich gesagt: Es wird schon klappen. Hoffnung, weil es auch anders geht. In Frankfurt, der Stadt mit der vielleicht größten Obdachlosenproblematik in Deutschland, stellt man inzwischen freie Flächen für Wagenburgen zur Verfügung. Gewährt Sozialhilfeempfängern Zuschüsse zum Ausbessern ihrer Wägen und spart dabei die teure Unterbringung in Mietwohnungen oder sogar Hotels.

Peter: "Wenn ich koche, dann reicht es für zehn. Ich lauf´ dann immer herum und sage überall, daß es Essen gibt." Nicht der anonyme Häuserblock, die Masse in Stochwerke gestapelt. Kennen will man sich, wohnt man schon so nah beieinander. Wissen, wann jemand Geburtstag hat, was einer arbeitet. Die Wohnung einfach offen lassen können, weil sowieso niemand klaut, weil andere da sind zum Aufpassen. Treffen mehrerer Wagenburgen veranstalten, mit Workshops zur Jonglage, Kräuterkunde oder zum Musizieren. Oder einfach nur zum Feiern, Erfahrungen austauschen. Zusammen jeden zweiten Donnerstag die Volksküche im Autonomen Zentrum organisieren. Ein Abend, bei dem sich jeder für drei Mark sattessen kann. Gemeinschaft. Zusammenhalt gegen das Gefühl, manchmal ausgesperrt zu sein. Vom Grundstücksnachbarn nicht gewollt zu werden, "weil man draußen nackt duscht". Weil "die bunten Frisuren das Straßenbild stören", so Raban v.d. Malsburg (CDU). Weil man "eine Gefahr für Recht und Ordnung darstellt", so der Sprecher der CDU-Gemeinderatsfraktion schon vor zwei Jahren. Zusammenhalt, um eine Welt zu haben, in die man hineingehört, die so ist wie man selber. "So um die Weihnachtszeit war es, wie wenn ich von einer Welt in eine andere übergewechselt hätte, als ich aus der Stadt kam", beschreibt es Andi. Manchmal vermischen sich dabei beide Welten, nähern sich einander. Wenn ein altes Ehepaar einen Kuchen vorbeibringt, weil es ihn selber nicht essen kann. Wenn man einen Briefwechsel mit einer Frau anfängt, die einen Leserbrief zu einem Artikel in der RNZ über die Wagenburg geschrieben hat. Wenn man den Rechtsstreit um das Grundstück zusammen mit einem Anwalt betreibt.

Gemeinschaft aber braucht auch Übereinkünfte. Übereinkünfte sind der Anfang von Gesetzen. Gesetze ziehen Grenzen, beschneiden das Recht des Einzelnen. Viele Wagenburgler glauben an Anarchie, mögen diesen Schnitt nicht, wollen ihn ganz abschaffen. Und dann sind noch weniger Personen als sonst für das verantwortlich, was zusammen organisiert werden muß. Den Klowagen leeren, den Müll wegfahren, die Post verteilen. Manchmal stinkt einem das. Und plötzlich hat auch die Anarchie Grenzen. Dann aber ist es keine Anarchie mehr. Menschen werden immer auf ein Stück davon verzichten, um zu bekommen, was ihnen wichtig ist: Gemeinschaft.

Andi ist einer, der gewöhnlich nicht viel Aufhebens um Worte

macht. Aber heute hat er Geburtstag. Und erzählt: Wie er früher als Straßenmusikant quer durch Deutschland gezogen ist. Schlechtes Essen, kalte Nächte. Da ist ihm irgendwann die Lust vergangen. Jetzt lebt er in dem orangefarbenen Bauwagen, genießt, immer noch sein eigener Herr, ein bißchen wie Pippi Langstrumpf zu sein. Zu seiner Feier hat er Musiker eingeladen, die er noch von damals kennt. So lange ist das bei ihm eben noch nicht her. Doch zurücksehnen tut er sich nicht. Und nach einer gewöhnlichen Wohnung schon gar nicht. Keiner der Menschen hier. Gerade da wollten sie ja weg. Nur manchmal vielleicht, für zehn Minuten, morgens, wenn man raus muß, um Holz für den Ofen zu holen und der Wagen von der Nacht noch kalt ist. Aber die Faszination siegt immer. Die Faszination, Künstler zu sein. Freier Künstler. Lebenskünstler. (rot)


KUNST

Gegenwartskunst, wohin das Auge blickt! Heidel-berg, Mannheim, Ludwigs-hafen: Das Rhein-Neckar-Dreieck ein einziges Spannungsfeld von sinnlicher Opulenz, intellektuellem Anspruch und gesellschaftlicher Relevanz. Alle Kunsthallen und Kunstvereine der Region zeigen dieser Tage "moderne Kunst" von etablierten oder Nachwuchs-künstlern.

Marius Pfannenstiel: "Perfekte Fotografie" (Ludwigshafen)

Der Heidelberger Kunstverein zeigt in seiner ersten Ausstellung im neuen Jahr jüngere Arbeiten des Karlsruher Bildhauers Werner Pokorny. Ähnlich wie Klaus Duschat, dessen Stahlplastiken bis vor kurzem in der Mannheimer Kunsthalle zu sehen waren, bewegt sich Pokorny in seinen Holz- und ebenfalls Stahlplastiken auf der Grenze zwischen stereometrischer Grundform und gegenständlichem Anklang. An Kompositionen wie "Haus am Boden" oder "Vier Schalen zwischen Stangen" lassen sich die Positionen von Formautonomie und Chiffrecharakter tatsächlich kaum gegeneinander ausspielen, denn schon einfachste Formen wie gehöhlte Halbkugel und unregelmäßiges Fünfeck bedingen bestimmte Assoziationen (eben 'Schale', 'Haus'), und auch reine Grundformen können in der Kombination sinnvolle Elementarzeichen ergeben. Anders als Duschat, der mit farblich und im Material verschiedenen Oberflächen arbeitet und auch Fundstücke aus dem Bereich des Technischen integriert, verzichtet Pokorny zugunsten der reinen Form aber auf jede atmosphärische Wirkung.

Beide Künstler suchen ihr Heil weniger im Widerständigen als daß sie klassische Prinzipien wie Variatio und Ausgewogenheit pflegten; Duschat in differenzierterer, verspielterer, Pokorny in allgemeinerer Form. Dessen Grundsatz des Basalen neigt zwar zuweilen zur Einfalt (so im simplen Geometrismus von "Durchbrochene Form III"), aber zumeist inszeniert er seine archetypischen Botschaften auf eine sinnlich fesselnde und über das "Formerlebnis" (Riedl) unmittelbar zugängliche Weise.

Werner Pokorny ist ein arrivierter Künstler: Die ausgestellten Objekte kosten zwischen 5.000 und 85.000 Mark. Werke von Jochen Flinzer oder Peter Rösel dagegen, wie sie derzeit im Mannheimer Kunstverein zu sehen sind, lassen sich derzeit noch für weniger als tausend Mark erwerben. Unter dem Thema "Landschaftsdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst" haben sich hier insgesamt 29 Künstlerinnen und Künstler auf ein reizvolles Mindestmaß an gegenständlicher Verbindlichkeit verpflichten lassen. Die Ausstellung besticht schon durch die bloße Vielfalt der Beiträge, und in der Tat läßt sich nicht einmal ein Trend im Spektrum der künstlerischen Lösungen feststellen.

Man mag bemängeln, daß den Arbeiten - wie oft - jeweils nur ein kleiner pointenhafter Einfall zugrunde liegt; gerade das Landschaftsthema taugt in heutiger Zeit allerdings kaum mehr zur großen Sinngeste, und das macht die Beiträge gleichzeitig erfrischend unpathetisch. Nicht völlig neu, aber darum nicht weniger eindrucksvoll ist zum Beispiel Timm Ulrichs' Einfall, die Endstücke von Farbdiafilmen in die Waagerechte zu wenden, so daß sich, projiziert oder im Diabetrachter, eigentümlich plausibel wirkende Sonnenuntergangshorizonte ergeben. Und Dennis Oppenheim zeigt, in bester surrealistischer Tradition, fünf an die Wand montierte Bügeleisen, deren leicht warme Heizfläche jeweils einen Tontopf mit einem Kleinkaktus trägt. Die Sterilität der weißen und metallenen Haushaltsgegenstände und die Makellosigkeit des Arrangements stehen einerseits in reizvollem Gegensatz zur Anspielung auf die Wüste als Naturraum, andererseits entsprechen sie ihr in ihrer Lebensfeindlichkeit.

Eine Reihe geistiger Vorläufer der Mannheimer "Landschaftsvermesser", so der Ausstellungstitel, findet sich derzeit im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum versammelt, das eine Retrospektive auf die "Kunst der sechziger Jahre in der Bundesrepublik" zeigt. Das Motto "Von Pop bis Polit" bezeichnet dabei nur die populärste der vielen denkbaren Polaritäten, denn neben den bekannten Adaptionen der amerikanischen und englischen Pop Art und der Agit-Prop-Parolenkunst sind in typischen Beispielen auch die Multiple-Bewegung, Zero und Kinetische Kunst, Fluxus, Performance- und Happening Art sowie eine Reihe profilierter Einzelpersönlichkeiten dokumentiert. Interessant ist die Ausstellung nicht nur in kunsthistorischem Hinblick auf eine abgeschlossene Epoche, sondern auch insofern, als viele Matadoren der heutigen Szene (Richter, Lüpertz, Baselitz ...) in dieser Zeit ihre Wurzeln haben. Ein wenig blaß fällt allerdings der Versuch einer gesamtkulturellen Kontextualisierung aus: Zeittafeln zu Teenagerkultur und Studentenrevolte, ein paar Designstücke und die bekannten Pressefotos, die nur das einmal festgelegte Sechzigerjahrebild perpetuieren, ergeben noch kein Panorama. Umso instruktiver ist hier aber der Katalog, der in einem einleitenden Essay die fehlenden Zusammenhänge darstellt und im Abbildungsteil in aller Kürze auf einzelne Gattungen und Strömungen eingeht; nicht zum Schaden des Überblicks sehen die Autoren dabei auch über den begrenzten Fundus der hauseigenen Sammlung Heinz Beck, der die Exponate vorwiegend entstammen, hinaus.

Im kritischen Anspruch wie auch in der Wahl des Mediums läßt sich die Arbeit des Fotografen Frank Thiel, die zur Zeit im "Studio" des Heidelberger Kunstvereins zu sehen ist, auf die Ludwigshafener Schau beziehen. Die vier monumentalen Brustbilder alliierter Soldaten sind weniger Abbild als Stellvertretung der zugrundeliegenden Realität; sie vereinzeln jeweils ihr Motiv zum alleinigen Bildthema und ermöglichen so dessen Neukontextualisierung in der Ausstellungssituation. Schreibt man diesem Bewußtmachungseffekt, der im Fall der "Alliierten" naheliegenderweise auf den Gegensatz zwischen Individualität und Uniformierung zielt, keinen allzu künstlerischen Anspruch zu, läßt sich hier ohne Frage von raffinierter Dokumentarphotographie sprechen.

Wie der bereits preisgekrönte Thiel gehören auch die "Neun aus Mainz", Schüler der dortigen Kunstprofessoren Hahn und Nierhoff, zumindest dem Alter nach zu den 'Kindern der 68er'; sie absolvieren in der Mannheimer Kunsthalle zur Zeit ihre im Durchschnitt dritte Ausstellung.

Barbara Beyer läßt in ihrer sechs-teiligen konkreten Bodenplastik - es sind auf dem Kopf gestellte Gipsstümpfe - Volumen, Material und den in einer teilweisen Rostfärbung dokumentierten Entstehungsprozeß in faszinierender Weise für sich stehen; Sonja Bartussek präsentiert uns anhand eines aus der Vogelperspektive gesehenen Architekturmotivs eine klassische Abstraktionsreihe. Ambivalent sind die Beiträge Stefan Budians: Seine abstrahierenden Landschaften schwanken zwischen 'unsouverän' und 'unkonventionell', seine naivistischen Portraits zwischen 'provozierend verletzlich' und 'großäugig menschelnd'. Mario Hergueta nimmt Buchstaben zur Grundlage seiner architektonisch-abstrakten Gipsplastiken, die, so der Künstler selbst zum Sinn seines Schaffens, "dem Wunsch einer Eindeutigkeit nicht entsprechen"; ein bißchen gebastelt wirken die konstruktionistischen Hausbilder und -collagen Nicole Nickels, die in der starken Dominanz des Perspektivischen eine gewisse architektonische Totalität vermitteln. Barbara Breitenfellners zweiteilige Baumstamm-Säulen "nähern sich der Natur ohne sie nachzuahmen" und zeichnen sich "durch das Gleichgewicht von Stoff und Gestalt" aus (Breitenfellner), wie es schon in der Natur selbst zu beobachten ist; Steffi Wurster stellt Kastenobjekte aus, die die "plastische Qualität des Lichts" wahrnehmen lassen.

Die sinnlichsten Beiträge stammen von Nicola C. Stäglich und Rainer Kleemann. Die erste kombiniert waagerechte Farbstreifen und gestische Zeichen wie Kringel und einfachen Pinselstrich zu einerseits autonomen Kompositionen, die aufgrund entsprechender Farbigkeit und vor allem suggestiver Anordnung andererseits auch den Eindruck weiter Landschaften erzeugen. Kleemann dagegen ist ein ausgesprochener Atmosphäriker. Er präsentiert an die Grenze der Gegenständlichkeit geführte Stadtlandschaften als schmale Horizontalstreifen auf großflächigen monochromen Gründen, die die Subjektivität des Blicks auf die objektivierten Architekturstücke unterstreichen.

Es zeigt sich, daß sich die Ausstellung zum weit überwiegenden Teil mit wo nicht ungegenständlichen Themen, da mit Landschaft und Architektur beschäftigt; sollte dieser Nachwuchs maßgeblich von seinen näheren Vorgängern beeinflußt sein, dann nicht in realistisch-kritischer Hinsicht. Hält man sich zusätzlich vor Augen, daß die "Neun aus Mainz" Absolventen eines staatlich subventionierten Studiums sind und daß nicht nur Duschat und Pokorny keinen geringen Teil ihres Einkommens aus öffentlichen Aufträgen erhalten, stellt sich die alte Frage nach dem gesellschaftlichen Sinn der Art von Kunst, wie sie dieser Tage von den großen einschlägigen Institutionen der Region gezeigt wird.

Den meisten Arbeiten der Gegenwartskunst liegen, wie zu sehen ist, einfache und deshalb wiederkehrende Ideen zugrunde: Es geht um Abstraktion und Konkretion, es geht darum zu irritieren, ein Spannungsverhältnis zu inszenieren, eine Bildfläche, einen Raum oder eine Wahrnehmung zu akzentuieren. Die Nähe zur gegenständlichen Welt bedeutet dabei, das zeigt die "Landschaftsvermesser"-Ausstellung, eine Chance. Daß kommerzielle Großretrospektiven ungleich höhere Besucherzahlen erreichen, scheint daher weniger an der Kunst als an unbedachten Vorbehalten des Publikums zu liegen.

Es ist außerdem zu bezweifeln, daß die Masse der Besucher etwa der Tübinger Cézanne-Ausstellung 1993 tatsächlich den künstlerischen Gehalt der Werke erfaßt und nicht nur die südlichen Landschaften und die sanft strahlenden Erdfarben bewundert hat. Solange also die "moderne Kunst" dieselbe grundlegende, unreflektierte Freude an Form, Farbe und Sujet zuläßt, sind durchaus sinnlosere Verwendungszwecke für öffentliche Gelder denkbar. (jpb)

Thiel, Pokorny, "Die Neun aus Mainz" bis 3. März, die übrigen Ausstellungen bis 10. März '96.


Termine

Ökumenisches Abendgebet

Jeden Freitag um 20.00 Uhr findet in der Bonifatius-Kirche, Eingang Kleinschmidtstraße, ein ökumenisches Abendgebet statt. Interessenten sind jederzeit willkommen.

"Car Walking"-Seminar, Teil II

Aufgrund der großen Nachfrage am letzten "Car Walking"- Seminar gibt es eine Neuauflage und Vertiefung, und zwar am 14.2. um 19.00 Uhr im Hörsaal der Neuen Universität.


ruprecht goes to the movies

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

Abuzze (4)

Etwas sauer wirkte die Kartenverkäuferin schon, als mich jemand von nebenan mit den Worten "Tu´s nicht! Du wirst es bereuen !" vom Besuch des ersten Films des hessischen Komikerduos Badesalz abhalten wollte. Überhaupt scheinen sich die Geister an Abbuzze zu scheiden. Die einen halten die zwei für ausgesprochen schwachsinnige Schreckgespenster, die anderen lassen sich durch ihren vielleicht nicht unbedingt geistreichen, dafür aber ironischen, skurrilen und trockenen Humor von einem Lachanfall in den anderen treiben.
Der Plot des Streifens ist schnell erzählt, aber immerhin gibt es eine Art Rahmenhandlung für die einzelnen Szenen, in denen badesalztypisch sämtliche Gesellschaftsschichten vom muskelbepackten Macho bis zum zerstrittenen Altweiberkaffeekränzchen aufs Korn genommen werden. In dieser bleibt Erich, handy- und laptopbepackter Versicherungsvertreter, im Fahrstuhl eines abbruchreifen Hochhauses stecken und muß sich dort vom bauernschlauen Richard nach Strich und Faden vorführen lassen. Der ganze Film lebt davon, daß die von Badesalz penibel genau beobachtete hessische Welt in einer schier grenzenlos erscheinenden Vielfalt persifliert und der Lächerlichkeit preisgegeben wird. So zeigen sich sowohl Richie und Headbanger als Hausbewachungsdienst als auch Herr Seiler von ihrer besten Seite. Wer dies unverständlicherweise nicht lustig findet, dem bleibt nur der Ausruf: "Erbarme, zu spät, die Hesse komme !"

Männerpension (3)

Man könnte sagen: Die Handlung von Detlev Bucks (Karniggels, Wir können auch anders) neuem Film ist derb und an den Haaren herbeigezogen: Der jüngste Gefängnisdirektor der Republik will liberalen Strafvollzug praktizieren. Er sucht deshalb per Zeitung Damen, zu denen er seine Häftlinge auf Urlaub schicken kann. Zwei von denen, alias Detlev Buck und Till Schweiger (der seinen Bodybuiling-Center-Oberkörper immer wieder gern in die Kamera hält) kommen im Häuschen einer knackigen Altenpflegerin unter und erleben ein bißchen 'was mit Frauen.
Man könnte auch sagen: Der Film ist frauenfeindlich: Das Blondinchen ist dumm, lispelt und meint, wenn man ihr sagt, Frauen seien eben einfach dümmer als Männer: "Ja, ich weiß". Doch Männerpension ist ein wirklich lustiger Film mit viel Sinn fürs Groteske und Skurille. Ihn an Maßstäben der "political correctness" zu messen, ist vor allem eins: humorlos.

The usual suspects (3)

Die üblichen Verdächtigen ist ganz bestimmt kein so üblicher Film! Kein bekannter Regisseur oder Schauspieler zieht die Massen an, kein Budget stand zur Verfügung, das das Bruttoinlandseinkommen eines Dritte-Welt-Landes übersteigt, und vor allem fliegen keine Darsteller in der Luft ihrem Flugzeug hinterher. Stattdessen handelt der Film von fünf Verbrechern, die zufällig zusammenkommen und immer tiefer in einen Strudel aus Verbrechen geraten. Ein verkrüppelter Betrüger, ein ehemaliger, korrupter Polizist, ein schwules Einbrecherpaar und ein Dieb bilden ein Team, das, ohne es zu merken, in die Klauen eines Unterweltherrschers, Keyser Sozes, gerät. Keyser Soze, von der Unterwelt auch "der Teufel" genannt, gelingt es, die fünf derart zu manipulieren, daß sie für ihn einen selbstmörderischen Auftrag erledigen, dem alle außer "der Krüppel" zum Opfer fallen.
Der Film baut sich aus den Aussagen des einzigen Überlebenden des Massakers auf: erst verwirren die einzelnen Bruchstücke, aber schon bald zeichnet sich ein scheinbar klares Bild ab, dem Polizei und Zuschauer blindlings glauben. Erst kurz vor dem Ende bemerkt man den Irrtum, aber zu spät; Der Film ist vorbei, das Geschehene läßt sich nicht mehr korrigieren.
Auf geniale Weise baut The usual suspects Spannung auf, indem er den Zuschauern häppchenweise Informationen preisgibt, aber gleichzeitig den Zuschauer immer wieder auf falsche Fährten lockt. Großes Kino, aber ganz ohne Glanz und Glamour!


Kulturexpress

Zwei Monate Karlstorbahnhof

Freitag nacht, Judgement Night im Karlstorbahnhof. Wie jede Woche tummelt sich hier eine buntgemischte Szenegruppe in Bar und großem Saal, der gerammelt voll ist. Die Indie-Grunge-Metal-Party hat sich innerhalb weniger Wochen zu einer festen Institution im Kulturzentrum entwickelt. Doch auch viele andere Programmpunkte, von Kabarett über Kino bis zum Theater sind meistens ausverkauft. Keine Frage, der Karlstorbahnhof füllt ein Vakuum im Heidelberger Nacht- und Kulturleben. So kann Johannes Rühl, Leiter des soziokulturellen Zentrums, auch ein überwältigend positives Resümee über die vergangenen zwei Monate ziehen. Die finanzielle Lage könne man zwar erst in einem Jahr umfassend beurteilen (viel Publikum erfordert auch viel Personal), aber er ist sich sicher, daß defizitäre Projekte, die er bewußt auch ins Programm aufnimmt, ausgeglichen werden können. Rühl betont, daß er das Publikum mit neuen Ideen überraschen möchte. Hierbei solle der Karlstorbahnhof gerade auch als Bühne für die rege lokale Szene dienen. Das Publikum sei so gemischt, daß selbst ausgefallenere Veranstaltungen nicht untergingen.
Auch das Café im ersten Stock hat schnell einen guten Ruf erlangt; bei einem Cappuccino kann man hier den schönen Blick aufs Neckartal genießen.
Achtung: Die ersten zwei Ausgaben des monatlichen Programmhefts waren schon Anfang des Monats vergriffen. Tip von Rühl: Nicht in der Altstadt oder an der Uni danach suchen. Ein Vorrat des beliebten Infoblättchens liegt immer vor Ort im Café bereit. (lk)

Programmtips Kulturbahnhof

8.2., 21 h: Guandaline Sagliocco: "The story of the fallen hero": Dramatisch-Komisches Kabarett-Erzähltheater (20,-/15,-)

10.2., 21 h: Engel Wider Willen: Klassik-Crossover-Konzert

(20,-/15.-)

23.2., 22 h: Krombacher MC,Move On: Hardcore-, Crossover-Konzert (14,-/10,-)

24.2., 21 h: Großes Fest "High Moon" (20,-/15,-)

25.2., 20 h: Gruppo di Valtorta: "Dichtheit und Wertung": Groteskes Kabarett (16,-/12,-)

Der ruprecht-Extra-Tip

8.3.: Internationaler Frauentag: Veranstaltungen im ganzen Haus den ganzen Tag.

9. + 10.3., 20 h, Theatersaal: Frauentheater: "Roter Fisch" Tragikomödie von Pam Gems. Inszenierung: Die Gespielinnen

Kartenvorbestellung für alle Veranstaltungen unter: 978914


Brennende Finsternis on stage

Eine Gruppe Jugendlicher plaudert vergnügt. Sie tragen eine Schuluniform - die Männer in Buntfaltenhosen, die Frauen in weißen Blusen und Röcken. In einem sterilen Raum gehen ihre Blicke ins Leere - sie sind blind.
Die Theatergruppe des Psychologischen Instituts zeigte in den vergangenen zwei Wochen das Drama "Brennende Finsternis" von Antonio Buero-Vallejo aus dem Jahr 1946.
Ein beeindruckender Theaterabend, bei dem es um Liebe, Lüge, Realitätsverlust, Individualität und Freiheit - eben um Schein und Sein ging. Überzeugend war das Blindsein der sehenden SchauspielerInnen, was zum Verständnis des schweren Textes beitrug. Als besondere Leistung wird die Regie von Dorette Deike, sowie Carsten Lembachs Darstellung des "Carlos" in Erinnerung bleiben. (asb)


ruprecht on the record

Oscar Peterson: The More I See You

Berühmt wurde Oscar Peterson Anfang der sechziger Jahre mit seinem Trio als Tastenteufel. Was Liszt für die Romantik war, war Peterson für den Blues: Das Ende und der Höhepunkt eines Stils, ein nicht zu bremsendes Genie, das immer noch einen Triller und einen Lauf draufsetzte. Mittlerweile ist der schwergewichtige Kanadier - neben ihm sieht selbst der größte Konzertflügel wie ein Kinderspielzeug aus - über 70 Jahre alt. Nach einem Schlaganfall mußte er sich seine Spielfertigkeit mühsam wiedererarbeiten, was ihm bei seiner linken Hand nicht vollständig gelang.

Im Januar 1995 trommelte er drei seiner Freunde zusammen (Benny Carter, as; Clark Terry, tr, und Ray Brown, b), holte noch einen Schlagzeuger und einen Gitarristen hinzu und nahm in nur zwei Tagen ein Album auf, das aufhorchen läßt. Die älteren Herren hatten hörbar Spaß daran, es noch einmal allen zu beweisen. In den schnellen Stücken ist Peterson verspielt wie eh und je, in den langsamen Balladen klingt jedoch eine bisher kaum gekannte Melancholie durch. Neben ihm brilliert vorallem sein 87jähriger Weggefährte Benny Carter, der seinem Altsaxophon wunderbar klare Töne und zuckersüße Passagen entlockt. Clark Terrys Improvisationen klingen dagegen fast etwas quäkig.

Oscar Peterson ist etwas Außergewöhnliches gelungen: Keine Experimente, nichts Neues, aber ein klassisches Jazzalbum, das unglaublich warm und lebendig klingt. (fw)

DJ Krush: Meiso (Mo Wax)

Der Japaner DJ Krush nimmt uns auf einen strangen Trip in die Welt des japanischen Hip-Hop mit. Wir besuchen verrauchte Jazz-Clubs, aber auch ein Ambientorchester ist beteiligt. Die Menschen, die wir auf unserer Japanreise kennenlernen, sind avantgardistische Künstler der dortigen Hip-Hop-Szene. Sie verachten Techno, aber sie lieben den Jazz, sie sampeln heimische Instrumente ab und setzen sie mit ambientorientierten Menschen in einen Raum. So entsteht "Meiso", zu verstehen als ein konfuses Irren in eine Richtung. Wir werden uns nach unserer Reise an die einzelnen Punkte nicht mehr erinnern, weil es uns sehr schwer fällt, diese zu verbinden, aber wir wollen zurück in dieses wunderbare Land, das Japan heißt. (mk)

Aural Float: Introspectives (Elektrolux)

Chill Out die dritte. Wer hier beim Namen Pascal F.E.O.S. treibende Beats und 303-Lines erwartet, hat sich schwer getäuscht. F.E.O.S. hat sich mit seinen beiden Kumpels Gabriel le Mar und Alex Azary getroffen und ein extralowes Ambientspektakel veranstaltet. Nicht unbedingt die Frankfurter Antwort auf "The Orb", aber dennoch um Längen besser als viele der derzeit erscheinenden Platten diverser Technoproducer, die unbedingt einen Abstecher in den so angesagten Ambientbereich machen wollen. "Introspectives" ist reine Head-Music, unaufdringlich und trotzdem irgendwie überall.

Wenn andere Leute schon längst in ihren tiefsten Träumen liegen und nichst Böses im Sinn haben, sollte man sich diese Platte anhören. (mk)


Impressum

ruprecht, die Heidelberger Student(inn)en Zeitung, erscheint drei Mal im Semester, jeweils Anfang Mai, Juni, und Juli, bzw. November, Dezember und Februar. Die Redaktion versteht ruprecht als unabhängiges Organ, das keiner Gruppierung oder Weltanschauung verpflichtet ist. MitarbeiterInnen und RedakteurIinnen sind willkommen; die Redaktion trifft sich während des Semesters jeden Montag um 20 Uhr im Haus der Fachschaften in der Lauerstr. 1, 3. Stock. Für namentlich gekennzeichnete Artikel übernimmt der/die Autor(in) die Verantwortung.

V.i.S.d.P.: Gundula Zilm,

Schiffgasse 9, 69117 Heidelberg

Redaktionsadresse: ruprecht, Kaiser-strasse 57, 69115 Heidelberg, Tel./Fax 06221/21361, e-mail: ruprecht @urz.uni-heidelberg.de.

Layout-Leitung: hn.

Graphiken: hn, jr.

ruprecht-Logo: bpe.

Druck: Caro-Druck, Frankfurt a.M.

Auflage: 12.000.

Die Redaktion: Jens Peter Blinne (jpb), Matthias Breitinger (mab), Helge Cramer (hpc), Hedwig Ebinger (hee), Bertram Eisenhauer (bpe), Thilo Elsässer (te), Philipp Grätzel v. Grätz (gvg), Jochen Kluve (jk), Harald Nikolaus (hn), Martina Parge (mp), Jannis Radeleff (jr), Anja Steinbuch (asb), Stephan Stuchlik (step), Robert Thielicke (rot), Klaus Werle (kw), Gundula Zilm (gz).

Freie Mitarbeiter(innen): Henning Banthien, Tobias Henschen (th), Lena Kempmann (lk), Matthias Krebs (mk), Marcus Müller (mm), Kirsten-Heike Pistel (khp), Felix Wiesler (fw). Markus Jakovac (mj)

Red.-Schluß für Nr. 41: 29.04.1996.

ISSN: 0947-9570.

Internet: ruprecht, Anzeigenpreise und Leserbriefe unter http://ix.urz.uni-heidelberg.de/~ed6


*Zur ruprecht-Titelseite