Kultur


All women merely players

As you like it am Anglistischen Seminar

Der Turm der Jesuitenkirche ragt steil in den Abendhimmel, über dem Garten des Anglistischen Seminars liegt schon leichte Dämmerung.

Eine energische Stimme durchbricht die Ruhe. Rosalind, stay a man. Das gleiche noch mal von vorn! Wir sind auf einer Probe der Schauspielgruppe des Anglistischen Seminars zu Shakespeares As you like it. Die Stimme gehört Annette Kippenhahn, der Regisseurin, und nun geht sie auf die Bühne und führt Rosalind ihre Vorstellung vom Auftreten einer als Mann verkleideten verliebten Hofdame vor.

Die (fast ausschließlich weibliche) Anglistentruppe spielt diesen Sommer nicht im Romanischen Keller, sondern in der spätbarocken Anlage zwischen dem Romanischen und dem Anglistischen Seminar. Spielt das Wetter nicht mit, wird die Aufführung ins Institutsgebäude verlegt. Eigentlich erstaunlich, daß in dem Garten noch nie zuvor gespielt wurde, denn er eignet sich fabelhaft als Bühne: eine wundervolle Atmosphäre zwischen den Hecken und alten Mauern, zudem gute Akustik.

Die Regie nutzt die Möglichkeiten dieser Umgebung. Anstelle der Galerie der Shakespearebühne werden die Fenster des Anglistischen Seminars als Empore verwendet, und das Carré, in dem gespielt wird, bietet wahrscheinlich noch mehr Aufgänge als das selige Globe.

Aber warum eigentlich Shakespeare? Annette Kippenhahn hat gleich mehrere Antworten auf Lager: seine Zeitlosigkeit, sein wunderschönes Englisch, die Art, wie seine Stücke die Menschen karikieren. Nicht zuletzt sei es aber für Anglisten besonders reizvoll, Shakespeare auf diesem Wege kennenzulernen: sozusagen in seiner natürlichen Umgebung - dem Theater.

So ist das Englisch des elisabethanischen Autors für die Truppe ein weiterer Reiz der Inszenierung: Drei Sprachtrainer arbeiteten in Extraproben am richtigen Sprachgefühl.

Obwohl die Schauspielgruppe schon fast dreißig Jahre existiert, ist die Fluktuation unter den Mitgliedern, übrigens nicht nur Anglisten, sehr stark. Im letzten Wintersemester hatte Annette Kippenhahn, die 1982 als Schauspielerin bei der Truppe anfing und jetzt ihr sechstes Stück inszeniert, nur eine Handvoll Leute in ihrem Workshop. Am Anfang des Sommersemesters waren es dann plötzlich 15-16 Theaterbegeisterte. "Da wollte ich mal einen Shakespeare probieren."

Besonders wichtig ist der Regisseurin, daß Kultur nicht nur ernstgenommen werden, sondern auch Spaß machen soll. Das scheint zu funktionieren: die Stimmung ist trotz der konzentrierten Probenarbeit gelöst, was sich auch auf das Stück auswirkt: Antje Pohsegger als Rosalind und Sita Schanne als Celia merkt man an, daß das Zusammenspiel klappt. (gan)


Durch Lissabons Straßen

Angel Crespos neues Buch über das Leben Fernando Pessoas

Seit ich meiner selbst bewußt bin, bemerkte ich, daß ich eine angeborene Tendenz zur Mystifikation, zur künstlerischen Lüge hatte. Zu alldem füge man hinzu eine große Vorliebe für das Geistige, für das Geheimnisvolle, für das Dunkle, das letztlich nichts anderes war als eine Form und eine Abwandlung meines anderen Charakteristikums, und damit hat man einen für die Intuition vollständigen Eindruck von meiner Persönlichkeit."

So einfach wie es der damals achtzehnjährige Fernando Pessoa 1906 darstellt, ist es nicht, sich ein Bild seiner Persönlichkeit zu machen. Durch seinen Hang zur "Mystifikation, zur künstlerischen Lüge," ist Pessoa selbst zu einer Art Mysterium geworden, sein Leben und Werk zu einem Objekt, das Anlaß zu unendlichen Interpretationen bietet. Die Mehrdeutigkeit des Wortes "Pessoa" im Portugiesischen ist ein in diesem Zusammenhang absurd anmutender Zufall: "Pessoa" kann sowohl "Person" als auch "Maske" bedeuten.

Soeben ist die Übersetzung der neuen Pessoa-Biographie von Angel Crespo erschienen. Crespo, der sich in Spanien als Übersetzer der "Göttlichen Komödie" einen Namen gemacht hat, gilt als einer der besten Kenner Pessoas. In seiner Biographie versucht er, die geistige Entwicklung und Gedankenwelt Pessoas nachzuzeichnen, die sich hinter seinem äußerlich unauffälligen Leben verbirgt. Dazu zieht er zahlreiche Quellen heran: Pessoas literarisches Werk selbst, seine persönlichen Aufzeichnungen, seine Korrespondenzen und die Aussagen von Zeitzeugen. Crespo gelingt es, den Leser in die literarische Szene Lissabons um 1915 einzuführen. Die Tatsache, daß er dabei Pessoas zahlreiche Heteronyme wie selbständig handelnde Personen behandelt, macht den Einstieg nicht unbedingt leichter, ist jedoch, wenn man sich erst zurechtgefunden hat, um so amüsanter.

Wer also war dieser Pessoa, dieser geheimnisvolle Autor, dessen Gedichte als die wichtigsten und schönsten der portugiesischen Moderne gelten, dessen "Buch der Unruhe" zum Kultbuch avancierte? 1888 in Lissabon geboren, besucht Pessoa zunächst die Primary School in Durbon (Südafrika), wo sein Stiefvater Konsul ist. Nachdem er diese in drei statt der üblichen fünf Jahre absolviert hat, erarbeitet er sich an der Durbon High School einen profunden Einblick in die griechische, lateinische und englische Literatur. Mit siebzehn Jahren kehrt er endgültig nach Lissabon zurück, wo er zunächst bei Verwandten wohnt. Er schreibt sich an der philosophischen Fakultät ein, bricht das Studium aber schon bald ab und gründet mit dem Geld aus einer Erbschaft einen kleinen Verlag. Doch sein Unternehmen muß schon bald Konkurs anmelden. Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, beginnt Pessoa nun, für verschiedene Firmen als Handelskorrespondent zu arbeiten, was ihm die Möglichkeit zu extensiver literarischer Aktivität bietet. Ab 1913 trifft er sich immer öfter mit anderen jungen Künstlern seiner Generation, diskutiert viel, und tauscht sich mit ihnen über die aktuellen Einflüsse aus Paris aus. Zwei Jahre später gründet er mit einigen Künstlerfreunden die Zeitschrift Orpheu, die aufgrund ihrer literarischen Kompromißlosigkeit zum Lissabonner Stadtgespräch wird. Da sich die Künstlergruppe nicht über die weitere Konzeption des Orpheu einigen kann und das Projekt zusätzlich in finanzielle Schieflage gerät, muß die Zeitschrift bereits nach zwei Ausgaben wieder eingestellt werden. Pessoa veröffentlicht weiterhin Gedichte und Essays in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften im In- und Ausland. 1920 lernt er in einem Handelshaus, für das er arbeitet, Ophélia Queiroz kennen, eine junge und lebenslustige Frau "aus gutem Hause", mit der ihn eine zunächst glückliche Liebesgeschichte verbinden soll. Es kommt zu einer Verlobung. Doch im Oktober desselben Jahres erwägt Pessoa, sich wegen klinischer Depressionen in eine Nervenheilanstalt einweisen zu lassen, wozu es jedoch nicht kommt. Die Verlobung mit Ophélia wird aufgelöst. Ob ihre Beziehung nur an Pessoas schwierigem Charakter scheiterte oder ob vielmehr Ophélias Eltern Einfluß nahmen, ist nicht mehr endgültig zu klären. Neun Jahre später nehmen die beiden ihren intensiven Briefkontakt noch einmal auf: Pessoa schreibt der einzigen Frau, die in seinem Leben eine Rolle spielte, noch einmal Liebesbriefe.

In den folgenden zehn Jahren setzt er seine literarische Tätigkeit unvermindert fort und veröffentlicht immer wieder Gedichte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Die politischen Unruhen in Portugal können ihn nicht davon abhalten, wie besessen zu arbeiten: sein literarischer Nachlaß umfaßt 27 453 Manuskripte! Bis zu seinem Tod bleibt Pessoa in Lissabon ansässig, arbeitet als Handelskorrespondent und schreibt "für die Truhe", eine riesige Kiste, in der er seine Manuskripte aufzubewahren pflegte. 1935 stirbt Pessoa an einer Leberkolik.

Was Pessoa so außergewöhnlich, so unkategorisierbar macht, ist die Tatsache, daß in seinem Denken und seinem Werk verschiedene Traditionen ungestört nebeneinander existieren. Da er teils jüdische Vorfahren hatte, fühlte er sich den Lehren der Kabbala verbunden; da er katholisch erzogen wurde, löste er sich nie völlig von christlichen Vorstellungen; indem er gegen diese katholische Erziehung aufbegehrte, orientierte er sich an den neuheidnischen Strömungen seiner Zeit. Gegen Ende seines Lebens bezeichnete er sich als "gnostischen Christen", ja die Geistesströmung der Gnosis zieht sich ebenfalls durch sein ganzes Werk. Wie die Gnostiker zog auch er die Welt der Träume der der Wirklichkeit (Arno Schmidt würde sagen : "Würglichkeit") vor. Lesen war eine Art, dies zu tun, obwohl er 1910 bemerkte, "...daß Lesen eine sklavische Art zu träumen ist. Wenn ich träumen muß, warum nicht meine eigenen Träume?" Dennoch las Pessoa viel und Verschiedenstes: zunächst Shakespeare, Byron, Pope, Milton, Edgar Allen Poe, später die französischen Symbolisten, die Futuristen....

Seine Zweisprachigkeit ermöglichte es ihm, sich gleichzeitig im romanischen und englischen Kulturkreis zu bewegen. Erst 1908 begann er, seine Gedichte auf portugiesisch zu schreiben. Seine letzten Worte waren wiederum englisch. So konnte er ungewöhnliche literarische Vergleiche ziehen und einmalige ästhetische Synthesen schaffen.

Liest man seine Aufzeichnungen und Briefe, so tritt ein scheinbarer Widerspruch hervor: das Nebeneinander von mystifizierender Lyrik, esoterischer Geheimbündelei, Astrologie, Initationsriten, politischen Mythisierungen auf der einen Seite und seinen glasklaren, logischen und völlig verständlichen Analysen (und Selbstanalysen) auf der anderen Seite. Es fällt schwer zu glauben, daß so verschiedene Texte aus der Feder desselben Mannes kommen: nie ist man sich wirklich sicher, was Pessoa ernst gemeint hat, und was nur Spielerei für ihn war.

Doch wenn Pessoa schreibt: "Jeder von uns ist zwei, und wenn zwei Personen sich treffen, sich vereinen, ist es selten, daß die vier einverstanden sein können," so scheint er damit anzudeuten, daß auch er selbst sich darüber nicht immer im klaren war. Schon als Sechsjähriger legt sich Pessoa sein erstes Proto-Heteronym zu: 1894, ein Jahr nachdem sein Vater und kurze Zeit nachdem sein kleiner Bruder Jorge starben, erfindet er "Chevalier de Pas". Heteronyme waren für ihn nicht nur eine Möglichkeit, Lyrik zu veröffentlichen, ohne persönlich damit in Verbindung gebracht zu werden. Für ihn stellten sie echte Charaktere dar, deren Gedichte er selbst wieder rezensierte, mit denen er diskutierte, für die er Berufe, Geburts- und Todesdaten, ja, ganze Lebensgeschichten erfand. So schreibt er beispielsweise an Ophélia, er sei für den nächsten Tag mit seinem Freund Álvaroz de Campos (eines seiner beliebtesten Heteronyme) verabredet, und müsse ihn den ganzen Tag begleiten. Er erarbeitete sogar ausführliche Horoskope für seine anderen Persönlichkeiten.

Aber nicht nur für sie versuchte er astrologische Vorhersagen zu machen, auch für die Zeitschrift "Orpheu" oder für seine Heimat Portugal, zu der er eine enge emotionale Bindung hatte und von deren kulturellem Wiederaufstieg er träumte.

Esoterik, Geheimorden und Okkultismus hatten enorme Bedeutung für ihn. Im Lauf der Jahre 1916/1917 übersetzte er zentrale theosophische Werke von Helena Blavatsky und anderen Stars der damaligen europäischen Okkulto-Szene. Als sein Freund Sá-Carneiros in Paris Selbstmord beging, fühlte er sich genau zu diesem Zeitpunkt, ohne vom Tod seines Freundes erfahren zu haben, von einer "von außen kommenden Depression" überwältigt. Er hielt sich für medial begabt und hatte wiederholt Erlebnisse, bei denen er wie fremdgesteuert schrieb und kritzelte, teils Verständliches, teils unverständliche Zahlenfolgen, kabbalistische und okkultistische Symbole. Auf den Straßen Lissabons glaubte er bisweilen, die Gerippe und Astralkörper der Passanten zu sehen.

1930 besuchte Aleister Crowley, der berühmte Gentleman, Dandy und Magier, der Schrecken der europäischen Öffentlichkeit, Pessoa in Lissabon. Die beiden waren in Briefkontakt getreten, als Pessoa ein Horoskop, daß sich Crowley öffentlich in britischen Zeitungen gestellt hatte, als unsauber kritisierte. Crowley, der sich selbst "to mega therion" (das große Biest) nannte, und der als "schwarzer Magier" bekannt war, wurde von Pessoa mit mulmigen Gefühlen erwartet. Durch ausgedehnte Gespräche über Rosenkreuzer und Tempelritter wurden die beiden jedoch zu Freunden. Während eines gemeinsamen Ausflugs "verschwand" Crowley für einige Zeit unter mysteriösen Umständen bei den Atlantikfelsen von "Boca do Inferno". Pessoa wurde von der internationalen Presse, die eine "Dematerialisation" vermutete, zu dem Vorfall befragt und gab an, er habe Crowleys Astralkörper gesehen. Ob es sich dabei um ein abgekartetes Spielchen der beiden zum Zwecke der Publicity handelte, ist unklar.

Crespo deutet in seinem Buch an, daß er seine profunden Kenntnisse über die Rolle der Esoterik für Pessoa zurückstellen mußte, um die Biographie lesbar zu halten - ein zu großes Opfer, wie ich meine. Auch etwas mehr kritische Distanz zu Pessoas Eigenheiten wäre dabei stellenweise von Vorteil gewesen: warum stellt er die Okkultisten um Pessoa nicht in ein kritischeres Licht? Ein Vorwort, in dem Crespo seine Absichten und Methoden hätte vorstellen können, wäre ebenso wünschenswert gewesen wie eine ausführliche Bibliographie. Der Preis von 68,- DM scheint in diesem Licht unangemessen hoch. (fw)

Angel Crespo: Fernando Pessoa, Amman Verlag Zürich, 68,- DM

Preiswerte Ausgaben der wichtigsten Werke Pessoas sind im Fischer Verlag erschienen:

- Esoterische Gedichte/Mensagem/Englische Gedichte
- Dichtungen/Ode
- Poesias
- Das Buch der Unruhe


ruprecht goes to the movies

Filmtips - und vor allem Meinungen

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

From Dusk till Dawn (1)

Zwei Namen, ein Programm: die Erhebung von Müll zu Kult. Dieses Handwerk beherrschen Quentin Tarantino und Robert Rodriguez meisterhaft. Ob die Gemeinschaftsproduktion Kultstatus erreichen wird, darf bezweifelt werden.

Der Film besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Hälften: In der ersten sorgen die Gebrüder Gecko für allerlei Leichen und gute Dialoge. Sie sind nach einem Banküberfall auf der Flucht nach Mexiko, und da der neurotische Richie die letzte Geisel gerade versehentlich vergewaltigt und umgenietet hat, sucht man nach neuen Partnern. Ein vom Glauben abgefallener Priester und seine Kinder verhelfen den Gangstern zum sicheren Trip über die Grenze. Dort steuern sie den Titty-Twister an, eine Biker- und Truckerkneipe. Bis hierher ist der Film gut gemachtes Road- und Gangstermovie. Was folgt, kann man sich sparen. Im Titty-Twister eingeschlossen, müssen sich Gangster und Geiseln bis zum Morgengrauen gegen eine Horde wilder Vampire wehren. Deren Abschlachtung ist bis an die Grenzen des Erträglichen brutal, obszön und blasphemisch. Das stört weniger als die Handlungsleere des zweiten Teils, der nicht mehr als eine Spezialeffektorgie bietet. Da schaut man sich lieber noch mal die 7000 Dollar Rodriguez-Produktion El Mariachi oder Tarantinos Pulp Fiction an.

Mississippi Delta (2)

Endlich mal was wirklich Neues im Kino! Ganz zufällig stürzt ein Flugzeug mit illegalen Einwanderern und einem verdeckten Ermittler an Bord über dem Schiff eines ehemaligen Polizisten ab. Aus dem Wrack rettet er ein Mädchen, das er und seine Frau behalten möchten. Natürlich gibt es Komplikationen, und der alte Cop kann das Schnüffeln nicht lassen. Das führt zur Ermordung seiner Frau. Jetzt will Dave Robicheaux nur noch eines: die Mörder erledigen und den Auftraggeber finden. Natürlich greift er nach langer Abstinenz wieder zur Flasche, und selbstverständlich glorifiziert er seine tote Frau. Klar, daß der schon frühzeitig als Antagonist eingeführte Bubba Rocque eigentlich ein echter Freund und liebenswerter Macho ist, dessen Frau verräterische Alkoholränder auf Tischen produziert. Am Ende entschlummert der Held in den Armen des Kindes, des letzten Schatzes auf Erden.

Ein Film voller verschwitzter Hemden, blutender Nasen, fieser Gangster, dümmlicher Handlanger und einem gutaussehenden Helden. Klar, daß man so etwas nur in Louisiana drehen kann. Klar, daß die Geschichte schon oft erzählt wurde. Klar, daß dank guter Darsteller und guten Bildern auch dieser Film zumindest gut unterhält.

Zwielicht (2)

Promi-Advokat verteidigt aus Publicitygeilheit einen schizophrenen Meßdiener, der einen - natürlich - perversen Bischof, den von Chicago nämlich, getötet haben soll, natürlich auf bestialische Weise - was wäre auch ein Kinoabend ohne Fleischermesser?

Seine Gegenspielerin: Staatsanwältin, Ex-Geliebte, sehr blond, sehr ambitioniert, und läßt sich von niemandem das Rauchen verbieten. Das ist lobenswert und sogar ein bißchen lustig, auch wenn ein Mehr an Souveränität und ein Weniger an blöde-Zicken-Attitüde auch einer Sharon Stone-Parodie nichts geschadet hätten. Dazu kommt noch der obligatorische Dunkelmann mit viel Macht und wenig Skrupeln und eine zugegebenermaßen recht originelle Schlußpointe: Der schizophrene, unschuldige Underdog ist weder schizophren noch unschuldig, sondern ein kleines, brillantes Arschloch, der einfach alle an der Nase herumgeführt hat.

Richard Gere soll einen eiskalten, arroganten und sehr amerikanischen Staranwalt spielen, der eigentlich ein guter Kerl ist. Er spielt einen eiskalten, arroganten und sehr amerikanischen Schauspieler, der eigentlich ein guter Kerl ist und so tut, als wäre er Anwalt - aber das macht nichts, er lächelt halt so charmant.

Laura Linney als Staatsanwältin wäre selbst für Liebling Kreuzberg keine wirklich ernstzunehmende Gegnerin, Gere entlockt ihr zu Recht nur ein müdes Lächeln. Bleibt noch Edward Norton, der sich mit angenehm dezent vorgebrachter Schauspielkunst den Titel 'Psycho des Monats' und sicher auch ein paar zukünftige Hauptrollen redlich verdient hat.

Wegen ihm und ein paar wunderschönen Kameraeinstellungen kann man durchaus über einen Haufen Klischees und die harmloseste Pennerhorde der Filmgeschichte hinweg- und eine Weile im neu renovierten und unglaublich roten Lux auf die Leinwand sehen. Nur gut, daß die vielen ungelösten Fragen, die der Film hinterläßt, aus Gründen der Belanglosigkeit ohnehin niemand stellt.

P.S.: Sonderpreis für die höchste Computer-, Laptop- und Handykonzentration aller Zeiten. Schöne neue Welt!

Total Eclipse (3)

Die Dichter Rimbaud und Verlaine begegnen sich 1871 in Paris. Außer ihrer Liebe zur Dichtung haben die beiden nichts gemein: der sechzehnjährige Rimbaud voll Idealismus und Übermut, Verlaine dagegen ein schwacher Charakter, aber reifer. Sie werden Partner am Schreibtisch und im Bett. Verlaine entfremdet sich zunehmend der bürgerlichen Existenz. Schließlich verläßt er Frau und Kind und geht mit Rimbaud ins Ausland. Einige Jahre später haben Absinth und Alter sie so verändert, daß nur noch die Trennung bleibt.

Noch mehr als durch die homoerotische Erzählung ist die Handlung von den gegensätzlichen Charakteren geprägt: Leonardo DiCaprio setzt den genialen Adonis hervorragend um. David Thewlis stellt die Gefühlsschwankungen des ewigen Trinkers Verlaine glaubhaft dar.

Schauderhaft ist die deutsche Synchronfassung, vor allem die Stimme des alten Verlaine will gar nicht zu seiner Säuferexistenz und den Lippenbewegungen passen.

Die Regisseurin Agnieszka Holland verdient ein Lob: so einfühlsam sie mit ihrem Film die Menschen Rimbaud und Verlaine darstellt, so spannend unterhält der ganze Film.

Werner - das muß kesseln! (3)

Der Fehler an Heidelberg ist, daß einem doch hier tatsächlich im Marstallcafé noch Leute begegnen, die fragen "Werner? Was´n das?!" Obwohl Werner II also kein Ereignis der cinematesken Top League in Süddeutschland zu sein scheint, hat Brösels zweites Baby doch bereits Kultcharakter, sofern man unter "Kult" eine Legion ploppender Bölkstofflaschen während des Vorspanns versteht.

Aber auch abgesehen vom "Plopp!" kann der neue Werner durchaus seinem Vorgänger das Wasser, pardon: den Bölkstoff, reichen. Die Themen sind traditionell gewählt (Saufen und Rasen), und auch die drumrumgestrickte Story ist ordentlich: Reicher Schnösel wettet mit Werner und seinem Bruder Andi, wer das schnellste Gefährt hat. Mit Hilfe eines Weltkriegsflugzeuges und eines Spezial "Hüper-Metül"-Gemixes, vom alten Kumpel Röhrig beim Schnapsbrennen entdeckt, bauen die "Wernersens" ein Gefährt, das so richtig abkesselt und sogar Raum und Zeit zum Narren hält.

Mit von der Party natürlich dumme Landbullen, blöde Neureiche und die obligatorischen nordelbischen Hell´s Angels-Kopien. Dazu kesselt "Torfrock" knackig-erdigen Gitarrenrock. Schade nur, daß Kultfigur Meister Röhrig so wenig zu sagen hat..

"Ich werfe nie Post weg. Lohnt sich nicht. - Man läßt sie einfach liegen. Es kommt etwas dazu, das bleibt auch liegen. Es sammelt sich etwas an, es wird ein kleiner Haufen, es wird ein größerer Haufen. Und dann rutscht er mal vom Tisch. Man tritt ein paar Mal drauf beim Hin- und Hergehen. Dann schiebt mal jemand das Papier beiseite, es wird etwas draufgestellt . . . allmählich ist es eben weg."


Ein schwerer Mann

Herr Paul im Zimmertheater

Ein Bonbon für Freunde des Open-Air-Theaters: Die Premiere von As you like it wird am 13. Juli sein, dann kann man bis zum 21. jeden Abend das Stück sehen.

Herr Paul (Wolf Dieter Tropf) lebt mit seiner Schwester Luise (Renate Bopp) in einem kleinen schmutzigen Zimmer im dritten Stock einer alten Seifenfabrik. Das soll sich ändern, zumindest wenn es nach Helm (Phillip Kramer), einem dynamischen BWL-Studenten geht, der das Fabrikgebäude von seiner Großtante geerbt hat und dort nun eine Großwäscherei eröffnen will. Und er hat es eilig, der zukunftsgläubige Jungunternehmer mit den vielen Ideen, denn sein Geldgeber Schwarzbeck (Alexander Saas) droht sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Und so bedrängt Helm den stoisch gelassenen Herrn Paul, der sich aber viel lieber mit Helms Freundin Lilo (Friederike von Imhoff) über Indonesien unterhält oder mit dem behinderten Nachbarskind Anita (Jasmine Bazoukis) spielt, die er für ihr Lebensgefühl und ihre Freude an den kleinen Dingen bewundert.

Wer jetzt denkt, es handle sich um ein typisches "Böser Unternehmer jagt netten alten Menschen aus Profitgier aus der Wohnung"-Stück, der hat sich gründlich getäuscht und wahrscheinlich noch nie etwas von Tankred Dorst gelesen. Damit hat Herr Paul ungefähr soviel zu tun wie Sandstrand mit Schleswig-Holsteinischem Wattenmeer, nämlich (fast) gar nichts. Helm will den beiden alten Menschen nichts Böses, er will sie aus den dreckigen Fabrikräumen in eine schöne Wohnung im Vorderhaus "umsiedeln" und glaubt nicht, daß jemand ein solches Angebot abschlagen kann. Aber Herr Paul kann!

Es geht in diesem Drama um ein Duell zweier unterschiedlicher Lebensphilosophien, in dem sich beharrliche Gelassenheit und verzweifelte Aktivität gegenüberstehen, und schon nach kurzer Zeit scheint Herr Paul mit seiner Anschauung von Glück, Zufriedenheit und Leben den Sieg davonzutragen: Lilo tanzt auf dem Tisch, Herr Paul und die vor Vergnügen jauchzende Anita laufen um den Tisch und werfen Kissenfedern in die Luft. Gerade scheint auch Helm sich an dem fröhlichen Chaos beteiligen zu wollen, als Schwarzbeck eintritt und Helm auf den Boden seiner Realität zurückholt. Helm drängt Herrn Paul zu gehen - und der geht! Allerdings nur in das Treppenhaus, während sich die anderen Sorgen um ihn machen. Als er wiederkommt, unterschreibt er das von Helm aufgesetzte Schriftstück - um es Minuten später genüßlich zu verspeisen. Dies bringt Helm endgültig um seinen Verstand...

Wer Philosophie und hohen Anspruch scheut, sollte sich aber dennoch nicht davon abhalten lassen, sich dieses Stück unter der Regie von Ute Richter im Heidelberger Zimmertheater anzuschauen. Die Darsteller (besonders überzeugend: Jasmine Bazoukis als Anita) zeigen so viel Freude am Schauspiel, daß man sich das Theaterstück auch "einfach nur so zum Amüsieren" ansehen kann, ohne allen philosophischen Andeutungen und Parallelen folgen zu müssen. Und wer einwendet, daß man Tankred Dorst damit Unrecht tue, dem sei gesagt: Herr Paul hätte daran überhaupt nichts auszusetzen!

Wer allerdings die Überschrift verstehen will, der muß sich mit dem Stück wohl etwas eingehender beschäftigen... (hpc)

Karten und Informationen: Zimmertheater, Hauptstraße 118, Telefon 21069.


Der Duft des Kinos

Open Air im Sommer, Festival im Herbst

Wie gewohnt hat das Heidelberger Open-Air-Kino mit schlechtem Wetter begonnen. Und das, obwohl für diese dritte Saison der Veranstaltung der Beginn um eine Woche verschoben worden ist. Leider gestrichen wurden die Auftritte von Bands im Vorprogramm, finanzielle Unwägbarkeiten und technische Schwierigkeiten bedingen diesen Verlust.

Mit den Finanzen hat auch die Filmauswahl etwas zu tun. Zwar betont das Gloria-Kino, man habe bei der Auswahl auf die Wirkung der großen Leinwand geachtet, daher sei ein Film wie Big Blue unverzichtbar. Ansonsten aber finden sich fast ausnahmslos die großen deutschen und vor allem amerikanischen Kassenschlager des letzten Jahres im Programm. Wer sich für diese erwärmen kann, wird sich bei erweiterter Gastronomie und Stühlen - statt wie bisher Bierbänken - der gemütlichen Atmosphäre vor der PH erfreuen können. Die Schar der ganz Neurigen wird am 8.8. in der Sneak-Preview befriedigt. Wer schon lange nichts mehr zu lachen hatte, darf die Doppelnacht am 17.8. mit beiden Teilen von Wallace & Gromit auf keinen Fall verpassen.

Schon jetzt freuen dürfen sich die Freunde der weniger populären Filme: Vom 11.-19. Oktober findet das 45. Filmfestival Heidelberg-Mannheim statt. Dieses Festival ist den unbekannten Filmemachern aus aller Welt verpflichtet. Gezeigt werden Filme aus drei Kategorien: Spielfilme, Dokumentar- und Kurzfilme; die Gewinner der Kategorie erhalten ein Preisgeld von bis zu 30.000 DM. Darüber hinaus wird ab diesem Jahr auch eine Verleihförderung eingeführt, damit die Filme auch eine Chance haben, ins Kino zu kommen. Übrigens sind nicht alle ehemaligen Teilnehmer unbekannt geblieben: Für Kaurismäki, Wenders, Kiészlowski, Jarmusch und zuletzt Bryan Singer war dieses Festival ein wichtiger Schritt zum Erfolg. (papa)


Comic-News:

ganz wichtige

1. Aus für Beavis & Butthead, und zwar, weil die Auflage in den USA dermaßen runterging, daß Marvel die Serie einstellen mußte. Die deutsche Lizenz-Ausgabe setzte inzwischen sogar mehr Hefte.

2. Dafür erscheinen ab Herbst bei Dino die Simpsons parallel zur Zeichentrickserie bei Pro7.

3.Vermutlich das Ende für Die Sturmtruppen bei Condor: Der Zeichner Bonvi starb 54jährig tragisch bei einem Auto-Unfall.

4. Der neue Asterix-Band 30 erscheint nach dreijähriger Wartezeit voraussichtlich am 10.10.96 bei Ehapa.

5. Beim Newcomer Crusade erscheint als dritte Serie von William Tucci Atomic Angels.

6. Am 7.9. gibt es eine neue Comic-Börse in der Jakobus Pfarrei, Domstiftstr., Mannheim. (mj/jr)


Kult oder Kommerz?

Otomos Akira ist vollendet

Anfang April 1991erschien zum ersten Mal ein japanischer Comic, ein sogenannter Manga, auf dem deutschen Markt und löste einen unerwarteten Boom in der Comicbranche aus. Akira, das dritte größere Werk Katsuhiro Otomos, liegt nun mit all seinen 2000 Seiten komplett bei Carlsen vor. Zwar war der Termin für die komplette Übersetzung des Opus schon 1994 überschritten und Band 20 ist nun mit einer über zweijährigen Verspätung auf dem Markt; dennoch hat sich das Warten gelohnt. Akira ist der Comic der neunziger Jahre, seitdem selbst Moebius, der Comicpapst in Europa, sich lobend über Akira aussprach und sogar die New York Times es "ein Meisterwerk der Science-Fiction-Comics" nannte. Aber worum dreht sich die ganze Aufregung eigentlich? Akira ist der dritte Science-Fiction vom japanischen Comiczeichner Otomo, dem internationalen Newcomer des Jahrzehnts. Nach Fireball (Der Feuerball bei Carlsen), in dem sich Otomo 1979 zum ersten Mal mit dem Konflikt zwischen Menschlichkeit und Technologie beschäftigt, erregte vor allem Domu (Das Selbstmordparadies bei Splitter) internationales Aufsehen und erhielt 1983 als erster Comic den "Großen Science-Fiction-Preis", der eigentlich nur Romanen vorbehalten ist und stand mit 500.000 verkauften Exemplaren an der ersten Stelle der Bestsellerliste. Domu beschrieb eindrucksvoll das Leben in einer anonymen Betonsiedlung, in der zwei Menschen mit übersinnlichen Kräften aufeinandertreffen: der Greis Chô-San, der seine Kräfte benutzt, um Menschen in den Selbstmord zu treiben, und die kleine Etsuko, die sich gegen ihn stellt.

Seit 1982 erschien Akira, wie in Japan üblich, zuerst als Serie im Young Magazin, dessen Auflage dann auch auf eine Millionen stieg, und das später dank des unglaublichen Erfolges auch in Buchform erschien. Besonders ist dabei aber keineswegs der für europäische Verhältnisse gigantische Umfang von über 2000 Seiten: Mangas von mehreren tausend Seiten sind in Japan, wo die Neunte Kunst so allgegenwärtig ist wie Sushi, keine Ausnahme. Der Erfolg von Akira liegt eher in Otomos Fertigkeiten: selten wurde ein Comic so rasant gezeichnet. Aber auch die Hintergründe und sämtlichen technischen Geräte unterliegen einer ungewohnten Detailtreue.

Vor allem ist jedoch die Story für den unglaublichen internationalen Erfolg verantwortlich. Otomo rechnet ab mit Korruption und Bestechung in der Politik, mit sozialer Ungerechtigkeit, und besonders beschreibt er die Ängste der Menschen vor überlegener Technologie, die sie nicht verstehen. Otomo vereint diese Punkte im Neo-Tokyo des Jahres 2030. Eine Gruppe von jugendlichen Motorradfreaks gerät durch Zufall in einen Strudel aus Gewalt zwischen Terroristen und einer totalitären Regierung. Einziges Bindeglied ist der Name Akira, der Name eines Jungen, an dem 33 Jahre vorher Menschenversuche unglaublichen Ausmaßes durchgeführt wurden. Und mit der Rückkehr Akiras aus den geheimen Labors des Militärs gelangen Chaos und Anarchie zurück nach Neo-Tokyo. Im abschließenden 19. Band von Carlsen, weit nach dem Klimax der Geschichte, schließt sich der Ring: Akira ist erneut vom Erdboden verschwunden, sein Name bleibt eine Legende. Carlsen veröffentlichte darauf einen zwanzigsten Band, der Skizzen Otomos enthält und vor allem die Cover der 120 Kapitel der japanischen Ausgabe. Leider hat Carlsen dabei die Chance versäumt, ebenfalls die Werke anderer Künstler, vor allem amerikanischer aber auch von Moebius selber, die in der letzten Ausgabe der amerikanischen Version von Marvel veröffentlicht worden waren, einzubinden. Besondere Beachtung verdient dabei auch Steve Oliff, der die schwarz-weißen Tuschezeichnungen Otomos in farbenprächtige Kunstwerke umwandelte.

Otomos Höhepunkt dürfte mit Akira auch keineswegs erreicht sein, gegenwärtig erzeugt er für den Zeichner Takumi Nagayasu die Geschichte für The Legend of Mother Sarah, einen Science-Fiction in einer postapokalyptischen Welt. Danach will Otomo wieder selber zeichnen, nämlich für Alexandro Jodorowsky, dessen John Difool mit Moebius als Zeichner unvergessen bleibt.

Bis dahin jedoch wird es für Liebhaber von Mangas in Deutschland noch viel zu lesen geben. Carlsen und Ehapa haben Lizenzen im großen Stil gekauft und werfen alles auf dem Markt, was irgendwie ein Hit werden könnte, jedoch mit katastrophalen Werken darunter, deren einziges Merkmal ihre epische Breite ist. Auch hat man sich nicht dazu durchgerungen, die Mangas nachkolorieren zu lassen, sondern übernimmt die amerikanischen Ausgaben und spart sich so das umständliche Retuschieren japanischer Lautmalereien aus den Bildern und auch das Umsetzen, da in Japan von rechts nach links gelesen wird. Es sieht also ganz so aus, als wollten Ehapa und Carlsen, jetzt wo der Käufer noch willig ist, ihn mit Werken bombardieren und so leicht Geld verdienen. Den Werken Masamune Shiros, Appelseed oder Ghost in the Shell (bei Ehapa) kommt diese Politik nicht zugute, stehen sie doch künstlerisch weit darüber. Man kann nur hoffen, daß sich die Verlage auf ihre Qualitätskriterien besinnen und nur das publizieren, was auch europäischen Ansprüchen genügt. (jr)


Comic-Tips

Ihr braucht sie

Rantanplan

Die Genies

Der nunmehr siebte Band von Morris und Bob de Groot über den dämlichen Hund aus Lucky Luke ist bei Ehapa sowohl als Softcover-Album zu 7,50 DM als auch als Hardcover-Ausgabe zu 14,90 DM erschienen. Diesmal geben die Daltons ihr Debut ab, aber auch Lucky Luke absolviert einen Gastauftritt.

Doch zur Story: Die Forscher Dr. Frank und Dr. Stein kidnappen Averell Dalton und Rantanplan, die beiden dümmsten Lebewesen des Ehapa-Kosmos, um an ihnen ihre neueste Erfindung auszuprobieren, nämlich Intelligenzpillen. Das klappt mit der Zeit und inzwischen gesellen sich die drei anderen Daltons dazu. Es kommt zur Machtprobe zwischen Fiesling Joe und seinem Bruder Averell: Joe kriegt den Po versohlt, und Averell will sein entdecktes Genie in "den Dienst des Gottes Mammon stellen" und Banken überfallen, wobei er von Rantanplan im Glauben, es seien Streiche, unterstützt wird. Ihnen gesellt sich Dr. Frank dazu. Als es zum Streit mit Dr. Stein kommt, bemerkt Rantanplan, das Averell sich vom Charakter her nicht geändert hat und nach wie vor ein Gangster ist. In dieser Situation wird Rantanplan zum Helden und macht die Daltons mit Hilfe Dr. Steins dingfest.

Wie am Ende wieder alles rückgängig gemacht wird und die Geschichte ihr gutes Ende nimmt, könnt ihr in Nr. 7 nachlesen. (mj)

Clever & Smart-Olympia-Comic-Sonderband 1996

Pünktlich zur Olympiade in Atlanta gibt der Condor-Verlag nach 4 Jahren wieder einen Sonderband mit dem Titel Das Chaos ist groß - Atlanta ist los heraus. Eigentlich müßte es "Ophelia ist los" heißen, denn die schwergewichtige Sekretärin von Mr. L bekommt von Fred und Jeff diesmal einige Mittelchen, die dem Genie des Hauserfinders Dr. Bakterius zu verdanken sind, nicht ganz freiwillig überreicht. Durch die Mittel für "Höher, Schneller und Weiter" soll sie bei den Wettkämpfen teilnehmen, um fanatische Moslems davon abzuhalten, die Spiele zu sabotieren, da Frauen unverschleiert an den Wettkämpfen teilnehmen. Dabei erhält sie Unterstützung von Clever und Smart. Das Unglaubliche tritt ein: Sie erledigt einen Terroristen nach dem anderen, auch wenn ihr die jeweilige Tat nicht ganz bewußt ist. Allerdings haben die Konsequenzen die losende Olympiamannschaft und der arme Bill Clinton zu spüren (im wahrsten Sinne des Wortes). Am Ende kriegt wie immer Bakterius die Hucke voll. Allerdings nicht von Fred und Jeff. Von wem dann? Selber lesen! (mj)


ruprecht on the record

Musiktips

X-Mix 6: The Electronic Storm

Das Berliner Label Studio K7! bucht einen DJ, diesmal ist es Mr. C von Shamen, und läßt sich zum Mix derselben von angesagten Videokünstlern einen Animationsfilm zurechtschneiden. Das Ganze nennt sich dann: X-Mix. Jetzt liegt bereits die sechste Ausgabe der Reihe vor, sie kommt an den genialen X-Mix 5 von DJ Hell zwar bei weitem nicht heran, ist aber streckenweise ganz nett. Als kleines Schmankerl können die X-Mix-Freunde jetzt noch ihren Szenebackground testen, denn der CD liegt eine Art Trivial Pursuit in Technoform bei. (mk)

Various Artists: Dream Injection Vol 1 & 2,Tantrance Vol. 2

Zwei stilistisch und von ihrer Trackauswahl gesehen sehr überzeugende Doppel-CD-Compilations gibt es aus dem Hause Subterranean. Beide Sampler sind mit Namen wie Phex Twin, Autechre, FSOC und anderen Größen der durchdachten Elektronik gespickt, doch trügt hier (wie sonst oft bei ähnlichen Produkten) nicht der Schein. Über vier CDs hinweg taucht der Hörer ein in einen tiefen Raum aus Klang. Vom reinen Ambiente bis hin zu harter elektronischer Kost gibt es alles auf Dream Injection, was der etwas anspruchsvollere Technomensch zum Leben braucht.

Ein weiterer Doppel-CD-Sampler von Subterranean liegt mit Tantrance vor, wobei es sich hier bereits um den zweiten Teil einer Serie handelt auf dem die Vertreter heftiger Trance-Sounds vereint sind. Hallo Goa, es grüßen Juno Reactor, Koxbox, Astralasia und andere. Asien ist ganz nah, wenn Du diese CD hörst, und wer noch nicht dort war, sollte sich der Tantrance hingeben, die Ersatzwirkung ist erstaunlich. (mk)

Ellis & Branford Marsalis: Once loved

Was kommt raus, wenn sich zwei Generationen des Marsalis-Clans, der alte Pianist Ellis und der junge Saxophonist Branford, im Studio begegnen? Ein unterhaltsames Album, das einfach Spaß macht.

Die beiden Jazz-Ikonen knöpfen sich klassische Gershwin- und Porter-Standards vor, drehen sie ein bißchen durch die Mühle und spielen ganz locker über die altbekannten changes. Ja, was da im Studio geschieht, ist Spiel im wahrsten Sinne des Wortes: Entspannt probieren die beiden aus, was man aus den alten Songs rausholen kann, ohne sich in technische Kraftanstrengungen zu verlieren. (fw)

Stevie Wonder: Natural Wonder

Seine Musik ist etwas in die Jahre gekommen. Er auch. Macht aber nichts, denn diese Doppel-CD ist von der ersten bis zur letzten Minute Live-Musik vom feinsten. Soul, Funk, Rhythm & Blues mit glänzenden Harmonien, quirlig gesungen und von einer gut abgestimmten Band gespielt. Daß dieses Album groovt, ist neben Wonders Piano nicht zuletzt den Bläsern und der dezent im Hintergrund gehaltenen Percussion zu verdanken. Ein großer Teil der Songs stammt von dem mit Preisen überschütteten Album Songs in the Key of Life, Glanznummern sind "Sir Duke", "I Wish" und "Village Ghetto Land". Natürlich fehlt auch das zuletzt von Coolio gecoverte "Pastime's Paradise" und "If it's Magic" nicht. Dieses Album kann allerdings nicht verheimlichen, daß Wonder als Komponist die besten Zeiten hinter sich hat: Von seinem letzten Studioalbum sind lediglich zwei Nummern enthalten. (papa)

Svjatoslav Richter: The Essential Richter

Zum achtzigsten Geburtstag des weltberühmten Pianisten hatte Philips 1995 eine 21 CDs umfassende Sammlung von Richtereinspielungen veröffentlicht, die dem Meister selbst am gelungensten erschienen. Da diese in Preis und Umfang monströse Ausgabe offenbar nicht in erhofftem Maße gekauft wurde, folgte nun eine auf fünf CDs abgespeckte Version unter dem Namen The Essential Richter. Von den albernen Titeln der einzelnen CDs ("The Poet", "The Mystic", ...) sollte man sich hier nicht abschrecken lassen: Den Editoren ist eine äußerst glückliche Auswahl gelungen, die einen Eindruck von Richters großem Schaffen vermittelt. Die Sammlung beinhaltet ebenfalls die Aufnahmen des legendären Sofia-Recitals von 1958, die schon zu Beginn der achtziger Jahre Kultstatus erreichten.

Während seiner Studienzeit am Moskauer Konservatorium (1937-44) erarbeitete er sich die für die russische Schule typische Verbindung von Kunst und Können. Sein großer Lehrer Heinrich Neuhaus, ein Godowsky-Schüler, blieb sein Leben lang ein prägendes Vorbild. Die Aufnahmen dieser Sammlung machen deutlich, warum Richter neben Gieseking, Rubinstein, Gould und Barenboim zu jenen Pianisten gezählt wird, von denen es in einem Jahrhundert nur eine Handvoll gibt. Richter macht den Flügel zum Orchester, und das mit solchem Sinn für Proportionen und Maß, daß man den Tontechnikern dafür dankbar ist, daß sie es ermöglichen, nachträglich dabeizusein. (fw)

Vinnie Colaiuta: Vinnie Colaiuta

Colaiuta hat für unzählige Künstler aus fast allen Musiksparten die Stöcke geschwungen, für Frank Zappa ebenso wie für Herbie Hancock. Dementsprechend klangvoll ist die Liste der Mitspieler, darunter z.B. Chick Corea, Herbie Hancock und John Patitucci. Übermächtig aber ist der Einfluß der Band, mit der er zur Zeit live zu sehen ist: Sting & Co.

So gemischt wie die Besetzung sind die Kompositionen: die Spanne ist irrwitzig, läßt kaum etwas aus. Colaiuta versteht es, von Hard-Rock über Blues bis hin zu Fusion Jazz die jeweilige Stilrichtung mit Schlagzeug und Percussion so zu interpretieren, daß man keinen der Stile mögen muß, um diese Platte gespannt zu genießen. Er erliegt nicht der Gefahr, in einer Schlagzeugorgie auszuschweifen, komponiert für Piano und Trompete gleichermaßen einfallsreich.

Der Wechsel von Stück zu Stück ist enorm, manchmal anstrengend. Colaiuta wird dabei nicht müde, den Zuhörer an der Nase herumzuführen, so z.B. bei der Metamorphose von Techno-Beat zu Samba-Groove. Bei der letzten Nummer handelt es sich schließlich nur noch um die Demonstration, daß jede Komposition in jeden Stil überführbar ist. Diese Platte ist ausgefallen, sie hat Witz, Charme und ist für jeden ein Muß, der sich um Konventionen in der Musik nicht kümmert. (papa)


Ubu für alle

Der Killerclown ist wieder da

"Merdre!" - Mit diesem Ausruf hebt Alfred Jarrys "König Ubu" an zum lustigsten und natürlich grauenhaftesten, also zum groteskesten Drama seit seiner Entstehung Anno 1896.

Das zusätzliche "r" ist kein Druckfehler sondern macht die gewöhnliche "merde" "expressiver, ja bedrohlicher", wie der Übersetzer Ulrich Boissier schreibt. Der Sprecher dieses Wortes, Vater Ubu, ist der perfekte Egoist und Feigling. Er läßt sich von Mutter Ubu zu Verschwörung und Königsmord anstacheln, wird "Ubu Roi", führt als sein eigener "Phynanzmeister" ein blutvolles Terrorregime, wird selbst gestürzt und flieht.

So plötzlich Ubu beim ersten Anzeichen einer Gefahr in lautes Jammern ausbricht, so selbstverständlich legt er seine habgierigen und sadistischen Motive offen. Grausamkeit und selbstbezogene Naivität mischen sich in seiner Rede zu einer Art von kurzsichtiger Perfidie, die diese Figur zum Archetypus des Killerclowns macht.

Seine provokative Note erhält das Stück dadurch, daß Ubu mit seiner Hit-and-Run-Moral am Ende grundsätzlich mit heiler Haut davonkommt. "Merdre" - das sagt zwar noch nicht alles, aber es sagt das Wesentliche. Es spiegelt die Primitivität des ubuschen Charakters, und es verweist mit großer Assoziationskraft in die Sphäre des Leiblich-Sinnlich-Materiellen. Boissier übersetzt es mit "Schoiße", was die Betonung vielleicht eher aufs Komische als aufs Bedrohliche legt. Und komisch ist das Stück von vorne bis hinten. Seien Sie versichert: Der Rezensent wälzte sich am Boden und grölte vor Lachen, als er den ersten Akt las! "Mutter Ubu, Ihr beleidigt mich, und Ihr kommt gleich in die Suppe!", sagt Vater Ubu. Zum Essen gibt es "Eisbombe, Wellfleisch, Erdbirnen und Blumenkohl in Schoiße". "Bah, Ihr stinkt ja, Vater Ubu. Wascht Ihr Euch denn gar nicht?", fragt Hauptmann Bordure, als sie den Putsch vorbereiten. "Alsdann, Bordure, du übernimmst es, den König durchzusäbeln", wird ihm befohlen. Ubu überreicht dem König, bevor er ihn ermordet, "diese kleine Trillerpfeife als Geschenk". "So, jetzt kann ich endlich abhaun", sagt er und stürzt dabei: "Ich krepier bestimmt gleich". Später werden alle Adeligen, Finanzräte und Richter massakriert: "Die Todeskandidaten werfe ich hier durch die Falltür. Sie landen unten in der Schweinezange und kommen dann in die Groschenkammer; dort schließlich werden sie enthirnt".

Jarry hat viel Wert darauf gelegt, sein Stück im Allgemeingültigen anzusiedeln, was den bizarren Effekt noch steigert: Es spielt "in Polen, das heißt Nirgendwo"; die Hauptfigur trägt eine Maske, und die Kostüme haben "so wenig Lokalkolorit wie möglich". In diese Richtung zielt auch die sprachliche Stilisierung mit ihren Verfremdungen und Running Gags. Die Frage, inwieweit Jarry als ein Begründer des modernen französischen Theaters zu gelten hat, überlassen wir den Experten. Fest steht aber, daß er mit seiner Shakespeare-Satire ein bedeutendes Stück dramatischer Vergangenheitsbewältigung geleistet hat. Übrigens schöpfte bereits die allererste Fassung des "Ubu" ihren Scherz zum guten Teil ex negativo: als Schülerpersiflage auf einen Physik-Professor.

"Ubu Roi" gehört, so viel ist sicher, zusammen mit "Karlsson vom Dach" und Bukowskis "Post Office" zu den zentralen literatischen Bezugspunkten des Rezensenten. Der Text ist jetzt in einer allerpreiswertesten Ausgabe erschienen: Machen auch Sie ihn sich ohne Verzug zugänglich und zum ständigen Begleiter! (jpb)

Alfred Jarry: "König Ubu". Übers., hg. und mit einem Nachwort von Ulrich Boissier. Stuttgart: Reclam '96, DM 4.-

Heimrad Prem heißt der Ölbildner und Objektkünstler, den der Heidelberger Kunstverein im Rahmen seiner diesjährigen Sommerausstellung mit einer Retrospektive würdigt. Prem, der zeit seines künstlerischen Schaffens unter den als repressiv empfundenen Verhältnissen in Politik und Kirche seiner Bayerischen Heimat gelitten und 1978 Selbstmord begangen hat, war Mitbegründer der Gruppe SPUR und ließ sich vom Informel, der Primitiven Kunst, von Paul Klee und schließlich der Pop Art beeinflussen.

Die Ausstellung geht bis zum 8.9.'96. Kunstverein Heidelberg: 18 40 86.


Kalauer vermieden

Das Debüt des Lyrikers Andreas Holschuh

Lyrik ist im Grunde immer das gleiche: Es gibt ein Ich, die Welt, und dann noch die Sprache. Früher konnte sich der Dichter noch ein unkritisch-nachahmendes Verhältnis zur Wirklichkeit leisten.

Spätestens seit Beginn des Jahrhunderts aber ist es vorbei mit der Ungebrochenheit, und Risse, Sprünge, gar Abgründe tun sich auf. Überhaupt eine Beziehung zur Welt zu haben und sie mit sprachlichen Mitteln zu gestalten ist jedoch nach wie vor die Gegebenheit der Dichtung.

Der Lyriker Andreas Holschuh, geboren 1957, der dieser Tage mit dem Gedichtband "Unterderhand" sein lyrisches Debüt veröffentlicht hat, ist sich vollkommen im klaren über die Relativität seines Unterfangens. Seine Antwort: Gelassenheit. Er schert sich nicht im geringsten um das, was vor ihm und neben ihm existiert und macht Gedichte, die ganz aus ihm selbst kommen. Wohl nimmt er die Positionen anderer Vertreter seines Fachs wahr und läßt sie in seine Arbeit einfließen; das belegt schon das Koordinatensystem von poetisch-poetologischen Zitaten, in das Holschuh seine Gedichte stellt. Aber diese Beeinflussung ist nur oberflächlich; zu souverän und selbstverständlich exponiert er dem Leser die Bewußtseinsinhalte seiner Ichs. Es ist bemerkenswert, wie unpsychologisch diese Gedichte sind. "Unterderhand" inszeniert keine Selbstentfremdung, keine Selbstentzweiungen, keine Zwiespälte etwa zwischen Verstand und Gefühl; immer ist es ein intaktes, wenn auch nicht unbedingt glückliches Ich, das sich den Erfahrungen der Welt ausgesetzt sieht.

Diese Welt nimmt der Autor immerhin so ernst, daß er das subjektive Ego nicht fortwährend in den Vordergrund spielt. Das bewahrt ihn vor platter Ironie, vor unbändigem Weltschmerz und vor affektiertem Metapherngetöse: Wenn er über die Liebe schreibt oder über das Schreiben selbst, wird stets die Eigentlichkeit des Problems spürbar, ohne daß er jedoch in die hohle Dramatik des Existentiellen verfiele.

Ein anderes wiederkehrendes Thema von Holschuhs Lyrik ist die als unwirtlich empfundene Stadt als Symbol für die moderne Lebenswelt schlechthin. Anstatt sie in expressionistischer Manier zu dämonisieren, bedient er sich eher diagnostischer Termini ("panikschübe in den straßen") oder wählt den Modus der einfachen Beschreibung:

hektik unter einem gelben
ampellicht


das weiterkämpfen im beton [...]
links und rechts befestigte
trümmer

jemand schnappt nach luft
ein schnelles rascheln neonfeuer
anrufe hustengeräusche [...]
die verschwundene häuserzeile
als wäre krieg gewesen.

Holschuhs Schreiben ist kein heroisches "Trotzdem". Er stellt sich der Wirklichkeit, so wie er sie empfindet, bejaht sie schreibend und wendet sich den Problemen zu, die er sieht. Zwar ist seine affirmative Grundhaltung ihrem Wesen nach zögerlich: in auffälliger Häufung finden sich Formulierungen mit "vielleicht", "irgendwie" oder "mal wieder". In Gedichten wie "irgend so was wie liebe" zeigt sich, wie bedingt dem Dichter Holschuh das Verhältnis des Subjekts zu seiner Umwelt erscheint:

das hohe lied mißlingt aber unsere
lange notdurft in diesem traurigen
zimmer
schlagen wir hier also unseren
himmel auf
erklären das spiel für eröffnet

abgekartet meßbarer vorgang na
wenn schon.

Gleichzeitig wird aber deutlich, daß ihm der Kontakt im Grunde und nach Abzug aller Widrigkeiten doch möglich erscheint. Und am stärksten bejaht Holschuh die Realität dort, wo er am lautesten Klage führt: In den tiradenhaften Gedichten mit zeitkritischem Einschlag, die er im dritten Teil seines Bandes versammelt hat, ist es weniger Entfremdung als ein höchst beteiligtes Hadern, das den Dichter zum Wort drängt - etwa in "abgesang", wo es heißt:

mein gott die neunziger
was soll man da sagen ist doch
wahr [...]
zweite wahl [...] zwölfter aufguß

karzinogen das alles [...]
deutschland heimat fette hure [...]
man kann gar nicht so viel fressen
wie man kotzen möchte.

Aus dieser weniger ambivalenten als einfach illusionslosen Grundhaltung heraus sieht Holschuh davon ab, seine Probleme mit der Welt als Wall zwischen sich und dem Leser aufzuschütten und vermeidet die hermetischen Koketterien, mit denen sich viele andere Gegenwartslyriker um stilistische Profilierung bemühen. Allein im formalen Mittel des Zeilensprungs pflegt er den Geist der Widerständigkeit: Vielfach verzichtet er auf eine eindeutige Gruppierung der Sinneinheiten und versichert sich so der geistigen Mitarbeit des Lesers.

Im programmatischen Einleitungsgedicht des Bandes - "alles was ich seh" - zielt er vielmehr auf eine sprachliche Erschließung der Welt. Es soll an dieser Stelle nicht die linguistische Virulenz dieses Konzepts erörtert werden; auffällig ist aber, daß die Texte in Wirklichkeit weit weniger stark konzeptuell geprägt sind, als der - allerdings immer unaufdringlich vorgetragene - theoretische Überbau vermuten ließe. Holschuh geht es einfach darum, seine Sichtweise bestimmter Themen zu vermitteln; und weil ihm dabei Eindrücke mehr gelten als Argumentationen, wählt er die Form des Gedichts.

Dieser Pragmatismus ist ein zentrales Merkmal von Holschuhs Stil. Seine Sprache ist ebenso bildkräftig wie unmetaphorisch. Sein Blick auf die Welt ist nie ohne Distanz; er schreibt nah an den Dingen, und die Worte weisen selten sehr weit über ihren Begriff hinaus. Auf diese gleichsam 'objektivierte' Weise gelingt es ihm um so überzeugender, Assoziationsströme auszulösen und intensive Stimmungen zu evozieren. Daß Holschuh Dinge sagt, die nicht anders als metaphorisch auszudrücken sind, ist die Ausnahme. Dann aber findet er Sinnübertragungen, deren Originalität bisweilen nicht zu leugnen ist: "dort züchte ich träume wie austern / schwarze und schwarze perlen / die kau ich solange es gilt".

Holschuh hat geradezu eine lyrische 'Normalsprache' entwickelt, die sich nicht in jedem Gedicht wieder neu beweisen muß: Wie in der Prosa die Hierarchie der Syntax vorherrscht, so findet sich in "Unterderhand" der Satz auf seine direkt referentiellen und assoziationstragenden Elemente beschränkt, deren Reihung nur ein Minimum an Formalisierung benötigt. Das wäre aber noch nicht viel wert, hätte Holschuh nicht ein sicheres Gespür für das Gewicht der Worte. Seine Kunst besteht hier auch darin, nicht in die Trivialvariante seiner Idee zu verfallen und in eine partizipiale Stammellyrik à la Herbert Grönemeyer abzugleiten.

Eine wichtige Konstituente dieses Formulierungsduktus ist die Umgangssprache, die zum Teil in pointierte Schnoddrigkeit mündet: "viel geklontes auf den straßen / man verwechselt sich zunehmend" ("abgesang"). Manchmal allerdings, dabei nie aufdringlich, läßt Holschuh den poeta doctus durchscheinen: etwa in der Rilke-Reminiszenz von "nimm sie fort" ("nimm sie doch ab, die vielen gesichter") oder in der geradezu manischen Satire auf C. F. Meyers "Römischen Brunnen", die sich durch mehrere Gedichte zieht: "aufblüht ein glanz in allen / dingen [...] abblüht mein kopf".

Das auffälligste sprachliche Mittel Holschuhs ist aber die Dekomposition von Sprichwörtern und Sentenzen und die Neukombination ihrer Bestandteile. Erstaunlicherweise gelingt es ihm dabei fast durchgehend, das Niveau des Kalauers zu vermeiden, und nicht selten inszeniert er einen spannungsreichen neuen Sinnzusammenhang: "friede und freude in den hütten / und eierkuchen in den palästen". Das scharfe Licht, das dabei auf den beliehenen Sprachschatz zurückfällt zeigt Holschuh auch in der kritischen Tradition der Polit-Lyrik. Er legt es aber nicht auf rhetorisch geartete Brillanz an, sondern arrangiert seine Gegenstände, so objektiv er sie behandelt, nach poetischen, subjektiv transformierenden Mustern; er begnügt sich nicht mit einem Statement, sondern es geht ihm immer auch darum, ein Gedicht zu schreiben.

Holschuhs lyrisches Debüt ist gleichzeitig die erste Veröffentlichung des Heidelberger Elfenbein-Verlages, der von zwei jungen und zweifellos vielversprechenden Germanisten und Geschichtswissenschaftlern betrieben wird. Mit Andreas Holschuh, der tagsüber als Krankenpfleger arbeitet, haben sie sich einen Autor gesichert, der weit über das Niveau der marktgängigen Literaturzeitschriftenlyrik hinausragt. Seine Gedichte setzen nicht lange Jahre innerer Reifung und philologischer Schulung voraus; ihr uneitler Grundton und die verhaltene Leidenschaft, die sie ausstrahlen, sind geeignet, auch gewohnheitsmäßige Lyrik-Verächter milde zu stimmen. (jpb)

Andreas Holschuh: "Unterderhand". Mit einem Nachwort von Sven Limbeck. Heidelberg: Elfenbein-Verlag 1996, geb., DM 18.-


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