Kultur


Die Kunst, literarischen Bebop zu übersetzen

Carl Weissner im Interview

Eigentlich wollte er Jazzpianist oder amerikanischer Schriftsteller werden. Doch zum Jazzpianisten fehlte ihm "der nötige Fanatismus", und irgendwie kam alles anders: Heute gilt Carl Weissner als Spezialist für amerikanische Underground-Literatur. Vor allem seine Bukowski und Burroughs- Übersetzungen haben ihn im deutschsprachigen Raum berühmt gemacht. Die Liste seiner gesamten Übersetzungen würde eine ruprecht-Sonderausgabe füllen. Dort wären neben Fachbüchern über Atomphysik und Kernwaffen die kompletten Songtexte von Bob Dylan und Frank Zappa zu finden. Ungefähr 120 Bücher ("den genauen Überblick hab' ich verloren") hat er ins Deutsche übertragen. Als Literaturagent und Kenner der amerikanischen Underground-Szene hat er zahlreiche Zeitschriften und Sammelbände heraugegeben, teilweise auch mit seinem Freund Bukowski. ruprecht besuchte ihn in Mannheim.

ruprecht: Sie haben ja schon Anfang der sechziger Jahre, als sie in Bonn und Heidelberg Anglistik studierten, eine Zeitschrift herausgegeben...

Weissner: Ja, und ich habe wie wild herumkorrespondiert, um auch noch an Texte der indischen "Hungry Generation" heranzukommen. Der Underground interessierte mich viel mehr als die 'Konkrete Poesie', die damals die einzige andere internationale Sache war.

ruprecht: Wie ging's weiter ?

Weissner: Ich bekam ein Fulbright-Stipendium und bin ein Jahr in New York und danach noch ein halbes Jahr in San Francisco gewesen. Dort habe ich dann Ginsberg, Bukowski und die ganzen Leute, mit denen ich schon eine Weile intensiv korrespondiert hatte, sozusagen "live" kennengelernt.

ruprecht: Wie kamen sie dann zum Übersetzen?

Weissner: Als ich 1968 in San Fransisco war, arbeitete Rolf-Dieter Brinkmann an seiner riesigen ACID-Anthologie und hatte zwei sehr verzwickte Texte, für die er keinen Übersetzer fand. Also hat er sie mir gegeben.

Als ich dann zurückkam, waren in Los Angeles gerade Bukowskis "Notes of an Dirty Old Man" erschienen. Damit bin ich zu einem befreundeten Verleger gegangen, und der wollte das Buch sofort übersetzt haben. So kam eins zum anderen.

Die ersten Eindeutschungen amerikanischer Undergroundliteratur waren weit unter dem Niveau, das Anfang der sechziger Jahre schon möglich gewesen wäre. Das hat mich schon während des Studiums gestört Aber Anglistik studiert man ja nicht mit der Absicht, Übersetzer zu werden.

ruprecht: Im Vorwort zu Bukowskis Gedichten "Aus dem 8. Stock" beschreiben Sie Ihre erste Begegnung mit Bukowski. Wie ging's weiter, nachdem Sie das Bier getrunken hatten?

Weissner: Ich hatte nicht viel Zeit. Bukowski und ich waren sowieso darauf eingestellt, daß sich unsere Beziehung vor allem auf dem Briefweg abspielen würde. Wenn mir jemand einen zehn Seiten langen Brief mit einfachem Zeilenabstand schreibt, dann gibt's danach ziemlich wenig, was ich ihn noch fragen muß. Außerdem war ich kein geeigneter Saufpartner für ihn: Während er ein komplettes six-pack weggeputzt hat, war ich noch beim ersten Bier! Er mußte mich da ständig tadeln (lacht).

ruprecht: Inwiefern entspricht das Image, das von Bukowski transportiert wird, denn der Wirklichkeit?

Weissner: Es stimmt bis ungefähr zu seinem 40. Lebensjahr. Danach? Naja, das kann sich jeder ausrechnen: Wenn einer Nachtschichten im Postdienst abreißt, ein paar Stunden schläft, auf die Rennbahn fährt und vor der nächsten Schicht noch ein paar Gedichte schreibt, hat er keine Zeit mehr, um sich in Kneipen rumzuprügeln.

ruprecht: Können Sie sich denn Bukowskis Beliebtheit quer durch alle Schichten erklären?

Weissner: Nein, das habe ich auch nie so richtig verstanden. Aber in dem Film meines Freundes Thomas Schmitt über die Hamburger Lesung wurde ja deutlich, daß er wirklich eine riesige Streuung hatte. Taxifahrer, Industriellen-Witwen, Ex-Knackis, Oberstudienräte, wahllos auf der Straße befragt, kamen im Vorspann zu Wort, und allen war Bukowski ein Begriff.

ruprecht: Hat Bukowski sich denn für diese Resonanz interessiert?

Weissner: Nein. Das Einzige, was er witzig fand, war eine Überschrift (ausgerechnet aus der "Welt"!): "Er schreibt, wie Charlie Parker Jazz spielt". Das hat ihm gefallen. Charlie Parker hat er immer gemocht.

ruprecht: Haben sie denn Übersetzungen mit den Autoren durchgesprochen?

Weissner: Es kommt selten vor, daß Autoren wie Günter Grass ihre Übersetzer einfliegen lassen, und dann Satz für Satz mit ihnen durchkauen. Nee, Bukowski wäre sowieso nicht der Typ dafür gewesen. Er hat sich den Luxus geleistet, fast ausschließlich Erstfassungen bei den Verlagen abzuliefern.

Bei Burroughs und Zappa gab's natürlich Sachen, die man nicht wissen konnte - in diesem Fall fragt man eben kurz nach. Ansonsten hat diese Sorte Autoren natürlich keine große Lust, viel Zeit mit Übersetzern zu verschwenden. Sie verlassen sich darauf, daß ich das schon richtig mache.

ruprecht: Burroughs haben sie ja ebenfalls sehr gut gekannt...

Weissner: Ja, er wohnte lange Zeit in London, da haben wir uns natürlich öfter gesehen. Die erste Begegnung mit ihm war sogar hier in Heidelberg im Sommer '66. Er war gerade in Paris gewesen, bei Nachaufnahmen zu dem psychodelischen Spielfilm "Chappaqua", in dem er eine kurze Rolle als "Opium-Jones" hatte (lacht). Ein toller Film, der in Venedig sogar den silbernen Löwen bekam - zum Erstaunen vieler Zeitgenossen (lacht).

ruprecht: Wie weit ging das politische Interesse der Underground-Szene Ende der sechziger Jahre denn?

Weissner: Naja, Bukowski hatte seine Kolumne in der "L.A. Free Press" und hat dort über einiges geschrieben, was praktisch vor seiner Haustür passierte: das Attentat auf Robert Kennedy, die Unruhen in den Schwarzenvierteln...

Burroughs hat die ganze Sache immer aus satirischer Sicht gesehen. Aber die ganze Underground- Szene war natürlich vom Gedanken der Subversion infiziert. Ein Freund von Burroughs und mir hatte im Turm der Saint-Mark's Church einen illegalen UKW-Sender. Der produzierte auch Propaganda-Sendungen für den Vietcong, die von Radio Hanoi auf die G.I.s in Vietnam ausgestrahlt wurden.

An der Lower East Side war die Hatz auf Junkies und Hippies in vollem Gange. Die Hysterie war allgemein. Auch wenn das politische Engagement verschieden groß war - an der politischen Wirklichkeit konnte niemand vorbeischauen. Alle waren natürlich darüber empört, wie die Verfolgung der Black Panthers ablief.

Ich hatte Kontakt zur Spaß-Guerilla der Lower East Side, die Ed Sanders von den "Fugs" mit einigen Freunden aus der Taufe gehoben hatte. Die agierten als Medien-Guerilla und haben auch mal versucht, Atom-U-Boote zu besetzen.

Durch Freunde bekam ich auch etwas vom wirklich militanten Flügel mit, den sogenannten "Motherfuckers", so einer Art Vorform der "Weathermen", die in der West Eleventh Street eine Bombenfabrik im Keller hatten. Ist dann irgendwann mit drei von den Jungs in die Luft geflogen. Selbst coole Typen wie Ginsberg haben damals allen Ernstes geglaubt, daß die USA eine Militärdiktatur werden.

Für mich waren manche Kontakte etwas heikel, weil ich nur eine beschränkte Aufenthaltsgenehmigung hatte, die sie mir jederzeit gestrichen hätten, wenn ich aufgefallen wäre.

ruprecht: Ich nehme an, Drogen waren allgegenwärtig ?

Weissner: Ja. Ray Bremser, der "Jazz-Poet" der Beat-Generation, stand schon zweimal die Woche bei mir auf der Matte und brauchte mal eben 5 Dollar. Die altgedienten Junkies konnten ja damit umgehen. Viel schlimmer war, daß in der Hippie Szene schlechtes LSD die Runde machte. Da sind sie reihenweise ausgeklinkt.

ruprecht: Und die Untergrundpoeten saßen praktisch aufeinander?

Weissner: Viele Literaten wohnten auf der Lower East Side, weil man dort für 37 Dollar ein Vier-Zimmer-Appartment mieten konnte - natürlich total verwanzt, aber was soll's? Wir hatten andere Dinge im Kopf. Deshalb war das die richtige Gegend für mich. Jeder war innerhalb von fünf Minuten zu erreichen.

Die Vielfalt damals war wirklich faszinierend. Die Leute konnten ihre Sachen auch problemlos veröffentlichen. Heute würde man sich die Hacken ablaufen und wahrscheinlich nicht einmal einen Kleinstverlag finden, der das Risiko eingeht und das Zeug druckt.

ruprecht: Wie haben sie die Rückkehr nach Deutschland erlebt ?

Weissner: Ich kam mir vor wie in der DDR. Schon allein die Abfertigung am Frankfurter Flughafen war penetrant. Dazu kam, daß ich anderthalb Jahre kein Deutsch gesprochen hatte. Der deutsche Polit-Jargon im Club Voltaire klang wie etwas von einem anderen Stern.

ruprecht: Für "Zweitausendeins" haben sie ja dann die Bob-Dylan-Texte übersetzt.

Weissner: Die haben allerhand Leute gefragt, und alle haben sich gedrückt, weil sie Angst hatten, sich die Finger zu verbrennen. Ich hab' dann ein paar Probe-Übersetzungen geliefert und die Sache war gebongt.

ruprecht: Dylan verlangte, daß sie "nach Möglichkeit" auch die Reime wiedergeben...

Weissner: Ja. Das hat den Spielraum, der bei einer zweisprachigen Ausgabe ohnehin nicht groß ist, noch weiter eingeschränkt. Bedingungslose Dylan Fans haben dann gegen mich gestänkert, weil sie nicht das wiederfanden, was sie auf den Platten zu hören glaubten. Aber auch bei Dylan ist eben nicht alles Gold, was glänzt.

ruprecht: Mitte der Siebziger kamen die ersten Zappa-Übersetzungen raus...

Weissner: Das war ziemlich anstrengend, weil vieles nicht getippt vorlag, und ich erstmal die Texte von den Platten runterhören mußte. Deswegen dann die "Corrected Copy" mit Zappas handschriftlichen Korrekturen. Zappa war teilweise schon amüsiert über das, was ich da rausgehört hatte (lacht). Aber viele Fehler waren's Gott sei Dank nicht.

ruprecht: Jetzt sind gerade zwei von ihnen übersetzte Robert Lowry- Romane erschienen.

Weissner: Lowry ist natürlich ein ziemlich tragischer Fall, weil er schon 1952 von seiner zweiten Ehefrau zwangseingewiesen wurde. Trotzdem sollte man seine späteren Sachen nicht unter dem Aspekt "Ein Profi ist nicht tot zu kriegen" lesen. Er hat ja seine ganzen Bücher in zehn Jahren rausgewuchtet, trotz der manischen Schübe, die ihn immer wieder hingestreckt haben.

ruprecht: Wie kam es denn zur Wiederentdeckung von Robert Lowry?

Weissner: Lowrys Wiederentdeckung ist Michael Montfort zu verdanken, einem Freiburger Photographen, der seit langem in L.A. arbeitet. Er war von einem befreundeten Antiquar in Toronto, der eine riesige Lowry-Sammlung hat, auf ihn hingewiesen worden. Michael hat mir davon erzählt, ich hab' die Sachen gelesen, war begeistert, bin damit zu einem Verlag - fertig. Ich mag das, wenn man nicht viel reden muß, und die Sache flutscht.

So, brauchen wir noch was ?

ruprecht: Ich glaub' nicht.

Weissner: Also, machen wir Feierabend.

ruprecht: Danke für das Gespräch.

(fw)


Sanfter Schnee, harte Männer

Robert Lowry: zum ersten Mal von C. Weissner auf Deutsch

Robert Lowry gehört zu den Schriftstellern, denen schon immer klar war, daß sie Schriftsteller werden wollten. Wollten? Mußten! "Man wird Schriftsteller, weil man keine andere Wahl hat.", kommentierte er seine Berufswahl.

Als er gerade zehn Jahre alt ist, erscheinen seine ersten Kurzgeschichten in Lokalzeitungen, mit fünfzehn verlegt er sein erstes Buch, liest und schreibt wie ein Besessener. Doch seine anfangs steile Karriere als Herausgeber, Kritiker und vor allem als Erzähler (Hemingway bezeichnet ihn als "das größte aller Talente") bricht plötzlich ab. Aus scheinbar heiterem Himmel reißt ihn eine Schizophrenie völlig aus der Bahn: er wird in eine Heilanstalt eingeliefert, mit Elektroschocks, Medikamenten und Therapiegesprächen behandelt. Und von der literarischen Szene schnell vergessen, stirbt er 1994 in einer psychiatrischen Klinik in Cincinnati.

Ähnlich kompromißlos wie Lowrys Lebensweg sind auch seine Texte: hier wird nichts verschwiegen, nichts beschönigt. Die Erzählung "Die falsche Sanftmut des Schnees" handelt von einem G.I. namens Hammond, der am Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien stationiert ist. Plötzlich einsetzender Schneefall blockiert die Kriegsmaschinerie, alles gerät ins Stocken, die Geschäftigkeit versperrt nicht mehr die Sicht auf die Tatsachen. Auch Hammonds Zeltgenossen geht die Situation an die Substanz: sein Kamerad Conkle liegt auf dem Feldbett und starrt an das Zeltdach, als ihm zum ersten Mal bewußt wird, "daß die Jahre, die er hier zubrachte, nicht etwas waren, das mit seinem Leben nichts zu tun hatte. Sie waren sein Leben. Und alles war ein Schlamassel." So quält sich auch Lowrys Hauptfigur durch eine Welt sinnloser Geschäftigkeit, Heuchelei, Gewalttätigkeit und Sauferei, bis er schließlich im Vollrausch in einen Kastenwagen stolpert. "Er merkte nur, daß sich ringsum alles drehte und er nirgends mehr Halt fand. [...] Der Fahrer riß den Lenker herum, konnte aber nicht mehr ausweichen. [...] Blut lief aus der Masse von zerquetschtem Hirn und zermalmten Knochen, die einmal sein Kopf gewesen war."

Ähnlich ungeschönt erzählt er in "Tag, Fremder" die Liebesgeschichte zwischen einem schwarzen Boxer und einer gescheiterten weißen Malerin. Von der Stärke und Eleganz des Boxers fasziniert, verführt die Malerin Laine Brendan den Boxer namens "Baby" und beginnt damit eine Beziehung, die sie schließlich ins Verderben stürzt. Das ungleiche Paar taumelt durch eine seltsame Affäre, die von den rassistischen Ressentiments der Gesellschaft zusätzlich verkompliziert wird. Schließlich kehren sich die Rollen um: Sie weiß nicht mehr, was sie an ihm mochte, und er sehnt sich nach ihrer Zuneigung.

Einen besonderen Reiz gewinnt "Tag, Fremder" durch die zwischen den beiden Hauptpersonen geteilte Perspektive, die dem Leser die Geschichte mal aus der Sicht des Boxers, mal aus der Sicht der Frau beschreibt. Auf die nächsten beiden Lowry-Bücher (ein Band Erzählungen und ein später Roman) darf man bereits gespannt sein. (fw)

Die falsche Sanftmut des Schnees, 131 S., 22 DM; Tag, Fremder, 244 S., 27 DM.


Der "Fall Mircea Eliade"

"Die Geschichte der religiösen Ideen" - Ein Standardwerk und sein Autor

Wer Geisteswissenschaften studiert, kommt um ein Phänomen nicht herum: Religion. Sie durchzieht alles, womit sich ein Geisteswissenschaftler überhaupt beschäftigen kann: Literatur, Geschichte, Kunst, Musik, Politik... Ein Standardwerk zur Religion gilt dabei berechtigterweise als Anlaufstelle: "Die Geschichte der religiösen Ideen" steht fast in jeder geisteswissenschaftlichen Seminarbibliothek. Die braune Vergangenheit des Autors ist jedoch erst in jüngster Zeit zum Gegenstand kontroverser Diskussionen geworden.

Der Rumäne Mircea Eliade hat sich sein ganzes Leben lang mit Hierophanien, den Erscheinungen des Heiligen, beschäftigt. Er gilt als einer der wichtigsten Religionswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. 1907 geboren, studierte er zunächst Philosophie. Nachdem er sein Diplom gemacht hatte, ging er nach Indien, studierte dort Sanskrit und Yoga, und promovierte 1933 nach seiner Rückkehr nach Bukarest über "Yoga-Unsterblichkeit und Freiheit". Während des Krieges war er rumänischer Botschafter in Lissabon. Nach dem Krieg emigrierte er zunächst nach Frankreich, später in die USA, wo er bis zu seinem Tod in Chicago Religionswissenschaften lehrte. Als er 1986 starb, hinterließ er ein riesiges Werk, daß ihn nicht nur als Religionswissenschaftler, sondern auch als Roman-, Essay- und Theaterautor berühmt gemacht hat.

Die großen Themen in seinen Veröffentlichungen waren das "kosmische Gefühl", das er in Indien kennenlernte, die Initationen und Initationsriten und der Gegensatz zwischen "Heiligem und Profanen".

Schon in den dreißiger Jahren war er ein vielbeachteter Publizist und Intellektueller in Bukarest. In diese Zeit fällt sein publizistisches Engagement für die rumänischen Faschisten der "Eisernen Garde"", für die er, wie sein bewunderter Lehrer Nae Ionescu, in mehreren Veröffentlichungen Partei ergriff. Dieser Abschnitt seines Lebens ist in letzter Zeit wieder Gegenstand heftiger Diskussionen geworden, besonders im postkommunistischen Rumänien.

Den umfassendsten Versuch, die Trübungen um Eliades geistige und politische Vergangenheit zu lichten, hat sein Schüler Mac Linscott Ricketts unternommen. Aber da sich Eliade selbst nie bemüht hat, Klarheit zu schaffen, sondern sich nach dem Krieg entschloß, "eine Art diskreten Stillschweigens über das, was ich persönlich glaube [...] zu bewahren", wird sich Eliades geistige Entwicklung wohl kaum jemals zu einem konsistenten Gebäude rekonstruieren lassen. Daß kulturelle Bildung nicht vor politischer Verblendung schützt, zeigt nicht erst der "Fall Eliade". Dennoch bleibt es schwer begreiflich, daß ein so einfühlsamer Schriftsteller und weitgereister Forscher Sätze wie den folgenden verfassen konnte: "Wenn Rumänien ein starker, nationaler, bewaffneter, seiner Kraft und seinem Schicksal bewußter Staat wird, indem es die Demokratie überwindet, wird die Geschichte diese Tat rechtfertigen." Eliade war in den späten dreißiger Jahren, und daran kann kein Zweifel bestehen, ein chauvinistischer Nationalist. So nennt er in einem Artikel von 1936 beispielsweise die Ungarn das, "nach den Bulgaren schwachsinnigste Volk, das die Geschichte kennt."

Auch mit antisemitischer Hetze hat sich Eliade in diesen Jahren nicht zurückgehalten. 1937 stellte er in einem Artikel mit dem Titel "Warum ich an die Legionärsbewegung glaube" folgende Frage: "Soll das Volk der Rumänen sein Leben in der traurigsten Zersetzung aufgeben, die die Geschichte kennt; ausgezehrt von Misere und Syphilis , überfallen von Juden, von Fremden zerfetzt, verraten, verschachert ?"

Gegen Demokratie scheint er sein Leben lang mißtrauisch geblieben zu sein. Die wohl wichtigste Leistung der Aufklärung, die Entsakralisierung der Macht und der Mächtigen, die die totalitären Systeme rückgängig zu machen versuchten, war ihm ein Dorn im Auge. Entsakralisierung war für ihn immer "zu einfach".

Dennoch bleibt seine "Geschichte der religiösen Ideen" ein Steinbruch, eine Fundgrube, die in keinem Bücherregal eines Geisteswissenschaftlers fehlen sollte. Hier wird ein konkurrenzloser Überblick über die Religionsgeschichte der Menschheit geliefert. Auch die Kapitel über die jüdische Religion sind mit Sachkenntnis und großem Einfühlungsvermögen geschrieben. Besonders wenn man Eliades religionsphänomenologische Texte - beispielsweise "Das Heilige und das Profane" oder "Die Religionen und das Heilige"- quasi als Vorworte benutzt, wird dieses Werk zum Leseabenteuer.

Es bleibt also ein äußerst zwiespältiges Bild eines zweifelsohne großen Forschers, der an der Aufgabe scheiterte, sich seiner Vergangenheit zu stellen. (fw)

Die Geschichte der religiösen Ideen, 5 Bände, Herder Verlag, 2175 S., 178 DM.


Polygamie

noch'n Buchtip

Früher mal, als Quotenfrauen bei der CDU bestenfalls ein schlechter Witz gewesen wären, hatte man es als Don Juan noch leicht: triebgesteuert taumelte man durchs Leben der Frauen, die es noch nicht einmal übelnahmen, wenn man zur nächsten weiterzog auf dem langen Weg hin zur Läuterung oder Impotenz - schließlich ist mann Don Juan. Und dann erfand frau das große"I" mitten im Wort und lila Unterwäsche: es konnte nicht immer so schön bleiben.

Ein wahrer Don Juan im Zeitalter der Emanzipation ist der Vater Charlottes in Milena Mosers Roman "Mein Vater und andere Betrüger". Wer ist mit den anderen gemeint? Ein elfjähriges Punkgirl und ihre literaturschaffende Mutter, alternative Emanzenkränzchen - die Figuren bei Moser sind so schillernd wie lebendig.

Charlottes Vater wird von ihr als polygamer Möchtegernmärchenprinz enttarnt, der seine verschiedenen Existenzen nur noch per Computer überblickt. Charlotte beginnt, für sich selbst zu denken, hat damit viel Erfolg und der Leser seinen Spaß.

Schwächen? Das Verhalten von Charlotte und dem Punkmädchen Jane scheint ihrem Alter manchmal um Jahre voraus. Aber darüber liest sich leicht hinweg. Denn die beiden Teenieheldinnen sehen die Menschen aus der Froschperspektive, werden nicht ernstgenommen, aber nehmen selbst gnadenlos ernst: das Ergebnis ist eine wunderbare Satire auf Emanzenszene und Machowelt.

Insgesamt ein Buch, das eine sympathische Atmosphäre ausströmt: Denn hier wird mit niemandem abgerechnet, höchstens wird einer der Lächerlichkeit preisgegeben. Was bleibt? Boys will be boys, aber Frauen sind auch nicht besser. (gan)

Milena Moser, Mein Vater und andere Betrüger, Rowohlt Verlag, 251 S. DM 36.-


ruprecht on the record

Musiktips

Joshua Redman:
Freedom in the Groove

In den letzten fünf Jahren hat Redman mit einigen der ganz Großen des Jazz gespielt, darunter Pat Metheny und Herbie Hancock. Während seine ersten Studioalben von Namen und Kunst der großen Meister profitierten, ist Freedom in the Groove mit weitgehend unbekannten Musikern aufgenommen worden. Redmans Saxophonspiel ist enorm abwechslungsreich, mal melodiös, beinahe kitschig, dann wieder virtuos und spritzig. Auch im Ton ist er extrem vielseitig, er erinnert manchmal an Grover Washington Jr., am Sopransaxophon stellenweise auch an Branford Marsalis. Alle 10 Tracks sind Eigenkompositionen, beeinflußt vom Souljazz der 60er Jahre. Redman ist dabei aber keineswegs festgelegt, er vermischt brillant mit Bebop, Blues und Swing. Genau festlegen lassen sich die Songs letztlich nie, das ist Teil ihres Charmes. Allen Stücken gemeinsam ist die Dominanz des Saxophons, doch kommen auch Redmans Mitspieler ausreichend zur Geltung. In dieser Hinsicht besonders erfreulich ist die Erweiterung vom Quartett zum Quintett, die neu hinzugekommene Gitarre paßt gut zum Stil der Musik. Joshua Redman hat eine außergewöhnliche CD geschaffen, die den vier vorangegangenen in nichts nachsteht. (papa)

OMD:
Universal

Das seit 18 Jahren bestehende und inzwischen auf einen Mann geschrumpfte Orchester hat nach drei Jahren wieder ein neues Album als LP, MC, CD und MD auf den Markt gebracht. Der Titel läßt richtig vermuten: McCluskey hat fast jeden Stil des bisherigen OMD-Universums zusammengepackt: romantisch-schöne Streicherorgien von "Architecture and Morality" neben rockig angehauchten Melodien wie"Crush". Die aktuelle Single "Walking on the milky way" stellt den Crossover dar: Man nehme etwas Britpop und tausche die Gitarren gegen Violinen aus. Unterstützt wurde McCluskey, neben Steward Kershaw, der schon Songs seit "Sugar Tax" mitkomponiert, diesmal auch von Ex-Kraftwerk-Mitglied Karl Bartos, der bei "The moon and the sun" mitwirkt, sowie von Ex-OMD-Partner Paul Humphreys, der erstmals wieder seit seiner Trennung von OMD und Gründung von "The Listening Pool" an zwei Songs als Co-Autor mitwirkt. Statt von der Liebe handeln die Texte diesmal verstärkt von der Midlife-Crisis, der schönen aber verlorenen Jugend und den Sünden der Vergangenheit.

Höhepunkte der LP sind das Titelstück "Universal" und "Very close to far away". Ich neige mehr zu "The black see", dem an Pulp erinnerndem "The boy from the chemist", "Too late" und "If you're still...". Das Experiment "The gospel of St. Jude" ist leider schiefgegangen, was dem 12-Track-Album als ganzem jedoch keinen Abbruch tut. (mj)

R.E.M.:
New adventures in Hi-Fi

Nach dem klampfenlastigen und balladesken Album Automatic For The People wollten R.E.M. dem Rest der Welt beweisen, daß sie auch noch richtigen Rock spielen können und warfen deshalb auf dem Nachfolger Monster verbissen mit lauten, verzerrten Gitarrenriffs um sich.

Auf dem neuen Werk geht es wesentlich unverkrampfter zu. Gradlinige Rocknummern wie "The Wake-Up Bomb" oder "Departure" wechseln sich ab mit wunderschönen Balladen wie "E-Bow The Letter" oder "New Test Leper" und Mid-Tempo-Songs wie "Bittersweet Me". Dank ausgereifter Kompositionen, häufiger Tempo- und Rhythmuswechsel kommt keine Monotonie auf. Das Ganze klingt erfrischend abwechslungsreich, melodischer und einfallsreicher als der Vorgänger. Und während man die Platte anhört, ist es einem plötzlich völlig gleichgültig, ob R.E.M. mit ihrem 80 Millionen-Dollar-Vertrag ihren Ruf als politisch korrekte College-Combo auf's Spiel setzen oder nicht... (ah)

Paul Hindemith: Das Klavierwerk Vol. 4 (Ludustonalis)

Bisweilen wird Hindemiths Ludus tonalis als dritter Band des wohltemperierten Klaviers bezeichnet. Und in der Tat kann man dieses Werk, das 1942 erschien (also fünf Jahre nach Hindemiths theoretischem Hauptwerk, der Unterweisung im Tonsatz), als Apotheose Hindemitscher Klangstrukturierung bezeichnen. So entspricht beispielsweise das Postludium genau der Umkehrung des Präludiums. Hier finden sich Strukturen bis an die Grenzen des Machbaren. Das Erstaunliche ist, daß diese, doch zunächst mit dem Kopf geschaffene Musik, nicht herzlos oder kalt klingt. Sie ist abstrakt, aber nicht inhaltsleer.

Siegfried Mauser, der nicht "nur" Musikwissenschaften und Klavier studiert hat, sondern auch Philosophie und Kunstgeschichte, und über "Das expressionistische Musiktheater der Wiener Moderne" seine Dissertation schrieb, lehrt heute an der Hochschule für Musik in Salzburg, wo er auch das Forschungsinstitut für musikalische Hermeneutik gründete.

Ihm ist bei diesen Aufnahmen anzuhören, daß er über allen technischen Schwierigkeiten steht und sich ganz der Herausarbeitung des Ausdrucks widmen kann. Dies macht seine Einspielungen zu einem ästhetischen Erlebnis. (fw)


ruprecht goes to the movies

Filmtips - und vor allem Meinungen

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

Indepence Day (1)

Als das weiße Haus pulverisiert wurde, gab's so ein genüßliches Kribbeln im Magen. Gute Spezialeffekte hat der Film in Masse zu bieten. Doch gemessen an dem lauten Tamtam der Werbekampagne bringt "ID4" nicht viel Neues. Weltraummonster überfallen die friedliche Erde, vor allem die USA. Gegen ihre militärische Übermacht kommt nicht einmal der sauberste Staatenlenker seit Michael Douglas in "Hello Mr President" an, und nur menschlicher Erfindungsgeist und ein Nationenbündnis - es lebe die Völkerverständigung - führt kurz vor knapp zur Vernichtung der riesigen freischwebenden Vollkornbrötchen.

So einen Film gab's schon vorher: Die Kinoverfilmung von H. G. Wells' "War of the worlds". Trotz ähnlicher Handlung ist dessen Botschaft eine ganz andere als in "ID4": Die grünen Männchen sind zwar auch hier miesgelaunte, vernichtungsgeile Wesen, es wird aber klar, daß in ihren Facettenaugen die Menschen auch nicht viel schöner erscheinen. Die Invasion scheitert schließlich an einer biologischen Virusepedemie, die Inszenierung der sterbenden Aliens ist auf Mitleid beim Zuschauer angelegt. Immerhin beachtlich, da "War of the Worlds" ein Klassiker aus dem Kalten Krieg ist, und die Aliens als Übertragung der Bedrohung durch den Kommunismus zu verstehen sind.

Da stößt einem das Popcorn schon sauer auf, wenn man bedenkt, daß die Werbekampagne "ID4" als Film der Völkerverständigung vorstellt. Was der Film eigentlich zeigt, ist das Feind-Bild vom häßlichen Fremden, der neben den absurd politisch korrekten Helden noch häßlicher wird. Die einzig konsequente Behandlung eines solchen Feindes kann nur seine totale, mitleidslose Vernichtung sein, und das ist auch das Happy End des Films: Wir sind wieder unter uns.

Breaking the waves (4)

In einer Welt des starren schottischen Katholizismus heiratet die Tochter einer kleinen Gemeinde einen Mann von der Bohrinsel. Für einige Tage sind Bess und Jan glücklich. Dann kommt der Abschied, Jan muß zurück auf die Bohrinsel. Bess verzehrt sich in Liebe zu ihm, betet, er möge schnell zurückkommen. Das tut er, doch er kommt als Krüppel: ein Arbeitsunfall hat ihn von Kopf bis Fuß gelähmt. Sie gibt sich dafür die Schuld, ihrer selbstsüchtigen Bitte wegen. Als keine Heilung mehr zu erwarten ist, bittet Jan sie, mit anderen Männern zu schlafen, und ihm anschließend davon zu erzählen. Wenn er sich nicht mehr daran erinnere , wie es war, mit ihr zu schlafen, würde er sterben. Indem sie seinem Wunsch folgt, verstößt sie gegen das Gebot Gottes und gegen die Regeln der Gemeinde. Bess, die noch nie besonders stabil war, zerbricht unter der erdrückenden Last ihrer eigenen Liebe. Sie schläft mit anderen, empfindet aber dabei eine Verbindung zu Jan. Schließlich opfert sie sich für ihn in der Hoffnung auf seine Heilung.

Multiplicity - Vier lieben Dich (3)

Woran denken wir bei dem Wort Klon? - Gentechnologie? Gewissenskonflikt zwischen Wissenschaft und Ethik? Alles falsch, die Anwort lautet demnächst schlicht und einfach: Komödie.

Michael Keaton als gestreßter Ehemann, dem seine Pflichten in Haus und Heim über den Kopf wachsen, und Andy McDowell in der Rolle seiner Angetrauten geben dem im grunde einfach gestrickten Film seine Persönlichkeit.

Die Handlung ist schnell erzählt: Ein völlig überlasteter Familienvater sucht Rat bei einem - angeblichen - Psychologen. Dessen Behandlungsweise ist jedoch ganz anders als erwartet, und ehe sich sein Patient versieht, geht sein Klon, Nr.2, für ihn zur Arbeit, so daß er selbst endlich mehr Zeit für die Familie hat. Daß das Chaos jetzt erst beginnt, ist klar - und überdies sehr unterhaltsam.


Gewinnen!

Star Trek-Nacht im Lux

30 Jahre Star Trek - unzählige Fernsehfilme, sieben Spielfilme und kein Ende. Bevor im Dezember das achte Leinwandspektakel startet, hat jeder Unwissende nun Gelegenheit, seine Lücken zu füllen: Die UFA präsentiert am 9. November die ultimative Star Trek-Nacht im Lux. Gezeigt werden alle sieben Filme in Folge. Wer nach dem Begrüßungsdrink um 18 Uhr bereits die erste Müdigkeit verspürt, kann sich die nächsten 14 Stunden mit Kaffee versorgen lassen. Wer sich den Schlaf kostenlos rauben lassen möchte, hat bei uns beste Chancen: Wir verlosen 5 Eintrittskarten für das Trekie-Ereignis des Jahres. Wer gewinnen möchte, sollte uns folgende Frage beantworten: Was hat Patrick Stewart, der Captain der Next Generation, vor seinen Auftritten in der Kultserie für einen Beruf ausgeübt? Kleiner Tip: Er teilt diese Vorgeschichte mit dem Ex-Bond Timothy Dalton.

a. Klempner
b. Stuntman
c. Shakespearedarsteller

Schickt uns die Lösung unter Angebe eurer Anschrift und Telefonnummer per Post an: ruprecht, Lauerstr. 1, 69117 Heidelberg. Einsendeschluß ist der 4. November 1996. (papa)


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