Meinung


ruprecht-Interview

"In der SPD wurde ich nicht akzeptiert"

PDS-Vize Angela Marquardt über ihr Leben, Gesellschaft und Politik

Angela Marquardt wurde am 3.9.1971 in Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern) geboren, durchlief eine "typische DDR-Kindheit - Kindergarten, Schule, Junge Pioniere, FDJ” und trat 1988 einer evangelischen StudentInnengruppe bei, nicht aus religiöser Überzeugung, sondern der politischen Diskussion wegen. Organisierte 1989 Demos mit dem Neuen Forum in Greifswald und war quasi Gründungsmitglied der Ost-SPD Vorläuferin SDP, zog sich bald dort wieder zurück und war in der Antifa sowie Jugendpolitik und Hausbesetzer-Szene aktiv. 1991 kam sie schließlich zur PDS, wurde ein Jahr später in Berlin beim PDS-Bundesvorstand eingestellt und 1995 zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Nebenher studiert sie im 4. Semester Politologie.

ruprecht: Läßt sich dein Studium eigentlich mit Deinem Arbeitspensum als PDS-Vize vereinbaren?

Marquardt: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es geht. Aber ich würde auch lügen wenn ich sagen würde, es geht nicht. Ein richtig disziplinierter Mensch, der früh und brav um sieben Uhr aufsteht und zur Uni geht, wird das sicher toll miteinander vereinbaren können. Da ich aber in solchen Fragen recht disziplinlos bin, ist es schon schwierig. Wenn man so ein Amt hat, muß man dieses und jenes noch machen.

Im Moment studiere ich zwei Tage pro Woche, dies ganz konkret in den Seminaren. Bei anderen Veranstaltungen wird das schon schwieriger, da mache ich viel mit anderen Leuten zusammen, die davon Ahnung haben. Eigentlich würde ich es eher als Teilzeitstudium betrachten, auch wenn es als Vollstudium gilt.

ruprecht: Hast du noch Zukunftspläne oder Träume, die du verwirklichen möchtest?

Marquardt: Rein beruflich hoffe ich, daß ich irgendwann mein Studium schaffe. Politisch wünsche ich mir, daß die Dinge, für die ich mich einsetze, sich irgendwann erfüllen. Seien es auch nur kleine Schritte. Ich hoffe, daß der Sozialismus irgendwann Einzug nimmt, hofft natürlich jeder. Andererseits bin ich mir auch der Probleme bewußt, daß es heute nicht mehr zu machen ist, in Deutschland Sozialismus zu haben und um uns herum nur Kapitalismus.

ruprecht: Hast du eigentlich Probleme mit deiner Popularität, seitdem du in den Medien auftauchst?

Marquardt: Also anfänglich ist man natürlich schon stolz. Andererseits führt es natürlich auch zu Problemen, wenn man privat unterwegs ist und angesprochen wird, was denn die PDS macht, und manchmal hochtheoretische Fragen gestellt bekommt, die man z. B. beim Spaziergang im Tierpark gar nicht beantworten möchte. Manchmal werde ich auch angepöbelt, weshalb ich mich oft schon nicht mehr alleine draußen bewege. Wenn doch, nur mit meiner Baseball-Mütze, damit mich keiner erkennt. Man hat durch Popularität die Möglichkeit, auf Dinge aufmerksam zu machen. Andererseits hat es den Nachteil, was die Entprivatisierung des persönlichen Lebens betrifft. Aber ich habe mir zum Motto gemacht, daß bestimmte Dinge mir gehören. In der BRAVO wird es keinen Fortsetzungsroman 'Meine heimliche Liebe' von mir geben.

ruprecht: Du bist in der Wendezeit früh zur PDS gekommen. Was hat Dich dazu bewegt? Was hat die PDS, was SPD oder Grüne nicht haben?

Marquardt: Man muß dazu sagen, daß die Situation im Osten noch anders ist als im Westen. Die Strukturen der SPD und der Grünen gibt es so nicht wie in Westdeutschland. CDU kam für mich nie in Frage, aus der Bürgerbewegung komme ich selber, und mein Problem in der SDP war, daß ich dort überhaupt nicht akzeptiert wurde wegen meines Alters, und wenn ich anfing, Fragen zu stellen, hieß es immer, wir machen erst einmal die deutsche Einheit und dann können wir immer noch über Probleme reden. Das war der Punkt, wo ich mich aus der SDP bzw. SPD und der Parteipolitik zurückzog, weil ich merkte, wie 'ernst' man mit jungen Leuten da umging. Bei der PDS hat man Leute unterstützt, z.B. bei der Schaffung eines Jugendhauses. Die sind damals einfach in das besetzte Haus mit einem Kasten Bier gekommen und haben gesagt, laßt uns noch mal darüber reden. Man muß sicher nicht mit einem Kasten Bier kommen, aber es war Gesprächsbereitschaft da. Die habe ich bei der PDS angetroffen. Man kann bei ihr Aktionismus und theoretische Debatten vereinbaren. Das hat mich letztlich dazu geführt, daß ich mir sagte, wenn ich schon so viel mit der PDS zu tun habe, kann ich auch konsequent sein und eintreten, um zu zeigen, daß da auch junge Leute sind, die für sie eintreten.

ruprecht: Beim 4. Parteitag im letzten Jahr hast du gesagt, "bei einer Regierungsbeteiligung der PDS ist das Projekt linke Sammlungsbewegung gestorben". Heißt das in der Konsequenz, daß du die Partei dann verlassen würdest?

Marquardt: In dieser Absolutheit kann ich das natürlich nicht sagen, weil ich nicht in die Zukunft sehen kann. Es kommt darauf an, unter welchen Bedingungen die PDS in eine Regierungsbeteiligung geht. Aber unter den jetzigen Bedingungen finde ich schon, daß die PDS ihren Projektcharakter verlieren würde, weil sie sich in eine Situation hineinbegeben würde, die nicht durch gesellschaftliche Mehrheiten gesichert ist. Damit meine ich die außerparlamentarischen Bewegungen, die im Moment nicht gerade in großer Vielzahl herumlaufen; und Parlamente sind für mich Ausdruck der gesellschaftlichen Situation, und die ist für meine Begriffe nicht so, daß die PDS so viele Mehrheiten hinter sich hat, um bestimmte Dinge in einer Regierung durchzusetzen. Ob ich nun austreten würde, kann ich nicht sagen, weil ich nicht weiß, ob und wann eine Regierungsbeteiligung kommt, vielleicht kommt sie erst in 10 Jahren, und ob ich dann noch austreten muß, weiß ich nicht.

ruprecht: Wäre eine Tolerierung wie in Sachsen-Anhalt eine Alternative?

Marquardt: In der jetzigen Situation ist sie eine Alternative. Die PDS hat dort zwei wichtige Dinge erreicht, wie ich finde: Zum einen der Abbau des Verfassungsschutzes und zum anderen die Erhöhung der Finanzen innerhalb der Kommunen.

ruprecht: Woran könnte es liegen, daß die PDS im Osten eine Volkspartei mit 20 bis 30 % in den Umfragen ist und in den Altbundesländern bisher nur kleine Gruppen bestehen?

Marquardt: Erst einmal liegt es daran, daß sie aus dem Osten und aus der staatstragenden Partei SED kommt. Die Strukturen und die Verankerung sind trotz der Vergangenheit ganz anders als in den Westländern, in denen sie eine Basispartei ist, die erst einmal ihre Strukturen aufbauen muß. Es liegt natürlich auch daran, daß die Vorurteile im Westen ganz andere sind als im Osten. Im Westen hassen alle die Kommunisten, während im Osten eher die SED-Vergangenheit diskutiert wird. Außerdem darf man nicht vergessen, man kann über die Grünen denken, was man will, aber sie sind im Westen noch ein Mobilisierungspotential für alternative Kräfte, was die PDS im Westen noch nicht darstellt.

ruprecht: Kritiker sagen, die PDS habe sich nicht genügend von ihrer SED-Vergangenheit gelöst. Wie stehst Du dazu?

Marquardt: Die PDS steht auf jeden Fall in der Verantwortung, über ihre Vergangenheit, die Vergangenheit ihrer Mitglieder und über Sozialismus zu reden. Ich denke jedoch nicht, daß die PDS ausschließlicher Adressat für Geschichtsdiskussionen sein sollte. Es gibt viele andere Leute, die heute nicht in der PDS sind, die Funktionen in der DDR hatten und genausoviel beitragen mußten wie die PDS. Ich denke, wenn heute eine Partei über Geschichte diskutiert, dann ist es die PDS. Ich habe trotzdem auch meine Kritik, denn Vergangenheit macht sich nicht nur an der Diskussion über Vergangenheit fest. Auch der Politikstil, der in der SED gepflegt wurde, macht sich heute ganz konkret am Politikstil der PDS fest. Also: inwieweit ist jemand bereit, über ein gläsernes Rathaus zu reden oder Demokratie und Basisdiskussion zuzulassen. An ihrem heutigen Politikstil ist die PDS auch letztlich zu messen.

ruprecht: Denkst du, die PDS hat da noch einiges nachzuholen?

Marquardt: Nachholen und überwinden kann man nicht einfach so aufwiegen. In der SED wäre es sicher nicht möglich gewesen, daß die Jungen GenossInnen so in ihren Strukturen verankert gewesen wären, wie sie es jetzt sind. In der SED gab es eine eindeutige Zuteilung, wo junge Leute hingehören und wo nicht. Das ist zum Beispiel etwas, woran sich Erneuerung festmacht. Wenn ich andererseits manche PDS-Bürgermeister sehe, die Floskeln wie 'wir sind für das Volk da' verwenden - das erinnert natürlich ganz fatal an den Politikstil von früher.

Deswegen kann man nur sagen, es gibt Fortschritte, die sich am Programm, am Statut und einfach an der Politik der PDS festmachen; und es gibt auch Dinge, die an die Vergangenheit erinnern, die man nicht wegdiskutieren sollte.

ruprecht: In Berlin existiert eine Einschreibegebühr von 100 DM für Studis, in Baden-Württemberg soll sie im kommenden Sommersemester auch eingeführt werden. Viele Studis in Berlin boykottierten sie und wehrten sich gegen die Sparbeschlüsse der großen Koalition. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Marquardt: Es gab ein großes Sozialbündnis, das sich dagegen gewehrt hat. Die Klage von Studi-Vertretern, die gegen die Gebühren eingereicht wurde, ist leider nicht durchgegangen. Ich glaube, es waren immerhin 22.000 Menschen, die sich den Studiengebühren verweigert haben. Ich kann nur dazu aufrufen, sich mehr zu beteiligen, es fehlt ja nicht an Initiativen, sondern letztlich an der Beteiligung. Viele bezahlen lieber die 100 Mark, als aus dem Studienprozess herauszufallen. Dem Druck, der da ausgeübt wird, kann man am ehesten durch Masse etwas entgegensetzten. Ich vermisse generell bei vielen Studierenden die Bereitschaft, etwas zu tun. Solange eine Basis fehlt, wird sich nichts ändern. Es lohnt sich immer, etwas zu tun. Zumindest der Versuch sollte nicht im Keim durch Pessimismus erstickt werden.

ruprecht: Im neuen Vefassungsschutzbericht von Baden-Württemberg heißt es, der AG Junge GenossInnen mangele es an "Distanz gegenüber politisch motivierter Gewalt". Ist da was dran, oder ist es ein Vorurteil?

Marquardt: Irgend jemand hat mir mal gesagt, daß man stolz sein soll, wenn man im Verfassungsschutzbericht steht. Also wenn man sich die Papiere der Jungen GenossInnen ansieht, so entbehrt gerade der Vorwurf der Gewaltverherrlichung jeder Grundlage. Natürlich haben die J. G. auch über Militanz diskutiert. Ich denke, daß man dies auch niemanden verwehren kann. Der Verfassungsschutz sollte im Prinzip froh sein, daß die J. G. offen darüber diskutieren. Wir haben einen Kongreß dazu gemacht mit Beteiligung der Medien und darüber auch mit Abgeordneten der PDS diskutiert. Wir beteiligen uns an Aktionen wie Zugblockade und Antifa-Demos, dazu stehen wir auch. Aber es gibt seitens der Jungen GenossInnen keine Aufforderung zur Gewalt. Und so etwas wird es in den Papieren der J. G. auch in Zukunft nicht geben.

ruprecht: In der Diskussion ist ein Verbot des Rauchens. Wie stehst du persönlich dazu, und was fordert die PDS allgemein zum Thema Drogen?

Marquardt: Ich selber rauche nur abends und in Streßsituationen und denke schon, daß von Seiten der Raucher/innen Rücksicht gegenüber Nichtrauchenden genommen werden sollte, in Kneipen finde ich ein Rauchverbot allerdings blöd, und ich halte die Diskussion für sinnlos. Was das Thema Drogen allgemein betrifft, ist die PDS in einem ziemlichen Diskussionsprozess, weil Drogen in der DDR eine ganz andere Rolle gespielt haben als in der BRD. Konsens in der PDS ist erst einmal die Legalisierung von weichen Drogen, aber Grundlage für die Legalisierung ist erst einmal die ausreichende Schaffung von bedarfsorientierten Therapieplätzen. Es muß zudem zu einer Entkriminalisierung aller Drogen kommen. Das ist der Stand in der Diskussion.

Bei den harten Drogen gibt es die Leute, die für die Legalisierung aller Drogen sind und diejenigen, die nur die weichen legalisieren wollen. Dieses Thema wird die PDS noch eine Weile beschäftigen.

ruprecht: Hat sich die "Westtour" gelohnt? Würdest Du das wieder machen?

Marquardt: Ich glaube schon, daß sich das gelohnt hat. Gerade um die PDS im Westen besser kennenzulernen. Es wäre eine Grundlage für jeden, mal so eine Westtour zu machen, um überhaupt über PDS im Westen zu diskutieren. Ich halte es für wichtig, und es macht Spaß. Ich würde es wieder machen. (mj)


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