Meinung


ruprecht-Serie point & counterpoint

Mittelbauern zur Prüfung?

Seit der Novellierung des § 50 des Baden-Württembergischen Universitätsgesetzes dürfen auch Angehörige des Mittelbaus Prüfungen abnehmen, soweit diese nach langjähriger erfolgreicher Lehrtätigkeit vom Fakultätsrat die Befugnis dazu erhalten. Dies erhitzte viele Professoren-Gemüter; zwei Germanisten werfen ihre Argumente in die Debatte.

"Nein"
Prof. Dr. Dieter Borchmeyer

Germanistisches Seminar der Universität Heidelberg

Bei der Novellierung des § 50 handelt es sich nur um eine Kann-Bestimmung, und bei allen schriftlichen Prüfungsleistungen muß außerdem einer der beiden Gutachter Professor sein. Gleichwohl halte ich diese Novellierung nicht nur für gänzlich überflüssig, sondern für skandalös, für einen Ausdruck puren Populismus und Opportunismus. Der Skandal liegt darin, daß von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, welche die Prüfungsbefugnis erhalten wollen, nicht etwa ein außerordentliches wissenschaftliches Niveau, sondern lediglich erfolgreiche Lehrtätigkeit verlangt wird. Mit anderen Worten: wer ein guter Pauker ist, soll auch Abschlußprüfungen abnehmen können.

Das ist ein elementarer Verstoß gegen den Geist der Universität, d.h. gegen die Einheit von Forschung und Lehre. Bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern, für welche die Prüfungsbefugnis in Frage kommt, handelt es sich ausschließlich um die Akademischen Räte, denn wissenschaftliche Assistenten können nie "langjährige" erfolgreiche Lehrtätigkeit vorweisen, da sie sich entweder nach sechs Jahren habilitieren oder leider der Universität 'Ade' sagen müssen. Die Akademischen Räte aber sind unkündbare Beamte, zu deren Aufgabe gerade nicht die Forschung, sondern die Lehre im Grundstudium gehört. Daher ist auch ihre Lehrbelastung größer als die der Assistenten, die sich ja habilitieren, also forschen müssen.

Daß die Akademischen Räte Dauerstellen innehaben, ist allein dadurch gerechtfertigt, daß die Kontinuität der Lehre im Grundstudium gesichert werden soll. Das Hauptstudium, gar Abschlußprüfungen gehören nicht zu den beamtenrechtlich fixierten Dienstaufgaben der Akademischen Räte, ja neuerdings wird von seiten des Ministeriums energisch darauf gedrungen, daß die Akademischen Räte diese ihre spezifischen - das heißt auf das Grundstudium bezogenen - Dienstaufgaben auch wirklich wahrnehmen.

Die neuen restriktiven Weisungen bezüglich der dienstlichen Stellung der Akademischen Räte stehen in groteskem Widerspruch zu der Novellierung des § 50 des Universitätsgesetzes. Gerade diese neuen Bestimmungen machen deutlich, daß es nicht zu den Dienstaufgaben der Akademischen Räte gehört, jene Qualifikationen zu erwerben, welche Voraussetzung der Prüfungsbefugnis sind. Überdies: wie und von wem soll die "erfolgreiche Lehrtätigkeit" nach objektiven Maßstäben festgestellt werden?

Mit all diesen Problemen läßt der unbedachte §50 des Universitätsgesetzes die Fakultäten allein. Am Germanistischen Seminar gibt es übrigens zwei habilitierte Akademische Räte. Doch die Forschungsleistung dieser beiden habilitierten Räte ist gewissermaßen ihre Privatsache, von ihnen wird aufgrund ihrer Dienststellung erwartet, daß sie ihre Lehre im Hauptstudium und ihre Prüfungstätigkeit neben ihren 'eigentlichen' Aufgaben ableisten. Das ist gewiß eine unbillige Härte. Habilitierte Akademische Räte dürfen von ihrer beamtenrechtlichen Stellung her das nicht, was Professoren müssen! Wenn die habilitierten Akademischen Räte vom Beamtenrecht so behandelt werden, ist es absurd, daß nicht habilitierte Räte, die durch eigene Forschungsleistung nicht ausgewiesen zu sein brauchen, bloß weil sie gute Lehrer sind, zur Abschlußprüfung zugelassen werden. Erhalten sie die Prüfungsbefugnis, müssen sie auch stärker im Hauptstudium eingesetzt werden, entfremden sich dadurch aber ihren eigentlichen, grundstudiumsbezogenen Aufgaben, deren Wahrnehmung einzig und allein ihre Dauerstellung legitimiert.

Was soll also der Unsinn dieser Novellierung des § 50? Er steht im Zusammenhang mit der von den Bildungspolitikern unseres Landes immer aggressiver verfochtenen Tendenz, die Universität in eine Mischung aus Behörde und Klippschule zu verwandeln, sie aus einer Forschungseinrichtung in eine reine Lehranstalt, ja einen Paukbetrieb zu verwandeln. Das Ansehen Deutschlands als Kulturnation ist in der Welt längst nicht mehr allzu hoch. Es wird auch nicht mehr lange dauern, bis die deutsche Universität ihr Renommee international gänzlich verliert, wenn der Verschulungstendenz nicht energisch ein Riegel vorgeschoben wird. Meine Kollegen im Direktorium des Germanistischen Seminars und ich selber werden mit aller Energie gegen die Entwertung der Universitätsprüfungen kämpfen, wie sie durch die Novellierung des § 50 vorbereitet wird, welche es möglich macht, daß Studenten die Universität als Akademiker verlassen, ohne je bei einem Professor studiert zu haben.

Wer eine wissenschaftliche Abschlußarbeit betreut und Studenten zur Prüfung führt, muß gleichermaßen durch Forschung und Lehre ausgewiesen sein und nicht allein durch didaktisches Geschick. Für diesen Standpunkt werde ich jederzeit ohne Rücksicht auf bildungspolitische Opportunität eintreten!

"Ja"
Prof. Dr. Dietrich Harth

Germanistisches Seminar der Universität Heidelberg

Wissenschaftlichen Mitarbeitern, heißt es im Universitätsgesetz, "kann nach langjähriger erfolgreicher Lehrtätigkeit" die Prüfungsbefugnis übertragen werden. Betroffen sind die sogenannten Hochschulprüfungen, d.h. Magister- und Diplomabschlüsse. Die ständige Arbeitsgruppe des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung und der Landesrektorenkonferenz hat im September 1995 empfohlen, die Kann-Bestimmung auf Staatsexamina auszudehnen.

Der Sachverhalt ist klar und auch durch rechtliche Auslegungsakrobatik nicht zu verschleiern. Auch was unter "langjähriger erfolgreicher Lehrtätigkeit" zu verstehen ist, dürfte nach einfachen common-sense-Maßstäben zu entscheiden sein. Die fünf Akademischen Räte bzw. Oberräte, die bereits im Frühjahr 1995 die Erteilung der Prüfungsbefugnis beim Fakultätsrat der Neuphilologischen Fakultät beantragt haben, sind samt und sonders fünfzehn und mehr Jahre in der Lehre tätig. Daß sie "erfolgreich" waren und sind, liegt auf der Hand, da die Antragsteller selbständige Lehrveranstaltungen auf allen Stufen anbieten: Übungen, Pro- und Hauptseminare, z.T. auch Vorlesungen. Sie gestalten den Lehrplan eines Instituts mit ebenso großem Engagement wie alle anderen Dozenten. Einer der Antragsteller hat den Landeslehrpreis erhalten; alle haben langjährige Examenserfahrungen - sei es als Prüfer oder als Beisitzer - und werden für die Vorkorrekturen von schriftlichen Prüfungsteilen (Klausuren, Magister- und Diplomarbeiten) in Anspruch genommen. Wenn das, alles zusammengenommen, kein Erfolgskriterium ist, möchte man gern wissen, woran "Erfolg" dann zu messen ist.

In dem einen oder anderen Fall läuft die Erteilung der Prüfungsbefugnis lediglich darauf hinaus, einen de-facto-Zustand zu legalisieren. Obwohl die Dinge so liegen, lehnt eine Gruppe von Professoren die Anträge vehement ab. Sie tut das mit dem Hinweis auf die Habilitation als notwendige Voraussetzung des Prüferstatus. Ein höchst sonderbares Argument.

Denn erstens und Gott sei Dank gibt es auch noch andere Formen der Qualifizierung, wofür beispielsweise die Tatsache spricht, daß mancher Ordinarius ohne Habilitation diese höchste Stufe der Universitätskarriere und zugleich damit den Prüferstatus erreicht hat.

Zweitens schaltet die Habilitation automatisch den freien Willen aus: wer die venia legendi hat, hat auch das officium examinandi. Und damit ist - drittens - das Prüfungsrecht kein Kriterium, an dem sich die Qualifikation - sei es eines Individuums, sei es der deutschen Universität - messen ließe.

Überhaupt: Wer prüft eigentlich so gern, daß er glaubt, dieses Recht wie ein unteilbares Privileg verteidigen zu müssen? Aber darum ginge es doch gar nicht, könnte die andere Seite einwenden, die "Maßstäbe" müßten aufrechterhalten werden. Würde wirklich so argumentiert, so müßte man daraus den Schluß ziehen, daß da Mißtrauen und zudem die wahrhaft abgeschmackte Meinung herrschten, Qualität sei eine Frage des Abfragens.

Doch in Wirklichkeit liegen ja die Dinge ganz anders. Alle Prüfungsverpflichteten - ob am unteren oder oberen Ende der Examensstatistik - klagen über die lästige Pflicht. "Es kann daher", ich zitiere einen Kollegen, "gar nicht genug Prüfer geben!"

(red."point/counterpoint": hn, papa)


ruprecht-Interview mit Ulrich Kienzle und Bodo Hauser

"Wir mögen uns wirklich nicht."

Gut, dicke Freunde sind sie nicht. Aber wenn sie dies beweisen wol-len und "Hauser und Kienzle" spielen - eines ihrer Lieblingsspiele - , dann ist alles wohl inszeniert, selbst vor dem kleinsten Publikum wie wir es waren. Da sitzt jedes Wort, und auch das - im Gegensatz zu den Fernsehdialogen - spontan und natürlich klingende gegenseitige Beschimpfen ist gut einstudiert. Doch ab und zu passiert es doch, daß ein "Du" über die Lippen rutscht, obwohl das Siezen zum Hauser-und-Kienzle-Manifest gehört. Zum Schluß ist eines sicher: Die beiden haben ihren Heidenspaß daran, und dem Publikum gefällt's.
Bodo H. Hauser, 1946 in Krefeld geboren, studierte Rechts- und Staatswissenschaft. Seit 1973 ist er beim ZDF.


Ulrich Kienzle, 1936 in Neckargröningen geboren, studierte Politologie. Er begann 1963 beim SDR, war ARD-Korrespondent in Arabien und Afrika und Fernsehchefredakteur von Radio Bremen.

ruprecht: Jeden Dienstagabend stellt sich die Nation die gleiche Frage. Ich glaube, daß Sie nach der Sendung zusammen ein Bier trinken gehen, und sich freuen, daß Ihnen das Publikum das Spektakel abgekauft hat.

Kienzle: Die Frage ist schon häufig beantwortet worden: Dies geschieht nicht, weil ich Hauser so wenig ausstehen kann, daß ich mit ihm wirklich kein Bier trinke. - Und ich bin auch kein Biertrinker, das ist schon mal ein großer Unterschied.

ruprecht: Es darf auch ein Wein sein...

Hauser: Nein, Sie müssen sehen, wir sind so viel zusammen durch den Beruf, daß der Bedarf wirklich gedeckt ist, auch noch in der Freizeit zusammen sein zu wollen. Wir sehen uns ja öfters, als wir unsere Ehefrauen sehen. Es kommt immer die Frage, ob wir uns wirklich nicht mögen, und das ist so. Wir sind soweit Profis, daß wir zusammen arbeiten.

Kienzle: Uns hält wirklich nur der Erfolg zusammen.

ruprecht: Sie haben innerhalb von zwei Jahren zwei "offizielle Meinungsführer" - einer davon als "Marktführer" betitelt - geschrieben. Halten Sie die Deutschen für ein solches Volk von Opportunisten, daß sie einen Meinungsführer brauchen?

Kienzle: Aber selbstverständlich! Nicht nur Opportunisten, aber es gibt viele meinungslose Leute. Und die können sich hier für 39,80 DM eine Meinung kaufen. Ich finde das ein fabelhaftes Angebot.

ruprecht: Und Sie sehen sich als Führer, der dem Volk sagt, wo es lang geht?

Hauser: Wir bieten Meinungen an. Da sind ja zwei Meinungen drin.

Kienzle: Es gibt Restaurantführer, Reiseführer... Warum soll es nicht Meinungsführer geben?

Hauser: Und dies ist ein Wirtschaftsbuch für die ganze Familie. Die ersten zwei Drittel sind für den Vater, weil da die Wirtschaftssachen drin stehen, für die Ehefrau sind die Kapitel über Hillu, Prince Charles und Don Camilla, und für die Kinder sind die Cartoons. Ich weiß überhaupt nicht, wie man umfassender anbieten kann.

ruprecht: Aber die Frau darf auch den Wirtschaftsteil lesen und der Mann die Kapitel über Hillu?

Hauser: Ja, auch.

ruprecht: Denken Sie, daß die Medien mehr Einfluß haben als Politiker?

Hauser: Nein. So allgemein kann man das nicht sagen. Wenn Sie eine ganz konkrete Schweinerei aufdecken, wenn Sie sagen: 'Der hat das gemacht!', dann haben Sie natürlich in dem Sinne Einfluß, weil das Folgen hat. Das ist aber nicht der Einfluß der Medien, sondern das ist einfach das Hochziehen eines Mißstandes, der dann ja abgestellt wird. Ich bin der Auffassung, daß wir weniger Einfluß haben, als immer behauptet wird, besonders von den Linken.

Kienzle: (fällt ihm ins Wort) Hauser, Sie reden totalen Quatsch! Wir können es halt nicht messen. In Einzelfällen gibt es Reaktionen, da kann es schon mal vorkommen, daß jemand ins Schleudern gerät durch einen Bericht. Das werden wir ja jetzt sehen mit der rheinland-pfälzischen Umweltministerin: Was da passiert, dadurch, daß unter ihrer Regie Schweinereien passieren und die Kontrolle nicht funktioniert hat. Die Politiker überschätzen häufig - Gott sei Dank - unseren Einfluß. Wo Fernsehen wirklich Einfluß hat, ist im Imageprägen von Leuten.

ruprecht: Oder in der Meinungsbildung...

Hauser: Ja, da müssen Sie aber im Mainstream liegen, d.h., das muß in vielen Medien transportiert werden. Wenn über ein halbes, dreiviertel Jahr immer wieder und immer gleich gesagt wird: 'Der Politiker X ist der Falsche!', dann können Sie vielleicht etwas bewirken. Aber manchmal kommen Sie zur Unzeit mit einem guten Stück. Das geht dann völlig unter. Wenn Sie das sechs Wochen später senden würden, ist plötzlich das Thema ganz oben.

ruprecht: Die Politiker fassen Sie meist nicht gerade mit Samthandschuhen an. Finden Sie den deutschen Journalismus allgemein vielleicht ein bißchen zu feige?

Hauser: Das kann man so nicht sagen. Ich bin ja lange in Bonn gewesen und habe das von der Nähe aus beobachtet. Dort muß man ja recherchieren, während man als Auslandskorrespondent - wie der Kienzle - im Fünf-Sterne-Hotel sitzt und das Elend beschreibt. - Es nützt manchmal nichts, so hart zu fragen, weil dann der andere verstockt. Wir haben das gesehen, wir waren ja in vielen Talkshows. Die beste ist die von dem Biolek, weil...

Kienzle: (redet dazwischen) ...weil er keine bösen Fragen stellt.

Hauser: (unbeirrt weiter) ...weil er den Leuten das Gefühl gibt, daß sie mit ihm in einer netten Plauderei sind. Und deswegen sagen die mehr, als wenn Sie davor sitzen und den wilden Mann spielen; dann verschließen die sich nämlich, und Sie kriegen nicht so viel heraus...

Kienzle: Aber die Schleimspur, die er bei Kohl gelegt hat, war einfach zu lang.

Hauser: Wenn er dasselbe mit Lafontaine gemacht hätte, hättest Du(!) es gut gefunden.

Kienzle: Nein, Schleimspuren finde ich immer schrecklich.

Hauser: Das ist halt Bioleks Art. Er hat auch bei uns Schleimspuren gelegt, weil es seine Masche ist. Er war nicht anders als immer, nur fällt es bei Kohl mehr auf, weil der Kohl so ein Typ ist, der ihn dann todquatscht.

Kienzle: Nein, es gibt noch einen anderen Punkt: Politiker sind inzwischen so gewieft, die antworten auf Fragen prinzipiell nicht. Die sagen das, was sie wollen, und im Zweifelsfall versuchen sie dann, den Fragenden in ein schlechtes Licht zu setzen, daß er etwas Unanständiges macht, wenn er korrekte, richtige Fragen stellt. Die haben dazugelernt. Vor zwanzig Jahren, als Klaus Castorff noch "Kreuzfeuer" gemacht hat, da ist der Strauß schon mal ausgeflippt. Das war eine der schönsten Sendungen, als der Strauß wirklich durchgedreht ist und die angebrüllt hat. Sowas passiert heute nicht mehr, weil der Politiker, wenn er so reagiert, schlecht aussieht. Das haben die alle kapiert, und deshalb erzählen die, was sie wollen - Kohl sowieso, aber auch Lafontaine - und gehen zum Gegenangriff über. Der Lafontaine hat z. B. an dem Abend der Wahl damals, als die anfingen, kritisch zu fragen, gesagt: 'Hat schon Karneval begonnen?'. Und dann waren die so erschrocken, daß sie sich nicht mehr trauten, weiter Fragen in diese Richtung zu stellen.

ruprecht: Müssen - oder können - Politiker moralische Vorbilder sein?

Kienzle: Es gibt schon ein paar. Z. Zt. würde ich keinen von denen in Bonn als moralisches Vorbild sehen.

ruprecht: Aber Sie sagten, es gibt jemanden...

Kienzle: Ja, in der Vergangenheit. Ich muß ja nicht den Willy nennen, aber es gab eine Menge von moralischen Vorbildern.

Hauser: (dazwischen) Ein moralisches Vorbild war der Willy gerade nicht... (lacht).

Kienzle: Der sieht das immer im erotischen Bereich. Das hat ja nun mit politischer Moral nichts zu tun.

ruprecht: Wer war oder ist Ihrer Meinung nach ein moralisches Vorbild, Herr Hauser?

Hauser: Das ist mehr so eine allgemeine Frage. Ich habe überhaupt kein Vorbild: Ich war über zehn Jahre in Bonn, ich habe die alle von Nahem erlebt; da bleibt nichts mehr an Vorbild.

Kienzle: Also, die Typen Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger: Gebhard Müller z. B., ein Schwarzer, der war ein integrer Mann.

Hauser: Gut, integer ist ja was anderes als ein Vorbild.

Kienzle: Ja, aber das sind natürlich Vorbilder: Der Mann hat im Gefängnis gewohnt, der hat keine Staatsgelder verschleudert, der hat nicht angegeben, der hat sich mit einem alten Auto zum Dienst fahren lassen. Das war ein Mann, der bescheiden war, und insofern auch ein Vorbild.

Hauser: Das ist eine ganz andere Sache.

Kienzle: Aber sowas gibt es heute nicht mehr. Und wenn Sie fahrradfahren, dann tun Sie das, um ins Fernsehen zu kommen, um bei den Journalisten einen "Schlag" zu kriegen.

ruprecht: Ich denke, es gibt auch die Leute, die einfach aus Überzeugung mit dem Rad fahren.

Hauser: Die habe ich auch kennengelernt. Das sind die Schlimmsten, die nur mit dem Rad fahren. Mit dem Rad hat das nichts zu tun. Ich habe die Grünen erlebt, die im Bundestag geschimpft haben: 'Diese Abgase!' Und die fuhren die ältesten Karren; wenn die vom Bundestag losfuhren, haben die mehr die Umwelt verpestet als alle anderen. Das können Sie von den Äußerlichkeiten überhaupt nicht abhängig machen.

Kienzle: Die haben die Politik schon versaut. Das gab es früher ja nicht, diese Inszenierungen wie Pressekonferenzen und, und, und. Da hat man mal mit jemandem ein Interview gemacht, und das wurde dann gesendet. Aber inzwischen haben die begriffen, wie man Medien beherrschen lernt, und wie man das inszeniert, denn alle wollen eine Story haben. Das ist natürlich inszeniert, und das Inszenierte ist auch das Künstliche und Unehrliche.

ruprecht: In Ihrem neuen Buch schreiben Sie beide u.a. sehr kritisch über die Entwicklung im Bildungswesen. Ist die deutsche Uni noch zu retten, und wenn ja, wie?

Hauser: Das ist ein schwierige Situation. Ich finde es schon wesentlich, wenn kaum noch ausländische Studenten hier studieren wollen. Aus Amerika z. B. ist der Zustrom enorm zurückgegangen.

ruprecht: Das wird immer behauptet. Aber als ich einmal beim DAAD nachfragte, sagte man mir, das stimme überhaupt nicht...

Hauser: Ja, die ganzen Institutionen tun immer noch so! Ich hatte ein Hintergrundgespräch darüber; es ist enorm zurückgegangen, und es ist ganz deutlich, daß die Deutschen zwar alle in Amerika studieren wollen, aber von Amerika fast nichts mehr rüberkommt.

Kienzle: Ich finde es erstaunlich, daß die Studenten sich das alles gefallen lassen und brav in die Uni trotten. Das war früher anders.

ruprecht: Gerade war in Heidelberg eine große Demo...

Kienzle: Ja, da fängt vielleicht etwas an, wie in Frankreich vor einem Jahr. So funktioniert Demokratie nun mal: Wenn Sie sich nicht wehren, dann wird auch nichts passieren, dann nimmt man Sie nicht wahr. Und solange Sie keine Klientel sind in der Politik und bei den Wahlen - oder durch andere Art und Weise, nämlich durch Auf-den-Wecker-Gehen durch Demos - solange wird das Problem von den Politikern vor sich hergeschoben.

ruprecht: Ist die heutige Studierendengeneration zu artig, zu feige, zu angepaßt?

Kienzle: Sie sind sicher professionell, wenn sie einen Job haben, aber diese Wut, die damals bei den 68ern da war...

Hauser: ...der ist ein alter 68er; das ist ja die erfolgloseste Revolution, die je auf deutschem Boden stattgefunden hat.

Kienzle: Aber selbst Waigel konnte sich scheiden lassen...

Hauser: Das hat mit 68 nichts zu tun.

Kienzle: Aber sehr viel! Wenn eine Generation sich alles gefallen läßt, hat sie das verdient, was sie z. Zt. erlebt.

Hauser: Aber dadurch würde die Unisituation auch nicht besser.

Kienzle: Ich denke schon.

ruprecht: Sehen Sie denn einen Weg, wie man in dieser Lage Abhilfe schaffen kann?

Hauser: Ich glaube, der Fehler hat darin gelegen, daß gesagt worden ist: Jeder muß studieren. Johannes Rau hat vor 15 Jahren mal gesagt, er fände es ganz toll, wenn der Taxifahrer ein abgeschlossenes Studium hätte. Das haben wir heute; ob der sich das so vorgestellt hat, weiß ich nicht Und ob der Taxifahrer jetzt glücklicher ist mit abgeschlossenem Studium, weiß ich auch nicht. Das ist der Denkfehler. Das ist langfristig angelegt, und jetzt kommt das Ergebnis.

ruprecht: Halten Sie z.B. Studiengebühren für ein wirksames Mittel?

Hauser: Ich glaube, daß wir da gar nicht mehr drum herum kommen...

Kienzle: Ich finde, das ist völliger Quatsch. Das führt wieder zur Spaltung, und dann werden Herren wie Hauser studieren können und die anderen nicht. Und das finde ich unfair.

Hauser: Das ist ein Ammenmärchen. Es werden dann ja die, die Leistung bringen, unterstützt, wie das in Amerika auch ist. Ich glaube, daß wir in fünf Jahren Studiengebühren haben werden.

Kienzle: Ich halte es für eine Katastrophe, daß in die Zukunft überhaupt nichts mehr investiert wird. Die deutschen Universitäten leiden nicht nur an Geldmangel , es mangelt auch an der Förderung von Begabten; ich wäre sehr dafür. Elite ist nichts Schlechtes, Elite, die offen ist. Schlimm ist Elite, wenn wir sie so verstehen, wie der Adolf es gesagt hat, nämlich 'hart wie Kruppstahl'. Aber eine Elite zu fördern, von Leuten die Fähigkeiten besitzen, die gefördert werden müssen, das finde ich in Ordnung. Und da gibt es vielleicht auch bei den Linken eine verquere Ideologie - bei manchen Linken sowie bei manchen Rechten, die Holz vor dem Kopf haben - zu sagen, das ist ein Begriff, den man nicht akzeptieren kann.

ruprecht: Ein Patentrezept haben Sie also leider auch nicht...

Hauser: Wenn wir das hätten, dann wären wir Politiker.

Kienzle: Dazu haben wir wirklich Politiker; oder auch Professoren.

ruprecht: Da kommen wir zu einem anderen Thema: Sie haben zwei Bücher mit Beiträgen zu den verschiedensten Bereichen geschrieben. Sie haben Ahnung von allem und jedem?

Hauser: Nein, das stimmt nicht.

ruprecht: Sie tun also nur so?

Hauser: Nein, das sind ja die Themen, mit denen wir täglich zu tun haben, die in unserer Sendung sind, die wir moderieren müssen. Im Grunde ist das fast unser Zettelkasten.

ruprecht: Also eine Niederschrift der Sendungen?

Kienzle/Hauser: Nein!

Kienzle: Nein. Das sind ja keine Sachbeiträge, es sind ironisch zugespitzte Schwachpunkte. Wenn Sie z.B. die Geschichte über Waigel lesen: Da ist viel Wahrheit dran. Aber ich würde nicht sagen, daß das ein Sachartikel ist. Es ist eine schöne Glosse, um eine Entwicklung bei uns auf den Punkt zu bringen.

(Interview: jh/gz)


Meinung: Steinzeitfossil "Deutsche Uni"

von Matthias Breitinger

Es ist soweit: das große Abkassieren beginnt. Ab dem nächsten Semester, so wird es der Landtag beschließen, müssen alle Studierenden Baden-Württembergs 100 DM zusätzlich zahlen, und "Langzeitstudierende" ab dem 14. Semester 1000 DM pro Semester. Dennoch kürzt der Staat weiterhin bei den Universitäten. Die Folge: die Unis veralten. Keine neuen Geräte, keine neuen Bücher, keine neuen Dozenten... Und wir alle leiden darunter. Obwohl wir demnächst mehr bezahlen müssen, bekommen wir weniger als bisher.

Die Universitäten sind längst veraltet, doch das System wird unverändert am Leben erhalten. Der Lehrveranstaltungstyp "Vorlesung" beispielsweise stammt aus einer Zeit, in der sich noch nicht jeder ein Buch leisten konnte. Heute jedoch bringt es in vielen Fällen mehr, eine bestimmte Vorlesung nicht zu besuchen, da der Stoff in einem Lehrbuch verständlicher erklärt wird. Besser wäre eine Mischung aus Vorlesung und Seminar, in der der Dozent teilweise referiert, aber auch Diskussionen stattfinden.

Seit langem wird der fehlende Praxisbezug bemängelt. Viele Professoren haben immer noch nicht eingesehen, daß nur eine geringe Zahl ihrer Studierenden später eine akademische Laufbahn einschlagen will. Das gilt natürlich in besonderem Maße für die Lehramtsstudierenden, die nicht verstehen können, warum sie den beispielsweise den "Beowulf" im altenglischen Original lesen können müssen, ihnen aber niemand zeigt, wie man Schülern die englische Aussprache beibringt. Auch in der Privatwirtschaft begegnet man Hochschulabsolventen eher skeptisch: viele Firmen hätten lieber Leute mit praktischer Erfahrung statt Fachtheoretiker.

Eines der größten Mankos ist die Bewertung der Professoren. Es gibt in Deutschland tatsächlich Profs, die stolz darauf sind, wie wenig sie unterrichten! Professoren werden allein nach ihrer Forschung und ihren Veröffentlichungen bewertet; ob sie ihr Wissen und den essentiellen Lehrstoff auch an ihre "Schäflein" weitergeben können, spielt keine Rolle. Wohlgemerkt: ich bin nicht grundsätzlich gegen Studiengebühren für "hohe Semester". Es mag in vielen Fächern und in vielen Einzelfällen sehr wohl möglich sein, ein Studium in zehn bis zwölf Semestern abzuschließen. Doch muß jeder Einzelfall abgewogen werden; es muß festgestellt werden, welche Gründe für das lange Studium vorliegen. Und es muß berücksichtigt werden, daß das Studium in manchen Fächern eben länger dauert, als die "Regelstudienzeit" vorgaukelt.

Wichtig ist vor allem die Frage, was mit dem Geld gemacht wird. Wenn die technische Ausstattung verbessert wird (schaut Euch nur mal den karg ausgestatteten Computerraum in der UB für die vielen Altstadt-Studis an!), wenn mehr Dozenten eingestellt werden, und wenn auch weiterhin neue Veröffentlichungen und Zeitschriften angeschafft werden, hat man die Studiengebühren richtig verwendet. Wenn aber der Anteil des Staates an den Uni-Kosten in dem Maße gesenkt wird wie die Unis Studiengebühren erhalten, dann bleibt alles beim alten und so schlecht wie jetzt.


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