Meinung


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100 Mark für Bruder Klaus?

Sollen die Unis bei der Einschreibung von ihren Studis Gebühren verlan

Zum Sommersemester '97 hat der Landtag Verwaltungsgebühren in Höhe von 100 DM beschlossen, die bei der Einschreibung bzw.der Rückmeldung zusätzlich zum Beitrag für das Studentenwerk bezahlt werden sollen. Dieses Geld fließt direkt ans Land und steht nicht dem Universitätshaushalt zur Verfügung. Hier nun das Für und Wider.

"Nein"

Prof. Dr. Jürgen Kohl

Institut für Soziologie der Universität Heidelberg

Ich halte Einschreibegebühren für ein ungeeignetes Mittel, die Situation der Hochschulen bzw. an den Hochschulen zu verbessern, und lehne sie daher grundsätzlich ab.

Ich bin zwar auch kein Befürworter von Studiengebühren, aber dafür ließen sich zumindest noch gewisse Argumente ins Feld führen, die auf die jetzt geplanten Einschreibegebühren nicht zutreffen. Studiengebühren sind u.a. mit dem Ziel vorgeschlagen worden, den Hochschulen eigene Einnahmen zu verschaffen. Doch unabhängig von der löblichen Absicht - der ich durchaus positiv gegenüberstehe - haben die mir bekannten Vorschläge bisher nicht deutlich machen können, wie institutionell sichergestellt werden kann, daß den Universitäten damit tatsächlich zusätzliche Mittel zur Verfügung stünden. Selbst wenn die Studiengebühren zweckgebunden den Universitäten zufließen würden, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß die regulären (steuerfinanzierten) Haushaltsmittel entsprechend reduziert würden.

Die jetzt von der Landesregierung geplanten Einschreibegebühren sind dagegen nicht einmal zweckgebunden, sondern würden, soweit mir bekannt, als allgemeine Verwaltungseinnahmen in den Landeshaushalt fließen. Für Gebühren gilt im allgemeinen der Grundsatz, daß damit lediglich der Verwaltungsaufwand gedeckt werden soll. Jedoch ist mit der jetzt genannten Höhe von 100 DM pro Semester ein Betrag ohne nachvollziehbare Begründung festgesetzt worden. Von einer solchen Verwaltungsgebühr, die von jedem Studierenden erhoben wird, wird auch keine verhaltenssteuernde Wirkung ausgehen - jedenfalls keine positive. Eher ist zu befürchten, daß damit die finanzielle Situation insbesondere von Studierenden aus wirtschaftlich schwächeren Verhältnissen weiter verschlechtert wird, so daß eine solche Maßnahme am Ende sogar studienzeitverlängernd wirken könnte.

Meine Befürchtung ist deshalb, daß die Erhebung von Einschreibegebühren letztlich nur dazu dient, Haushaltslücken zu schließen, ohne daß den Universitäten im Endeffekt mehr Geld zur Verfügung steht. Wenn dieser Weg einmal eingeschlagen ist, kann man sich leicht ausrechnen, daß in künftigen Jahren weitere Kürzungen bei den regulären Haushaltsmitteln vorgenommen werden, die dann durch erhöhte Einschreibegebühren aufgefangen werden müßten - also eine Kette ohne Ende. Dazu kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen! Wenn erst einmal der anfängliche Widerstand überwunden ist, wird man von politischer Seite gerne und in wachsendem Umfang von diesem fiskalischen Instrument Gebrauch machen, ohne daß damit für die Reform der Hochschulen und die Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit etwas gewonnen wäre.

Letzteres wird man sicher nicht dadurch bewerkstelligen, daß man zuerst die Haushalte kürzt und dann erwartet, daß mit den gekürzten Haushaltsmitteln die Aufgaben in gleicher Weise (oder sogar besser) erfüllt werden. Bei steigenden Studienanfängerzahlen wären im Grunde sogar steigende Mittelzuweisungen erforderlich, um die Ausbildungskapazitäten entsprechend anzupassen und die Ausbildungsqualität zu erhalten. Bereits ein Einfrieren der Budgets birgt unter diesen Umständen die Gefahr einer Verschlechterung; bei realen Mittelkürzungen erscheint sie geradezu unvermeidlich. Ich halte es deshalb - vorsichtig gesagt - für sehr unrealistisch, daß Kürzungen in der jetzt diskutierten Größenordnung von 20 bis 30% ohne Qualitätseinbußen in Lehre und Forschung aufgefangen werden könnten.

Sicher gibt es auch an den Universitäten noch Sparpotentiale, da weder Verwaltungsabläufe noch Forschung und Lehre immer optimal organisiert sind. Dazu müßte nach Wegen gesucht werden, die interne Organisation und die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel so zu verbessern, daß mit den vorhandenen Ressourcen eine höhere Effektivität erreicht wird. Ein guter Ansatz hierzu scheint mir das Pilotprojekt "Dezentrale Ressourcenverantwortung” an unserer Universität zu sein, mit dem eine effektivere Ressourcenverwendung angestrebt wird. Die Ernsthaftigkeit der Sparbemühungen wird man auch daran messen können, ob das Land bereit ist, eine vergleichsweise bescheidene Mitfinanzierung für dieses innovative Projekt zu übernehmen, das kürzlich von der Stiftung Volkswagenwerk bewilligt wurde und von dem beachtliche Spareffekte ohne Leistungseinbußen zu erwarten sind.

"Ja"

Christoph-E. Palmer

Staatssekretär im Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg

Baden-Württemberg ist das hochschulreichste und forschungsintensivste Bundesland. Rund 230.000 Studierenden steht mit 9 Universitäten, 6 Pädagogischen Hochschulen, 24 Fachhochschulen und 8 Berufsakademien sowie 5 Musikhochschulen ein breit angelegtes und differenziertes Ausbildungssystem zur Verfügung. Der Hochschuletat hat in Baden-Württemberg einen Umfang von über 5 Mrd. DM pro Jahr. Ein Hochschulstudium ist also eine teure Sache. Nach unseren Berechnungen kostet zum Beispiel ein Studium an einer Universität im Durchschnitt 93.000 DM, an einer Fachhochschule 49.000 DM und an einer Berufsakademie 27.000 DM.

Die Einführung von Immatrikulations- und Rückmeldegebühren ist, mit Blick auf die angespannte Haushaltslage des Landes und die gewaltigen Einsparzwänge in allen öffentlichen Bereichen, ein zwar belastender, aber noch moderater Beitrag der Studierenden zur finanziellen Entlastung der Hochschulen. Es sei daran erinnert, daß ohne diesen Beitrag weitere 40 Mio. DM im Hochschulbereich hätten eingespart werden müssen. Bei den unumgänglichen Sparanstrengungen kann kein staatlicher Bereich mehr ausgenommen werden. Baden-Württemberg erhebt deshalb - wie Berlin - an den Hochschulen des Landes Immatrikulations- und Rückmeldegebühren.

Ab dem Sommersemester 1997 muß eine Gebühr von 100 DM pro Studierendem und Semester entrichtet werden. Diese Kostenbeteiligung der Studierenden erfolgt ausschließlich mit Blick auf die dramatische Haushaltslage des Landes. Die andernfalls im Bereich der Hochschulen für den Etat 1997 weiter zu erbringenden Einsparungen in Höhe von 40 Mio. DM wären schlechterdings nicht leistbar gewesen, ohne nicht vertretbare Einschränkungen von Studium, Lehre und Forschung hinnehmen zu müssen. Bei diesen Gebühren handelt es sich jedoch nicht - wie in der politischen Diskussion mitunter fälschlich behauptet wird - um verkappte Studiengebühren. Dies mag man auch schon daran erkennen, daß die Gebührenhöhe von 100 DM pro Bearbeitungsakt und damit pro Semester für eine Studiengebühr in Anbetracht der tatsächlichen Kosten für einen Studienplatz geradezu lächerlich gering wäre.

Baden-Württemberg hat dieses Mittel gewählt, um allgemeine Studiengebühren zu vermeiden. Die Diskussion darüber wird sich allerdings nicht erübrigen. Man muß vor dem Hintergrund der Finanzsituation - die im übrigen alle Länder gleichermaßen trifft - zwischen dem hohen Gut der elternunabhängigen Förderung und kostenfreien Hochschulausbildung einerseits und der Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Hochschulen andererseits künftig genau abwägen. Tatsache ist, daß ein Hochschulstudium für den Absolventen in aller Regel wirtschaftlich lohnend ist. Ein Studienabschluß ermöglicht noch immer ein deutlich höheres Einkommen und bringt anderweitige Vorteile. Die Lasten der Hochschulfinanzierung werden aber von allen Steuerzahlern und dabei weit überwiegend von Nichtakademikern getragen. Bei weggebrochenen finanziellen Spielräumen ist es deshalb nur folgerichtig und im übrigen auch ein Akt der Solidarität, die Studierenden sehr moderat an der Finanzierung ihrer Ausbildung zu beteiligen. Denn nicht zuletzt dadurch wird den Hochschulen ermöglicht, Studium, Lehre und Forschung in Baden-Württemberg auf dem bewährt hohen Niveau weiterführen zu können.

(Red. mj/papa)


"Zum Opportunimus habe ich keine Begabung”

Klaus Staeck über Kunst und Apathie

Klaus Staeck, Jahrgang 1938 und heimisch in der Heidelberger Ingrimstraße, gibt nicht auf. Als Künstler, Rechtsanwalt, Galerist und Politiker macht er weiterhin aufmerksam auf "den Schwindel, in dem wir leben”. Seine Plakate und Postkarten sind politische Massenkunst, populär geworden in den 70er Jahren. Die Zeiten haben sich geändert, doch Aufklärung, so hofft Staeck, hat noch eine Chance.

ruprecht: Herr Staeck, in Ihren Text-Bild-Montagen stellen Sie gesellschaftliche und politische Mißstände dar, nennen die Dinge in satirischer Übertreibung beim Namen. Was wollen Sie letztendlich mit Ihren Plakaten erreichen?

Staeck: Das Wort Denkanstöße ist immer die gebräuchlichste Bezeichnung für das, was ich mache. Es ist ein Gesprächsangebot, ein Angebot zur Diskussion über Themen, von denen ich glaube, daß sie nicht nur meine eigenen sind, sondern auch andere Menschen betreffen. Sie sind natürlich mit der Hoffnung gemacht, auch mithelfen zu können, die Zustände, die ich beschreibe, zu verändern. Das ist kein reiner Selbstzweck, daß da einer den Unmut, den er hat, in Bilder und Texte bringt, sondern ich habe neben dem künstlerischen auch einen direkt politischen Anspruch.

ruprecht: Es ist also Ihr Ziel, zu gesellschaftlicher Veränderung beizutragen. Inwieweit glauben Sie, ist das überhaupt möglich?

Staeck: Je älter man wird, um so geringer schätzt man die Möglichkeiten ein, Veränderung herbeizuführen. Am deutlichsten wird die Begrenztheit der Möglichkeiten, wenn man sich meine Umweltplakate anschaut. Die ersten habe ich vor fast 30 Jahren gemacht. Damals war das kein allgemeines Thema, sondern eher eins für Spezialisten. Inzwischen ist es für viele ein hautnahes Problem geworden. Aber wie man das Bewußtsein in Handlung umsetzt, also bewirkt, daß sich jeder einzelne nach den Möglichkeiten, die er hat, verhält - da wachsen meine Zweifel, wie man die Menschen erreicht. Nehmen Sie ein simples Beispiel, ein Plakat, das ich vor vier Jahren gemacht habe und das sich gegen den Mißbrauch dieses grünen Punktes wendet: "Der größte Schwindel nach der Farbe Grün.” Wenn man die nüchternen Zahlen nimmt: Es gibt heute mehr Dosen als vor dieser Verpackungsverordnung. Da sieht man, wie der Schwindel als allgemeines Element unseres Zusammenlebens zugenommen hat.

ruprecht: Ist es heute schwieriger, die Leute auf den "Schwindel”, auf Probleme und Mißstände aufmerksam zu machen als vor 20 Jahren?

Staeck: Es ist insofern schwieriger, als die Leute eine dickere Hornhaut bekommen haben und die Verdrängung perfekter funktioniert. Es gibt ja heute durch die Medien eine ganze Verdrängungsindustrie. Wenn die Leute den Schwindel als bezahlten Schwindel erkennen würden, wäre das ja nicht weiter gefährlich. Aber die Situation ist schon schlimm, gerade weil auch der Umgang der Leute untereinander unpolitischer geworden ist. Wir leben zwar, behaupte ich, in den politischsten Zeiten; zumindest in meiner Lebenszeit hat es kaum Zeiten gegeben, in denen sich so viele Dinge so radikal verändert haben wie im Augenblick. Und trotzdem nehmen relativ wenige Menschen an diesen Veränderungen gestaltend teil. Als am Tropf Hängende, da gibt es natürlich Millionen, aber die wirklich noch versuchen, ihre eigene Existenz zu beeinflussen, das werden immer weniger.

ruprecht: Bezieht sich das auch auf junge Leute?

Staeck: Meine Sorge ist, daß gerade die Jugend heute kaum noch Grundsatzfragen stellt. Was reitet junge Leute zum Beispiel, als wandelnde Reklamesäulen herumzulaufen? Was sich Herr Becker und Frau Graf teuer bezahlen lassen, machen viele heute ja freiwillig. Das hätten wir zu meiner Jugendzeit abgelehnt. Junge Leute kratzen heute nur noch ein bißchen an der Oberfläche, machen verrückte Sachen, die aber gleich einzuordnen sind: Chaostage, grün gefärbte Haare, Graffiti. Wenn ich sehe, daß jemand sein Namenskürzel auf jeder Hauswand hinterläßt, dann frage ich mich: "Was soll das? Was ist die Botschaft? Wenn Du mir was zu sagen hast, dann sage mir was!” So ein Satz wie "Anarchie ist machbar, Frau Nachbar” hat ja noch einen gewissen Witz, eine gewisse Botschaft. Aber nur wie Hunde an die Ecke pinkeln, um ihre Reviere abzustecken, das ist mir einfach zu wenig. Ich kann nur sagen: Freunde, wenn ihr aus dem Techno-Rausch oder was auch immer für einem Rausch erwacht, ihr werdet euch umschauen, was wir, die Alten, hinterlassen haben. Jugend muß letztlich auch immer die Alten wegschieben und sie, wenn sie zu maßlos werden, in ihre Schranken verweisen. Das war mein Modell während meiner Jugend. Da haben wir uns gegen die zur Wehr gesetzt, die unsere Ressourcen leichtfertig versuchten aufzubrauchen.

ruprecht: Wundert es Sie, wie wenig die Mehrheit der Studierenden gegen Studiengebühren protestiert?

Staeck: Naja, da kann man sagen: Nicht einmal in eigener Sache agieren sie noch, wofür denn dann? Aber ich will nicht pauschalisieren. Zu meiner Zeit hat es da auch ganz wenige Leute gegeben. Da waren an der Universität Heidelberg von 7000 Studenten vielleicht 20-30 irgendwie politisch engagiert. Als ich 1960 der SPD beitrat, war das etwas absolut Exotisches. Bei allem Lamento unterstütze ich immer alle, die etwas tun, so zum Beispiel den Boykott-Aufruf gegen Einschreibegebühren.

ruprecht: Läßt Sie die heute vorherrschende Politikverdrossenheit nicht resignieren?

Staeck: Nein, ich gehöre, wie ich immer sage, zu den ApfelbäumchenLeuten - nach dem Lutherwort "Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen.” Von Verdrossenheit keine Spur, eher von offensivem Zorn. Ich bin jemand, der dann bestimmte Dinge um so mehr anmahnt, vielleicht auch einen Ton schärfer wird, jemand, der dann versucht, seine Kräfte zu verdoppeln.

ruprecht: Sie engagieren sich seit über 25 Jahren aktiv in der SPD. Was motiviert Sie dazu?

Staeck: Ich habe immer auch die Grenzen meiner künstlerischen Arbeit, glaube ich, ganz richtig eingeschätzt. Habe erkannt, daß ohne jemand, der das politisch umsetzt, was man da fordert, nichts zu bewegen ist. Deshalb habe ich mich sehr früh um politische Anbindung bemüht, was nicht bedeutet, daß ich auch nur eine Minute sowas wie ein Parteigraphiker werden wollte. Indem ich mich mehr mit Politik befaßte, habe ich nach dem berühmten Hebel gesucht, mit dem man aus der Kunst heraus am besten etwas bewegt. Das ist nicht unbedingt eine sehr positive Erfahrung. Die Kunst ist ja etwas, wo der Kompromiß eher verpönt ist. In der demokratisch organisierten Politik ist ein guter Kompromiß, der möglichst alle Seiten befriedigt, das höchste der Gefühle. Also gibt es da schon einen fundamentalen Unterschied. Ich halte aber nichts von den Klugscheißern, die immer nur die Politik für alle Mißstände dieser Welt verantwortlich machen, sich selber aber ständig frei stellen von jeder Verantwortung. Also mein Prinzip ist nicht nur das Prinzip Hoffnung, sondern auch das Prinzip Verantwortung.

ruprecht: Und das setzen sie auch bei anderen voraus?

Staeck: Nein, freiwillig etwas für andere zu tun, entspricht nicht unbedingt dem menschlichen Wesen, das muß man deutlich sehen. Und das bedeutet auch für einen selber immer wieder die Frage: Macht das jetzt einen Sinn? Ich frage nicht, soll ich jetzt resignieren oder nicht? Aber die Sorge, die mich zusehends beschäftigt, ist, ob Leute, die wie ich immer wieder versuchen, anderen Mut zu machen, an der Veränderung dran zu bleiben. Daß die nicht möglicherweise auch Schwindler sind, indem sie den Leuten suggerieren "Jawohl, da gibt's noch 'ne Möglichkeit”. Obwohl es in manchen Umweltbereichen zum Beispiel kaum noch eine Möglichkeit gibt, weil sämtliche Entwicklungen in die Gegenrichtung laufen. Wieviele Umweltkonferenzen haben wir in letzter Zeit gehabt, und was ist dann dabei rausgekommen, außer daß die, die dahin gereist sind, die Umwelt noch mehr belastet haben?

ruprecht: Fühlen Sie sich als Kritiker in der Öffentlichkeit verstanden?

Staeck: Das Dilemma ist, daß eigentlich ja keine richtige Debatte mehr stattfindet, sondern daß jeder, der Zweifel einräumt, gleich denunziert wird. Jemandem, der fragt "Ja, muß das denn sein, muß denn ein Fußballstar immer mehr verdient und ein Arbeiter immer weniger?”, dem wird gleich unterstellt, er wolle eine Neid-Debatte führen. Da braucht man manchmal ein ganz schön dickes Fell, um trotzdem noch weiterzumachen. Ich höre oft den Satz "Das ist 70er Jahre”, was ich mache. Als ob Aufklärung obsolet geworden wäre. Ich glaube, sie ist dringender als je zuvor gefordert.

ruprecht: Aber ist es nicht so, daß die Leute heute, gerade was die Umweltproblematik angeht, eigentlich sehr gut informiert sind?

Staeck: Der Unterschied zu damals ist: Wir wissen, was wir anrichten. Das Ozon-Loch ist ja keine Fiktion, das ist Realität. Wir wissen es und ziehen trotzdem kaum Konsequenzen außer so kleinen kosmetischen Dingen. Wir haben unseren Eltern Vorwürfe gemacht, warum sie die Nazis so ohne weiteres geduldet, unterstützt, ertragen haben. Ich kann mir vorstellen, daß die nächste Generation - wenn sie dazu trotz zuviel Blei im Blut noch in der Lage ist - auch Vorwürfe macht. Darauf muß man heute aufmerksam machen, und viel mehr kann man nicht machen. Ich habe ja keine Armee oder Jurisdiktionsgewalt. Aber ich glaube schon, daß sich die Menschen unter dem Druck der Verhältnisse wieder erinnern müssen, daß man seine eigenen Lebensverhältnisse mitgestalten muß. Ich denke, daß Aufklärung notwendig ist und hoffentlich auch noch eine Chance hat.

ruprecht: Im Vordergrund Ihrer künstlerischen Arbeit steht also offensichtlich die politische Aussage. Wird dadurch der künstlerische Anspruch nicht automatisch zurückgedrängt?

Staeck: Nein. Ich habe immer das Politische und das Künstlerische gleichwertig behandelt. Ich habe nie auf eine künstlerische Aussage zugunsten des Politischen verzichtet.

ruprecht: Steht die Ästhetik der politischen Kunst nicht manchmal im Wege?

Staeck: Das Ästhetische spielt natürlich eine Rolle, aber ich unterliege nicht der Diktatur des Ästhetischen. Meine Kunst besteht darin, das Künstlerische und das Politische in der Waage zu halten, so daß nicht das eine das andere völlig erschlägt. Wenn das nicht so wäre, dann würde ich mich ja kaum von einer normalen Werbeagentur unterscheiden. Deshalb bin ich auch ein Störfaktor. Für mich ist Kunst etwas, was die allgemeine Behaglichkeit, die Verdrängung und die Zerstörung stört.

ruprecht: Würden Sie sagen, die Funktion jeder Kunst sollte aufklärerischer Art sein?

Staeck: Ich würde nicht diesen absoluten Anspruch erheben, daß jede Kunst aufklären muß. Wenn jemand der Meinung ist, durch Formexperimente das ästhetische Empfinden der Leute beeinflussen zu können, ist das natürlich legitim. Ich meine nicht, daß alle Leute so arbeiten müssen wie ich. Aber ich habe nun mal diesen Anspruch. Ich habe keine Begabung zu Opportunismus. Das ist vielleicht Pech von der Veranlagung her. Einiges wäre anders einfacher. Aber ich habe auf diese Weise zumindest ein spannendes Leben. Mir sitzen viele, die sich durch mich gestört fühlen, immer im Nacken. Das hält lebendig.

(Interview: jb)


Abschluß

Kommentar von Tadzio Müller

Was motiviert uns eigentlich zum Boykott der 100 Mark Verwaltungsgebühren? Zwei Fraktionen scheint es unter Studierenden zu geben. Sie finden freilich in einem entscheidenden Punkt zusammen. Die einen boykottieren die Gebühr nur, weil sie nicht an die Universitäten geht, sondern direkt an das Land. Sie finden aber durchaus, daß Studierenden mithelfen sollen, die Finanznöte der Universitäten lindern: Die Gesellschaft gibt uns die Chance zu einer überdurchschnittlichen Bildung; und da die meisten Studis es sich leisten können, 100 DM pro Semester aufzubringen, sollten sie, so diese Position, zur Finanzierung beitragen, so wie alle Teile der Bevölkerung zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen müssen.

Die andere Fraktion lehnt diese "Studiensteuer” völlig ab: Sie versteht Bildung als Wissensvermittlung jenseits von marktwirtschaftlichen Kriterien, als das eigentliche Kapital einer Gesellschaft. Opfern wir dieses Ideal auf dem Altar wirtschaftlicher Interessen, stellen wir unsere Schulzeit, unsere Ausbildung, unseren Beruf und damit einen Großteil unseres Lebens unter das Primat der Wirtschaftlichkeit.

100 Mark Verwaltungs- und bald noch mehr Studiengebühren sind in dieser Entwicklung natürlich nur ein Schritt: Sie verdeutlichen aber, wie wenig Landes- wie Bundesregierung nicht nur Bildung, sondern auch soziale Sicherungssysteme als gesellschaftliche Aufgabe begreifen und die Last dafür jedem Einzelnen übertragen wollen. Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung zurück und zerstört dadurch die gesellschaftliche Solidarität.

So unterschiedlich diese beiden "Fraktionen” die Bedeutung der Verwaltungsgebühren einschätzen, in einem ist man sich doch einig: Die Einzahlung auf das Treuhandkonto und die Beteiligung an Demonstrationen müssen der Anfang einer breiten, dauerhaften studentischen Bewegung sein, die sich nicht nur gegen Kürzungen bei den eigenen Mitteln wehrt, sondern sich mit anderen Betroffenen willkürlicher Streichungen in allen gesellschaftlichen Bereichen solidarisiert und durch eine weitere Ausbreitung des Protestes der Politik klarmacht, daß sie sich nicht mehr im Einklang mit den Interessen einer Mehrheit der Bevölkerung befindet. Eine Regierung, die nicht mehr das Allgemeinwohl im Sinn hat, zehrt an der Grundlage unserer Demokratie, die bislang auf einem weitgehenden Konsens über bestimmte Werte beruhte.

Die Resolution, die von der letzten studentischen Vollversammlung verabschiedet wurde, spricht eine deutliche Sprache: "Die Politik des sozialen Kahlschlags (...) an der Hochschule (...) ist ein weiterer Baustein in der Demontage des Sozialstaats, die fortgeführt werden wird, solange wir keinen (...)Widerstand entgegensetzen und uns auf fruchtlose Appelle an die herrschende Politik beschränken.” Wenn dieser Bezug auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung aber ein bloßes Lippenbekenntnisse bleibt und wir uns mit der Einrichtung des Treuhandkontos nur 100 Mark sparen wollen, dann wird die nächste Vollversammlung am 10. Februar nichts als ein mehr oder weniger aufsehenerregendes Requiem der Studierendenbewegung gewesen sein.


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