<< >> Title Contents Contents


Die andere Saite


Chaotischer Perfektionist

Der russische Gitarrist Aleksej Liapko

[Aleksey Liapko]
     Foto: papa   

Aus dem tiefen, rauhen Sibirien kommen wahre Russen wie er: Die schwarze Mütze, deren Designer sich nicht zwischen Basken- und Matrosenmütze entscheiden konnte, verdeckt seine kurzen blonden Haare und sitzt etwas ungeschickt auf den Ohren. Die Gitarre, die einfach zu ihm gehört wie das verschmitzte Lachen, hält er so zärtlich im Arm wie eine Frau - jene hat ihn immerhin auch noch nie enttäuscht. Aleksej Liapko, Gitarrist, Komponist und Liedermacher, wartet in Heidelberg auf seinen großen Durchbruch als Musiker.

1958 wurde Liapko in der Unwirtlichkeit des sibirischen Nowosibirsk geboren und zog im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern nach Tadschikistan. Mit zehn Jahren entdeckte er seine Liebe zum Gitarre-Spielen, das er sich im Selbststudium beibrachte, und mit fünfzehn begann er, seine ersten Jazz-Stücke zu komponieren. Dennoch studierte er nach der Schule an der staatlichen Musikakademie Waldhorn und Klavier, "weil Gitarre da nicht angeboten wurde". Verantwortlich für diese fünf Jahre verschwendeter Zeit war nicht nur seine mangelnde Beharrlichkeit sondern vor allem das starre kommunistische System, dem zu entfliehen nicht so einfach war. Schon während des Musikstudiums bestritt er mit verschiedenen Jobs in Orchestern allein seinen Lebensunterhalt, worauf er heute noch stolz ist. "Eine Familie hatte ich nie so recht, die Gitarre ersetzte mir die Eltern. Und schon mit vierzehn habe ich damit auf Hochzeiten und ähnlichen Veranstaltungen Geld verdient", betont er mit Nachdruck - und mit seinem unwiderstehlichen russischen Akzent.

Nach dem Studium wartete der Staat mit zwei Jahren Militärdienst auf ihn. Dieser Lebensabschnitt war zwar nicht gerade das, was man "die schöne Jugendzeit" nennt, aber er wußte sich die harte Zeit dank seines musikalischen Könnens zu versüßen. Statt wie seine Kameraden durch den Schlamm zu robben, spielte er mit den Offizieren im elitären Militärorchester Kasachstans. Doch die Gitarre blieb nicht seine einzige Liebe, und ein Seitensprung mit dem Freund Alkohol mußte er mit dem Rausschmiß aus dem Offiziersorchester büßen. Das Stiefellecken und Schlammrobben blieb ihm zwar erspart, doch fortan durfte er nur noch in einem einfachen Heeres-Blasorchester mit den unteren Rängen seinen restlichen Dienst ableisten. "Aber letztlich habe ich durch diese politischen Ränkespiele beim Militär gut verdient", gesteht er in seiner ehrlichen Art offen ein, ohne zu verschweigen, daß er dies verabscheut. "In der Sowjetunion habe ich auch gelernt, jedes Geschwätz zu ertragen und nur das wirklich Interessante herauszuhören. Das hilft mir auch heute so manchesmal, meinem Gegenüber nicht einfach 'Halt die Klappe!' an den Kopf zu werfen", erzählt er mit einem verschmitzten Grinsen - schickt aber vorsichtshalber sofort eine entschuldigende Erklärung hinterher. "Und außerdem kann ich bei einem solchen Geräuschpegel am besten komponieren."

Nach dem Militärdienst zog es Liapko in die lettische Hauptstadt Riga, wo er in der Band der als "Perestroika-Sängerin" bekannten Popsängerin Laima Waikule sein Brot verdiente. Die Tourneen mit ihr führten ihn 1987 u.a. nach Stuttgart, Wiesbaden und Tübingen. Dieser erste Kontakt mit dem "Goldenen Westen" beeindruckte ihn zwar nicht wesentlich, aber nach knapp drei Jahren in der Band war er die fade Popmusik, die ihn ohnehin nie begeistert hatte, endgültig leid. Als ihm auch noch seine Freunde und Kollegen rieten, in den Westen zu gehen, wo er mehr aus seinem Talent machen könne, faßte er 1990 den Entschluß zur Ausreise nach Deutschland. "Anfangs dachte ich, ich müsse hier putzen gehen, weil ich überzeugt war, das musikalische Niveau sei hier höher als im Osten, aber ich merkte schnell, daß das eine völlige Überschätzung war." In der Anfangszeit hielt er sich allein mit Auftritten in Restaurants und Kneipen über Wasser, und nachdem er Deutsch gelernt hatte, bekam er 1992 eine Stelle als Lehrer in der Volkshochschule und dann in der Musikschule, wo er auch heute noch unterrichtet. Eine besondere Erfahrung war für ihn die Arbeit als Klavierlehrer für blinde Kinder in Ilvesheim, die ihm viel Spaß machte. "Das erfordert eine ganz andere Unterrichtsweise als mit Sehenden", berichtet er fast enthusiastisch.

Weniger begeistert ist er von Konzerten in Gaststätten. "Ich hasse es, 'Würstchen-Blues' zu spielen: Die Leute kauen vor sich hin, keiner hört zu, und erst, wenn sie satt sind, klatschen sie." In solchen Momenten klingt seine Stimme desillusioniert, und er muß aufpassen, daß er nicht in die "Es-hört-mich-eh-keiner"-Stimmung verfällt. Doch graue Wolken lösen sich bei ihm meist schnell auf. Sobald er von seiner neuen CD erzählt, ist er kaum noch zu bremsen. "Ich kenne Leute, die mich als den besten Gitarristen Heidelbergs bezeichnen, andere nennen mich den besten Gitarristen Deutschlands, und ich wurde sogar schon der weltbeste genannt!"

Plötzlich überschlägt er sich vor Selbstüberzeugung und Selbstvertrauen. Seine musikalischen Vorbilder Pat Metheny, Tuck Andrews, Joe Pass und Paco de Lucia - den er einmal in Sankt Petersburg traf - beeinflußten seine Musikrichtung ebenso wie russische Folklore oder brasilianische Musik, die er in einer sehr eigenen Art zu arrangieren vermag. Er liebt außerdem das Experimentieren: Während auf der ersten CD vom letzten Sommer Eigenkompositionen mit klassischer Gitarre und Jazz-Standards zu hören sind, hat er auf der neuen CD den für den Blues charakteristischen Slide-Sound in seinen Jazz-Kompositionen verarbeitet.

Doch dem großen Durchbruch steht noch eine Hürde bevor: Die CDs sind zwar aufgenommen, doch zu kaufen gibt es sie noch nirgendwo. Ob eine Plattenfirma sie verlegt, kann Liapko allerdings erst wissen, wenn er sie auch angeboten hat. "Ich muß da noch einiges verbessern, die sind noch nicht gut", antwortet er nun wieder sehr selbstkritisch, und sein unschlüssiges Gesicht verrät, daß er jemanden braucht, der ihn an die Hand nimmt und am besten alles für ihn organisiert. Das Chaos in seiner Wohnung spiegelt die mangelnde Selbstdisziplin wider, die für den wirtschaftlichen Erfolg nötig ist - auch wenn man noch so talentiert ist.

Allerdings kämpft Liapko nicht nur mit sich selbst, sondern noch mit einem viel stärkeren Gegner: dem deutschen Staat. Gleich nach seiner Einreise nach Deutschland hat er einen Asyl-Antrag gestellt, doch das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat diesen abgelehnt. Sein von der UdSSR in Riga ausgestellter Paß ist inzwischen abgelaufen, und sowohl Lettland als auch Rußland fühlen sich nun nicht mehr zuständig. Damit ist er staatenlos geworden, doch gerade dies scheint auch sein Vorteil zu sein, denn er kann von Deutschland nicht abgeschoben werden, weil niemand ihn als seinen Bürger anerkennt. Mit seinem Anwalt überlegt er jetzt, eine Petition beim Landtag einzureichen - es gibt immerhin noch auszuschöpfende Ermessensspielräume und Härtefallregelungen -, "doch das kann auch bedeuten, schlafende Hunde zu wecken", befürchtet sein Anwalt.

"Wenn ich einen Paß bekomme, werde ich vielleicht in die USA gehen", überlegt Liapko, und träumt weiter von einem Haus auf dem Lande mit eigenem Studio. Doch die Realität holt ihn schnell ein: "Wenn Du etwas Ehrliches machen willst, ist es schwer, durchzukommen." (gz)


Ohnmacht

Lowrys Roman

Als Bill Ramsey wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten wird, ahnt er noch nicht, was auf ihn zukommt: Von der Polizei nach einer kleinen Rangelei schnurstracks an die Psychiatrie weitergeleitet, durchleidet er eine kafkaeske Odyssee.

Scheinbar rechtlos und angeblich unzurechnungsfähig wird er von einer Anstalt in die nächste herumgereicht, mit Medikamenten abgefüllt und mit Elektroschocks "behandelt". Ramsey kann nicht fassen, daß er den Psychiatern ohnmächtig ausgeliefert ist. Nachdem sein Gehirn immer mehr von Medikamenten und E-Schocks zerrüttet ist, bekommt Ramsey antisemitische Wahnvorstellungen und sieht sich von einer jüdischen Verschwörung umgeben.

Diese Geschichte erzählen die jetzt erstmals auf deutsch erschienenen autobiographischen Aufzeichnungen von Robert Lowry. In der Beschreibung seiner Leidensgeschichte erspart der Autor dem Leser kein noch so grauenerregendes Detail. Der Roman ist ebenso zerrüttet und zerrissen wie der Mensch, der ihn geschrieben hat. Man könnte sich sogar fragen, ob man "Lebendig begraben" (so der deutsche Titel) überhaupt als Roman bezeichnen kann. Es handelt sich um eine eher lose Sammlung von Erlebnisberichten, Protokollen und Briefen.

Diese Aufzeichnungen überhaupt anzufertigen muß ein riesiger Kraftakt für den 1952 von seiner Frau zwangseingewiesenen Lowry gewesen sein. Nicht weniger nervenaufreibend war seine Suche nach einem Verleger: Wegen der geäußerten antisemitischen Inhalte mußte Lowry den Text achtmal umschreiben. Wieviel die von Carl Weissner souverän übersetzte Version mit Lowrys erstem Entwurf zu tun hat, ist nicht mehr rekonstruierbar.

Ramseys antisemitische Paranoia vor den Hintergrund der antikommunistischen Hetze McCarthys zu stellen, wie das Hans Helms in seinem Nachwort vorschlägt, ist sicher sinnvoll. Dennoch bleibt der Leser in einer Zwickmühle: hält er die Hauptfigur (und somit implizit Lowry selbst) wegen des Antisemitismus für paranoid, gibt er den selbstherrlichen Ärzten recht. Zweifelt man jedoch an der Diagnose der Ärzte, steht man vor der Unmöglichkeit, einen paranoiden Antisemiten für gesund zu halten. "Lebendig begraben" ist gerade deswegen ein lesenswertes Buch, weil es keine endgültige Interpretation zuläßt. (fw)


<< >> Title Contents Contents