ruprecht Nr. 49 vom 1.7.1997 in einer Datei


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Mit zweierlei Maß?

Private Homepages geraten immer stärker unter Druck

Es ist schon faszinierend, was für Möglichkeiten das Internet für diejenigen bietet, die sich aktiv mit ihm auseinandersetzen. Kaum eine Woche, in der nicht eine neue Homepage eines Mitglieds der Universität in das World Wide Web gestellt wird. Daß diese Seiten sich dabei nicht immer auf rein studienbezogene Inhalte beschränken, ist in den meisten Fällen eher Bereicherung als Mißbrauch. Schließlich erwirbt jeder, der sich auf diese Weise mit den Möglichkeiten moderner Kommunikation vertraut macht, Schlüsselqualifikationen, die sich im Berufsleben oft als unentbehrlich erweisen.

URZ-Benutzer sollten es spätestens seit dem "Rundschreiben Nr.2" des Uni-Kanzlers vom 9. Januar dieses Jahres wissen: Die Einrichtungen des Rechenzentrums stehen "Studenten nur für studienbezogene Arbeiten, anderen Nutzern nur im Rahmen ihrer Dienstaufgaben zur Verfügung" Private Nutzung soll sich auf "e-Mail in dringenden Fällen" beschränken. Grundlage für dieses Rundschreiben, so der Uni-Verwaltungschef, sei die Verwaltungs- und Benutzungsordnung des Rechenzentrums .

Die Realität sieht (gottseidank) anders aus: Noch sind die Homepages in Heidelberg ein buntes Sammelsurium von Wissenschaft, Hobby und Selbstdarstellung, noch gibt es gleichermaßen Wichtiges, Interessantes und Überflüssiges. Im Rechenzentrum spielt niemand "Netzpolizei" und beschäftigt sich mit der Überwachung der WWW-Seiten. Nur bei Beschwerden greifen die Netzbetreiber ein, je nach Lage mit gutem Zureden, Entfernen der Seiten oder Einschaltung des Rechtsdezernates.

Doch beim Durchblättern der WWW-Seiten stieß ruprecht auf eine merkwürdige Homepage: Auf Anordnung des Rektorates mußte er sein Angebot entfernen, da der Inhalt nicht studienbezogen sei. Als Mitglied der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" (Mormonen), so Wolfart zum ruprecht, hatte er zahlreiche (unkommentierte) Links und Übersetzungen zu diesem Thema bereitgestellt. Einer Beschwerde aus dem Rektorat folgend, forderte die Leitung des URZ den Wissenschaftlichen Angestellten auf , diese Homepage zu entfernen, was Wolfart dann auch tat.

Zwei Mausklicks weiter aber stößt man dann auf die Homepage eines weiteren Mitglieds der Universität, die genauso wenig mit der Universität oder fachbezogener Arbeit zu tun hat. Dort hat der Landtagsabgeordnete Werner Pfisterer (CDU) sein virtuelles Zuhause errichtet. Auf zahlreichen Seiten informiert MdL Pfisterer hier über seine Parteiarbeit, seine politischen Ansichten und bietet Besuchern die Möglichkeit, über e-Mail Kontakt mit ihm aufzunehmen.

Stellt man diese beiden Fälle nebeneinander, so fragt man sich natürlich: wer entscheidet letztlich nach welche Kriterien, welche Seite bleiben darf und welche nicht? Während die "Mormonen-Page" ziemlich schnell abgesetzt wurde, geriet die Sache bei Werner Pfisterer erst in Bewegung, nachdem Vertreter anderer Parteien sich in einem Brief an das Rektorat darüber beschwert haben, daß Pfisterer die Ressourcen des Rechenzentrums für die eigene Öffentlichkeitsarbeit kostenlos in Anspruch nimmt, während Studenten vor Mißbrauch gewarnt werden.

Trotzdem könnte Pfisterer im Recht sein: Landtagsabgeordnete haben nämlich das Recht, eine Homepage im "BelWü-Netz", dem auch die Universität Heidelberg angegliedert ist, zu veröffentlichen. Bisher sind diese allerdings sämtlich auf dem Server der Universität Stuttgart beheimatet. Für Pfisterer als Angestellten der Universität Heidelberg (er ist Feinmechanikermeister in der Physik) liegt es nahe, seine Dateien hier und nicht in Stuttgart abzulegen. Als er damals den entsprechenden Antrag stellte, schien das auch keine Probleme zu bereiten. Jetzt ist die Zukunft seiner Homepage ungewiß; auch im Rektorat ist man unglücklich über die Polit-Präsenz im Uni-WWW. Um die Sache ein für alle Mal zu klären, hat Pfisterer das Stuttgarter Ministerium um Rechtsauskunft gebeten. Eine Antwort steht noch aus.

Die Vorgänge zeigen: die Universität ist weit von einer konsistenten Vorgehensweise in Sachen WWW entfernt. Es wird offensichtlich auch schon mal mit zweierlei Maß gemessen. Eigentlich sollte man sich freuen, daß die alles verbietenden Richtlinien, die der Kanzler im zitierten Rundschreiben aufstellt, von den wenigsten Benutzern eingehalten werden, daß dies den Verantwortlichen bekannt ist und daß sich trotzdem (noch) niemand berufen fühlt, die Buchstaben der Verordnung durchzusetzen. Auf der anderen Seite sind universitäre Homepage-Besitzer, weil formell rechtlos, immer auf das augenzwinkernde Wohlwollen der Verantwortlichen angewiesen. Kein angenehmer Zustand.

Natürlich gibt es Sachen, die im universitären Netz nichts zu suchen haben. Doch wer die Grenzen so eng steckt wie der Kanzler, verkennt, daß das bunte Sammelsurium im Netz nicht nur eine Werbung für die Vielfalt der Uni ist, sondern eine praktische Übung, mit neuen Medien umzugehen - und sei es am Beispiel der Darstellung des heimatlichen Wandervereins. Oder einer Kirche. Oder einer Partei.

Warum also nicht Werner Pfisterer seine CDU und Volker Wolfart seine Mormonen darstellen lassen? Das wäre konsequent und würde andere Homepage-Besitzer nicht in ein rechtliches Zwielicht stellen, wie es zur Zeit der Fall ist. Die Alternative wäre eine drastische Aussiebung der Homepages, die nur noch Lebensläufe und Bibliographien im Uni-Web übrig lassen würde. Und das kann niemand wollen. (hpc)

Kanzler-Rundschreiben: http://web.urz.uni-heidelberg.de/AllgemeinInfo/Sonstiges/Missbrauch.html
Verwaltungs- und Benutzungsordnung: http://web.urz.uni-heidelberg.de/AllgemeinInfo/Ordnungen/vbo.html
Mormonen:Kopie auf dem ruprecht-Server unter http://ruprecht.fsk.uni-heidelberg.de/mormonen
Werner Pfisterer (CDU): http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cn8


Einigung über Neigung

Auswahlverfahren für die Vergabe von Studienplätzen

Jetzt ist es soweit: Das sogenannte Eignungsfeststellungsverfahren soll erstmals für das Wintersemester 97/98 durchgeführt werden. Betroffen sind der Lehramtsstudiengang Biologie, Sport (Lehramt und Magister) und Psychologie (Magister - Nebenfach).

Mit dem Senatsbeschluß vom 27. Mai nimmt Heidelberg in Sachen Änderung der Hochschulzulassung eine Vorreiterrolle ein: Obwohl die Verordnung vom Wissenschaftsministerium noch aussteht, wollte man hier so schnell wie möglich die Chance nutzen, Studis endlich nach eigenen Kriterien auswählen zu dürfen. 50 % der Studienplätze in den lokalen NC-Fächern werden weiterhin nach Abiturnote und 10 % nach Wartezeit vergeben. Die restlichen 40 % sollen über ein Eignungsfeststellungsverfahren zugeteilt werden. Die Teilnahme daran ist freiwillig, die zusätzlichen Bewerbungsbögen werden mit den gewöhnlichen Bewerbungsunterlagen ausgegeben.

Für den Lehramtsstudiengang Biologie ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Ein Drittel der Plätze (der 40 %) soll aufgrund der Durchschnittsnote der Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik und Biologie oder "hilfsweise" der am besten benoteten Naturwissenschaft vergeben werden, die restlichen zwei Drittel nach zwei Auswahlgesprächen von je 15 Minuten pro Teilnehmer mit je einem Professor.

Jeder Bewerber für das Studienfach Sport muß sich ohnehin einem "notorischen Fitneßtest" unterziehen, nur wer besteht, darf an weiteren Auswahlverfahren teilnehmen. Für den Lehramts- und den Magisterstudiengang soll nun vor allem das sportliche Engagement bewertet werden. Eine Trainer- oder Jugendleiterlizenz, die Teilnahme am Sportleistungskurs oder die Zugehörigkeit zu Sportverbänden verhelfen künftig zum Studienplatz.

Das komplizierteste Verfahren haben sich die Psychologen ausgedacht, es ist dreistufig: Eine erste Vorauswahl berücksichtigt Noten in Kernfächern, der Psychologie nahestehende Ausbildungen und sonstiges Engagement. Die Hälfte der Plätze wird dann nach einer einstündigen Klausur an die besten Bewerber vergeben. Die dritte Stufe bilden Auswahlgespräche, denen zufolge die andere Hälfte der Plätze vergeben wird.

Die Befürworter der Auswahlverfahren erhoffen sich eine höhere Motivation bei Studierenden und Professoren. Dieses Ziel könnte erreicht werden - vorausgesetzt, es bestünde ein gut organisiertes Auswahlverfahren. Nach diesem Verfahren müßten nicht nur 40, sondern 80 Prozent der Studienplätze vergeben werden (die Zulassung nach Wartezeit muß erhalten bleiben!). Nach dem momentanen Gesetz zerfällt die Studierendenschaft (Und du? NC? Wartezeit? Eignungsfeststellungsverfahren?). Wer soll dann die "Elite" sein? Über das Auswahlverfahren wird nur zugelassen, wer nicht auf andere Weise einen Platz erhalten hat. Eine Konzentrierung auf bestimmte Kernfächer ist auch nur ein anders gewichteter NC. Auch Auswahlgespräche bergen Probleme: Sie begünstigen jene, die überzeugend auftreten und sich gut verkaufen. Ist es das, was ein künftiger Wissenschaftler mitbringen muß? Die Auswahlkriterien für das Fach Sport leuchten ein. Eine Trainerlizenz zeigt Interesse am Fach und läßt Engagement erhoffen, das über die reine Unterrichtstätigkeit hinausgeht. Fraglicher wird die Auswahl in den Geisteswissenschaften. Mitarbeit in der SMV zeugt von Engagement, aber zeugt es auch von psychologischen Fähigkeiten? Wie würde man Motivation und Eignung zu jenen Magisterfächern testen, bei denen zu Studienbeginn noch wenig ersichtlich ist, zu welchem Beruf sie führen werden? Glücklicherweise besteht bis 1999 noch die Möglichkeit, die Verfahren zu verbessern. (cw)


Ey!

Glosse

Spiel mit mir. Die Welt ist ein Sandkasten. Ganz am Rand hat ein Kind einen Sandwall um sich herum gebaut. Ist aber schon lange her. Seit neuestem will es durch Förmchen mit Hammer und Sichel obendrauf alles mit Kuchen zuzubacken. Immer mal zwischendrin verschränkt der Chinese die Arme und schmollt ein bißchen, auf wen er gerade Lust hat. Oft auf den Zwerg mit der schwarzrotgoldenen Zipfelmütze. Der hat einen großen Lolli, auf den er mächtig stolz ist, den hat er sich in fünfzig Jahren großgelutscht. Aber deshalb schmollt der Chinese nicht. Auch nicht, weil der andere vor einiger Zeit ein Stückchen Spielplatz dazubekommen hat, weil eins von den Kindern heimgehen mußte. Er schmollt, weil der Zipfelmützenzwerg mit einem kleinen Stöckchen dauernd Löcher in seine Mauer bohrt. Das findet der Chinese gar nicht witzig. Irgendwann lutscht der Zwerg aber lieber wieder an seinem Lolli, dann hört er auch auf zu bohren. Viele backen auch Kuchen und stecken eine weiße Fahne rein. "Menschenrechte" steht drauf, sie fliegt aber immer wieder um. Gerade war es ungefähr das zehntemal, weil ein bißchen südlich ein Kind nur mit schwarzen Einheitsförmchen backt. Auf ihnen steht "Srpska". Hat wohl jemand ein paar Buchstaben vergessen. Auf jeden Fall haben die anderen Kinder ihm deswegen auf die Finger geklopft und "Laß das!" gebrüllt. Das Kind läßt es jetzt, jedenfalls solange ihm die Finger wehtun. Auf eine Stelle des Sandkastens hat jemand lauter verstümmelte Playmobilmännchen geschmissen und "PKK" geschrieben. Playmobilmännchen Kriegen Karnichts. Woanders haben da ein bißchen die weißen Fahnen gezittert. Aber irgendwann war die Sache allen langweilig. Lieber die Sandschlacht angucken. Nur weil der mit dem langen Bart dem Zipfelmützenzwerg einen Böller in seinen Mykonos-Spielplatz warf. Dann wollte der Zwerg statt Sand zu werfen lieber wieder an seinem Lolli lutschen. Hoppla. Gerade war 1. Juli. Aus Versehen hat der Chinese einen kleinen Turm mit dem Ellbogen umgestoßen. War wohl nicht so wichtig. So sehr stark haben die Fahnen auch nicht gewedelt. (rot)


Zahlen des Monats

Wer muß zahlen'?

Wegen einer kleinen Panne in Ausgabe Nr. 48 hier noch einmal:

Fachstudiendauer einiger Studiengänge in Heidelberg (Semester) - Medianwert*

10,9 Pharmazie (Staatspr.)

11,0 Volkswirtschaftslehre (Dipl.)

12,0 Physik (Dipl.)

13,0 Biologie (Dipl.)

13,8 Romanistik (Mag.)

14,5 Germanistik (Staatsex.)

14,9 Kunstgeschichte (Mag.)

*Beim M.werden die Fälle in zwei gleich große Hälften unterteilt, d.h. je 50% liegen unter bzw. über dem Wert. Der Median der Studiendauer markiert somit die Zeit, bis zu der die schnelleren 50% der Studierenden ihr Studium absolvieren; 50% brauchen länger. (Quelle: Wissenschaftsrat)


Meinung


Wissenschaft aus Neugier

Der Nobelpreisträger Bert Sakmann im Interview

Ein unscheinbarer Backsteinbau beheimatet die Crème de la Crème der Heidelberger Forschung: das Max-Planck-Institut für medizinische Forschung. Hier werden spektakuläre Entdeckungen gemacht, von denen der Normalbürger erst Kenntnis nimmt, wenn er als Patient von Ihnen profitiert. In seinem bescheidenen Büro empfängt uns Bert Sakmann. Hinter seinem kahlen Schreibtisch steht ein riesiger Aktenschrank. Eigentlich war das Interview auf 20 Minuten angesetzt, doch Bert Sakmann nimmt sich eine dreiviertel Stunde Zeit. Wenn er mit ruhiger Stimme von seiner Arbeit erzählt, scheint der schwäbische Akzent noch leicht durch.

Professor Bert Sakmann, 1942 in Stuttgart geboren, studierte in Tübingen und München Humanmedizin. Nach verschiedenen Forschungstätigkeiten im In- und Ausland leitet er heute das Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg. Dort leitet er heute die Abteilung für Zellphysiologie. Der Entwickler der Patch-clamp-Technik arbeitet an der Aufklärung der synaptischen Reizübertragung an Nervenzellen. Neben zahlreichen Ehrungen und Preisen ist er auch Träger des Ordens Pour Le Mérite, die höchste Auszeichnung, die Deutschland an Wissenschaftler und Künstler vergibt.

ruprecht: Verstehen Sie sich heute als Forscher oder als Mediziner?

Sakmann: Nur als Forscher, also als Wissenschaftler. Ich habe diese Entscheidung während meines Medizinstudiums getroffen, eigentlich vor dem Physikum schon, daß ich die Medizin fertig mache, sozusagen damit ich einen bürgerlichen Beruf habe. Schon in der Vorklinik haben mich die Physiologie, die Biochemie, und die Biophysik so interessiert, daß eigentlich klar war, daß ich das weiter machen wollte.

ruprecht: Haben Sie dann schon während des Studiums darauf hingearbeitet?

Sakmann: Damals war das Medizinstudium sehr interessant, und wir haben praktisch alle zwei Semester in eine andere Universitätsstadt gewechselt. Dabei gab es verschiedene Gesichtspunkte: einmal, was einen interessiert hat. Es war schon bekannt, wo es gute Professoren gab oder ein gutes Klima. Zum anderen war das natürlich auch eine politisch bewegte Zeit in den 60er Jahren. Das Medizinstudium habe ich dann schon fertig gemacht, habe mich aber sofort nach dem Physikum für eine Doktorarbeitsstelle interessiert, habe dann schon während den klinischen Semestern mit der Doktorarbeit angefangen. Dabei hatte ich sehr verständnisvolle Kliniker, die mich dann sozusagen um 12 Uhr ins Institut gehen ließen.

ruprecht: Wie wichtig waren für Sie die politischen Ereignisse?

Sakmann: Es klingt heute vielleicht ein bißchen herablassend, aber das war mehr oder weniger Freizeitbeschäftigung. Auch in Berlin oder München ist man zunächst mal hin, weil man nichts anderes zu tun hatte. Die Bedeutung der 68er-Ereignisse wird heute ein bißchen hochstilisiert.

ruprecht: Also mehr Gaudi?

Sakmann: Richtig. Aber auch bei denen, die sich heute als 68er hochstilisieren, war's mehr oder weniger Gaudi. Wenn Semesterferien waren, war ja alles ruhig.

ruprecht: Wie groß sind die persönlichen Opfer, wenn man es in der Wissenschaft zu etwas bringen will?

Sakmann: Wenn man sich überlegt, was man sein Leben lang machen will und man die Freiheit hat, seinen Interessen oder seiner Neugier nachzugehen, bringt man eigentlich gar keine Opfer. Wir hatten damals andere Berufsaussichten. Bei uns war eigentlich die Frage eher, wo gehen wir hin, wo ist es am interessantesten. Heutzutage ist es ja so, daß sich diese armen Kerle anstellen müssen. Um uns haben sich die Krankenhäuser gerissen. Und von daher waren für uns materielle Gesichtspunkte sekundär. Das war vor der Medizinerschwemme. Bei uns ging's nur darum: Wo bekomme ich die beste Ausbildung, welche Stelle nehme ich an?

ruprecht: Den Nobelpreis haben sie bekommen für ein Messverfahren für Ionenkanäle.

Sakmann: Es ist nicht das Meßverfahren ausgezeichnet worden, sondern es sind die Einsichten, die man dadurch erhalten hat - Größe und Dauer der elementaren Stromereignisse in biologischen Membranen, die durch Ionenkanäle vermittelt werden.

ruprecht: Waren diese Erkenntnisse, die sie dabei gewonnen haben, ein Ergebnis einer plötzlichen Idee oder jahrelanger Arbeit?

Sakmann: Das hat ungefähr fünf, sechs Jahre gedauert, von der Fragestellung bis zur Perfektionierung der Methode und der Analyse. Jahrelang hat uns dann beschäftigt, wie die Strommessungen strukturell zu interpretieren sind. Was uns zur Zeit beschäftigt ist, wie diese verschiedenen Ionenkanäle zusammenspielen. Es ist allgemein in der Biologie so, daß man mit der reduktionistischen Betrachtung sehr weit gekommen ist: man kennt jetzt fast alle Elementarteile, und die Herausforderung für das nächste Jahrhundert ist herauszufingen, wie sie in so komplexen Systemen wie Nervenzellen zusammenspielen.

ruprecht: Ihre Forschungsarbeit wurde sicherlich durch den Nobelpreis am deutlichsten gewürdigt.

Sakmann: Das ist die prestigeträchtigste Anerkennung. Was einen da natürlich freut, ist die Anerkennung von den Kollegen und Mitbewerbern. Es gibt ja immer einen mehr oder weniger scharfen Wettbewerb, und es ist eine Art Anerkennung nicht nur von denen, die den Nobelpreis auf einem anderen Gebiet erhalten, sondern besonders auch von denen, die auf dem selben Gebiet arbeiten. Deshalb ist der Nobelpreis nicht wegen des ganzen Rummels wichtig, sondern weil er das Ergebnis einer weltweiten Abstimmung ist.

ruprecht: Wenn man plötzlich von seiner Nominierung erfährt, wie fühlt man sich dann?

Sakmann: Ich hatte mich natürlich gefreut, daß das jetzt anerkannt wird, hatte aber gerade eine Serie anderer Experimente vor, und dann war mir klar: Für das nächste halbe Jahr ist also Schluß damit.

ruprecht: Ist für sie ein Literaturnobelpreis gleichwertig mit einem in der Naturwissenschaft?

Sakmann: In der Literatur hat man natürlich eine ganz andere Skala der Bewertung. Literaturnobelpreise werden nach Kriterien vergeben, die sicher nicht die Kriterien sind, nach denen ein Nobelpreis in der Wissenschaft vergeben wird. Da kommen politische Gesichtspunkte hinein, Vorlieben der Akademiemitglieder. Eine Nominierung im kulturellen Bereich wird von so vielen Strömungen gespeist, daß das nicht mit den Naturwissenschaften vergleichbar ist. Hier wird ein Erkenntniszuwachs ausgezeichnet. Das unterscheidet uns von der Soziologie oder sonstigen Kulturwissenschaften. Einmal ist man Positivist, einmal Hermeneutiker, was gerade so in Mode ist. Und das ist bei uns nicht oder nur im geringsten Maße der Fall. Obwohl von einigen Soziologen gerade versucht wird, naturwissenschaftliche Einsichten als soziales Konstrukt sozusagen zu diffamieren. So eine Art Bewegung von frustrierten Soziologen.

ruprecht: Und wie sehen Sie sich gegenüber einem Literaturnobelpreisträger?

Sakmann: Die Kunst ist rational nicht faßbar. Wenn sie Musik hören oder vor einem Picasso-Bild stehen, regt das ganz andere Seiten in ihrem Gehirn an. Das ist sicher noch nicht objektivierbar. Da geht die Persönlichkeit des Künstlers mit ein. Ein Literatur- oder Friedensnobelpreis hat auch eine sehr viel größere Außenwirkung. Da ist es die Person, die geehrt wird. Nadine Gordimer war die Literaturpreisträgerin 1991. Sie war einfach eine beeindruckende Persönlichkeit. Das wird einem in dem Maße nicht klar, wenn man nur ihre Romane liest.

ruprecht: Ihre Nominierung liegt jetzt sechs Jahre zurück. Was hat sich da verändert?

Sakmann: Eigentlich nichts. Ich hatte eine Zeit lang mehr Außenverpflichtungen für die Max-Planck-Gesellschaft und für die Forschung allgemein. Wir leben ja von Steuergeldern, und man muß das allgemeinverständlich darstellen, wozu wir sie verwenden. Man kann dann die schlimmsten Auswüchse von Falschdarstellung von ein paar Journalisten, die Interesse daran haben, die Forschung zu diffamieren, richtigstellen. Man begibt sich dabei in ein Gebiet, in dem andere Regeln herrschen, die wir nicht akzeptieren. Pauschaliert wird versucht, Meinungen zu manipulieren, egal ob das auf Fakten beruht oder nicht. Das ist ein Verhalten, das bei uns zum Absturz führt. Die Naturwissenschaften stellen eine ganz andere Kultur dar und der Graben zwischen den zwei Kulturen wird leider immer größer, weil Informationsdefizite bei den Nichtnaturwissenschaftlern vorliegen.

ruprecht: Ein Mangel an Journalisten, die Naturwissenschaft allgemeinverständlich darstellen?

Sakmann: Nein. Das wird jetzt besser. Das Schlimmste ist vorüber, seitdem seriöse Tageszeitungen den Wissenschaftsteil wichtiger nehmen

ruprecht: Sie leisten ja als Mediziner Grundlagenforschung. Ist es nicht frustrierend für sie, das Leid zu sehen, daß, während sie das Haus auf der einen Seite zu löschen versuchen, auf der anderen Seite gezündelt wird?

Sakmann: Das kann man konstatieren. Aber man muß sehen, wo man selber Einflußmöglichkeiten hat. Im politischen Bereich gelten eben andere Regeln. Da wird versucht, die eigene Vorstellung durchzusetzen ohne Rücksicht auf die Mittel. Deshalb muß man versuchen, in dem Bereich, in dem man Wirkungsmöglichkeiten hat, einzugreifen. Wenn man sagt, man will Menschen helfen, geht das heutzutage meistens nur über die Entwicklung von Diagnose- oder Therapieverfahren. Und es ist heute leider so, daß die Entwicklung eines neuen Heilmittels zwischen 300 und 500 Millionen DM kostet. Eine Einsicht umzusetzen in etwas, das schließlich verkauft wird, geht nur mit Hilfe der Großindustrie. Es ist vollkommen klar, wenn wir etwas haben, was sich wirtschaftlich ausnutzen läßt, daß das der deutschen Industrie zugute kommen kann. Was wir produzieren können, sind Einsichten, und dann müssen Leute aus der Industrie kommen, die Ideen haben, wie man so etwas umsetzt.

ruprecht: Sehen sie nicht die Gefahr, die in den Medien angedeutet wird, daß die Wissenschaft die ethischen Gesichtspunkte ihres Handelns nicht ausreichend reflektiert?

Sakmann: Die Neurowissenschaften sind noch so weit weg von einer Einflußnahme, daß man das vollkommen ausschließen kann. Wenn sie einen naturwissenschaftlichen Sachverhalt aufdecken, ist das nichts Unethisches. Die Ethik kommt dann ins Spiel, wenn es darum geht, aufgrund dieser Kenntnisse etwas zu verändern. Dafür sind im wesentlichen Politiker verantwortlich, die die Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen steuern könnten. Derjenige, der die Eisenherstellung entdeckt hat, war sicherlich nicht in der Lage, vorherzusehen, daß daraus einmal Spieße gemacht werden. In dieser Situation sind wir auch heute.

ruprecht: Auf den Gang der Anwendung fordern sie aber politischen Einfluß? Zum Beispiel einen Rat der Nobelpreistträger der Vereinten Nationen, der nicht nur von unten Interessen vertritt, sondern auch von oben Vernunft einspielen läßt?

Sakmann: Ethik ist ein Gebiet, daß zweieinhalbtausend Jahre alt ist, und es gibt bisher keine allgemein verbindlichen Richtlinien. Was ethisch vertretbar in einer Kultur ist, das ist nicht vertretbar für die ganze Welt. Ich möchte nicht polemisch werden.Aber wenn sie sehen, wieviel Leid angerichtet wurde aufgrund von solchen ethischen Vorgaben, in deren Namen Kriege geführt wurden, und dem Schaden, der angerichtet wurde durch falschen Einsatz von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, ist der vernachlässigbar. Ich halte Ideologien für erheblich gefährlicher.

ruprecht: Wir bedanken uns für das Gespräch. (jm, fw)


Hochschule


Anständige Studenten, süße Philosophen

"Reformieren statt deformieren": Heidelberger Studenten versuchten mobil zu machen

Mit einer Reihe von Veranstaltungen setzten sich engagierte Studierende Ende Juni gegen die Hochschulpolitik der Landesregierung ein. Eine Woche lang boten Fachschaften und Hochschulgruppen unter dem Motto "Reformieren statt deformieren" mit Workshops, Diskussionen und vielem mehr ein Forum für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der vielzitierten Misere.

An Ideen mangelte es den beteiligten Gruppen für diese Aktionstage nicht, an interessierten Teilnehmern allerdings schon. Dabei ließ das Programm alles andere als abschreckendes, langweiliges Gejammer erwarten. Die Fachschaft Kunstgeschichte etwa lud zur Podiumsdiskussion mit der ehemaligen Kultusministerin Brigitte Unger-Soyka (SPD) und dem Studienberater Raban von der Malsburg (CDU). Die Fachschaft Theologie baute einen Hindernisparcours auf, der den Weg durch das Studium symbolisieren sollte. Ein "DozentInnencafé" organisierte die Fachschaft Math-Phys.

Daneben gab es Informationsveranstaltungen für Studierende, wie z. B. vom Sozialreferat der FSK zum Thema Mieten und Wohnung und dem AK Jura zu der Möglichkeit einer Klage gegen die Verwaltungsgebühren. Den Philosophen ging es in einer Diskussion ohne Podium um Sinn und Zweck ihres Fachs. Zusätzlich stellten sie sich an einem Samstag auf den Theaterplatz und richteten ihre Leitfrage "Wozu Philosophie?" an Passanten. "Philosophen sind süß", erfuhren sie dabei unter anderem.

Im Rahmen der Podiumsdiskussion der Kunsthistoriker stellte Prof. Werner Böge sein selbsterdachtes Finanzierungsmodell vor, das auch Studiengebühren vorsieht. Im Gegenzug schlägt der Professor für angewandte Mathematik vor, allen Studierenden ein Darlehen anzubieten, mit dem sie ohne Geldsorgen und unabhängig von den Wünschen der Eltern ein Vollzeitstudium betreiben können. Die Rückzahlung könne dann an die Steuern gekoppelt werden. Wer genug Geld verdient, soll dann ein Leben lang mehr Steuern zahlen. Die Leiterin des Kunsthistorischen Instituts, Prof. Lieselotte Saurma, trat dagegen für Strukturreformen innerhalb der Hochschule ein.

"Die Geldknappheit ist eine echte Chance" - der als Hardliner bekannte Malsburg (CDU) erhielt etliche Buh-Rufe, räumte aber einen "gewissen Zynismus" seiner Argumente ein. "Der Student ist Kunde", so lautet seine Zukunftsvision. Unger-Soyka (SPD) kann sich zur Rettung aus der Finanzkrise der Hochschulen eine "gezielte staatliche Neuverschuldung" vorstellen. "Soviel Phantasie wie Herr Waigel müßten wir doch auch haben!", meinte die Ex-Politikerin. In jedem Fall solle Bildung für alle Bürger möglich sein, sie festige schließlich die Demokratie. Ihrer Einschätzung nach hat die Hochschulkrise "ein betrübliches Niveau" erreicht.

Der AK Jura wies in seiner Aktion am vergangenen Sonntag darauf hin, daß für die Verwaltungsgebühren keine Härtefallregelung vorgesehen ist. Studierende, die am Existenzminimum leben, sind also auch verpflichtet, die 100 DM zu zahlen. Sie können sich nicht, wie etwa im Falle der Rundfunkgebühren, davon per Antrag befreien lassen. Nach Auffassung des AK Jura ist diese Situation nicht hinnehmbar. 25 Prozent der Studierenden lebten nach Erhebungen des Deutschen Studentenwerks mit weniger als 1000 DM monatlich, so der Arbeitskreis. "Für viele sind eben 100 Mark wirklich viel Geld. Die können dann am Ende des Monats nur noch Ravioli essen", ärgern sich die angehenden Juristen. So bleibe möglicherweise vielen Kommilitonen nichts anders übrig als die Exmatrikulation.

Grundsätzlich besteht jedoch die Möglichkeit, einen Antrag auf "Niederschlagung der Gebühr" zu stellen, wenn man durch die Gebühr in eine Notlage gerät oder eine sogenannte unbillige Härte erfährt. Einige Studierende haben dies bereits versucht, erhielten jedoch einen Ablehnungsbescheid. Nach einem erneut abgelehnten Widerspruch bleibt noch die Klage. Der AK Jura ermuntert ausdrücklich dazu, wenigstens einen Antrag auf Befreiung der Gebühr zu stellen. Weitere Informationen dazu gibt es im Net unter http://www.uni-heidelberg.de/stud/fsk/aks/jura.

Die überraschendste Veranstaltung der Aktionstage schließlich war die "Demo der anständigen Studenten". "Elite statt Masse - Trotha ist klasse!" skandierte in der vergangenen Woche ein Häufchen von kaum 50 Studierenden lautstark in die Heidelberger Hauptstraße. An Demonstrationen ist man hier gewohnt, aber daß sich die jungen Leute für Studiengebühren einsetzten, irritierte schon: "Meinen die das etwa ernst?". Das ominöse "Komitee für mehr Anständigkeit an den Heidelberger Hochschulen" war Initiator der Demo.

In ihrer Kundgebung vor dem Psychologischen Institut wetterten die selbsternannten Vorzeigestudenten gegen "Faulpelze, die noch mit 30 verbilligt ins Lichtspieltheater wollen". Studienfächer wie Philosophie und Ethnologie seien völlig überflüssig, und wer sich finanziell kein Studium mehr leisten könne, solle doch die Hochschule verlassen. Junge Frauen mögen sich, sülzte der Redner, wieder der Familie widmen statt zu studieren. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sei sehr wünschenswert, Studiengebühren sowieso.

"Bummelstudenten und Unruhestifter raus!" forderte das "Komitee für mehr Anständigkeit". Die eigens inszenierte Gegendemo wurde von anständigen Studenten aufgelöst, und die "Unruhestifter" sollten dem Rektor der Alma mater zur Bestrafung übergeben werden - am liebsten im Karzer. Der Chef war nicht da, so blieb es bei Blumen mit Fan-Brief vor der Tür des "sehr verehrten, lieben Professors".

Die anständigen Protestler fuhren eine Sammlung haarsträubender Plattitüden auf, die einen hohen Unterhaltungswert hatten. Doch ernst war es ihnen schon damit. "Bei den Protestaktionen der letzten Monate hat sich ja gezeigt, wie die meisten Studenten denken", erklärte einer der Redner im Gespräch mit ruprecht. Sein "Komitee" wolle nur die offensichtliche Meinung der schweigenden Mehrheit repräsentieren.

(sv)


Verraten und verkauft

Die Organisatoren der Protestaktionen des Wintersemesters sind enttäuscht

Rückmeldeantrag: 179 DM, davon 100 DM Verwaltungsgebühr. Was im Wintersemester noch als verkappte Studiengebühr von einer vergleichsweise breiten Schicht der Studenten verurteilt und aktiv bekämpft wurde, scheint jetzt, ein halbes Jahr später, niemanden mehr so recht zu interessieren. Wie gehen die Organisatoren der Proteste von gestern mit der Lustlosigkeit der Kommilitonen von heute um?

Im Wintersemester waren die Demonstrationen und Protestaktionen von verschiedenen Gruppierungen ausgegangen. Sie trugen Informationen in die Öffentlichkeit und kanalisierten den Willen zur Kundgabe der studentischen Position in der Öffentlichkeit. Wie an anderen Universitäten im Musterländle kam es auch in Heidelberg per Beschluß der Vollversammlung (und dieses eine Mal hatte sie den Namen auch verdient) zur Einrichtung eines Treuhandkontos. Was daraus wurde, ist bekannt. Das notwendige Quorum, welches den Vertretern der Organisationen eine starke Verhandlungsbasis hätte werden sollen, wurde weit unterschritten. Wenn jetzt kein Treuhandkonto, keine Großdemonstrationen, sondern allenfalls kleinere Protestaktionen ohne breite Wirkung stattfinden, dann stellen sich mehrere Fragen: Ist der studentische Protest völlig eingeschlafen, haben alle resigniert? Oder ist der Teil der Studierenden, die zum Protest bereit wären, auf die Vorreiter aus den Protestorganisationen angewiesen? Haben diese die Motivation verloren, oder gehen sie jetzt andere Wege? Vertreter der Fachschaftskonferenz, des Aktionsbündnisses Zahltag, Vertreter des Treuhandkontos sowie der JUSO-Hochschulgruppe haben in einem Gespräch Ende Juni auf diese Fragen durchaus unterschiedliche Antworten gefunden. Resignation ist vor allem dort zu spüren, wo der Protest und die Aktion Treuhandkonto im Mittelpunkt standen. Eine Wiederbelebung des Protestes hält so gut wie niemand für sinnvoll, jedenfalls jetzt nicht. In gewisser Weise sei man auch enttäuscht über die Möglichkeiten, die einem die Unterstützung der Studierenden Mitte der neunziger Jahre noch läßt.

Auf die Feststellung, daß die Aktionen im Winter unterm Strich als Mißerfolg gesehen werden müßten, entsteht zum Teil starker Widerspruch. Charlotte Lutz (FSK) wird nicht müde, in der Mobilisierung von bis zu 4000 Demonstranten pro Aktion zumindest insoweit einen Erfolg zu sehen, als die Themen dadurch nicht nur in die Öffentlichkeit gelangt seien: "Es ist vor allem zu hoffen, daß dadurch mehr Studierende für hochschulpolitische Themen sensibilisiert worden sind. Die Gremienarbeit könnte dadurch ausgebaut werden."

Ob der Protest von ihnen abhängig sei, das müssen sie in Bescheidenheit und wohl auch unwillig mit ja beantworten. Denn auch wenn Kirsten Pistel (FSK) von vereinzelten Anrufern spricht, die sich über die Möglichkeiten der Zahlungsverweigerung erkundigen, so muß sie zugleich einräumen, daß niemand auf die Idee kommt, selbst die Initiative zu ergreifen. Eine Wiederaufnahme des Treuhandkontos war zumindest in Heidelberg geplant, so Tobias Horn (FSK). Man habe jedoch auf eine landesweite Aktion gesetzt, und dazu sei außer Heidelberg keine Universität bereit gewesen. Also kein Mangel an Motivation? Kirsten Pistel hält dagegen: "Es ist unverantwortlich, eine solche Aktion mit derart wenig Helfern durchzuführen."

Andere Töne kommen von einem Vertreter des mittlerweile stark dezimierten Zahltagbündisses: Alex Neumann sieht in dem Mißerfolg des Treuhandkontos eine klare Schwächung der Motivation innerhalb seiner Organisation, aber auch die Einzahler am Konto hätten durch das Scheitern, soweit er das im Freundeskreis sehe, nur wenig Lust auf weitere Aktionen. Auch habe die Zahl der Beteiligten am Bündnis stark abgenommen.

Bereits vor einiger Zeit hat Christoph von Friedeburg das Bündnis verlassen, der als Vertreter der JUSO-Hochschulgruppe andere Möglichkeiten als den öffentlichen Protest sieht. Da auf breite Unterstützung seitens der Studenten nicht gehofft werden könne, müsse man stärker auf die Politik einwirken und dort in Verbindung mit den Parteien auf eine vernünftigere Regelung hinarbeiten. "Aktionen mit einer Mehrheit der Studenten sind schon deswegen nicht mehr sinnvoll, weil schon jeder zweite nicht einmal von der Einführung der Rückmeldegebühren im Vorfeld Kenntnis genommen hat."

Auch wenn man den Aktivisten keine Resignation anmerken kann, enttäuscht sind sie auf die eine oder andere Art alle. Die einen über das nicht erreichte Ziel, die anderen über die zu geringe Resonanz bei den Studierenden. Die Arbeit in den Gremien wird auf jeden Fall weitergehen.,

(s.Kommentar: "Auch Du") (papa)


Auch Du

Alle sind gefragt

Die Vorreiter des studentischen Protestes gegen die Einführung von Einschreibgebühren sind zu bewundern und zugleich zu bedauern.

Wer so viel Zeit, Arbeit und Gedanken für seine Kommilitonen investiert, hat wahrlich Respekt und Anerkennung verdient. Doch muß die Frage erlaubt sein, ob in Anbetracht der Lage ein solcher Einsatz ohne die Unterstützung der übrigen Studenten überhaupt zu rechtfertigen ist. Diese sind entweder politisch völlig desinteressiert, oder sie haben sich damit abgefunden, daß der Staat auch offensichtlich unsinnige Regelungen durchsetzen kann, ohne daß man darauf Einfluß nehmen könnte. Daß es sich bei den von den einzelnen Gruppen verfolgten Zielen nicht um utopistische Forderungen handelt, beweist das Interview mit Bundesbildungsminister Rüttgers in "Bonn direkt" vom 22. Juni. Die Einführung von Studiengebühren hat Rüttgers für nicht akzeptabel erklärt, weil sie die Situation der Hochschulen nicht verbessern würden, die Gelder würden in den Landeshaushalten versickern. Außerdem rechtfertige der Zustand der Hochschulen nicht die Erhebung von Gebühren.

Die Studenten von heute sind mitverantwortlich für das Bildungssystem der Zukunft. Gemeinsam kann man sicherlich einiges erreichen. Wenn aber die Rückendeckung für die Protagonisten unter den Studenten fehlt, dann ist es eine Frage der Zeit, wie lange es noch solche Vorreiter geben wird. Im Augenblick jedenfalls bleibt in vielen Gruppen der Nachwuchs aus. (papa)


Australien ist kein Modell

Die oft zitierte australische Version der Studiengebühren hat eine groteske Wendung erfahren

Samstagnacht in Sydney, 2:15 Uhr am Morgen. Die Verwaltung der University of Technology (UTS) ist seit drei Tagen von Studierenden besetzt, die damit gegen Pläne zur Einführung von Studiengebühren demonstrieren wollen. Plötzlich krachen Vorschlaghämmer gegen die verriegelten Außentüren, und wenig später stürmen 115 Polizisten das Gebäude.

Die rund 50 im Schlaf überraschten Besetzer werden zunächst am friedlichen Abzug gehindert, später beginnen die Einsatzkräfte damit, sie gewaltsam und teilweise in Handschellen abzuführen. Zwei Studierende werden im Verlauf der Aktion von Polizeihunden gebissen; medizinische Hilfe wird ihnen verweigert. Am nächsten Morgen bilanziert die Polizei einen Sachschaden von annähernd 100 000 DM, den sie den Besetzern anlastet. Die Studierenden behaupten jedoch, der Schaden sei allein durch das gewaltsame Eindringen der Polizei verursacht worden. Mit diesen Ereignissen des 29. März hatte der Streit um Studiengebühren an Australiens Universitäten einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Nachdem in Australien ähnlich wie in Deutschland in den 70er Jahren der Hochschulzugang von jedweder Kostenbelastung befreit wurde, führte die Regierung des Commonwealth, des Gesamtstaates Australien, 1989 in einem weltweit einzigartigen Versuch nachlaufende Studiengebühren ein. Die Argumentationslinien gleichen denen in Deutschland: Die Befürworter von Studiengebühren verwiesen darauf, daß Akademiker materiell durch bessere Einstellungschancen und ein höheres Durchschnittseinkommen von ihrer Ausbildung profitierten und deshalb an deren Kosten beteiligt werden sollten. Die Gegner hielten den gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Universitätsausbildung dagegen, der von einer aufgeklärten Öffentlichkeit bis zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft reiche, und forderten den Erhalt der Steuerfinanzierung der Universitäten.

Die sozialdemokratisch (sic!) ausgerichtete Labour-Regierung befand am Ende, daß die Studierenden angemessen an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligt werden sollten, und führte Studiengebühren von ca. 3000 DM pro Jahr ein. Die Studierenden hatten fortan die Wahl, im voraus (up-front) zu bezahlen, und damit einen Rabatt von 25% zu erhalten, oder einen Fonds namens HECS in Anspruch zu nehmen. HECS steht für Higher Education Contribution System und ermöglicht den Studierenden, die Zahlung der Gebühren solange aufzuschieben, bis sie ein eigenes Einkommen erzielen.

Vereinfacht gesagt, handelt es sich um ein unverzinstes aber an die Inflation angepaßtes ("dynamisiertes") Darlehen mit speziellen Rückzahlungskonditionen, die sich am jeweiligen Einkommen des ehemaligen Studenten orientieren: Bis zu einem Jahreseinkommen von ca. 35 000 DM waren die Schuldner von jeglicher Rückzahlungsverpflichtung befreit, bei höheren Einkünften wurden zwischen 3% und 5% des Einkommens fällig. Mit Erreichen des Pensionsalters wird eine eventuelle Restschuld getilgt, so daß zu keinem Zeitpunkt ein Armutsrisiko besteht.

Die Bewertung der Ergebnisse von HECS fällt naturgemäß sehr unterschiedlich aus. Die Regierung stützt sich auf zahlreiche Studien, die belegen, daß HECS keinerlei abschreckende Wirkung auf Kinder aus einkommensschwachen Familien hat (was lediglich heißt, daß sie genauso unterrepräsentiert sind wie 1989), und verweist auf mittlerweile eingehende Rückzahlungen von etwa einer halben Milliarde Mark pro Jahr, die formal den Universitäten zugute kommen. Der landesweite Zusammenschluß der Studierenden (National Union of Students, NUS) hielt dem Berechnungen entgegen, wonach ein Student der Rechtswissenschaft mit HECS nominal bis zu dreimal soviel bezahlt wie ein Kommilitone, der sich up-front-Zahlung leisten kann (eine Folge der Dynamisierung), und fordert die Abschaffung jeglicher Studiengebühren. Aktuell wurde diese Debatte aber erst wieder mit dem Regierungswechsel 1996. Die neu Regierung der konservativen Kräfte war mit dem Versprechen angetreten, binnen einer Legislaturperiode einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen Daher wurden die Zuweisungen an die Universitäten drastisch reduziert und allerlei neue finanzielle Belastungen für die Studierenden eingeführt.

Empfänger von Austudy (der australischen Variante des BAföG ) müssen seither mit deutlich verringerten Zahlungen auskommen, das Mindesteinkommen, das zur Rückzahlung von HECS-Darlehen verpflichtet, wurde auf ca. 27 000 Mark pro Jahr verringert und die Höhe der jährlichen Zahlung deutlich auf bis zu 6% des Einkommens gesteigert. Dies gilt auch rückwirkend! Für Studieneinsteiger gelten zudem neu Gebührensätze, die sich an den Kosten der Ausbildung im jeweiligen Fach orientieren und zwischen 4000 DM (Geisteswissenschaften) und 7000 DM (Medizin, Jura) pro Jahr liegen - teilweise mehr als eine Verdoppelung des Satzes von 1996. Schließlich und endlich wurde den Universitäten das Recht eingeräumt, bis zu 25% der Studienplätze an Vollkostenzahler zu vergeben. Damit wurde erstmals eine Situation geschaffen, in der Kinder reicher Eltern, deren Schulnoten den Eintritt in das gewünschte Fachstudium nicht ermöglichten, sich den Studienplatz in einem zweiten Anlauf erkaufen können. Für die Debatte um die Einführung von Studiengebühren sind die Entwicklungen in Australien allemal lehrreich. Zunächst gilt es festzuhalten, daß HECS in den acht Jahren seit seiner Einführung gezeigt hat, daß es administrativ möglich und finanziell sinnvoll ist, Studiengebühren nachlaufend zu erheben. Die wissenschaftliche Begleitforschung in den Jahren nach der Einführung von HECS hat zudem belegt, daß die Rückzahlungsmöglichkeiten so ausgestaltet werden können, daß keine Schuldenfalle droht und der fatale soziale Selektionseffekt durch Abschreckung von Kindern aus einkommensschwachen Familien vermieden wird. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Rückzahlungsmodalitäten verhältnismäßig strikt sind und wesentlich sozialverträglicher ausgestaltet werden können - die Grüne Hochschulgruppe Tübingen hat beispielsweise im Februar ein Modell vorgestellt, daß ohne die in Australien angewandte Dynamisierung auskommt und nicht nur die Höhe der jährlichen Rückzahlungsverpflichtung, sondern auch die Gesamtschuld vom Einkommen des Akademikers abhängig macht.

Andererseits bestätigen die geschilderten Ereignisse der vergangenen zwölf Monate, daß die Idee nachlaufender Studiengebühren eine Achillesferse hat, nämlich die Politik. Ein ursprünglich ansprechendes Konzept wurde binnen kürzester Zeit in einen vollkommen inakzeptablen, sozial unverträglichen Apparat zur Requierierung maximaler Einkünfte verwandelt.

Es wird großer Anstrengungen der Studierenden erfordern, um die in Berlin, Sachsen und Baden-Württemberg bereits eingeleitete Entwicklung zur Wiedereinführung von Studiengebühren aufzuhalten. Nachlaufende Studiengebühren könnten dabei als ultima ratio zum Erhalt des freien Zugangs der Universitäten für Studierende aller sozialen Schichten eine wichtige Rolle spielen. Australien ist dabei - leider - kein Modell, sondern eine mahnende Warnung.

Boris Palmer


Scherkräfte

Verzahnung von Industrie und Forschung

Die Suche nach dem Goldesel. Unternehmen müssen ihre Forschung verbilligen ,um international konkurrenzfähig zu bleiben. Die staatliche Forschung soll auf diesem Feld mit ihnen zusammenarbeiten. So kann sie gleichzeitig selbst Geld einnehmen, und die Forschungsausgaben des Bundes und der Länder werden entlastet. Dabei könnte jedoch ihre freie Forschung in Gefahr geraten.

Die Schere ist eine praktische Metapher. Um die Finanzierung der Wissenschaft zu beschreiben, wird sie immer wieder aus der Schublade geholt, auf und zu geklappt. Dann wird auch immer darüber sinniert, wie man einen seit 1989 von 3,8 bereits auf 3,1 Prozent des Bruttosozialproduktes gesunkenen Wissenschaftsetat weiter kürzen könnte. Da die Schere, wenn man sie geöffnet in der Hand hält, getrennte Wege geht, macht dies auch der Forschungsetat.

Lange schon teilt man die Geldmittel der Universitäten in eine Grundfinanzierung und ein Drittmittelsystem. Kürzen will man vor allem die Grundfinanzierung, allein 1997 um 4,5 Prozent. Die Forschungseinrichtungen sind also gezwungen, immer mehr leistungsbezogene Drittmittel vor allem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die über 2 Mrd. verfügt, einzuwerben. Die Schere öffnet sich immer weiter, Konkurrenz soll dabei dennoch die Qualität erhalten.

Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, ist davon überhaupt nicht begeistert, fürchtet einen "ruinösen Wettbewerb" der Forschungseinrichtungen, da eine "wesentliche Bedingung für die Steigerung der Leistungsfähigkeit eine ausreichende Grundfinanzierung ist". Sie erlaubt den Universitäten die wichtige Grundlagenforschung, vielfach lediglich aus Neugier und Interesse betrieben. Dies ist einerseits ein Selbstverständnis der Wissenschaften, andererseits entwickeln sich daraus Erfindungen, die 10 oder 20 Jahre später in neuen Industrieprodukten münden. "Wenn wir nicht in den achtziger Jahren Forschungsergebnisse erarbeitet hätten, die heute umgesetzt werden können, dann wäre Deutschland als Wirtschaftsstandort bereits tot", so Wolfgang Frühwald, Präsident der DFG. Den Teufel an die Wand gemalt?

Um ihn von dort wieder abzukratzen, soll nun nach den Plänen von Zukunftsminister Jürgen Rüttgers für jede Mark, die der Bund zur Verfügung stellt, eine Gegenfinanzierung seitens der Industrie erfolgen, da diese schließlich auch von den Forschungsergebnissen staatlicher Einrichtungen profitiert.

Industriegerecht sollen die Universitäten werden, die Anwendbarkeit ihrer Forschung in Betracht ziehen. Sie müssen "ihrer Rolle in der Gesellschaft gerecht werden und können nicht nur rein akademisch tätig sein", so der Technologietransferbeauftragte der Universität Heidelberg, Ernst-Dieter Jarasch. Daß Firmen aber mit klar umrissenen Aufträgen an Labors herantreten, ist nur selten der Fall. Dies sind dann Analyseaufträge, mit welchen die Labors teure Ausstattungen refinanzieren können. Häufiger beteiligen sich Unternehmen an ganzen Projekten. Hier vermittelt Jarasch als Bindeglied zwischen Industrie und Universität Kontakte und bietet Unternehmen Forschungsprojekte an. Diese stellen dann oft finanzielle Hilfe bereit. Im Gegenzug wird ihnen beispielsweise die Vermarktung überlassen.

Eine Menge Sand knirscht da aber noch im Getriebe, lediglich 4,7 Mio. Mark, gerade vier Prozent aller Drittmittel, kamen 1996 in Heidelberg von der Industrie. Im Extremfall werden bereits jetzt gesamte Lehrstühle finanziert. Allerdings wird auch hier der Wissenschaftler "nicht geknebelt, da die Industrie sehr wohl um den Wert einer gewissen Freiheit für Entdeckungen" weiß. Damit die Universität bei dieser Kooperation "nicht über den Tisch gezogen wird", berät Jarasch Erfinder bei Patentanmeldungen und Verhandlungen mit Unternehmen. Derzeit profitiert aber lediglich der chemische und pharmazeutische Bereich von dem Technologietransfer. Ein aktuelles Beispiel ist das Interesse des Pharmakonzerns Roche an einer Proteinstruktur für Antibiotika, die in Heidelberg erfunden wurde. Immer noch selten melden sich kleinere Unternehmen selbst bei den Universitäten, oft einfach aufgrund der nach außen hin undurchsichtigen Situation an den Hochschulen. Um diese überschaubarer zu machen, hat Heidelberg eine Forschungsdatenbank im Internet eingerichtet, in der irgendwann einmal alle Forschungsprojekte der Universität aufgelistet sein sollen - die letzte Aktualisierung liegt jedoch bereits acht Monate zurück.

Große Konzerne wie BASF oder Boehringer-Mannheim dagegen "kennen die Lehrstühle, von denen wir für uns etwas zu erwarten haben", versichert Jürgen Schwiezer, geschäftsführender Vorstand bei Boehringer-Mannheim. Einen Seitenhieb auf die Publikationssucht vieler Professoren schiebt er gleich hinterher: "Wir beurteilen nach Qualität der Veröffentlichungen und nicht nach Quantität. Wenn sich die älteren Generationen in den Universitäten bequem einrichten und das Ansehen nach der Anzahl der Publikationen bestimmt wird, fehlt natürlich die Innovation. Zahlen scheinen dies zu belegen. In Deutschland betragen die Lizenzeinnahmen aus Produkten, die in der Universität bis zum Prototyp entwickelt wurden, durchschnittlich nur 1,5 Mio. Mark. Das MIT in Boston, eine der renommiertesten technischen Universitäten der USA, bezieht allein hieraus 40 Mio. Mark. In Heidelberg wurden 1995 nur 20 Patente erteilt, 1996 gerade zwölf. Weit entfernt sind für Deutschland die kleinen Firmen um die Hochschulen, gegründet von Absolventen, die sich mit ihrer Idee selbständig gemacht haben. Wie um das MIT oder im Silicon Valley. Und immer noch nähren sich die Firmen dort von Forschungsergebnissen und Absolventen ihrer Hochschulen.

In Ostdeutschland versucht man hier aufzuholen, "mit Forschungskernen quasi eine Atmosphäre von Industrieforschung anzuimpfen", so Wolfgang Frühwald. Ob Forschung allerdings auf diese Weise einfach aufgesetzt werden kann, fragt sich sogar Frühwald: "Ob uns dieses ungeheure Experiment gelingen wird, wissen wir nicht". Ein Problem sieht er aber auch darin, daß "uns der industrielle Anwendungspartner buchstäblich ins Ausland entschwunden ist". So hat das MPG für Polymerforschung in Mainz in den letzten Jahren viele wesentliche Ansprechpartner verloren. Durch Bürokratie- und Gesetzeshindernisse oder teure Arbeit. Und zum Teil vielleicht auch durch mangelnde staatliche Unterstützung der Forschung.

Daß die Forschungseinrichtungen aber allein schuld am Innovationsmangel sein sollen, mag Hans-Uwe Erichsen, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, nicht hören: "Die Wirtschaft hat es in den letzten Jahren immer blendend verstanden, den Forschungseinrichtungen den schwarzen Peter zuzuspielen. Es mangelt der Wirtschaft an Bereitschaft, Forschungsergebnisse in Produkte umzusetzen." Das wird sich ändern, welche Auswirkungen dies aber auf die Universität haben wird, kann man bis jetzt nur ahnen.

Innovation heißt der Zauberstab, der Rettung bringen soll. Der für Universität und Wirtschaft gleichermaßen ein Ticket in die Zukunft sein soll. Bei dem aber auch gehöriges Unverständnis der einen Seite für die jeweils andere herrscht. Vielleicht aufgrund der im Vergleich zu Amerika größeren geistigen Entfernung voneinander. Deutsche Universitäten legen großen Wert auf ihre nicht anwendungsbezogene Forschung und sehen sich nicht als Seviceunternehmen. "Die Universität sollte weiterhin frei und ungebunden sein", betont Jarasch. Dennoch bleibt das Problem der Finanzierung. In der Medizin, ein aufgrund seines Selbstverständnisses sehr stark anwendungsorientierten Bereichs, liegt bereits jetzt in Heidelberg die Summe bei 18 Mio. Mark im Vergleich zu 4,7 Mio für die übrigen Forschungsbereiche zusammen. "Eine Öffnung der Universität in Richtung Wirtschaft ist nötig", sagt darum auch Jarasch.

In diese Richtung geht auch der Bio-Regio-Wettbewerb des Bundesministerium für Bildung und Forschung. Staatliche Forschungseinrichtungen und Unternehmen aller Regionen des Bundesgebietes sollten ihr Innovationspotential im Bereich der Biotechnologie darstellen. Im Rhein-Neckar-Raum wurden in Zusammenarbeit mit Boehringer-Mannheim, BASF, Merck-Darmstadt und Knoll und vieler kleiner Firmen 180 Projektskizzen erarbeitet. 180 Vorschläge für eine anwendungsbezogene Forschung in den Forschungseinrichtungen und ihre Weiterentwicklung zum Produkt in der Industrie. Die Rhein-Neckar-Region erwarb sich so als Sieger zusammen mit den Regionen Köln und München eine Förderung von 50 Mio. Mark pro Region, die allerdings noch einmal mit mindestens der gleichen Summe von der Industrie gegenfinanziert werden muß.

Momentan werden zehn Projekte mit einem Umfang von 7,7 Mio. gefördert, sechs davon mit Beteiligung der Universität Heidelberg, so eine Untersuchung zu photoaktivierten selbstdesinfizierenden Oberflächen. Sie befinden sich jedoch alle noch in den Anfängen. In drei bis vier Jahren hofft man, erste verkäufliche Produkte in den Händen zu halten. "Man muß da aber schon sehr aufpassen, nicht nur die reine Wissenschaftlichkeit zu fördern. Manche Kollegen sind da noch ein bißchen zu akademisch veranlagt" kritisiert Forschungsdezernent Christoph Kronabel. "Da läuft man Gefahr, am Ende keine für die Wirtschaft relevanten Ergebnisse zu erhalten."

Um dieses wirtschaftliche Denken zu fördern, um "auch die Industrie als Finazierungspartner in Betracht zu ziehen", soll im Rahmen des Bio-Regio-Konzepts ein "Bio-Business-Postgraduate-Training" mit fünf Plätzen in jedem der großen Unternehmen angeboten werden. Ein Angebot, so exklusiv wie der Name. Während der neun Monate gut bezahlter Tätigkeit können die Teilnehmer Erfahrung sammeln, um später mit einer Firma zusammenzuarbeiten oder sogar eine eigene zu gründen. Besonders die "Zweite Mannschaft" der Institute ist an solch einer Zusammenarbeit interessiert. "Von diesen geht auch die Kreativität aus, die Alteingesessenen retten sich da eher noch über die Zeit", meint Kronabel. "Anfänglich hat es bei der Zusammenarbeit immer wieder geknirscht".

Auch weiterhin wird es knirschen. Noch lange sind die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, Industrie und staatliche Forschung müssen sich noch aneinander gewöhnen. Aber was aus einer Notsituation heraus entstanden ist, soll als Forschungsmodell für die Zukunft beibehalten werden, um sowohl den Universitäten als auch der Industrie auf die Sprünge zu helfen.

Diese Konzepte gehen natürlich besonders zu Lasten der Geistes- und Sozialwissenschaften, bei denen eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgeht. Ihr bleiben nur Forschungspreise, um ihren Bestand zu sichern. Die Wirtschaft springt eben nur dort ein, wo sie in späteren Jahren Verdienste sieht. Eine Umverteilung der Mittel ist schwer möglich, da man Forschern die für ihr Institut mit großem Engagement eingeworbenen Mittel nicht einfach entziehen und auf die gesamte Universität verteilen kann.

Wir sind wieder bei der Schere. Sie öffnet sich immer weiter, an der unteren Klinge liegt die Grundfinanzierung, an der oberen die Drittmittel. Noch wirkt die direkte Konkurrenz der Universitäten sich nicht auf ihre Zusammenarbeit aus, weil Wissenschaftler sich ihre Kontakte nach eigenem Nutzen aussuchen.

Noch können unrentable Institute existieren. Nur eines vergißt man bei der Scheren-Metapher. Klingen sind auch scharf. Und wenn die Schere ganz weit geöffnet ist, klappt sie irgendwann vielleicht auch wieder zu. Klingen sind scharf. (rot)


Wahlen

ohne Wähler

Bei den Uni-Wahlen 1997 ist alles beim alten geblieben. Wieder hat bei den Studierenden die FSK gewonnen.

Mit ähnlichen Ergebnissen wie im letzten Jahr errang sie fünf von sieben studentischen Sitzen im Großen Senat und alle drei studentischen Sitze im Senat. Die Wahlbeteiligung fiel mit weit weniger als neun Prozent auf einen Tiefststand. Bewegung gab es bei den Profs: Die eher liberale "Initiative" errang mehr Stimmen als die konservativere "Semper Apertus". Die "Initiative" ist die einzige Liste, auf der C3- und C4-Professoren gemeinsam kandidieren. Auf der konvervativsten (und seit Jahren einflußreichsten) Liste "Ruperto Carola" stehen nur Gelehrte aus der C4-Kaste, während für "Semper Apertus" nur C3-Ränge kandidieren. (hn)

Senat: FSK 57,64% (3 Sitze), RCDS 19,02% , Jusos 17,84% , Roter Splitter 5,50%

Großer Senat: FSK 55,42 (5 Sitze), Jusos 20,14 (1), RCDS 19,47 (1), Roter Splitter 4,97 (0). Alle Wahlergebnisse sind im WWW-ruprecht unter http://ruprecht.fsk.uni-heidelberg.de/hsgs/wahlen.htm nachzulesen.


Laß' uns darüber reden...

Dürfen Beratungsgespräche zur Exmatrikulation führen?

Jetzt ist es amtlich. "Muß ein Student überhaupt studieren wollen? Das Verwaltungsgericht in Karlsruhe meint: nein. Im Gegensatz dazu ist die Universität Heidelberg der Auffassung, daß es ohne den Willen zu studieren kein Recht auf einen Studienplatz gibt." Mit diesen Sätzen kommentiert Dr. Michael Schwarz, Pressesprecher der Uni, das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe über die Beratungsgespräche für Studenten ab dem 20. Semester. Die Uni mußte mit dem verlorenen Prozeß eine bittere Pille schlucken.

Rund zwei Jahre ist es nun her, daß Rektor Ulmer seinen Studiendekanen eine Empfehlung aussprach, Studenten ab dem 20. Hochschulsemester zu einem "Informationsgespräch" einzuladen. Sinn und Zweck dieser Gespräche soll neben Hilfestellungen und Tips für den Studi lediglich sein, "die Fakultäten ins Bild zu setzen, und zu wissen, was los ist", so Behrens, der Leiter des Studentensekreteriats. Der Ansatz hört sich zugegebenermaßen gut an, was auch Behrens bestätigt: "Durch die Gespräche gelang es uns auch, den einen oder anderen Studenten zu motivieren, was ein erfreulicher Nebeneffekt ist."

Weniger erfreulich endete die Aufforderung für einen Medizinstudenten, der mittlerweile schon seit deutlich über einem Jahrzehnt eingeschrieben ist. Er lehnte den "Gesprächswunsch", wie es auf dem Rückmeldeantrag zum Sommersemester 1996 hieß, konsequent ab. Der Mediziner war sich nicht über die rechtliche Grundlage einer solchen Vorgehensweise im klaren, er vermißte einen entsprechenden Paragraphen im Universitätsgesetz. Daraufhin wurde er exmatrikuliert, was ihn dazu veranlaßte, vor das Verwaltungsgericht zu ziehen und gegen die Exmatrikulation der Uni zu klagen. So kam es dann im Februar 1997 zum Prozeß, bei dem der Kläger Recht bekam, die Uni verlor und damit auch noch die Prozeßkosten zu tragen hatte.

In der Urteilsverkündung heißt es, daß die Exmatrikulation rechtswidrig sei, da sich der Betroffenen ordnungsgemäß zurückgemeldet habe und sowohl die Semestergebühr bezahlt habe als auch krankenversichert war: "Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine abschließende Regelung, so daß die Beklagte die Annahme bzw. das wirksam werden der Erklärung des Klägers nicht von weiteren Umständen und insbesondere nicht von der Erfüllung des 'Gesprächswunsches des Studiendekans' abhängig machen durfte", so die Karlsruher Richter. Somit ist eine Exmatrikulation aufgrund der Ablehnung des Informationsgespräches unzulässig, was der Universitätsverwaltung überhaupt nicht paßt: "Es kann ja wohl nicht wahr sein, daß die Studenten denken, sie hätten keine Pflichten sondern nur Rechte," so Behrens. Eine sehr unbefriedigende Situation für die Universität: Man fürchtet wohl, daß nach diesem Urteil die wenigsten sprichwörtlichen "älteren Semester" Gebrauch von einem solchen Gespräch machen werden. Wird dadurch die Uni zur Altersresidenz der Nation - und wird man neben den Profs ausschließlich grauhaarige Studenten in den Seminaren antreffen?

Michael Schwarz tröstet sich mit einer anderen Hoffnung: "Die Universität hat davon abgesehen, Rechtsmittel einzulegen, weil sie erwartet, daß das Problem durch die demnächst erhobenen Gebühren für Langzeitstudierende ein völlig neues Gesicht bekommen wird." (jh)


Gesundheit!

Aktionen von "Appel un' Ei" und Mensa

So manch einer wird sich schon über die zwei blauen Holzcontainer gewundert haben, die sich unter dem Vordach der Mensa im Neuenheimer Feld unweit des Café Botanik befinden. Doch Insider wissen, daß sich hier nicht nur die Ökoszene trifft.

In den Containern hat nämlich die studentische Initiative "Appel un' Ei" ihr Domizil. Man kann hier neben Brot, verschiedenem Getreide, Obst und Gemüse auch Produkte wie "Öko Krone Export" und "Alter Haudegen" käuflich erwerben. Alle diese Dinge zeichnen sich durch eine hohe ökologische Qualität aus.

Die Idee zu einer solchen "Food Coop" entstand schon 1993 im Öko-Referat der FSK. Als dann alle Formalitäten erledigt waren, konnte man unter Mithilfe des Studentenwerks, vor rund zwei Jahren den Laden im Feld beziehen. Heute erwartet den Käufer eine breite Angebotspalette an Produkten, die weit über die Grundnahrungsmittel hinaus reicht, wobei die Ökologie an erster Stelle steht. Man legt großen Wert darauf, daß die Transportwege möglichst kurz gehalten werden, die Verpackung sehr gering ausfällt und daß die Geschäftsbedingungen möglichst "fair" sind. So bezieht man viele Produkte von Kleinbauern aus der Region. Heike, eine von rund zwanzig Mitarbeitern bei "Appel un' Ei", sieht in dieser Arbeit "in erster Linie einen politischen Hintergrund, es geht um die Förderung alternativer Ernährungsstrukturen." Daß die Arbeit Früchte trägt, beweist auch die zunehmende Zusammenarbeit mit der Mensa. So plant man gemeinsam eine Aktionswoche im Juli: ab der ersten Woche der vorlesungsfreien Zeit wird der "Schnelle Teller" mit Produkten ökologischer Herkunft zubereitet. Die Mensa kann sich derartige Aktionen zur gesünderen und ökologischen Ernährung durchaus öfters vorstellen: "Wir sind gerne bereit, mehr in diesem Bereich zu tun, es liegt aber auch maßgeblich an den Studenten, ob sie solche Angebote annehmen", so Herr Grädler, stellvertretender Mensaleiter in Heidelberg. Dies unterstreichen auch die Ökologen von "Appel un' Ei": "Die Mensa hat durchaus einen Lernprozeß durchgemacht. Man darf jedoch nicht nur gegen sie schimpfen, es liegt auch an jedem Einzelnen, etwas zu tun."

Neben den ökologischen Gerichten ist es allen Beteiligten auch daran gelegen, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten und mit verschiedenen Informationsständen über die Herkunft der Produkte zu informieren. Also nicht wundern, wenn einem in der letzten Semesterwoche Ziegen anmeckern oder Schweine (echte!) über den Weg laufen. Als Schmankerl obendrauf wird es auch ein Preisrätsel geben. Der Hauptgewinn: ein Wochenende auf dem Bauernhof. (jh)


Verfolgt!

Die Ortsgruppe von ai informiert

"Freiwillige Flüchtlinge gibt es nicht!". Dieser Satz, dessen Aussage eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, ist das Motto einer weltweiten Aktion von amnesty international, um auf die Probleme von politischen Flüchtlingen und die Gründe für das Verlassen ihrer Heimat aufmerksam zu machen.

Gerade in der heutigen Zeit, in der in vielen europäischen Ländern die Übergriffe auf Asylbegehrende dramatisch zunehmen und die Stammtischparolen salonfähig zu werden drohen, ist dies nötiger denn je. Dabei geht es den Mitwirkenden bei dieser Aktion aber nicht darum, die deutsche oder europäische Asylpolitik an den Pranger zu stellen, sondern vielmehr darum, für das Thema zu sensibilisieren und Menschen zu motivieren, sich aktiv für Flüchtlinge einzusetzen.

Auch in Heidelberg engagiert sich eine Gruppe für diese Aktion. Die Ortsgruppe von amnesty international macht zur Zeit mit ihrer Ausstellung in der Neuen Universität auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam. Begleitend dazu wird regelmäßig ein Stand besetzt, an dem man Auskunft erhält, wie man sich als einzelner für das Schicksal von Flüchtlingen und anderer Opfer von Menschenrechtsverletzungen einsetzen kann. Dies kann man beispielsweise durch die Beteiligung an den Briefaktionen von amnesty international, die wohl jedem bekannt sein dürften. Neben den dringenden Aktionen, den sogenannten "urgent actions", werden von der Londoner Zentrale aus auch Langzeitaktionen geplant und durchgeführt.

Skeptiker, die meinen, daß derartige Aktionen von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, müssen sich eines Besseren belehren lassen: In gut einem Drittel aller Fälle bewegt die Briefflut etwas. So bekamen aufgrund der Intervention von amnesty international schon viele ohne Verhandlung Inhaftierte ein Verfahren.

Wer bereit ist, sich persönlich gegen Menschenrechtsverletzungen in aller Welt einzusetzen, hat dazu alle 14 Tage donnerstags die Gelegenheit. Denn dann treffen sich die Heidelberger ai-Aktivisten in der Evangelischen Studentengemeinde in der Plöck. Nähere Informationen gibt es bei der Leiterin der ai-Gruppe, Nadine Gilbert, unter der Telefonnummer 27542. (hpc)


Heidelberg


Heidelberger Profile: "Indianerspiel" auf der Insel

Zwei Heidelberger Studis übten 1950 passiven Widerstand

Helgoland. Während der beiden Weltkriege zur Seefestung hochgerüstet. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Engländer die Insel fast von der Erdoberfläche verschwinden. Doch die gigantische Explosion von mehr als 600.000 Tonnen Sprengstoff (die größte nichtatomare Explosion der Menschheitsgeschichte) brachte nur einen Teil der südlichen Steilküste zum Einsturz. Fortan benutzten die Engländer die Insel als Übungsziel für Bombenabwürfe. Fünf Jahre lang regnete es Bomben aller Kaliber auf Helgoland, bis René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld die Insel in einer "friedlichen Invasion" besetzten und die Europaflagge hißten.

Was das mit Heidelberg zu tun hat? Leudesdorff und von Hatzfeld waren Studenten der Ruprecht-Karls-Universität. Es gelang uns, von Hatzfeld, der heute in München lebt, telefonisch zu erreichen und über die Motivation und den Erfolg der Besetzung zu befragen.

Der Krieg war noch nicht lange vorbei, allerorten diskutierte man über Wiedervereinigung, Aufrüstung und Pazifismus. So auch in Heidelberg, wo sich die im AStA organisierten Studierenden regelmäßig zu Diskussionsrunden trafen.

"Ich befand mich damals in einem prärevolutionärem Stadium, in einem Lebensaugenblick, wo etwas passieren mußte. Helgoland war damals jede Woche in der Zeitung. So entstand die Idee, das militärische Sperrgebiet Helgoland zu 'besetzen'. René war von einer spontanen Begeisterung, die man nur sehr selten vorfindet.", so Hatzfeld. Im Gegensatz zu Hatzfeld war Leudesdorff von der Idee Europa überzeugt. Hatzfeld sah in seiner politischen Motivation immer ein gesamtdeutsches Element: "Mir war klar, wenn aufgerüstet würde, dann ist es mit der Wiedervereinigung zumindest für meine Generation vorbei." Beiden gemeinsam war das pazifistische Element. Nicht zuletzt deshalb entschlossen sie sich, nur zu zweit auf die Insel zu fahren: "50 Studenten im Sommer - das wäre eine Kriegserklärung, die Engländer müßten reagieren. Aber zwei Studenten im kalten Winter- das rührt die Herzen."

Ohne einen Pfennig Geld in der Tasche trampten die beiden nach Hamburg. Dort klapperten sie die verschiedenen Zeitungen ab, um ihre Idee vorzutragen und Geld für die Überfahrt zu organisieren. Als Gegenleistung für die Geschichte verlangten sie außerdem eine Schlagzeile, denn ihnen war bewußt, daß sie nur dann einigermaßen sicher auf der Insel waren, wenn ihre Anwesenheit als bekannt vorausgesetzt werden konnte. Doch zunächst schien ihr Ruf ungehört zu verhallen. Erst bei der ZEIT fand ihre Idee Gehör. Der Chef vom Dienst und spätere Chefredakteur Müller-Marein gab den Studenten 250 Mark, den Grundstock für das abenteuerliche Vorhaben.

In der Nacht des 20. Dezembers tauchte Helgoland vor ihrem Schiff aus dem Nebel auf - und ein im Hafen liegendes englisches Schiff. Der Admiral des Schiffes riet ihnen, schnell zu verschwinden, da am nächsten Tag wieder bombardiert würde. Die mitgereisten Journalisten machten ein Foto und folgten dem Rat, Leudesdorff und Hatzfeld aber blieben im Vertrauen auf ihre im Vorfeld geleistete Pressearbeit.

Das politische "Indianerspiel" (Hatzfeld) zeigte Wirkung. Erstmals nach dem Krieg übten Deutsche den passiven Widerstand gegen die Bemühungen der Engländer um Räumung der Insel. Die Wasserschutzpolizei Cuxhaven verwies darauf, daß Helgoland zu Schleswig-Holstein gehöre und sie daher nicht zuständig sei, der schleswig-holsteinische Innenminister bedauerte, daß ihm keine Schiffe zur Verfügung stünden, und ein deutscher Kommandant mit deutscher Mannschaft auf einem Schiff unter englischer Flagge verweigerte den Gehorsam mit der Begründung: "Ich habe in Nürnberg gelernt, daß man Befehlen nur dann gehorchen soll, wenn man sie mit seinem Gewissen vereinbaren kann." Die Androhung der Entlassung konnte weder ihn noch die Mannschaft überzeugen. Im Militärgerichtsverfahren wurde er daraufhin suspendiert, später allerdings wieder freigesprochen.

Mit einer kurzen Unterbrechung aufgrund einer Sturmflutwarnung verbrachten Leudesdorff und Hatzfeld 14 Tage auf Helgoland, bevor sie am 3. Januar 1951 ihre Besetzung beendeten.

Einen Prozeß gegen die Inselbesetzer gab es nicht. Es wurde damals ein Gesetz verabschiedet, daß das Betreten der Insel von nun an verboten sei, nur um die beiden Studenten nicht bestrafen zu müssen. Ein Umstand, den von Hatzfeld mit Bedauern registrierte: "Ich war ganz wild auf den Prozeß. So einen Prozeß bekommst Du Dein ganzes Leben nicht wieder!"

Mit ihrer Aktion hatten sie den Lauf der Geschichte unwiderruflich beeinflußt. Viele hatten ihre Angst verloren, und es war abzusehen, daß weitere Besetzungen folgen würden. Ein Landrat rief die Bauern seines Landkreises sogar auf, Lebensmittel für die nächste "Invasion" zu spenden. Und so endete die Geschichte, wie sie unter diesen Umständen enden mußte: Am 1. März 1952 wurde Helgoland wieder an Deutschland zurückgegeben. In mühsamer Arbeit wurden etwa 170.000 Bomben, Granaten, Torpedos und Minen aus dem zerwühlten Boden, in dem auch heute noch immer wieder Blindgänger gefunden werden, geborgen. Hatzfeld : "Die Insel sah nicht aus wie vor der Entstehung der Welt, sondern wie nach ihrem Untergang."

Besucht man heute die Insel, sollte man vielleicht daran denken, daß es nicht zuletzt Leudesdorff und Hatzfeld zu verdanken ist, daß Helgoland wohl nie wieder als Seefestung mißbraucht wird. (hpc)


Lebendiger Geist

Jaspers und die Universitätsneuordnung

"Jeder Satz wirkte wie eine Wahrheit, die bisher verdeckt war und jetzt einfach im Raum stand", erinnert sich eine Studentin an Karl Jaspers Vorlesung im Wintersemester 1945/46.

Jaspers Veranstaltung über die Schuldfrage war eine der ersten an der sich neu entfaltenden Heidelberger Universität. Der Mediziner und Philosoph Jaspers hatte die Entwicklung der Ruperto Carola seit 1903 als Jura-und Medizin- Student miterlebt, seit 1909 als Arzt an der Heidelberger Psychiatrie. 1913 habilitierte er mit der "Allgemeinen Psychopathologie". In der folgenden Zeit konzentrierte er sich stärker auf philosophische und psychologische Probleme und veröffentlichte 1919 mit der "Psychologie der Weltanschauungen" die früheste Schrift der deutschen Existenzphilosophie. 1922 wurde Jaspers ordentlicher Professor für Philosophie, sein Hauptwerk die dreibändige "Philosophie" erschien 1932. In den 30er Jahren warnte Jaspers vor freiheits- und wissenschaftsfeindlichem Extremismus an der Heidelberger Universität, die als eine der radikalsten galt. 1937 wurde Jaspers die Lehre verboten, 1938 die Publikation. Nach Kriegsende bildete sich mit Genehmigung der Besatzungsmacht ein "13er-Ausschuß zum Wiederaufbau der Universität", der sich in der Wohnung Jaspers in der Plöck 88 traf. Der Kreis, dem neben Jaspers weitere "ehemalige" Professoren wie Gustav Radbruch und Alfred Weber angehörten, befaßte sich mit der geistigen Grundlage der Wiedereröffnung der Universität. An der Ausarbeitung einer Verfassung, die später vom engen Senat beschlossen wurde, war Jaspers maßgeblich beteiligt. Er sah in der Universität eine "durch Leistung und Persönlichkeit bestimmte geistesaristokratische Ordnung". Sie sollte im Vertrauen zum Volke entwickelt und diesem zur Beurteilung vermittelt werden, damit sie von ihm gebilligt und mitgetragen werden könne. Jaspers setzte angesichts der zerrütteten Nachkriegsgesellschaft auf den einzelnen jungen Menschen, der an der Universität zu "Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit" erzogen werden sollte. Er betonte die Notwendigkeit der Kommunikation zur "Überwindung der Grenzen zwischen Belasteten und Unbelasteten auf dem Weg zum rechten Ziel". Entscheidend war für ihn nicht die Vergangenheit der Menschen, sondern ihre "geschichtliche Gegenwart".

Im Zuge des Wiederaufbaus arbeitete Jaspers eng mit dem Chirurgen K.H. Bauer zusammen, der bei dem ersten freien Wahlen im August 1945 Rektor der Universität wurde. Jaspers war "als öffentlich wirksamer, aber amtsloser Dritter" dabei, da er aufgrund eines chronischen Lungenleidens körperlich zu geschwächt war, um ein Amt zu übernehmen. Auf "schreiben, reden, Vorschläge machen" beschränkt, bekam er die heftigen Unruhen, die die Vorbereitung der Wiedereröffnung begleiteten, nur indirekt mit. Vor allem die Gewerkschaften befürchteten reaktionäre Bewegungen im Umfeld der Universität und kritisierten unzureichende Denazifizierung. Mit Unterstützung der amerikanischen Militärregierung wurde die Universität am 7.1.1946 trotz aller Widerstände mit den Fakultäten Theologie, Jura, Medizin, Philosophie und Mathematik-Naturwissenschaften eröffnet. Jaspers sah seine glänzenden Ideale von Wissenschaft und Gesellschaft zunehmend mit der nüchternen Realität konfrontiert. Er bedauerte, daß die im 13er-Ausschuß so "beschwingte" Universitätsverfassung sich bald "in endlosen kleinen Diskussionen" verlor. Im Sommer 1946 erregte eine Maßnahme des Professors Weber großes Aufsehen. Er hatte die Verlegung der betriebswirtschaftlichen Fächer an die neue Mannheimer Handelshochschule bewirkt mit der Begründung, Berufsvorbereitung sei zwar Sache der Universität, nicht aber in Bezug auf technisch ausgerichtete Tätigkeiten. Dieser Schritt wurde in der Öffentlichkeit als "Isolierung geistigen Schaffens um der Wissenschaft willen" scharf kritisiert und veranlaßte den AFGB dazu, der Universität öffentlich ihre "undemokratische" Haltung vorzuwerfen. Obwohl es in diesem Konflikt ganz konkret um Jaspers zentrale Vorstellung einer vom Volk getragenen Universität ging, hielt er sich sehr zurück.

Zunehmend resigniert verließ Karl Jaspers Heidelberg 1948 und folgte einem Ruf der Universität Basel. Im Nachhinein äußerte er sich bedauernd über die vertane Chance zu einem Neuanfang, die sich 1945 mit dem Ende der "nationalsozialistischen Vergewaltigung" aufgetan hatte: "Schon bald war keine Rede mehr von geistiger Neugründung der Universität. Seit 1948 entstand ein Staat unter neuen Vorraussetzungen. Die Jahre 1945-48 waren vertan." (kh)


Feuilleton


ruprecht goes movies

Filmtips, und vor allem Meinung

ruprechts Notenskala:

kein ruprecht - nicht empfehlenswert
ein ruprecht - mäßig
zwei ruprechts - ordentlich
drei ruprechts - empfehlenswert
vier ruprechts - begeisternd

Con Air

Ein Flugzeug, das einen Gefangenentransport durchführt, wird von seinen Passagieren, dem Abschaum der Schwerverbrecher Amerikas, gekapert und entführt. Und mittendrin ist zum Glück der auf Bewährung freigekommene Poe (Nicolas Cage), der zu Unrecht sieben Jahre im Knast gesessen hat, weil er in Notwehr einen Schläger getötet hat. Cage sieht diesmal mit seinen langen Haaren aus wie eine Mischung aus Rambo und Braveheart, und genauso unverwundbar ist er auch: Bei jeder Explosion bringt er mit einem Hechtsprung seinen muskelbepackten Körper in letzter Sekunde noch in Sicherheit, keine Kugel erwischt ihn, und er gewinnt jeden Zweikampf. Seinen Gegenspieler, den hochintelligenten Anführer der Mörderbande, Cyrus (genannt "Virus") spielt Hollywoods Spezialist für Psychopathen-Rollen: John Malkovich. Und Cyrus & Co kennen kein Erbarmen. Da gibt es viel zu tun für den Held Poe. Es wird ein Fest für die Pyrotechniker: Überall knallt und brennt es, alles fliegt irgendwann in die Luft. Die Bildschnitte sind oft so schnell, daß man kaum erkennen kann, wer da gerade wem den Schädel einschlägt bzw. eine Kugel zwischen die Augen jagt. Wer am Schluß dran glauben muß und wer überlebt, läßt sich recht einfach voraussehen. Und daß Gefangene mit Gewalt das Kommando übernehmen, das gab's doch auch schon mal irgendwo? (ah)

Wallace & Grommit total

Puppenkosmos. Dreimal hintereinander wird im Gloria jetzt der Stoff gezeigt, aus dem die Geschichten irgendeiner Welt sind. In der die Menschen wieder klein werden. So klein wie damals, vielleicht beim sechsten Geburtstag in einem stickigen Puppentheater. Lila die Wände, mit dicker Brille die Nachbarin, die die Mutter eingeladen hatte, man selbst aber nie leiden konnte. Die Puppen so groß wie damals, als sie wirklich noch wie die Wirklichkeit waren. Der Stoff, aus dem die Kindheit ist. Es ist aber mehr als Material, das nicht zu leben scheint. Mehr als Puppen, die kreuz und quer im Zimmer herumgelegen und manchmal an die Wand geflogen sind, weil die Schwester das letzte Stück Kuchen bekommen hatte, vorhin am Kaffeetisch. Das Licht geht aus, das Leben an. Stoff wird lebendig. Menschlich. Puppenkosmos. (rot)

Batman & Robin

Wenn ein Film schon zum vierten Mal ins Kino kommt, muß es ja eigentlich heißen, daß er erfolgreich ist. Und das kann man Batman auch nicht absprechen, jedoch verwundert es schon, daß man im vierten Teil schon den dritten Darsteller verbraucht; ich wage daher zu behaupten, daß es das nächstes Mal jedenfalls nicht mehr der ewig dumm grinsende George Clooney sein wird. Und wenn nicht die liebe Alicia als Batgirl bis zum nächsten Jahr ein paar Pfunde, pfundige Pfunde, abspeckt, erschreckt sie die Bösewichte allenfalls mit ihrem Doppelkinn. Einzig allein Uma Thurman (im hautengen grünen Latexbody und mit roten Haaren) ist da noch ein Lichtblick, so muß eine Frau sein, so lange sie nicht den Mund aufmacht. Darum darf auch der Preis der besten weiblichen Rolle Ms. Nora Fries nicht abgesprochen werden, ihre Leistung ist einfach grandios. Ob ich da einfach mit der falschen Erwartung ins Kino gegangen bin? Regisseur Schumacher ist nicht Burton, Keaton nicht Clooney, und wo verdammt nochmal ist Michelle Pfeiffer? So verkommen die anfangs genial düsteren Filme zu bewegten Comicstrips, bei denen man jeden Moment nur noch auf das eingeblendete "CRASH" wartet. Bob Kane hätte seinen Spaß dran. Übrigens suche ich immer noch Arnie. Er soll ja im Film mitspielen, aber irgendwie konnte ich den Grazer nicht finden. (jr)

Love etc.

Der schüchterne Banker Benoit (Yvan Attal) und Marie (Charlotte Gainsbourg) lernen sich über eine Kontaktanzeige kennen. Sie heiraten. Benoits Freund Pierre, ein Frauenheld, verliebt sich ebenfalls in Marie. Er macht ihr so lange den Hof, bis die Ehe zerrüttet ist. Benoits Leben ist zerstört. Es verschafft ihm nicht einmal mehr Erleichterung, seinem ehemaligen Freund die Nase zu brechen.
Regisseurin Vernoux erzählt die Geschichte streng chronologisch und phantasielos. Es fehlt auch eine Exposition, die den Figuren etwas mehr Leben einhauchen hätte können. So erfährt der Zuschauer nur, wie sich die Dreiecksgeschichte abspielt - nicht aber den psychologischen Hintergrund der Figuren. Stattdessen schafft platte Bildsymbolik intellektuellen Anspruch: Wenn bei der entscheidenden Betrugsszene zufällig ein Marienbild zu sehen ist oder ausgerechnet ein Stau im Parkhaus zur Metapher für eine ausweglose Situation wird. Charles Berling spielt das skrupellose Charakterschwein Pierre dermaßen unleidenschaftlich, daß es dem Publikum eigentlich gleichgültig sein kann, als Benoit ihn endlich verprügelt. Doch der Film endet nicht mit diesem zwangsläufigen Eklat: die drei treffen sich im Jahr 2000 wieder - versöhnt, wobei offen bleibt, wie sie das Erlebte verarbeiteten. Ein überraschendes Happy End, das für den Film so wesentlich ist wie der Wurmfortsatz für den Darm. (gan)


Open Air

Frischluft für alle

Die Nächte werden wärmer. Selbst der begeisterte Cineast vertauscht nur noch ungern Grillpartys im Grünen gegen muffige Kinosäle. Also zieht das Kino selbst ins Grüne - genauer gesagt, ins Feld.

Wie schon in den letzten Jahren findet dort sechs Wochen lang ein Kino Open Air statt - allerdings nicht mehr auf dem Gelände der Pädagogischen Hochschule, sondern am Tiergartenschwimmbad. Von Ende Juni bis Anfang August sind über dreißig Filme zu sehen: die größten Publikumserfolge und Leinwandkunstwerke der letzten Jahre in Auswahl. Eine schöne Möglichkeit, das Sommerloch im Kino zu überbrücken.

Zumindest bei folgenden Filmen sollte man auf gutes Wetter hoffen - sie wurden alle von ruprecht-movie empfohlen: "Rossini" (Sa 5.7.), "Braveheart" (Do 17.7.), "Fargo" (So 20.7.), "Wallace & Gromit Total" (Fr 8.8.), "Der Postmann" (So 10.8.). Ein besonderer Leckerbissen für Kinofreunde sind die Kurzfilme im Vorprogramm. Der prominenteste darunter ist "Quest" - er wurde bei der letzten Oscar-Verleihung als bester Animationsfilm ausgezeichnet und zieht den Zuschauer vom Anfang bis zum Ende in seinen Bann. Ein weiterer Höhepunkt wird der Drei-Minuten-Film "Das Lied vom Brünfticht Männlein" (14.-17.8.) sein.

Wer auf das Auto verzichtet, erreicht das Schwimmbadgelände mit den Linien 12 und 33 (und kommt immerhin bis halb zwei wieder weg) oder als Pedalritter. Besonders hingewiesen sei dabei auf die vorbildlichen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, die seit einigen Wochen auf dem Parkplatz angebracht sind - man muß sich also nicht erst in die Büsche schlagen, um den Drahtesel diebstahlsicher anzuschließen.

Die Abendkasse hat an jedem Vorführungsabend ab 20 Uhr geöffnet. Auch Verpflegungsmöglichkeiten wird es wieder geben - es muß also nur noch das Wetter mitspielen.(gan)


Preview

Love! Valour! Compassion!

Kein Film wie jeder andere: Die schwule Beziehungskomödie um Liebe und das Leben, Einsamkeit und Eifersucht war ein Highlight des diesjährigen Sundance Festivals - das alternative Gegenstück zur Oscar-Verleihung. Hinter dem verwickelten Chaos homosexueller Freundschaften steckt eine vielschichtige Liebesgeschichte - eine willkommene Abwechslung von der cineastischen Langeweile des Sommerlochs.

Nun kommt der Streifen auch nach Deutschland. Am 17.7. wird in der Kamera um 22.30 Uhr eine Preview stattfinden. Wer den ruprecht-Coupon mitbringt, erhält zwei Mark Ermäßigung.

(gan)

"Love! Valour! Compassion!"-Preview
Die Kamera 17.07.1997 22.30 Uhr
(Pro Person nur ein Coupon einlösbar / bei Ausverkauf kein Anspruch auf Ersatz)


ruprecht on the record

Musktips

Lesilie Man doki
The jazz Cuts

Wenn man nicht so recht weiß, was es ist, dann ist es eben Jazz. Aber was sollte man bei Man doki schon für Bezeichnungen finden. Wie wär's denn mit Funkfusionrockfahrstuhljazz? "The Jazz Cuts" ist eine Zusammenstellung von bisher unveröffentlichten Aufnahmen aus früheren Produktionen Man dokis, einigen neuen Songs und Liveaufnahmen. Wie schwer sie irgendeiner Richtung zuzuordnen sind, mag ein Blick auf die Liste der an dem Projekt beteiligten Musiker verdeutlichen: Neben Man doki am Schlagzeug und Percussion sind Jazzer vom Schlage Michael und Randy Breckers, Al Di Meolas und Bill Evans beteiligt. Aber auch ausgesprochene Popikonen wie Nik Kershaw und Ian Anderson haben dem Projekt zu großer Vielfalt verholfen. Fast alle Songs haben ein popsongartiges Grundmuster mit eingängigem Gesang, verwandeln sich dann aber schnell in das, was wohl mit Jazz gemeint ist, um den Musikern weiten Spielraum zum Improvisieren zu geben. Dank guter Arrangements bleiben die Songs dabei eingängig und wirken nur selten angestrengt. (papa)

Supertramp
Crime of the Century

Nach langer Pause haben Supertramp in diesem Jahr ein neues Studioalbum auf den Markt gebracht. Der Titel war Programm: Some things never change. Während dieser Umstand nicht für alle Supertramp-Fans Anlaß zur Freude gewesen sein mag, so wird man sich um so mehr an den nun wiederveröffentlichten Alben der siebziger und achtziger Jahre erfreuen. Von Klassikern wie "Famous Last Words" oder "Live in Paris" wurden die Originalbänder digital neubearbeitet. Ebenso das Album, das Supertramp einen Platz in der Popgeschichte gesichert hat: "Crime of the Century" ist heute so etwas wie best of Supertramp, "School", "Dreamer", "Hide in Your Shell" und "Crime of the Century" sind auf dieser Platte 1974 veröffentlicht worden. Und während die aktuelle Supertramp CD merkwürdig altmodisch daherkommt, hat "Crime of the Century" nichts an Kraft eingebüßt und wirkt daher frischer und moderner. War schon das Original für seine Zeit auch technisch eine Meisterleistung, so ist nach der Bearbeitung kaum noch zu merken, daß diese Aufnahmen schon 23 Jahre alt sind. (papa)

Liquid Soul
Liquid Soul

Einer der Funk-Höhepunkte des diesjährigen New-Jazz-Festivals Moers war sicher das kleine Energie-Bündel Mars Williams mit seiner Band Liquid Soul. Die Newcomer aus Chicago als Acid-Jazz-Band zu bezeichnen, wäre zu wenig. Eine geballte Mischung aus Funk, Soul, dazu sparsame Scratches und Samples von DJ Jesse De La Pena. Dabei zeigt Williams, daß man auch nur mit einem Trompeter und einem treibenden Tenorsaxophon Power-Bläser-sätze arrangieren kann, die einem bei ihren Auftritten und auf der CD, die zur Hälfte aus Live-Mitschnitten besteht, entgegenschlagen. Die Songs sind oft gleich aufgebaut: DJ Jesse spinnt auf dem Plattenteller etwas herum. Dann steigen die Musiker mit dem Thema auf den Beat ein. Spontane Horneinsätze, Baßlininen, Gitarrenläufe türmen sich auf zu einer herrlichen Freestyle-Session. Nicht nur aus eigenen Titeln besteht das Album. Frech verfunken diese sechs Musiker auch Jazz-Standards von Coltrane, Shorter und Davis wie Footprints, Equinox oder Freddie the Freeloader. Jazz-Funk-Acid-Party-Stimmung pur. (jm)

Benjamin Britten:
Soring Symphony

John Eliot Gardiner

Pastoralmusik hat ja an sich schon etwas Anrüchiges. Da bekommt der Hörer jede Menge Holzblasinstrumente (Schafhirte) und Quarten (Jägerhorn) zu hören. Wenn man Glück hat, begnügt sich der Komponist mit einem Bauerntanz. Schlechtestenfalls muß man sich ein Hörspiel anhören, bei dem die Querflöte wie ein Vogel zwitschert und die Celli wie die Hirsche röhren - schauderhaft.

Benjamin Britten hat bewußt versucht, sich von all diesen musikalischen Klischees abzugrenzen, vor allem jedoch vom pappsüßen Klangbrei seines Landsmannes Vaughan Williams. Ganz gelungen ist ihm dies in seiner Frühlingssymphonie, einem Auftragswerk für die Bostoner Philharmonie, jedoch nicht.

Und so konnte Sir Eliot Gardiner bei der neuen Einspielung des Werkes nicht viel retten. Doch nicht alles von Gardiner ist so gut, wie der Name verspricht. Der berühmte Bach-Interpret ist hier sichtlich bemüht, die Sache irgendwie interessant zu machen. Doch der Hörer hat den Eindruck, all dieses pastorale und halbpastorale schon einmal gehört zu haben - nur besser. (fw)


Spielwiese für Innovationen

Lesungen und Gastspiele auf dem Heidelberger Stückemarkt

Eine Woche Theater: Das Angebot war groß auf dem Heidelberger Stückemarkt vom 31. Mai bis 7. Juni. Autoren boten ihre Werke feil, frische Ware wurde dem Theatervolk in szenischen Lesungen dargeboten, von ferne angereiste Ensembles sorgten für zusätzliche Unterhaltung. Der Markt bot nicht nur Raum zu Diskussion und Kritik, sondern auch den Rahmen für die Verleihung des 20.000 DM-Preises der Frankfurter Autorenstiftung.

Sechs Stücke hatte das Auswahlgremium, das aus Mitgliedern der Autorenstiftung und des Theaters der Stadt Heidelberg zusammengesetzt war, nominiert. Die endgültige Entscheidung lag bei der Jury: Katharina Gericke, der Preisträgerin des letzten Stückemarktes, Jens-Daniel Herzog, Regisseur bei den Münchener Kammerspielen, und Hubert Spiegel, Literaturredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Verschiedenheit der Stücke zeigt, auf welch unterschiedliche Weise Theater "machbar" ist, sie war aber gleichzeitig auch Anlaß zu Grundsatzdiskussionen: Wie muß Theater heute sein? Was läßt sich auf der Bühne umsetzen? Minimalkunst oder Marktgeschrei? Wo grenzt sich Theater noch vom Film ab?

Ralf Rothmann, dem Autor des "Berlin Blues", hielt man "eine große Sympathie für seine Figuren" und den Blick "von unten" auf ein "Allerweltspersonal" zugute, das die Situation unserer Gesellschaft widerspiegele. Bei der Lesung erschien der Berliner Blues jedoch zu seicht für das Theater und eher für eine Vorabendserie geeignet ("Wenn uns das Stück zu langweilig erscheint, vielleicht ist unser Leben ja so langweilig", meldete sich ein findiger Zuhörer nach einem besonders vernichtenden Kommentar zu Wort). Theresia Walsers "Restpaar" war der Jury dann wohl doch zu belanglos, und Franzobel warf man vor, es sei ihm in seinem Stück "Bibapoh" trotz großer sprachlicher Gewandtheit nicht gelungen, glaubwürdige Figuren zu schaffen.

In die engere Auswahl genommen wurde Lutz Hübners "Der Maschinist" über den Tüftler Johann Nepomuk Mälzel. In seinem Umgang mit Aufbau und Ausarbeitung des Stoffes gleicht der Autor seinem Protagonisten, denn auch er ist Perfektionist: Beide setzen ihren ganzen Ehrgeiz in die technische Vervollkommnung ihrer Erfindungen. Heraus kommt ein Theaterstück nach klassischem Aufbau in fünf Akten, das dabei nicht den Bezug zur Gegenwart verliert, denn der Konflikt zwischen dem unvollkommenen Menschen und der funktionierenden Maschine ist auch heute noch aktuell. Schwierig wird es mit der Inszenierung werden, denn wie soll man die halbe Welt, um die Mälzel reist, auf der Bühne unterbringen?

Roland Schimmelpfennigs "Vor langer Zeit im Mai" hat eine ganz eigene poetische Kraft. In "Einundachtzig kurze(n) Bildern für die Bühne" laufen zwei Handlungsstränge scheinbar unabhängig nebeneinander her: Ein Mann kreist mit einem Fahrrad auf der leeren Bühne und fährt mit Anlauf gegen die Wand, eine Frau in einem Rokokokleid tritt je nach Szene mehr oder weniger zögernd aus einer Tapetentür, eine andere stürzt mit einem Koffer über und auf die Bühne, dabei geht der Koffer auf - oder nicht. Eine dritte Frau kehrt und singt. Und dann sind da noch die Liebespaare... Im Laufe der Handlung vermischen, verwirren und vervielfältigen sich die Figuren. Auf der zweiten Ebene versucht ein Paar einen Dialog. Er nimmt Bezug auf die Requisiten, erklärt die Handlung jedoch nicht und vermittelt nichts als das Scheitern einer zwischenmenschlichen Beziehung. Das Stück fordert förmlich zu Bearbeitung und Interpretationsversuchen heraus.

Sicher keine leichte Entscheidung, doch die Jury beschloß schließlich, Ulrich Hub mit seinem Stück "Die Beleidigten" zum Sieger des einwöchigen Lesungsmarathons zu erklären. Vier Streicher, verbunden zu einem Streichquartett und durch persönliche Bande, geigen sich hier die Meinung, die zunehmend verletzender ausfällt, bis einer nicht mehr mitspielen will und kurz vor dem gemeinsamen Konzert Selbstmord begeht. Was dem Autor Franzobel aberkannt wurde, fand die Jury hier verwirklicht: die Schöpfung von bühnenwirksamen Figuren, die dem Marktbesucher nächstes Jahr auf der Bühne gegenüberstehen werden, wenn es wieder heißt: Vorhang auf für den Heidelberger Stückemarkt!

Elfriede Jelinek, "Stecken, Stab und Stangl", Schauspiel Leipzig

"Stecken, Stab und Stangl" von Elfriede Jelinek hat ein aktuelles Ereignis zum Anlaß: Im österreichischen Burgenland wurden am 4. Februar 1995 vier Roma durch eine Rohrbombe ermordet. Das Stück entstand aus dem Zorn über diesen Meuchelmord und die vielfache Verharmlosung des Ereignisses durch die Medien (z.B. den "Kronen-Zeitung"-Kolumnisten Staberl). Elfriede Jelinek verwebt Talkshow-Elemente mit Staberl-Zitaten und österreichischer Walzerstimmung zu einem grausigen Patchwork-Häkelwerk. Der KZ-Kommandant von Treblinka, Stangl, wird nicht nur im Titel zitiert; die Autorin verteilt harte Rundumschläge und läßt nichts und niemanden aus: Heidegger und der ORF müssen ebenso dran glauben wie Paul Celan. Während eines endlosen Geplappers, das Banales mit Tiefernstem derart verbindet, daß einem das Lachen im Hals steckenbleibt, häkeln die Figuren nach und nach die Bühne ein. Die Schauspieler vom Theater hinterm Eisernen (Schauspiel Leipzig) leisteten Hervorragendes. Vielleicht hat Kazuko Watanabe nach japanischer Art zu verhalten inszeniert, einige Zuschauer verließen nach den ersten Sprachfetzen den Raum, andere äußerten ihr Entsetzen über das Lachen des Publikums. Doch Watanabes verhaltene Inszenierung verdeckt nicht den Text, und im Lachen schwingt doch stets das Entsetzen mit.

Herbert Achternbusch, "Meine Grabinschrift", Münchner Kammerspiele

"Meine Grabinschrift" von Herbert Achternbusch ist ein minimal gehaltenes Zweipersonenstück: Amenhotep, der königliche Schreiber, ist alt geworden, doch vor seinem Ableben will er seinem Schüler Seth noch die eigene Grabinschrift diktieren. Er blickt auf sein Leben als Schreiber zurück. Die Auseinandersetzung mit dem Besitz der Schrift und der damit verbundenen Macht hätte interessant werden können, doch sie beschränkt sich auf einige poetische und teilweise auch komische Momente: Nein, das Zeichen für Angst sei nicht das "Krokodil", denn das sei das Zeichen für Furcht. Für Angst müsse man das Zeichen für "Nacht" nehmen. Doch von diesen Momenten abgesehen ist der Stoff banal, und Amenhoteps Zorn über die soziale Ungerechtigkeit verhallt in der Stille. Es gelingt selbst Rolf Boysen von den Münchener Kammerspielen nicht, dem Stück wirklich Leben einzuhauchen. Einzig das alles in ein gespenstisches Blau-Weiß tauchende Schwarzlicht strahlt Magie aus, und der Zuschauer erwacht erst durch den Applaus aus seiner Trance, um sich zu überlegen, welche Botschaft ihm wohl gerade übermittelt worden ist. Erst jetzt begreift er, warum Amenhotep den alten Fluch ausgesprochen hat: "Schreiber! Zerbrich dein Schreibzeug! Sie werden nie verstehen!" (cw)


Lieblose Ehen in Zone Vier

Oper von Philip Glass in Heidelberg

Mit "Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf", eine Auftragsarbeit an Philip Glass für das Theater der Stadt Heidelberg, wird in dieser Spielzeit eine höchst kontrovers diskutierte Oper aufgeführt.

Das Leben in der Zone Drei scheint das reinste Paradies zu sein. Alle Bewohner lieben einander, es gibt keine Not und keinen Krieg. Die Bewohner können sich jederzeit mit der Königin Al Ith aussprechen. Nur die unerklärliche Traurigkeit der Tiere wirft langsam auch Schatten auf die menschlichen Bewohner.

In Zone Vier herrscht hingegen permanenter Ausnahmezustand: Militärisch straff vom Oberbefehlshaber Ben Ata geführt, zieht das ganze Volk ständig in den Krieg, denn "es muß ja was getan werden". Auch hier vermehren sich die Tiere nicht mehr.

Die Versorger befehlen nun die Hochzeit zwischen Al Ith und Ben Ata. Beide können damit nicht viel anfangen, die erste Begegnung verläuft eisig. Doch schließlich versuchen sie doch, das Beste aus der Situation zu machen. Al Ith wird schwanger, verliebt sich endlich in Ben Ata und entdeckt immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Zonen, während sie sich von ihrer eigenen immer mehr entfremdet.

Doch die Versorger ordnen nun an, daß Ben Ata nun die Königin der Zone Fünf, Vashti, heiraten soll. "Alles ist ständig in Bewegung, von Zone Fünf zu Zone Vier, und von Zone Vier zu Zone Drei. Neu ist die Welt, voller Leichtigkeit und Neugier. Wir erleben, wie die Grenzen verwischen."

Die Musik des Amerikaners Philip Glass war zunächst von der Zwölftontechnik geprägt, später dann von amerikanischen Komponisten wie Aaron Copland und Darius Milhaud. In Paris lernt er jedoch den Komponisten und Sitarspieler Ravi Shankar kennen, der auch die Beatles stark beeinflußte, und wird durch ihn mit der komplizierten Rhythmik der indischen Musik vertraut gemacht. Daraus entwickelt er das Konzept der minimalistischen Kompositionen: Über vorwiegend statisch aufgebauter Harmonik werden kurze Melodiephrasen vielfach wiederholt und durch kleinste Veränderungen entwickelt.

Das Opernlibretto stammt von der Schriftstellerin Doris Lessing, die in Persien geboren und in Rhodesien aufgewachsen ist, bevor sie nach England zog. Dabei bearbeitete sie den zweiten Band ihres Romanzyklus "Canopus im Argos". Lessings Werk wird bestimmt durch ihre eigenen Lebenserfahrungen - Rhodesien, Geschlechterbeziehung, England und ihre Schriftstellerexistenz.

Die erste Zusammenarbeit mit Peter Glass und Doris Lessing war die 1989 uraufgeführte Oper "Die Erschaffung des Repräsentanten für Pla-net 8" nach dem vierten Band des Canopus-Zyklus.

So sind eigentlich die Grundvoraussetzungen für ein spannendes Werk gegeben: ein moderner Komponist, eine zeitgenössische Autorin. Doch leider enttäuscht die Aufführung: Zu einfach erscheint der starre Dualismus zwischen Frau und Mann, Liebe und Krieg, der noch durch die einfache Symbolik der Kostüme - weiß gekleidet die Bewohner der Zone Drei, im Tarnanzug und militärischen Uniformen jedoch die Zone Vier - überdeutlich vorgeführt wird. Da hat es Vashti, dargestellt als Punk und Leader einer Straßengang, schwer, noch einen Akzent zu setzen. Die Kulissen sind sparsam, aber doch zu gegenständlich: ein Bergpanorama als Hintergrund für Zone Drei, ein Metallcontainerbau als Festung der Zone Vier. Einsichten wie "Eifersucht macht Liebe häßlich", im Duett von Al Ith und Ben Ata vorgetragen, vermitteln nur plump scheinbare Lebensweisheiten. Langsam entwickelt sich die Handlung im ersten Akt, während sie im zweiten Akt zu rasch voranschreitet und oft unverständlich wird. Dabei wird es schwer, der Entwicklung der Musik zu folgen: Was bleibt, sind monoton wirkende Akkordbrechungen, die sich scheinbar unendlich wiederholen, und nur durch wechselnde Taktarten, die verschiedenen Charakteren und Situationen zugeordnet sind, eine Zäsur erhalten.

Choreographisch orientiert sich Brigitta Trommler mehr am Schauspiel. Es gibt nur wenig beeindruckende Bilder, wie zum Beispiel das "Fest der Frauen". Etwas mehr Mut zu einer moderneren choreographischen Umsetzung einer modernen Oper wäre angebracht gewesen. So bleibt das Werk wenig aufregend und hat mehr von einem Musical als von einer zeitgenössichen Oper. Schade. (jm)

Weitere Termine in dieser Spielzeit: 3./ 6./16. Juli 1997


"Wir brauchen eine Suffizienzrevolution"

Der Philosoph Vittorio Hösle über Ethik im 21. Jahrhundert

Vittorio Hösle, 1960 in Mailand geboren, studierte Philosophie, Indologie, klassische Philologie und einige Semester allgemeine Wissenschaftsgeschichte. Er lernte und lehrte an zahlreichen Universitäten im In- und Ausland. Heute ist er Professor für Philosophie in Essen. Hösle, der nicht nur sieben Sprachen spricht (darunter russisch und norwegisch), sondern weitere zehn Sprachen versteht, hat zahlreiche Aufsätze und Bücher über ökologische Ethik geschrieben. In der Aufsatzsammlung "Praktische Philosophie in der modernen Welt" (1992) sind wichtige Beiträge Hösles zu diesen Fragen gesammelt. 1996 wurde sein Briefwechsel mit der elfjährigen Nora K. veröffentlicht ("Das Café der toten Philosophen"). Im August erscheint sein neustes, 1200 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel "Moral und Politik".

ruprecht: Ihre Aufsatzsammlung "Praktische Philosophie in der modernen Welt" ist als möglicher Katechismus eines modernen Ethikunterrichts bezeichnet worden. Nun hat die Aufklärung ja einige Mühen gehabt, die Katecheten zurückzudrängen. Brauchen wir denn wirklich einen neuen Katechismus?

Hösle: Der Begriff "Katechismus" ist in der Tat unpassend. Die erste Aufgabe der Philosophie ist es, zu argumentieren. Andererseits braucht der Mensch Orientierung, gerade in der Moderne, die uns ständig mit technischen Entwicklungen überfordert. Es besteht die Notwendigkeit, Fragen nach der Armut in der Dritten Welt oder nach der Umweltzerstörung zu reflektieren.

ruprecht: Hat die deutsche Universitätsphilosophie vor diesen Aufgaben versagt?

Hösle: "Versagen" ist ein zu hartes Wort. Es ist nun einmal so, daß die praktische Philosophie in Deutschland in diesem Jahrhundert zurückgedrängt wurde. Erst in den letzten zwanzig Jahren ist sie in Deutschland wieder ein wichtiges Thema geworden. Meiner Ansicht nach ist der Hauptverantwortliche dafür Martin Heidegger, der einen enormen Einfluß ausgeübt hat. Seine Philosophie enthält nicht nur keine Ethik, sondern ist meines Erachtens nach nicht einmal mit einer Ethik kompatibel. Daher sind wir den Angelsachsen in der Frage nach einer ökologischen Ethik weit hinterher.

ruprecht: Was sind denn die besonderen Herausforderungen, mit denen sich die praktische Philosophie Ihrer Ansicht nach konfrontiert sieht?

Hösle: Nun, wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der zahllose Vorstellungen darüber existieren, was gut und was schlecht ist. Und obwohl wir natürlich alle froh sind, daß wir Religionsfreiheit genießen, stellt sich auf der Meta-Ebene das Problem, daß zumindest die Religionsfreiheit ein allgemein anerkannter Wert sein muß. Trotz des Pluralismus muß es also allgemeingültige Prinzipien geben. Ethik bleibt also trotz Wertepluralismus notwendig.

ruprecht: Neben dem Thema Dritte Welt haben Sie sich besonders mit ökologischer Ethik beschäftigt. Sind frühere Ethiken, beispielsweise der kategorische Imperativ Kants, denn veraltet?

Hösle: Ich glaube, es gibt zwei Gründe, warum man sich Gedanken über eine neue Ethik machen muß. Erstens sind viele klassische Ethiken extrem anthropozentrisch, stellen also den Menschen oder, allgemeiner, Vernunftwesen mehr oder weniger bedingungslos in den Mittelpunkt. Kant ist zweifelsohne der größte Ethiker der Neuzeit. Doch er argumentiert beispielsweise bei der Ablehnung von Tierquälerei etwas merkwürdig. Da für ihn nur der Mensch einen intrinsischen Wert, einen Wert an sich, hat, lehnt er Tierquälerei mit der Begründung ab, ein Tierquäler könne womöglich auch gegenüber Menschen grausam sein. Diese empirische Aussage ist äußerst zweifelhaft, denn man kann sich durchaus einen Menschen vorstellen, der an Tieren seine Aggressionen auslebt und deswegen gegenüber seinen Mitmenschen friedlicher ist. Wir kommen also nicht umhin, das Wohl der Tiere als intrinsischen Wert zu verstehen.

Zweitens stellt sich aufgrund unseres durch die Technik räumlich und zeitlich erweiterten Handlungsspielraums das Problem der Gerechtigkeit gegenüber den kommenden Generationen. Wenn man der Ansicht ist, daß Rechtspflichten vor allem auf Gegenseitigkeit beruhen, kommt man in dieser Frage nicht weiter. Die kommenden Generationen haben uns noch nichts Positives getan, warum also sollten wir ihre Lebensgrundlagen verschonen?

ruprecht: Ist das Hobbes'sche System des rationellen Egoismus am Ende?

Hösle: Davon bin ich überzeugt. In einem ethischen System, in dem Gerechtigkeit durch Interessenkonkurrenz entstehen soll, haben die kommenden Generationen schlechte Karten: Da sie noch nicht geboren sind, können sie ihre Interessen ja noch nicht vertreten. In meinem neuen Buch fordere ich daher ein zweites "undemokratisches" Verfassungsorgan neben dem Bundesverfassungsgericht, das die Interessen der kommenden Generationen vertreten soll.

ruprecht: Ein Begriff, den Sie oft verwenden, ist "Suffizienzrevolu-tion". Was genau ist damit gemeint?

Hösle: Ernst-Ulrich von Weizsäcker, den ich sehr schätze, setzt sich sehr für die "Effizienzrevolution" ein. Er fordert eine technische Revolution, die uns die Möglichkeit gibt, mit sehr viel weniger Energie auszukommen. Ich denke jedoch, daß der Mensch die Tendenz hat, mit den Möglichkeiten auch die Bedürfnisse steigen zu lassen. Forscher haben es geschafft, in einem solarbetriebenen Treibhaus in Colorado auch im Mai Mango-Früchte anzubauen - zweifellos ein Erfolg. Ich frage mich aber, was passiert, wenn die Menschen im Januar Mangos haben wollen. Wir kommen meiner Ansicht nach nicht darum herum, uns zu fragen, was wir wirklich brauchen und was nicht. Eine Effizienzrevolution allein löst das Problem nicht: Wir müssen auch an der Bedürfnisschraube drehen. Wir brauchen eine Suffizienzrevolution.

ruprecht: Der heutige Lebensstandard ist also nicht zu halten?

Hösle: Nein, und das muß gar nicht so schlimm sein. Sehen Sie, zum Beispiel Goethe, der ja immerhin Goethe war, ist in seinem ganzen Leben nur zweimal nach Italien gefahren. Warum müssen wir denn wie selbstverständlich zweimal im Jahr nach Italien fahren?

ruprecht: In einem Ihrer "Moskauer Vorträge" kommen Sie zu dem Ergebnis, daß ein unnötiger Flug unmoralisch gegenüber einem ertrinkenden Bangladeschi des Jahres 2040 ist. Wie gehen Sie persönlich mit dieser Frage um?

Hösle: Ich habe kein Auto, fahre selten Taxi und bemühe mich ansonsten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Zu einer Veranstaltung des Goethe-Instituts in Ankara bin ich mit dem Zug gefahren. Das hat zwar hin und zurück fünf Tage gedauert, und ich habe auf der Fahrt einiges erlebt, aber ich bin immerhin nicht geflogen.

ruprecht: Eine so anspruchsvolle Ethik erfordert ein enormes Abstraktionsvermögen. Aber man hat den Eindruck, daß unsere Gesellschaft so weit säkularisert ist, daß niemand mehr Religion ernst nimmt, andererseits aber noch nicht soweit, daß man den Religionsunterricht in den Schulen endlich abschafft und ihn durch Ethikunterricht ersetzt.

Hösle: Die Tatsache, daß unsere Gesellschaft nicht mehr erzieht, ist in der Tat fatal. Die Schulen sind ja zu Wissenstransfer-Anstalten verkommen. Oft sind sie nicht einmal mehr das.

Wir brauchen selbstverständlich dringend Philosophieunterricht an den Schulen. Ich denke aber, daß es falsch ist, einen Gegensatz zwischen Philosophie- und Religionsunterricht aufzubauen. Ich finde, man sollte den jungen Menschen beides bieten. Man muß allerdings dazusagen, daß nicht die Verbreitung jeder Philosophie an den Schulen im öffentlichen Interesse ist.

ruprecht: Zum Beispiel Heidegger?

Hösle: (lacht) Das haben Sie gesagt - ich hab's nur gedacht!

ruprecht: Wenn man eine so anspruchsvolle Ethik auch über allgemeinverbindliche Regelungen vorantreiben will, so muß dies die Politik leisten. Diese gerät jedoch in ein Dilemma. Die Diskussion um die Erhöhung der Energiesteuer zeigt, daß die Politiker vor der Frage stehen: "Wahrheit oder Mehrheit?".

Hösle: Es ist leider in der Tat nicht auszuschließen, daß die Menschheit noch einige Nackenschläge braucht, die an Grausamkeit dem zweiten Weltkrieg nicht nachstehen. Wir Intellektuellen können uns nur bemühen, Aufklärungsarbeit zu leisten. Was das Dilemma "Wahrheit oder Mehrheit" angeht, so glaube ich, daß es in der Gesellschaft auch ein Bedürfnis nach ehrlichen Politikern gibt. Im Endeffekt wird auch der Mehrheit derjenige Politiker suspekt, der nur noch an die Mehrheit denkt und die Wahrheit verdrängt.

ruprecht: Herr Hösle, wir danken Ihnen für das Gespräch. (fw)


Hahnenkämpfe

Heidelbergs Literaten streiten

Am 5. Juni traf sich die Heidelberger Literaturszene in der Buchhandlung Himmelheber. Die Damen und Herren der "LitOff" ("Literatur-Offensive"), des "Trystero" und der "metamorphosen" wollten sich streiten. ruprecht war vor Ort.

Der Abend begann abschreckend: Der Moderator stellte mit dem Charme eines Oberstufen-Deutschlehrers die Gruppen vor: die "LitOff", die ohne festen Zusammenhang Lesungen organisiert und kein Zeitschriftenorgan hat, die "metamorphosen", eine von zwei Heidelberger Studenten herausgegebene Zeitschrift, die für 3 Mark in fast jeder Buchhandlung zu haben ist und mittlerweile als etabliert zu bezeichnen ist, und die Gruppe um die Zeitschrift "Trystero", das mit Abstand mutigste und experimentellste Heft der Gegend, in ausgewählten Buchhandlungen für 5 Mark erhältlich.

Dann wurde gelesen. Ein peinlicher Auftritt aus den Reihen der LitOff ("rrrzz, rrz, rrb, rrb" - gähn!) bereitete die Hörer auf eine grottenlangweilige Lesung aus den Reihen der "metamorphosen" vor. Letzte hatte nicht gerade ihr bestes Pferd ins Rennen geschickt. Jedenfalls forderte die "deilweise audändische geschischde aus dem frangfudä bängä-miliö" den Gästen eine harten Kampf gegen den Schlaf ab. Interessanter war da schon der Auftritt des "Trystero"-Teams. Das machte von Anfang an klar, daß es nicht zögern würde, sich weit aus dem Fenster zu hängen. Wie revolutionär das wirklich war, was da geboten wurde, sei dahingestellt. Jedenfalls stellte es all die anderen Lesungen dieses Abends bei weitem in den Schatten.

Nach einer kleinen Raucherpause, in der "so manches" geraucht wurde, versammelte man sich wieder zur Diskussion, leider moderiert vom erwähnten Deutschlehrer. "Diese ständige innere Verkrampftheit führt letztendlich nur zu Darmverschluß. Und da haben wir keinen Bock drauf" - so brachte ein Vertreter des "Trystero" seine Kritik an den "metamorphosen" auf den Punkt. Aber es kam noch dicker. Die "metamorphosen" verstehen sich als unpolitisch, und genau das kritisieren die Herausgeber des "Trystero". Sie sehen ihre Tätigkeit auch als politische Tätigkeit und die "metamorphosen" als konservatives Blatt, ein Vorwurf, der von den "metamorphosen" mit satirischen Bemerkungen zurückgewiesen wurde.

Was allerdings so politisch daran sein soll, Texte wie "Die Fickoperation" zu veröffentlichen, blieb so manchem unklar. "Eine gewisse Härte" wollten die Herausgeber des "Trystero" für ihr Blatt in Anspruch nehmen. "Gewisse Härte"? - Nett gesagt! Im "Trystero" geht' s knüppelhart zur Sache - das richtige Blatt für den ganzen Mann? Der Vorhang zu, und viele Fragen offen... (fw)


Verschiedenes


Rumänien träumt noch

Eine Begegnung zwischen Studenten aus Ost und West

Im Rahmen einer dreiwöchigen Exkursion einer Gruppe von Studierenden der osteuropäischen Geschichte nach Rumänien fand eine Begegnung mit Geschichtsstudenten in Jassy statt, die für die Heidelberger zu einem der prägendsten Erlebnisse der Reise wurde.

"Dreckiger als Dreck" nennen die Studenten in Jassy ihre Kneipen. Ironisch und auch ein bißchen stolz auf ihr "eigenes Reich", nehmen sie uns in eine der Baracken auf dem Campus mit, in denen bei düster-staubigem Licht ein paar Hocker um eine Art Bar herumgestellt sind. In der Mitte steht ein von Jugendlichen umlagerter, verschimmelter Billiardtisch, aus einer Ecke am Tresen kommen vage erkennbare "amerikanische" Hits aus einem alten Kassettenrecorder. Wir sollen uns setzen. Jetzt wird erst einmal eine Runde "Zuika" ausgegeben. Der traditionell-rumänische Pflaumenschnaps wärmt schön von innen; denn die dünnen Blechwände der Baracken schützen nicht vor der Kälte der Märznacht. Die Studenten aus Jassy bitten uns, zu erzählen: Alles wollen sie wissen, alles interessiert sie. Besuch aus dem Westen ist selten, und soll man das, was man aus dem Fernsehen vom Westen weiß, alles glauben? Wie spielt sich denn dort das Studentenleben ab? Darf man sich in der Öffentlichkeit küssen? Wieviel kostet ein Mercedes, und was verdient ein "deutscher Mensch" so im Durchschnitt...?

Die allerwenigsten waren schon mal im Westen, und alle träumen davon. Aber ernst nehmen sie ihn selbst nicht, ihren Traum. Es ist zu schwierig, ihn wahr zu machen, denn wenn man die Unmöglichkeit überwunden hat, sich das Geld zusammenzusparen, dann fehlt die Einladung und der Bürge im Westen, ohne den es keine rumänische Ausreisegenehmigung und kein Visum gibt... Die Hoffnung, einmal herauszukommen aus ihrem "Loch", haben die meisten schon aufgegeben, die Perspektiven, die sich mit der Wende im November 1989 kurz erahnen ließen, sind wieder verlorengegangen. Der "Westen" interessiert sich nicht für sie. Andere osteuropäische Länder sind politisch stabiler und wirtschaftlich wesentlich attraktiver für westliche Investoren. Und trotzdem sind vor allem in Bukarest die Spuren des Kapitalismus nicht zu übersehen: Coca-Cola wirbt überall und ist auch überall zu haben, McDonald's Filialen sprießen aus Bukarests Boden, das Hilton setzt sich mitten ins Herz der Altstadt. Doch die Studenten möchten etwas anderes: Sie streben nach Wissen, wollen sich weiterbilden, ihren Horizont über das Gebiet Osteuropas hinaus erweitern...

Es sind noch Freunde von Vasile, Andruschea, Richard, Julian, Lolly und Laura dazugekommen. Wir trinken mit ihnen auf ewige Freundschaft - werden wir uns je wiedersehen? Als Gäste und Freunde werden wir so herzlich aufgenommen, daß wir vergessen, bis zu diesem Abend nur Tourist gewesen zu sein.

Auf Tourismus als Geldquelle ist Rumänien noch nicht eingestellt. Die Hotels, ehemals nur für Parteimitglieder, sind für Normalreisende völlig überteuert, und Jugendherbergen gibt es noch nicht. Bahn- und Busreisen sind nur beschränkt möglich und mit erheblichem Organisationsaufwand verbunden. Die einst sehr schönen und gepflegten Urlaubsorte in den Karpaten und am schwarzen Meer, das ehemalige Pendant zu Mallorca und Zermatt, sind heute verwahrlost und verlassen. Doch woher die Geldmittel zu Wiederaufbau, Werbung und Betrieb nehmen?

Unsere Gastgeber zeigen uns ein Studentenwohnheim, in dem Julians Freundin Laura wohnt: sechs oder acht Betten in einem Zimmer, in der Mitte ein winzigkleiner Tisch. "Natürlich muß man hier die eigenen Bedürfnisse ganz hinten anstellen, aber wir kennen es nicht anders. Bis sechs Uhr abends kann man in der Bibliothek lernen und lesen. Wenn man dann noch alleine sein will, muß man halt spazierengehen..." Auf der anderen Seite des Campus ist das Wohnheim für die Jungs, dazwischen ein Park mit Bänken - hier wird gelesen, gelernt, geschmust und über Politik diskutiert. Richard und Lolly erklären uns ihre Sicht der Lage: Der Wunsch der Menschen nach einer tatkräftig- fortschrittlichen Regierung wurde von Resignation abgelöst. Nach dem Sturz von Ceaucescus Schreckensregime vertraute man der neuen Regierung erleichtert. Die Neokommunisten mit Iliescu an der Spitze schafften es, das Vertrauen und die Hoffnung auf ein besseres Leben schnell zunichte zu machen. Vor allem junge Menschen steckten sich daraufhin ein Bildnis von König Mihai an die Jacke, mit der Überzeugung, nur ein König, der sein Volk liebe, könne alles wieder gut machen. Eigeninitiative, Kritik, Opposition - Begriffe und Einstellungen, die nie "gelernt" worden sind, da die Häscher der Securitate jegliche oppositionelle Regungen mit spurlosem Verschwindenlassen bestraften. Die neue Regierung Constantin-escus hat es jetzt schwer, mit ihrem Autoritätskurs Vertrauen zu gewinnen. Vieles hat sich zum Besseren gewandt in den letzten acht Jahren: an erster Stelle steht die Freiheit der Gedanken. Es gibt keine Zensur mehr - es darf geredet, geschrieben, veröffentlicht werden. Wenn man nur die finanziellen Möglichkeiten hätte.

Wie es weitergehen wird mit Rumänien, ist schwer vorauszusagen; doch mit Hilfe seiner Bodenschätze und den übermäßig gut ausgebildeten Menschen, hat das Land die nötigen Grundvoraussetzungen, wieder so blühend zu werden, wie es vor hundert Jahren einmal war. Aber die Studenten im "Dreckiger als Dreck" haben ihren Spaß, sind fröhlich und singen uns Lieder der rumänischen Band "Pasara Colibri" vor. Sie erklären uns die politischen und historischen, immer Rumänien betreffenden Liedtexte, und sind trotz allem stolz darauf, Rumänen zu sein.

Maja Heidenreich


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ruprecht, die Heidelberger Student(inn)en Zeitung, erscheint drei Mal im Semester, jeweils Anfang Mai, Juni, und Juli, bzw. November, Dezember und Februar. Die Redaktion versteht ruprecht als unabhängiges Organ, das keiner Gruppierung oder Weltanschauung verpflichtet ist. MitarbeiterInnen und RedakteurInnen sind willkommen; die Redaktion trifft sich während des Semesters jeden Montag um 20 Uhr im Haus der Fachschaften in der Lauerstr. 1, 3. Stock. Für namentlich gekennzeichnete Artikel übernimmt der/die AutorIn die Verantwortung.

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Red.-Schluß für Nr. 50: 01.11.1997

ISSN: 0947-9570

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Die Letzte


Los Angeles, ich weiß nicht

warum ich dich so hasse...

Als sich der Jumbo langsam in die Nachtluft bohrte, bot sich mir ein atemberaubender Anblick: L.A. bei Nacht. Ein Lichter-Ozean von einem Horizont zum anderen, flach wie eine Tortilla und brodelnd wie ein Bohneneintopf. Ich bekam Hunger. Wegen der Metaphern. Ich sah auf die Stadt herunter. Stadt? Schlagartig wurde mit klar, daß ich den vergangenen vier Wochen L.A. vollkommen mißverstanden hatte. Ich hatte geglaubt, L.A. sei eine Stadt. Jetzt ging mir auf: L.A. ist ein Parkplatz.

Ein Parkplatz, auf dem man auch wohnt, zugegeben, aber eben doch ein Ort, an dem man in erster Linie damit beschäftigt ist, sein Auto von der einen Ecke in die andere zu stellen. Ein Gebiet so groß wie Rheinland Pfalz diente dazu, Autos zu parken. Von denen gab es mehr als Menschen.

Und überhaupt: Hatte man mir nicht gleich bei meiner Ankunft gesagt, daß ich ohne Auto hier nicht mal einen Hamburger kaufen könnte? Ohne Auto kann man nämlich kein McDonald's-drive-in besuchen. Auch keine andere Veranstaltung, die die 12 Millionen Parkwächter (und ihre Angehörigen, heranwachsenden Parkwächter) in L.A. so ausüben, wenn sie sich gerade vom Umparken erholen: Drive-in-cinema, drive-through-church, drive-in-cemetary. Auf letzterem wirft man den eben verstorbenen Angehörigen aus dem fahrenden Auto die Erde auf den Sarg. Wen wollte es da wundern, daß im Land des Parkens auch aus dem Auto gemordet wird. Die drive-by-attacks können sozusagen während des Umparkens erledigt werden...

Der Jumbo stieg höher und höher. Ich starrte erschrocken herunter auf das Lichtermeer. Vier Wochen totale Fehlinterpretation lagen hinter mir. Unter mir kochten die Autolichter. Ich nippte an meinem Camapari-Orange. Kein Wunder, daß ich mich so schlecht zurecht gefunden hatte. Ich war von einer völlig falschen Arbeitshypothese ausgegangen. Nicht diente das Fahren dem Leben, nein, die 12 Millionen Parkwächter unter mir lebten überhaupt und ausschließlich, um zu parken. Ich atmete auf. Ich war soeben dem größten Parkplatz der Welt entronnen.

Jetzt geht er auf Deutschlands Straßen an den Start: Der neue Opel Grilletta. Mit Leichtmetallgrillrost und eingebautem Solarium ist der Grilleta der heißeste Ofen seit der Erfindung der Mikrowelle.

Unter allen Sitzen befinden sich Hochleistungs-Heizröhren. Das macht Dampf. Auch für Unfälle bei polarähnlichen Verhältnissen ist gesorgt: Heißluftairbags sorgen für wohlig-warmen Aufprall. Und im Sommer gibt der Grilletta Ihnen den Rest: Die Klimaanlage "Megabrutzel" hat bis jetzt noch jede Birne weichgekocht. Die Sahara ist ein Scheiß dagegen!