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Meinung


ruprecht point&counterpoint: Studierende auswählen?

Sollen die Hochschulen künftig verstärkt die Studierenden selbst auswählen?

In diesem Semester wurden erstmals in Deutschland in einigen zulassungsbeschränkten Fächern Auswahlverfahren eingeführt. Vom Rektorat gefördert und gelobt, löste die Auswahl bei Studierenden und Professoren ein geteiltes Echo aus. Wem nützt das Verfahren? Sind die Methoden praktikabel und gerecht? Zwei Geisteswissenschaftler streiten sich für den ruprecht um das Für und Wider der Auswahl.

"Ja"

Prof. Dr. Norbert Greiner
Prof. für Übersetzungswissenschaft, Heidelberg

"Solange es deutlich weniger Studienplätze als Studierwillige gibt, sind Studieneingangstests ein probates Mittel zur Auswahl der Besten."

Karl Jaspers hat meiner Meinung nach den Unterschied zwischen Schule und Universität treffend formuliert: "Unser Anspruch auf die Besten aus allen Bevölkerungsschichten wird unwahr als Anspruch aller, qualifiziert zu sein. Ein falscher Gleichheitsgedanke verwechselt den Anspruch auf gleiche Chancen mit einem Anspruch auf gleiche Begabung. ... An der Schule sollen alle mitkommen, damit die meisten ihr Ziel erreichen. Die Hochschule versagt, wenn sie diesem Prinzip folgt." Aus diesem wesentlichen Unterschied ergeben sich Konsequenzen für den Bildungsauftrag der Universität, den Leistungsnachweis aller ihrer Mitglieder sowie für die Zulassungsbedingungen. 1. Schulen sollen möglichst überall gleich und gleich gut sein. Nur so ist Chancengleichheit gewährleistet. Universitäten leben dagegen in und von der Konkurrenz miteinander. Nur so ist höchste Leistung möglich. Daher werden Professoren auch nach einem Wettbewerbsverfahren von den Universitäten ausgesucht, so daß durch die Berufungspolitik der Universität und das Selbstverständnis der einzelnen Fächer das Renommee einer Universität und ihr spezifisches Profil hervortreten. Studenten wählen sich ihr Studienfach und den Studienort vermutlich (hoffentlich) nach der Attraktivität und dem Renommee der Hochschule und dem dort erkannten Profil des gewünschten Faches. Wenn aber den Studierenden dieses Recht zugebilligt wird, muß man auch den Universitäten erlauben festzustellen, ob die Bewerber in Bezug auf Wissensstand, Leistungsvermögen und Motivation den Voraussetzungen des Faches entsprechen. 2. Das deutsche Abitur stellt die allgemeine Hochschulreife fest, aber eben nur auf eine sehr allgemeine Art. Denn erstens ist aufgrund der Länderhoheit im Schulwesen das Abitur faktisch nicht mehr vergleichbar. Und zweitens wird nirgends die Wahl des Studienfaches an die Wahl der Leistungs- und Grundkurse gebunden. Ich bestreite, daß das - sicher fundierte - Urteil eines Sportlehrers über die Leibesfertigkeiten eines Schülers eine gültige Aussage über dessen Befähigung zum Biologiestudium darstellt. Solange in Deutschland (a) keine allgemein verbindliche Übereinkunft über Inhalt und Niveau von Abiturleistungen herrscht und (b) das Abiturzeugnis zur Wahl eines jeden Studienfaches berechtigt, solange brauchen die Universitäten bei der derzeitigen Nachfrage nach Studienplätzen die Möglichkeit, ihre Studienanfänger ganz oder teilweise auszuwählen.

3. Hinzu kommt, daß wir nicht in allen Fächern nur motivierte und gut vorbereitete Studierende haben. Die trotz schlechtester Berufsaussichten zu verzeichnende Überfüllung vieler geisteswissenschaftlicher Studiengänge deutet darauf hin, daß nicht wenige die Wahl des Faches aus Verlegenheit treffen. Eine solche Motivation mag ausreichen, solange sie nicht zu Lasten derer geht, die trotz der Berufsaussichten das Fach aus voller Überzeugung studieren wollen. Hier scheinen Auswahlverfahren zur Entlastung der Fächer, der Lehrenden und Studierenden, durchaus sinnvoll. 4. Im übrigen verspreche ich mir positive Auswirkungen auf die Qualität der Lehre und der Betreuung. Gegenüber denen, die nach einer Prüfung Motivation und Befähigung für ein Fach bescheinigt bekommen haben, besteht eine andere Verantwortung als gegenüber jenen, die - angeblich unfähig und /oder unmotiviert - die Kapazitäten des Faches überlasten. Auch hätte die Evaluation der Leistungen in der Lehre durch die erstgenannte Gruppe einen höheren Überzeugungswert, könnte man doch bei der letztgenannten immer Zweifel anmelden, ob die Kriterien sachgerecht waren. Ich glaube, daß, solange es deutlich weniger Studienplätze als Studierwillige gibt, Studieneingangstests durch die Fächer ein probates Mittel sind, "die Besten aus allen Bevölkerungsschichten" auszuwählen.

Dr. Peter Gebhardt
Akad. Rat am Germanistischen Seminar, Uni Heidelberg
"Die Entwicklung spitzt sich immer stärker auf die Frage zu, ob die Universitäten am staatlichen Bildungsauftrag überhaupt noch festhalten wollen."

In seltsamer Verkehrung der Begriffe wird unter dem Etikett Hochschulreform ausgegeben, was sich aus der Sicht der Studierenden als Rückschritt darstellt. Ich nenne nur: die Erhöhung des Semesterbeitrages als Vorstufe zur Einführung allgemeiner Studiengebühren (demnächst 1000 DM pro Semester?); die "Geldstrafe" (1000 DM pro Semester) für Langzeitstudierende; die Einführung eines Numerus Clausus auf das Referendariat (einer Verkürzung der Ausbildungszeit sicher nicht dienlich). Und demnächst die Errichtung neuer Zugangsbarrieren, indem man die Eignungsfeststellungsverfahren für Studienanfänger - seit diesem Semester in den Fächern Biologie, Psychologie und Sportwissenschaft praktiziert - auf weitere Fächer ausdehnt?

Die Tendenz, eines nicht zu fernen Tages allen Studienfächern die Auswahl ihrer Studierenden zu erlauben oder gar zu verordnen, ist deutlich genug. Als "möglichen Vorgriff auf den Regelfall" (Michael Schwarz, unispiegel 5/97) stellen sich aus dieser Perspektive die bisherigen Heidelberger Versuche dar.

Grundsätzlich erscheint es sinnvoll und geboten, die Motivation und individuelle Eignung von Studienanfängern für das gewählte Fach zu prüfen. Worüber man streiten muß, ist das Verfahren, das man für diesen "Test" wählt. Beim jetzt praktizierten Modell punktueller Prüfungen durch kurze Klausuren und Auswahlgespräche - sie ergeben nicht mehr als eine Momentaufnahme - werden eher subjektive Eindrücke bewertet. Gewinnen werden vor allem diejenigen, die sich gut "verkaufen". Die Geisteswissenschaften könnten diesem Modell guten Gewissens nicht folgen. Ihre Alternative wäre ein studienbegleitendes bzw. -integriertes Verfahren: die Konzeption des ersten Semesters als ein Propädeutikum und durch kontinuierliche individuelle Studienberatung begleitetes Testsemester, in dem die Studienanfänger gehalten sind, ihre Eignung für das gewählte Fach durch Studienleistungen nachzuweisen. Die an der Universität Heidelberg eingeleitete Reform des geisteswissenschaftlichen Grundstudiums zeigt Ansätze in Richtung dieses Konzepts. Die Verschärfung des Numerus Clausus durch Eignungsfeststellungsverfahren für Studienanfänger leistet jenen als überholt geglaubten Vorstellungen von der Bildung als Privileg Vorschub. Schließlich könnten die Studierwilligen sich eines Tages in die Haltung von Bittstellern um Bildung gedrängt sehen. Privatuniversitäten können sich jederzeit ihre Studenten nach ihren eigenen Maßstäben aussuchen. Eignungsfeststellungsverfahren befördern die Privatisierung der Universitäten. Die Entwicklung spitzt sich immer stärker auf die Frage zu, ob die Universitäten am staatlichen Bildungsauftrag überhaupt noch festhalten wollen.



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