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05.12.2010

Erfolgsgeschichte am Aralsee

Der See wÀchst wieder - und auch die Hoffnung der Menschen

Der beinahe ausgetrocknete Aralsee gilt als eine der schwersten von Menschenhand verursachten Umweltkatastrophen. Die Folgen: versalzte Böden, Fischsterben und Krankheiten. Doch mehrere erfolgreiche Hilfsprojekte haben viel verÀndert.

Die Austrocknung des Aralsees gilt als eine der schwersten von Menschenhand verursachten Umweltkatastrophen. Menschen wurden arbeitslos, der Boden versalzte und brachte Krankheiten in die Region. Die Kindersterblichkeitsrate ist noch immer eine der höchsten der Welt. Die Aralsee-Gesellschaft (Aral Tenizi) und ein von der Weltbank finanziertes Staudammprojekt geben den Menschen in Aralsk wieder etwas Hoffnung.

Aralsk im SĂŒdwesten Kasachstans. Die FensterlĂ€den und TĂŒren der HĂ€user sind fest verschlossen. Sand und Staub wehen ĂŒber die Straßen. Die Stadt wirkt wie verlassen. Mein Hotel ist das einzige, das hier noch ĂŒbriggeblieben ist. Schon lange kommen nur noch wenige GĂ€ste hierher. Die fĂŒnf anderen Bescher sind junge, auslĂ€ndische Rucksacktouristen. Sie sind wie ich hierher gekommen, um die Folgen der Katastrophe vom Aralsee mit eigenen Augen zu sehen – und mit etwas GlĂŒck auch einen Blick auf den See selbst zu erhaschen.

FrĂŒher ging man dafĂŒr 20 Meter vom Hotel zum Hafen. Heute ist der ehemalige Hafen Ödland. Nur noch ein paar verrostete Schiffe erinnern an die Zeit, als Aralsk noch eine stolze Stadt am See und der Aralsee das viertgrĂ¶ĂŸte Binnenmeer der Welt war.

Beinahe alle Menschen lebten direkt oder indirekt vom Fischfang. Doch seit den 1960er Jahren ist der Sees um zwei Drittel geschrumpft. Wo frĂŒher Ufer war, erheben sich alte, verrostete KrĂ€ne ĂŒber die heruntergekommenen HĂ€user und das ausgetrockneten Hafenbecken. Auf der anderen Seite steht die alte Fischfabrik.

Serik holt mich an diesem Morgen vom Hotel ab. Er arbeitet fĂŒr Aral Tenizi, einer Genossenschaft, die sich seit Anfang der 1990er Jahre erfolgreich fĂŒr die Wiederbelebung des Aralsees einsetzt. Mit 68.000 Quadratkilometern war dieser einmal der viertgrĂ¶ĂŸte Binnensee der Welt und war in etwa so groß wie das Bundesland Bayern.

Heute fĂ€hrt er mit mir an das aktuelle Ufer des geschrumpften Sees. Heute braucht man einen GelĂ€ndewagen um die gut 30 Kilometer bis dorthin zurĂŒcklegen. Nach einer Weile fĂŒhrt die Piste einen Abhang hinunter. Vier oder fĂŒnf Meter sind es, schĂ€tze ich. Vielleicht sechs. Hier war befand sich einst die Wassergrenze. Wir fahren im ausgetrockneten Seebecken weiter.

Serik erklĂ€rt mir: „Ohne ortskundigen FĂŒhrer wĂŒrdest Du den Weg nicht finden. Es gibt keine Straßen und keine Karten.“ In dieser Steppe wandern ein paar Kamele auf der Suche nach Nahrung umher. Einige alte Schiffswracks sind zurĂŒckgeblieben. Die Einwohner haben diesen Ort „Schiffsfriedhof“ getauft.

Zu Beginn der 1960er Jahre, als Kasachstan noch zur Sowjetunion gehörte, begann die Zentralregierung in Moskau, immer mehr Wasser von den beiden ZuflĂŒssen des Sees abzuzweigen. Dadurch sank der Wasserspiegel des Aralsees enorm. Der See versalzte und das Fischsterben begann. Ohne genĂŒgen Wasser versandeten wiederum die AnbauflĂ€chen. Krankheiten hĂ€uften sich. Die Region wurde immer mehr zur WĂŒste.

Als Mitte der 1990er Jahre die Fischereiindustrie komplett zusammenbrach, war auch Seriks Familie betroffen. „Mein Vater hat 25 Jahre in der Schiffsfabrik gearbeitet. Zuletzt war er Vorarbeiter. 1994 wurde er arbeitslos. 1996 verlor auch meine Mutter ihre Arbeit – nach 20 Jahren in der Fischfabrik. Es war eine harte Zeit fĂŒr uns.“ In den frĂŒhen 90er Jahren, kurz nach der UnabhĂ€ngigkeit Kasachstans erreichte die Katastrophe ihr grĂ¶ĂŸtes Ausmaß. Wie Seriks Eltern arbeiteten zuvor viele Menschen in Aralsk in der Fischerei- und Schiffsbauindustrie. Die meisten von ihnen verloren ihren Job. „Mein Vater nahm eine Arbeit als Wachmann an. Er verdiente 5.000 Tenge (heute etwas ĂŒber 20 Euro, Anm. d. Red.) im Monat und musste davon unsere Familie ernĂ€hren.“

Doch zur Zeit des grĂ¶ĂŸten UnglĂŒcks Ende der 1980er Jahre sank der Wasserspiegel so stark, dass sich im Norden des Sees eine Sandschwelle bildete, die den See fortan in einen großen sĂŒdlichen und einen kleinen nördlichen Bereich teilte. Mit Hilfe der Weltbank baute die Regierung Kasachstans 2003 einen Staudamm, der verhindert, dass Wasser aus dem nördlichen unkontrolliert in den sĂŒdlichen Teil abfließt. Seit dem steigt der Wasserspiegel im nördlichen Teil wieder an. „Mit etwas GlĂŒck steht all das, was wir heute mit dem Auto abgefahren sind, in fĂŒnf Jahren wieder unter Wasser“, erklĂ€rt Serik.

Er kam 2000 als Freiwilliger zu Aral Tenizi. Seit 2005 ist er fester Mitarbeiter. Er kann viel ĂŒber den See und die Stadt erzĂ€hlen. Am liebsten erzĂ€hlt er davon, wie Anfang der 1990er Jahre einige dĂ€nische Ökologen an den See kamen, „um zu zeigen, dass Fischfang doch noch möglich ist.“ Sie hatten DĂ€nemark einige Flundern mitgebracht. Diese ĂŒberlebten auch im stark versalzten Wasser des Aralsee und vermehrten sich nach einiger Zeit sogar so schnell, dass man sie fischen konnte.

Nach ersten Tests mit den Fischern hier, organisierten die Wissenschaftler unter anderem Geldmittel beim dĂ€nischen Außenministerium. Davon kauften sie den Fischern in Aralsk neue Netze, organisierten Fortbildungen und unterstĂŒtzten die Fischer bei der Bildung kleiner Kooperativen.

Aus diesen Kooperativen ging 1998 Aral Tenizi hervor. Die Organisation wird seitdem von den Fischern in Aralsk getragen und koordinierte bis 2008 in Kooperation mit den dĂ€nischen Helfern die Hilfsmaßnahmen fĂŒr die Stadt. Und die produzierten Erfolge: „In den wirtschaftlich schwierigsten Zeiten hatten wir ĂŒber 1.000 Mitglieder, weil alle hier Fischer werden wollten. Jetzt hat sich die Zahl bei 500 bis 600 eingependelt. Einmal im Jahr ist Vollversammlung, dann wĂ€hlen die Fischer den Vorstand.“ Das dĂ€nische Engagement und Aral Tenizi sind ein schönes Beispiel fĂŒr effiziente Hilfe zur Selbsthilfe.

Seit 2003 der Staudamm gebaut wurde, ist der Wasserspiegel im nördlichen Aralsee deutlich gestiegen. Auch die WasserqualitĂ€t hat sich stark verbessert. Heute sind die Fischer wieder zurĂŒck. „15 verschiedene Fischarten leben inzwischen wieder im nördlichen Teil des Sees“, sagt Serik. „Aber obwohl wir unser Bestes tun, wird es nie mehr so werden wie frĂŒher.“ WĂ€hrend sich der nördliche See erholt, ist der sĂŒdliche, große Teil des Aralsees wohl hoffnungslos verloren. „Man vermutet, dass es dort gar keine Fische mehr gibt“, sagt Serik.

Die Einwohner Aralsk schöpfen neue Hoffnung. Eine erste mit dĂ€nischer Hilfe gebaute kleine Fischfabrik gab 20 Leuten Arbeit. Das Projekt lief so gut, dass bald eine grĂ¶ĂŸere Fabrik fĂŒr 50 Mitarbeiter entstand. „Damals haben die MĂ€nner 600 Tonnen Fisch im Jahr gefangen. Heute sind es schon wieder 2.300 Tonnen“, erzĂ€hlt Serik stolz.

Mit etwas GlĂŒck sind es bald noch mehr, denn die Fertigstellung eines zweiten von der Weltbank finanzierten Staudamms ist fĂŒr 2011 geplant. Bis 2015 soll der "kleine Aral", wie die Einwohner den kleinen See jetzt nennen, weiter wachsen. Sein Ufer soll dann etwa zwölf Kilometer vor Aralsk liegen. Mit dem See wĂ€chst auch die Hoffnung der Menschen vor Ort, an vergangene, glĂŒcklichere Zeiten anzuknĂŒpfen.

von Christian Slader
   

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