Erfolgsgeschichte am Aralsee
Der See wächst wieder - und auch die Hoffnung der Menschen
Der beinahe ausgetrocknete Aralsee gilt als eine der schwersten von Menschenhand verursachten Umweltkatastrophen. Die Folgen: versalzte Böden, Fischsterben und Krankheiten. Doch mehrere erfolgreiche Hilfsprojekte haben viel verändert.
Die Austrocknung des Aralsees gilt als eine der schwersten von Menschenhand verursachten Umweltkatastrophen. Menschen wurden arbeitslos, der Boden versalzte und brachte Krankheiten in die Region. Die Kindersterblichkeitsrate ist noch immer eine der höchsten der Welt. Die Aralsee-Gesellschaft (Aral Tenizi) und ein von der Weltbank finanziertes Staudammprojekt geben den Menschen in Aralsk wieder etwas Hoffnung.
Aralsk im Südwesten Kasachstans. Die Fensterläden und Türen der Häuser sind fest verschlossen. Sand und Staub wehen über die Straßen. Die Stadt wirkt wie verlassen. Mein Hotel ist das einzige, das hier noch übriggeblieben ist. Schon lange kommen nur noch wenige Gäste hierher. Die fünf anderen Bescher sind junge, ausländische Rucksacktouristen. Sie sind wie ich hierher gekommen, um die Folgen der Katastrophe vom Aralsee mit eigenen Augen zu sehen – und mit etwas Glück auch einen Blick auf den See selbst zu erhaschen.
Früher ging man dafür 20 Meter vom Hotel zum Hafen. Heute ist der ehemalige Hafen Ödland. Nur noch ein paar verrostete Schiffe erinnern an die Zeit, als Aralsk noch eine stolze Stadt am See und der Aralsee das viertgrößte Binnenmeer der Welt war.
Beinahe alle Menschen lebten direkt oder indirekt vom Fischfang. Doch seit den 1960er Jahren ist der Sees um zwei Drittel geschrumpft. Wo früher Ufer war, erheben sich alte, verrostete Kräne über die heruntergekommenen Häuser und das ausgetrockneten Hafenbecken. Auf der anderen Seite steht die alte Fischfabrik.
Serik holt mich an diesem Morgen vom Hotel ab. Er arbeitet für Aral Tenizi, einer Genossenschaft, die sich seit Anfang der 1990er Jahre erfolgreich für die Wiederbelebung des Aralsees einsetzt. Mit 68.000 Quadratkilometern war dieser einmal der viertgrößte Binnensee der Welt und war in etwa so groß wie das Bundesland Bayern.
Heute fährt er mit mir an das aktuelle Ufer des geschrumpften Sees. Heute braucht man einen Geländewagen um die gut 30 Kilometer bis dorthin zurücklegen. Nach einer Weile führt die Piste einen Abhang hinunter. Vier oder fünf Meter sind es, schätze ich. Vielleicht sechs. Hier war befand sich einst die Wassergrenze. Wir fahren im ausgetrockneten Seebecken weiter.
Serik erklärt mir: „Ohne ortskundigen Führer würdest Du den Weg nicht finden. Es gibt keine Straßen und keine Karten.“ In dieser Steppe wandern ein paar Kamele auf der Suche nach Nahrung umher. Einige alte Schiffswracks sind zurückgeblieben. Die Einwohner haben diesen Ort „Schiffsfriedhof“ getauft.
Zu Beginn der 1960er Jahre, als Kasachstan noch zur Sowjetunion gehörte, begann die Zentralregierung in Moskau, immer mehr Wasser von den beiden Zuflüssen des Sees abzuzweigen. Dadurch sank der Wasserspiegel des Aralsees enorm. Der See versalzte und das Fischsterben begann. Ohne genügen Wasser versandeten wiederum die Anbauflächen. Krankheiten häuften sich. Die Region wurde immer mehr zur Wüste.
Als Mitte der 1990er Jahre die Fischereiindustrie komplett zusammenbrach, war auch Seriks Familie betroffen. „Mein Vater hat 25 Jahre in der Schiffsfabrik gearbeitet. Zuletzt war er Vorarbeiter. 1994 wurde er arbeitslos. 1996 verlor auch meine Mutter ihre Arbeit – nach 20 Jahren in der Fischfabrik. Es war eine harte Zeit für uns.“ In den frühen 90er Jahren, kurz nach der Unabhängigkeit Kasachstans erreichte die Katastrophe ihr größtes Ausmaß. Wie Seriks Eltern arbeiteten zuvor viele Menschen in Aralsk in der Fischerei- und Schiffsbauindustrie. Die meisten von ihnen verloren ihren Job. „Mein Vater nahm eine Arbeit als Wachmann an. Er verdiente 5.000 Tenge (heute etwas über 20 Euro, Anm. d. Red.) im Monat und musste davon unsere Familie ernähren.“
Doch zur Zeit des größten Unglücks Ende der 1980er Jahre sank der Wasserspiegel so stark, dass sich im Norden des Sees eine Sandschwelle bildete, die den See fortan in einen großen südlichen und einen kleinen nördlichen Bereich teilte. Mit Hilfe der Weltbank baute die Regierung Kasachstans 2003 einen Staudamm, der verhindert, dass Wasser aus dem nördlichen unkontrolliert in den südlichen Teil abfließt. Seit dem steigt der Wasserspiegel im nördlichen Teil wieder an. „Mit etwas Glück steht all das, was wir heute mit dem Auto abgefahren sind, in fünf Jahren wieder unter Wasser“, erklärt Serik.
Er kam 2000 als Freiwilliger zu Aral Tenizi. Seit 2005 ist er fester Mitarbeiter. Er kann viel über den See und die Stadt erzählen. Am liebsten erzählt er davon, wie Anfang der 1990er Jahre einige dänische Ökologen an den See kamen, „um zu zeigen, dass Fischfang doch noch möglich ist.“ Sie hatten Dänemark einige Flundern mitgebracht. Diese überlebten auch im stark versalzten Wasser des Aralsee und vermehrten sich nach einiger Zeit sogar so schnell, dass man sie fischen konnte.
Nach ersten Tests mit den Fischern hier, organisierten die Wissenschaftler unter anderem Geldmittel beim dänischen Außenministerium. Davon kauften sie den Fischern in Aralsk neue Netze, organisierten Fortbildungen und unterstützten die Fischer bei der Bildung kleiner Kooperativen.
Aus diesen Kooperativen ging 1998 Aral Tenizi hervor. Die Organisation wird seitdem von den Fischern in Aralsk getragen und koordinierte bis 2008 in Kooperation mit den dänischen Helfern die Hilfsmaßnahmen für die Stadt. Und die produzierten Erfolge: „In den wirtschaftlich schwierigsten Zeiten hatten wir über 1.000 Mitglieder, weil alle hier Fischer werden wollten. Jetzt hat sich die Zahl bei 500 bis 600 eingependelt. Einmal im Jahr ist Vollversammlung, dann wählen die Fischer den Vorstand.“ Das dänische Engagement und Aral Tenizi sind ein schönes Beispiel für effiziente Hilfe zur Selbsthilfe.
Seit 2003 der Staudamm gebaut wurde, ist der Wasserspiegel im nördlichen Aralsee deutlich gestiegen. Auch die Wasserqualität hat sich stark verbessert. Heute sind die Fischer wieder zurück. „15 verschiedene Fischarten leben inzwischen wieder im nördlichen Teil des Sees“, sagt Serik. „Aber obwohl wir unser Bestes tun, wird es nie mehr so werden wie früher.“ Während sich der nördliche See erholt, ist der südliche, große Teil des Aralsees wohl hoffnungslos verloren. „Man vermutet, dass es dort gar keine Fische mehr gibt“, sagt Serik.
Die Einwohner Aralsk schöpfen neue Hoffnung. Eine erste mit dänischer Hilfe gebaute kleine Fischfabrik gab 20 Leuten Arbeit. Das Projekt lief so gut, dass bald eine größere Fabrik für 50 Mitarbeiter entstand. „Damals haben die Männer 600 Tonnen Fisch im Jahr gefangen. Heute sind es schon wieder 2.300 Tonnen“, erzählt Serik stolz.
Mit etwas Glück sind es bald noch mehr, denn die Fertigstellung eines zweiten von der Weltbank finanzierten Staudamms ist für 2011 geplant. Bis 2015 soll der "kleine Aral", wie die Einwohner den kleinen See jetzt nennen, weiter wachsen. Sein Ufer soll dann etwa zwölf Kilometer vor Aralsk liegen. Mit dem See wächst auch die Hoffnung der Menschen vor Ort, an vergangene, glücklichere Zeiten anzuknüpfen.