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 Heidelberg
21.02.2010

"Indianerspiel" auf der Insel

Zwei Heidelberger Studis übten 1950 passiven Widerstand

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges benutzten die Engländer Helgoland als Übungsziel für Bombenabwürfe. Bis zwei Heidelberger die Insel in einer "friedlichen Invasion" besetzten und die Europaflagge hißten.

Erschien erstmals am 1. Juli 1997 in der ruprecht-Ausgabe 49

Helgoland. Während der beiden Weltkriege zur Seefestung hochgerüstet. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Engländer die Insel fast von der Erdoberfläche verschwinden. Doch die gigantische Explosion von mehr als 600.000 Tonnen Sprengstoff - die größte nichtatomare Explosion der Menschheitsgeschichte - brachte nur einen Teil der südlichen Steilküste zum Einsturz. Fortan benutzten die Engländer die Insel als Übungsziel für Bombenabwürfe.

Fünf Jahre lang regnete es Bomben aller Kaliber auf Helgoland, bis René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld die Insel in einer "friedlichen Invasion" besetzten und die Europaflagge hißten. Was das mit Heidelberg zu tun hat? Leudesdorff und von Hatzfeld waren Studenten der Ruprecht-Karls-Universität.

Es gelang uns, von Hatzfeld, der heute in München lebt, telefonisch zu erreichen und über die Motivation und den Erfolg der Besetzung zu befragen.Der Krieg war noch nicht lange vorbei, allerorten diskutierte man über Wiedervereinigung, Aufrüstung und Pazifismus.

So auch in Heidelberg, wo sich die im AStA organisierten Studierenden regelmäßig zu Diskussionsrunden trafen. "Ich befand mich damals in einem prärevolutionärem Stadium, in einem Lebensaugenblick, wo etwas passieren mußte. Helgoland war damals jede Woche in der Zeitung. So entstand die Idee, das militärische Sperrgebiet Helgoland zu 'besetzen'. René war von einer spontanen Begeisterung, die man nur sehr selten vorfindet.", so Hatzfeld.

Im Gegensatz zu Hatzfeld war Leudesdorff von der Idee Europa überzeugt. Hatzfeld sah in seiner politischen Motivation immer ein gesamtdeutsches Element: "Mir war klar, wenn aufgerüstet würde, dann ist es mit der Wiedervereinigung zumindest für meine Generation vorbei." Beiden gemeinsam war das pazifistische Element. Nicht zuletzt deshalb entschlossen sie sich, nur zu zweit auf die Insel zu fahren: "50 Studenten im Sommer - das wäre eine Kriegserklärung, die Engländer müßten reagieren. Aber zwei Studenten im kalten Winter- das rührt die Herzen."

Schlagzeile zur Sicherheit

Ohne einen Pfennig Geld in der Tasche trampten die beiden nach Hamburg. Dort klapperten sie die verschiedenen Zeitungen ab, um ihre Idee vorzutragen und Geld für die Überfahrt zu organisieren. Als Gegenleistung für die Geschichte verlangten sie außerdem eine Schlagzeile, denn ihnen war bewußt, daß sie nur dann einigermaßen sicher auf der Insel waren, wenn ihre Anwesenheit als bekannt vorausgesetzt werden konnte.

Doch zunächst schien ihr Ruf ungehört zu verhallen. Erst bei der ZEIT fand ihre Idee Gehör. Der Chef vom Dienst und spätere Chefredakteur Müller-Marein gab den Studenten 250 Mark, den Grundstock für das abenteuerliche Vorhaben.

In der Nacht des 20. Dezembers tauchte Helgoland vor ihrem Schiff aus dem Nebel auf - und ein im Hafen liegendes englisches Schiff. Der Admiral des Schiffes riet ihnen, schnell zu verschwinden, da am nächsten Tag wieder bombardiert würde. Die mitgereisten Journalisten machten ein Foto und folgten dem Rat, Leudesdorff und Hatzfeld aber blieben im Vertrauen auf ihre im Vorfeld geleistete Pressearbeit.

Die "Indianer" finden Verbündete

Das politische "Indianerspiel" (Hatzfeld) zeigte Wirkung. Erstmals nach dem Krieg übten Deutsche den passiven Widerstand gegen die Bemühungen der Engländer um Räumung der Insel. Die Wasserschutzpolizei Cuxhaven verwies darauf, daß Helgoland zu Schleswig-Holstein gehöre und sie daher nicht zuständig sei, der schleswig-holsteinische Innenminister bedauerte, daß ihm keine Schiffe zur Verfügung stünden.

Ein deutscher Kommandant mit deutscher Mannschaft auf einem Schiff unter englischer Flagge verweigerte den Gehorsam mit der Begründung: "Ich habe in Nürnberg gelernt, daß man Befehlen nur dann gehorchen soll, wenn man sie mit seinem Gewissen vereinbaren kann." Die Androhung der Entlassung konnte weder ihn noch die Mannschaft überzeugen. Im Militärgerichtsverfahren wurde er daraufhin suspendiert, später allerdings wieder freigesprochen.

Mit einer kurzen Unterbrechung aufgrund einer Sturmflutwarnung verbrachten Leudesdorff und Hatzfeld 14 Tage auf Helgoland, bevor sie am 3. Januar 1951 ihre Besetzung beendeten.

Einen Prozeß gegen die Inselbesetzer gab es nicht. Es wurde damals ein Gesetz verabschiedet, daß das Betreten der Insel von nun an verboten sei, nur um die beiden Studenten nicht bestrafen zu müssen. Ein Umstand, den von Hatzfeld mit Bedauern registrierte: "Ich war ganz wild auf den Prozeß. So einen Prozeß bekommst Du Dein ganzes Leben nicht wieder!"

Wie nach dem Untergang der Welt

Mit ihrer Aktion hatten sie den Lauf der Geschichte unwiderruflich beeinflußt. Viele hatten ihre Angst verloren, und es war abzusehen, daß weitere Besetzungen folgen würden. Ein Landrat rief die Bauern seines Landkreises sogar auf, Lebensmittel für die nächste "Invasion" zu spenden.

Und so endete die Geschichte, wie sie unter diesen Umständen enden mußte: Am 1. März 1952 wurde Helgoland wieder an Deutschland zurückgegeben. In mühsamer Arbeit wurden etwa 170.000 Bomben, Granaten, Torpedos und Minen aus dem zerwühlten Boden, in dem auch heute noch immer wieder Blindgänger gefunden werden, geborgen. Hatzfeld: "Die Insel sah nicht aus wie vor der Entstehung der Welt, sondern wie nach ihrem Untergang."

Besucht man heute die Insel, sollte man vielleicht daran denken, daß es nicht zuletzt Leudesdorff und Hatzfeld zu verdanken ist, daß Helgoland wohl nie wieder als Seefestung mißbraucht wird.

von Helge Cramer
   

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