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05.07.2010

Verbunden sein und immer weg wollen

Gisbert zu Knyphausen im großen ruprecht-Interview

Auf seiner neuen Platte „Hurra! Hurra! So nicht.“ beschreibt Gisbert zu Knyphausen Neues und Altbekanntes. Immer noch mit der gleichen Ironie, Klarheit und Schonungslosigkeit. Michael Kolain traf ihn nach einem Konzert in Karlsruhe.

Auf seiner neuen Platte „Hurra! Hurra! So nicht.“ beschreibt Gisbert zu Knyphausen Neues und Altbekanntes. Immer noch mit der gleichen Ironie, Klarheit und Schonungslosigkeit. Michael Kolain traf ihn für den ruprecht nach einem Konzert in Karlsruhe.

ruprecht: Wie läuft die aktuelle Tour?

Gisbert zu Knyphausen: Wahnsinnig gut. Überall sind viele Leute und es macht sehr viel Spaß. Dieser Zuspruch gibt einem noch mehr Energie auf der Bühne. Es ist schon abgefahren, vor so vielen Leuten ein Konzert zu spielen.

Du warst auf der Bühne sonst eher der schüchterne Typ.

Ja, aber das lege ich gerade ein wenig ab. Ich halte trotzdem keine großen Reden zwischendrin, weil ich das nicht so gut kann.

Die Lieder sagen ja auch genug.

Genau. Da ist genug Wortschwall drin. Im Moment genieße ich es total mit der Band zu spielen. Das ist viel entspannter als auf anderen Touren, wo ich immer megaaufgeregt war. Jetzt kann ich die Zeit auf der Bühne mehr genießen.

Die Band gibt Dir also auch Rückhalt?

Sowieso. Es ist eine feste Besetzung. Seit wir 2007 die erste Platte im Studio aufgenommen haben, ist das eine echte Band geworden. Zwar steht da noch fett „Gisbert zu Knyphausen“ auf dem Cover, aber es fühlt sich eben wie eine Band an. Ich bin gerne Bandmusiker. Wir haben diesmal auch die Songs zusammen entwickelt und viel erprobt.

Auch die Texte?

Nein. Bei den Texten verläuft für mich die Grenze. Das muss ich allein mit mir selbst ausmachen.

Die neue Platte „Hurra! Hurra! So Nicht.“ ist viel arrangierter als Dein Debütalbum. Es gibt mehr Übergänge und eigene Parts.

Ja, die Platte geht musikalisch mehr die Richtung, in die ich gerne haben möchte. Das musikalische Gewand gefällt mir jetzt sehr viel besser als das der ersten Platte.

Du sprichst darauf die gleichen Grundthemen an wie auf Deinem ersten Album „Gisbert zu Knyphausen“, jedoch aus einer ganz anderen Perspektive. Man spürt den Zusammenhang und auch einen Übergang zwischen beiden Alben.

Die Themen sind im Prinzip gleich. Es ist meistens eine Mischung aus Selbsterlebtem, Phantasie und Ängsten.

Hattest Du einen Erwartungsdruck, mit der zweiten Platte nachlegen zu müssen?

Man macht sich da natürlich Stress, weil viele Leute das erste Album so gemocht haben und jetzt noch einen draufsetzen zu müssen. Davon muss man sich erst wieder frei machen und einfach Songs schreiben. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich das wieder konnte. In diesem Sinn war da schon Druck da.

Wenn man die Lieder hört, hat man das Gefühl, Du sitzt nach einer langen Nacht einfach so da, Deine Gedanken hören nicht auf zu kreisen und Du kommst nicht zur Ruhe. Brauchst Du viel innere Ruhe, um texten zu können?

Ja, das ist schon so. Jetzt auf Tour schreibe ich eigentlich gar nichts. Ich spiele vielleicht ein wenig Gitarre, aber ich texte kaum. Das mache ich, wenn ich quasi „mit mir selbst“ bin. Dafür muss ich mir immer Freiräume nehmen. Meistens läuft das sehr fragmentarisch: Es gibt Tage, an denen ich sehr viel in meinen Notizbücher oder auf dem Laptop schreibe. Dabei entstehen Bruchstücke, die ich irgendwann zu Liedern zusammenpuzzle.

Arbeitest Du im Nachhinein an den Texten oder belässt Du sie so, wie sie in dem Moment entstanden sind?

Ich arbeite schon viel dran. Es dauert immer sehr lange, gerade weil ich mit den ersten Entwürfen grundsätzlich unzufrieden bin. An denen arbeite ich dann, bis ich das Gefühl habe, sie loslassen zu können. Es gibt gerade mal zwei Lieder, die ich an einem Abend geschrieben habe. Aber das waren Ausnahmen. Bei den meisten Texten dauert es Wochen oder Monate, bis sie langsam fertig werden.

Gab es fertige Songs, die Du dann nicht für das Album verwendet hast?

Wir haben nur einen einzigen Song gestrichen. Ich bin eher ein langsamer Songschreiber und sitze nicht jeden Tag da und schreibe. Es arbeitet im Kopf weiter. Ich trage die Sachen eher lange mit mir herum, bis ich sie irgendwann später zusammenfügen kann. Ich habe meist schon viel rumgeschrieben, bis es sich irgendwann zusammenfügt. Dann merke ich meist, dass doch alles irgendwie zusammenhängt, was ich vorher nicht gesehen habe.

Du schreibst zwar sehr subjektiv, aus Deiner eigenen Perspektive, aber trotzdem können sich viele Leute mit Deinen Songs identifizieren und finden sich selbst darin wieder. Woran liegt das?

Das finde ich auch abgefahren. Die meisten meiner Lieder sind so „Ich, ich, ich“ und „bla, bla, bla“. Trotzdem gibt es viele Leute, die Lust darauf haben. Vielleicht sind die Songs dann doch so allgemein gehalten, dass man sich noch darin wiederfinden kann. Ich weiß es nicht und reflektiere das auch nicht so viel. Ich will das auch gar nicht so stark reflektieren (lacht).

Du hast in den Niederlanden Musiktherapie studiert und bist danach nach Hamburg gezogen, um etwas Neues auszuprobieren. Wie kam es dazu?

Ich brauchte eine Pause von meinem Studium und habe bei einem Pop-Kurs mitgemacht, bei dem ich viele neue Leute kennen gelernt habe. Das alles passierte in einer Zeit, in der ich mit meinem Studium nicht klar gekommen bin. Da habe ich den Entschluss gefasst, für ein Jahr nach Hamburg zu gehen, dort zu jobben und mit den Leuten Musik zu machen. Dort habe ich immer mehr eigene Lieder gespielt und erhielt die Chance eine eigene Platte aufzunehmen.

Auf Deiner aktuellen Platte schreibst Du viel über Hamburg und benutzt zum Beispiel das Meer als Motiv. Hast Du immer eine intensive Beziehung zu den Orten, an denen Du lebst?

Das bietet sich eben an. Hamburg liegt nah am Meer und es gibt einen riesengroßen Hafen. Bisher habe ich immer an Flüssen gewohnt. Aufgewachsen bin ich am Rhein und auch in den Niederlanden habe ich immer am Fluss gewohnt. Das Meer, die Schiffe und der Hafen sind klassische Bilder, die sich für so sehnsüchtige Lieder anbieten. Das hat so ein wenig Seefahrerromantik.

Deiner Verbundenheit zu vertrauten Orten steht der Widerspruch entgegen, dass Du auch immer weg willst.

Ich bin gerne unterwegs und genieße das auch auf meiner Tour. Ich brauche es irgendwie in Bewegung zu bleiben oder zumindest den Ort zu ändern, an dem ich lebe.

Dazu passend heißt es in Deinem Lied „Grau, grau, grau“: „Gegen das Heimweg hilft nur das Fernweh. Das rufe ich und renne los.“

Deswegen bin ich dann auch nach Berlin gezogen: Ich hatte Lust weiterzuziehen. Nach Berlin wollte ich, weil ich wieder Lust auf richtiges Stadtleben hatte.

Du bist auf einem Weingut in einem kleinen Dorf bei Wiesbaden aufgewachsen. Warum zieht es Dich trotzdem ans Meer?

Das Meer ist einfach faszinierend. Das ist wie vor dem Kamin zu sitzen: Man sitzt einfach da und schaut auf die Wellen. Das hat was Hypnotisches.

Ein weiteres Motiv, das Du öfter benutzt, sind die „kleinen Teufel“ in Dir. Die stehen still, wenn Du mit den Füßen im Strand und oder im Tourbus sitzt. Wann stehen die noch still? Wann hören die Gedanken bei Dir auf zu kreisen?

Das sind die unterschiedlichsten Situationen. Wenn man sich in sich selbst und mit sich selbst wohlfühlt.

Kannst Du das steuern?

Einen richtigen Einfluss darauf habe ich nicht. Wenn wir als Band unterwegs sind oder ich allein, geht es mir schon gut. Ich mag es auch im Auto oder Zug unterwegs zu sein. Man ist dann in einer faszinierenden Zwischenwelt.

Du beschreibst in Deinen Songs etwas, was viele Leute kennen: Man denkt ständig über alles mögliche nach, ohne ein Ende zu finden. Man will ein Ziel erreichen, weiß aber nicht genau welches und will zugleich ständig was Neues. Woher könnte dieses Gefühl kommen?

Keine Ahnung. Ich glaube aber, dass das in den vergangenen 50 Jahren zugenommen hat. Man hat sich vom Leben entfremdet. Aber ich kenne die Grundessenz des Lebens nicht (schmunzelt). Ich würde auch nicht sagen, dass es jetzt besser wäre, wenn wir den ganzen Tag auf dem Acker arbeiten würden. Man denkt nur weniger nach (lacht). Je weniger man körperliche arbeitet, desto mehr lebt man in seinem Kopf. Da machen sich unsere Gehirne in gewisser Hinsicht selbstständig. Vielleicht geht das deswegen vielen Leuten so, die den ganzen Tag am Computer sitzen. Es geht einem schon besser, wenn man mal körperliche arbeitet und der Kopf nicht so viel Zeit hat, sich über jeden Scheiß Gedanken zu machen.

Hast Du mit Deinen Liedern eine Art gefunden, mit dieser Leere durch ständiges Nachdenken klarzukommen?

Seine Gedanken rauszuschreiben und dann herauszugrölen hat was Befreiendes. Singen an sich hat was Befreiendes. Wenn man morgens aufwacht, es einem richtig Scheiße geht und dann alles auf Papier runterkotzt, geht es einem danach besser. Musik und Texten ist für mich eine Art Ventil und ein Weg all das zu verarbeiten.

In Deinem Lied „Sommertag“ heißt es: „Am Allerlautesten sind die, die nichts zu sagen haben. Und wenn das stimmt, dann halt ich lieber mein Maul“. Wie schaffst Du es, diese Widersprüche auszuhalten, Dich nicht zu wichtig zu nehmen und trotzdem auf der Bühne intimste Dinge zu singen?

Keine Ahnung. Jeder Mensch ist ein einziger wandelnder Widerspruch. Ich schreibe so einen Satz aus einem Gefühl heraus und meine das dann in dem Moment auch todernst. Drei Wochen später will ich das schon wieder relativieren. Ich sehe immer beiden Seiten, weshalb ich auch nicht sagen kann, was jetzt die Wahrheit ist.

Gibt es für Dich etwas Absolutes?

Den Tod und den Drang sich fortzupflanzen. Vielleicht gibt es auch noch ein paar Dinge mehr, aber diese beiden, fallen mir jetzt spontan ein (lacht). Den Tod und das Bedürfnis, Kinder zu haben kann man nicht vermeiden. Je älter ich werde, merke ich, desto stärker wird das. Das so ein seltsamer Urtrieb. Es gab mal eine Situation mit meiner Ex-Freundin, als wir dachten, dass sie vielleicht schwanger sei. Ich dachte spontan, dass ich überhaupt keinen Bock auf ein Kind habe. Doch kurz danach hatte sich so ein Schalter umgelegt und ich dachte: „Wow, ich werde jetzt Papa - und das ist ganz normal.“. Zu merken, dass es so einen Instinkt gibt, war schon abgefahren.

Könnten Kinder die Leere füllen, die am Ende des Nachdenkens bleibt?

Viele Leute, die Kinder bekommen, sagen: „Jetzt hat das Leben endlich einen Sinn!“ Den Gedanken Kinder zu bekommen, um einen Sinn im Leben zu verspüren, finde ich aber auch seltsam. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass man dann nicht mehr die Zeit hat, sich solche Gedanken zu machen, wie ich sie mir mache.

Ist das eine Art, aus dem ewigen Wiederholen rauszukommen?

Das sollte nicht der Antrieb sein, um Kinder zu bekommen, aber vielleicht ist das gerade Sinn: Dass wir uns immer fortpflanzen. Es muss ja weiter gehen. Aber wer weiß das schon? Man kommt immer wieder in solche Situationen, in denen man denkt: „Was ist denn hier los?“ Aber wenn man da hängen bleibt und sich nur solche Fragen stellt...

In „Der Blick in Deinen Augen“ singst Du davon, wie alles zerfällt. Du willst dann „tot sein, oder aufstehen aus Asche und Trümmern und zusehen, dass der Laden wieder funktioniert“. Wünscht Du Dir einen gesellschaftlichen Neuanfang?

Das Lied entstand aus einem Gefühl heraus, dass man sich viel mit Dingen beschäftigt, die sich so unwichtig anfühlen. Manchmal geht es im Leben nur noch um Grundbedürfnisse, also wie man an was zu Essen kommt oder die Frage „Wie kriege ich jetzt die Kurve?“. Vielleicht geht es uns einfach zu gut und wir sollten uns wieder mehr auf die Basis besinnen. Aber eigentlich ist das auch Quatsch. Wie oft gab es das schon in der Menschheitsgeschichte: Sachen sind aufgestiegen und wieder zerfallen. Eigentlich ist es immer dasselbe. Es ist eine Utopie zu hoffen, dass ein totaler Neuanfang etwas Besseres hervorbringt als das, was jetzt besteht. Aus diesen Gedanken heraus ist das Lied entstanden.

Hast Du eine Utopie, wie eine andere, bessere Gesellschaft aussehen könnte?

Nicht wirklich. Das ist ja das Problem.

Nicht mal einen Schritt in die Richtung?

Ein Schritt wäre es, weniger mit sich selbst beschäftigt zu sein und mehr mit anderen Menschen – denen zu helfen und zu teilen.

In „Spieglein, Spieglein“ hältst Du einem Freund den Spiegel vor und willst ihm klar machen, wie nichtig seine Probleme sind und dass es ihn nicht weiterbringt ständig darüber nachzudenken und zu jammern. Wäre schonungslose Offenheit und weniger Verdrängen ein Weg?

Ich weiß nicht, ob das hilft. Das funktioniert immer nur im direkten Kontakt miteinander, nicht bei Problemen mit Institutionen. Letzteres ist viel schwieriger. Ich beneide keinen Politiker um seinen Job. Auch wenn man immer auf die schimpft und denkt: „Jetzt sag’ doch einmal was Sache ist“, sind die für 80 Millionen Menschen verantwortlich. Die versuchen den Laden am Laufen halten und den Menschen irgendwie gerecht zu werden. Ehrlichkeit wäre da schon gut. Es gibt kaum jemanden auf hoher Ebene, der ehrlich und herzlich zu den Menschen ist.

Findest Du es wichtig, Widerstand zu leisten?

Klar, natürlich. Man muss immer die Möglichkeit haben, „Nein“ zu sagen, wenn einem etwas missfällt oder Ungerechtigkeiten auffallen. Dagegen muss man angehen können und dürfen. Das ist für mich nur logisch.

Wieder zurück zum Album. Bist Du mit Sachen zufrieden, die Du abgeschlossen hast? Hörst Du Dir zum Beispiel Dein aktuelles Album „Hurra! Hurra! So nicht.“ jetzt noch manchmal an?

Ja, aber das habe ich nicht sofort danach getan. Der Aufnahmeprozess für das Album dauerte sehr lange. Danach habe ich mich zwei Monate nicht mehr damit auseinandergesetzt. Zwischendurch habe mir einen ziemlichen Kopf darum gemacht, ob das Album gut wird oder nur „bla bla bla“ ist. Als es jetzt rauskam, habe ich es mit einigem Abstand gehört und finde es einfach super. Schade finde ich nur, dass das Album so melancholisch geworden ist.

Im Rückblick bist Du mit Deinen Alben ziemlich zufrieden. Wenn man Deine Texte hört, scheint es Dir schwerer zu fallen, mit Deinen ehemaligen Freundinnen angenehm abzuschließen.

Es dauert sehr lange, bin ich sagen kann, dass etwas vorbei ist und dass etwas gut so war. Das wird aber leichter, je älter man wird. Das nichts mit dem Alter, sondern eher den Erfahrungen zu tun. Es ist immer schwer, wenn man den Mensch, mit dem man zusammen war, so geliebt hat. Ich brauche mitunter ein Jahr oder länger, bis ich nach einer beendeten Beziehung wieder jemanden nahe an mich ranlassen kann. Das hängt davon ab, wie tief man sich auf die Beziehung davor eingelassen hat. Ich möchte dem Menschen dann gegenübertreten können und sagen: „Ich weiß, warum ich mich damals in Dich verliebt habe. Ich fand es schön, dass wir zusammen gekommen sind, aber auch gut, dass wir es jetzt nicht mehr sind.“ Bei den wichtigen Beziehungen habe ich das bisher immer so hinbekommen.

Du beschreibst in Deinen Texten auch die Schwierigkeiten, mit sich selbst klar zu kommen und seine Identität zu finden. Wie schaffst Du es, Dich so zu akzeptieren wie Du bist?

Für mich ist es wichtig, Frieden damit zu schließen wie man agiert, ausschaut und redet - das man das alles akzeptiert. Das ist die eigentliche Identitätssuche: Man muss nur lernen, akzeptieren zu können.

Gisbert, vielen Dank für das Gespräch.

 

von Michael Kolain
   

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