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30.06.2010

Kondom-Automat als Kunstobjekt

Die Künstlerin Eva Vargas

Rund um das Trafo-Haus, das von allen Seiten zugewachsen und mit Skulpturen umstellt ist, polarisiert die „vargastische Landschaft“ die Spaziergänger. Eva Vargas, Tochter aus großbürgerlichem Elternhaus, hat sich hier „ein Zipfelchen Paradies“ geschaffen.

Das Portrait erschien erstmals am 23. Mai 2000 in der ruprecht-Ausgabe 65.

Die einen wundern sich, andere schütteln den Kopf. Kinder spielen begeistert. Jeder beschäftigt sich auf seine Weise mit den Objekten, die am Wehrsteg im Neuenheimer Feld auf der Neckarwiese stehen.

Rund um das Trafo-Haus, das von allen Seiten zugewachsen und mit Skulpturen umstellt ist, polarisiert die „vargastische Landschaft“ die Spaziergänger. Eva Vargas, Tochter aus großbürgerlichem Elternhaus mit einigem Wohlstand, hat sich hier „ein Zipfelchen Paradies“ geschaffen.„Adam und Eva, die Allerletzten auf der Suche nach dem Apfelbaum“, zusammengefügt aus einem Kondom-Automat, einer Gitarre und viel anderem Schrott, bevölkern das Gelände. Zu ihnen gesellt sich eine Mutantenfamilie, ein Schmetterling und Gottesanbeterinnen. Ein ganzer Zoo.

„Hier singt Eva anständige Lieder“ stand an dem Bauwagen, den sie 1965 am Neckarufer, gegenüber der Neuenheimer Villen aufstellte. Ihre Eigentumswohnung in Wiesloch, die altdeutschen Möbel und den Sportwagen hatte sie verkauft. Statt weiterhin als Wirtschaftsjournalistin gut zu verdienen, sang die Aussteigerin lieber „Frische-Luft-Lieder“ von Freiheit und Abenteuer.

Damit konnte sie sogar die braven Uferstraßen-Bewohner überzeugen. Zwei Mal pro Woche sang sie vor bunt gemischtem Publikum und verdiente so den Lebensunterhalt für sich und ihren fünfjährigen Sohn. 1968 folgte ein halbes Jahr Berlin. „Der Tod Ohnesorgs hat mich stark politisiert. Vom lyrischen Underground-Schneewittchen wurde ich zur Agit-Eva. Das haben manche nicht mehr verstanden.“ 1975 brannte der Bauwagen ab. 

Aus den Überbleibseln entstanden die ersten „Rest-Art-Objekte“. Das Heidelberger Schloss schien ein stimmiger Ort für eine erste Ausstellung zu sein. 1989 mietete die immer Risikobereite für 7.000 Mark den Ottheinrichsbau – mitten im Winter. Doch die Leute strömten, konstruierten selbst Objekte. Für Vargas „der Einstieg in die sozio-kulturelle Szene“.

Die Kreativen-Wiese hinterm Trafo-Haus füllte sich. Jedermann kann die Objekte hier verändern. Projekte mit Erwachsenen und Kindern, Künstlern und Nicht-Künstlern, sogar mit Gefängnis-Insassen folgten bis heute. „Ich konnte immer lernen von Menschen, die man als Problemtypen bezeichnet,“ erzählt die Katzennärrin. „Ich lebe aus der Mitte heraus. Man kann immer noch eine Stufe höher oder zwei. Aber keine Katze würde auf die höchsten Äste der Bäume steigen.“ 

Eine Stufe wird bald abgeschlossen sein. Denn durch ihre gestalterische Arbeit habe sie nun bewiesen, dass nicht das Endprodukt, sondern der künstlerische Prozess entscheidend ist: „Zuerst wird das Material bewegt und dann der Mensch.“ Zurück zur Literatur will sie. „Ich kann auch meinen Seesack nehmen und nach Neuseeland gehen.“ Am liebsten würde die fast 70-Jährige aber ein Eremiten-Dasein mit ihren zehn Katzen führen. 

Den Schritt in die weite Welt wagt sie auf andere Weise. Ein „klingendes Buch“ soll bald erscheinen und die Homepage ist angedacht. Doch Computern steht die resolute Frau skeptisch gegenüber: „Es ist doch viel abenteuerlicher, wenn man selbst was machen kann. Knöpfchen drücken ebnet die Phantasie allmählich ein.“
 
Ihre Philosophie bringt Eva Vargas so auf den Punkt: „Man muss nicht erst etwas besitzen, um Freiheit zu erlangen. Ich habe immer nur das Nötigste gehabt. Wenn Du nichts hast, musst Du auch keine Angst haben, etwas zu verlieren.“

von Thomas Reintjes
   

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