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27.10.2010

Eine "ungehaltene" Rede

Studentenvertreten dürfen zum Jubiläum keine Grußrede halten.

Zu besonderen Anlässen halten Magnifizienz und Spectabilis gerne Reden. Normalerweise dürfen dabei auch die Studentenvertreter zu Wort kommen, deren Redebeiträge meist der einzige kritische Beitrag ist. Bei der Jahresfeier 2010 strich das Rektorat diesen aus "Zeitgründen". Der ruprecht präsentiert den studentischen Redebeitrag in voller Länge.



Liebe Studierende,
liebe Politikerinnen,
liebe geistliche Würdenträgerinnen,
liebe Interessierte,
liebe Leute,
liebe Anwesende,

mit Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass Sie in diesem Jahr nicht von uns begrüßt werden können. Entgegen der Tradition erhalten weder der Senat, noch die Studierenden zum 625-jährigen Jubiläum die Gelegenheit zu einem Grußwort. Es begrüßt Sie einzig unser Vorstandsvorsitzender. Wahrscheinlich wird es langweilig. Zum Zeitvertreib reichen wir Ihnen eine - etwas - ungehaltene Rede.

Wir wissen, ein spärlicher Ersatz, aber es ist genau wie mit der studentischen Beteiligung: Besser als gar nichts.Es ist eine Schande. Ein Skandal. Unfassbar. Man ist exzellent. Man bezeichnet sich selbst als Elite. Unternehmerisch, international konkurrenzfähig möchte man sein. Sind wir denn hier bei Siemens oder was? Man misst sich an Drittmittelstatistiken und Forschungsoutput, an Industriekooperationen und der Positionierung in methodisch und politisch fragwürdigen Rankings. Zahlen über Zahlen, wer fragt denn da noch nach dem ach so lebendigen Geist? Es gibt ihn aber noch als Ersatz des ehemalig "deutschen Geistes" am Eingang der neuen Universität. Und inzwischen nicht nur in Beton, sondern gleich in Stahl gegossen auf einer ehemals freien wenn auch kleinen - Wiese im Neuenheimer Feld, das somit eine weitere grüne Oase zwischen all den Betonbauten eingebüßt hat. Zugunsten eines Denkmals, das seinem Namen "Ehre" macht. Denn der lebendige Geist an der Ruperto Carola ist verflogen, wurde sogar ausgetrieben. Wenn nicht gleich mit Polizeigewalt, dann mit dem alles vernichtenden Charme der Bürokratie. Wir gedenken seiner.

Diese so genannte Universität begeht ihr nunmehr 625-jähriges Jubiläum in einer dunklen Zeit. Man ruft die Polizei auf den Campus, um hausgemachte Probleme zu lösen. Man ignoriert die Anliegen der Studierenden, lässt ihren fachlichen Sachverstand ungenutzt - etwa bei der Konzeption von Studiengängen. Man verschleudert Unsummen von Geldern für fragwürdige Zwecke. Wussten Sie beispielsweise, dass die Zentrale Universitätsverwaltung Jahr für Jahr pauschal 150.000 Euro für die Verwaltung der Studiengebühren erhält? Einhundertundfünfzigtausend Euro.

Eine weitere Ungeheuerlichkeit ist, dass die Umsetzung der gymnasialen Prüfungsordnung und die damit verbundene Modularisierung innerhalb weniger Monate erfolgen mussten, weil die gesetzlichen Rahmenvorgaben Stuttgart nicht schnell genug verlassen konnten. Liegt wahrscheinlich am Kopfbahnhof. Der wird aber zum Glück bald begraben - pardon - "umgebaut". Jedenfalls werden nun erfreulicherweise nun an der Universität Heidelberg mindestens eine eher fünf - Generationen von Lehramtsstudierenden auf den Hürden behafteten Spießrutenlauf durch völlig unausgegorene Prüfungsordnungen geschickt.

Geschickt hat man wiederum vielerorts die Chance vertan, Studienordnungen zu gestalten, die nicht nach zwei Semestern komplett überholt werden müssen. "Wie?", fragen sie sich? Ganz einfach, man machte es genauso wie beim Umstieg auf den Bachelor. Völlig überarbeiteten akademischen Mitarbeiterinnen wird die undankbare Aufgabe aufgedrückt, einen alten Studiengang innerhalb weniger Wochen in einen neuen Rahmen zu pressen, ohne eine qualitative Studienreform durchzuführen. Dann wird das Ganze im Schweinsgalopp durch die Gremien gejagt, schnell noch in Stuttgart genehmigt ... fertig. Man vergab und vergibt die Chance, sich auf Fachebene über Probleme zu unterhalten, konstruktive Lösungen zu entwickeln und somit nachhaltige Ergebnisse zu produzieren.

Ich will mal ein Beispiel geben: Unsere Philosophische Fakultät hat 21 verschiedene Fächer. Insgesamt ungefähr 73 Studiengänge. Gibt es denn ernsthaft irgendjemanden, der glaubt, dass die gesetzlich vorgeschriebene Studienkommission hier arbeiten kann, ohne sich auf die Vorarbeit aus den Fächern verlassen zu können? Auf eine Vorarbeit, für die es im Großen und Ganzen zwei Möglichkeiten gibt: Entweder arbeiten die Professorinnen allein und kochen ein Süppchen, das sie selbst nie essen würden. Ein Süppchen in Form von praktisch unstudierbaren, den Studierenden jegliche Neugier und intrinsische Motivation durch den Zwang zum Bulimielernen austreibenden Prüfungsordnungen. Oder - und das ist löblich - sie setzen sich mit ihren Mitarbeiterinnen und mit den Studierenden zusammen und finden gemeinsam Lösungen.

Aber: Sie bewegen sich außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Die Fachschaft auf Fachebene, die alle Studierenden kennen, die fast jeder Dozent/jede Dozentin als Ansprechpartnerin schätzt ... gibt es gar nicht. Sie wurde abgeschafft. Ersatzlos gestrichen. Ebenso wie die Vertretung der Studierenden auf Universitätsebene. Das laut Expertinnen der Bertelsmannstiftung für Wettbewerb und Neoliberalismus im Bildungswesen, kurz CHE, fortschrittlichste Landeshochschulgesetz der Bundesrepublik sieht keinerlei demokratische Vertretung, kein Sprachrohr für die Studierenden vor. Das, liebe Anwesende, ist hier "modern".

Doch das ist noch nicht alles, in unserer Haushaltspolitik sind wir noch moderner. Die Abschaffung der Demokratie geht nämlich noch weiter. Hochrangige Beamte der Universität Heidelberg lassen verlautbaren, dass das Wissenschaftsministerium es verbietet, demokratische Wahlen, die das Landeshochschulgesetz nicht explizit vorsieht, aus Haushaltsmitteln zu bezahlen.

Meine Damen und Herren, ich rede vom Fachrat. Der Lösung für das angesprochene Problem der Philosophischen Fakultät. Der notwendigen Entwicklung an einer Hochschule, die begreifen will, dass ihre Studierenden keine Kunden sind, die nur bezahlen, mit genau rationierten Wissensportionen gefüttert werden und nach drei Jahren wieder verschwinden, sondern vollwertige Mitglieder dieser alten Universität. Menschen, die diese Universität mitgestalten wollen, aber nicht dürfen. Die Einführung des Fachrats - wir reden von einem demokratisch gewählten Gremium auf Fachebene - wird verhindert, weil das Wissenschaftsministerium Demokratie an der Hochschule verbietet. Im Übrigen nicht nur an der Hochschule, wie wir aus überregionalen Medien zur Genüge erfahren dürfen.

Eine dunkle Zeit. Inzwischen färbt die Ignoranz der Landesregierung gegenüber studentischen Belangen mehr und mehr auf die Universität Heidelberg ab. Plötzlich hält man es nicht mehr für nötig, eine studentische Grußadresse zur Jahresfeier zuzulassen. Wir sind natürlich trotzdem da und vertreten die Studierenden auch ohne gesetzliche Studierendenvertretung.

Und auch weiterhin verschaffen wir der studentischen Stimme Gehör, auch wenn sie niemand hören will. Diesmal mit einer ungehaltenen Rede, die wir trotz allem mit einem positiven Ausblick beenden wollen: In weniger als fünf Monaten, am 27. März 2011, wird nach mehr als sechzig Jahren wieder frischer Wind ins Ländle wehen.  Studiengebühren werden abgeschafft, die Verfasste Studierendenschaft wieder eingeführt und studentische Mitbestimmung wird ernst genommen.

Und vielleicht bekommt nicht nur Stuttgart, sondern auch Heidelberg ein neues Infrastrukturprojekt als Erinnerung an die vergangene Landesregierung. Auf dem Uniplatz, zwischen Alter und Neuer Universität, zwischen Rektorat und Studierenden. Wie wäre es mit einem Kopfbahnhof? Die Station trüge den Namen: Universität Heidelberg - 625 lange Jahre vom lebendigen Geist zum toten Punkt.

   

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