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 Interview
11.07.2011

„Wir lassen uns zu leicht ins Bockshorn jagen“

Vier Heidelberger Akademikerinnen diskutieren über Frauen in der Wissenschaft

Katja Patzel-Mattern

Katja Patzel-Mattern, 41, ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nach ihrer Promotion war sie auch außerhalb der Uni, unter anderem am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, tätig.

Sandra Kluwe

Sandra Kluwe, 36, lehrt Literaturwissenschaft in der Germanistik mit besonderem Interesse für Genderforschung. Sie ist Gleichstellungsbeauftragte an der Neuphilologischen Fakultät.

Claudia Ullrich de Flores

Claudia Ullrich de Flores, 30, zieht für ihre Doktorarbeit in der Romanischen Sprachwissenschaft nach Bolivien. Dort wird sie die zweisprachige Grundschulerziehung indigener Gemeinschaften untersuchen.

Julia Portl

Julia Portl, 27, analysiert und visualiert für ihre Dissertation neuromuskuläre Verbindungen. In ihrer Arbeitsgruppe in der Informatik sind vier von neun Mitarbeitern sind weiblich.

Die Debatte um weibliche Führungskräfte in Politik und Wirtschaft bleibt meist theoretisch. Doch welche Erfahrungen machen Frauen im akademischen Leben? Stefanie Fetz sprach mit vier Heidelberger Wissenschaftlerinnen über Quoten- und Vorbildfrauen und Gründe für oder gegen eine Uni-Karriere.

Die Debatte um weibliche Führungskräfte in Politik und Wirtschaft bleibt durchweg theoretisch. Wir wollen wissen, welche Erfahrungen Frauen im akademischen Leben machen und fragen Heidelberger Wissenschaftlerinnen. Katja Patzel-Mattern, Sandra Kluwe, Claudia Ullrich de Flores und Julia Portl diskutieren über Quoten- und Vorbildfrauen, über Gründe für und gegen eine Karriere an der Universität.

Das Gespräch führte Stefanie Fetz

ruprecht: Warum sind „Frauen in der Wissenschaft“ überhaupt ein Thema? Warum müssen wir hier sein und darüber reden?

Katja Patzel-Mattern: Es gibt noch nicht viele Generationen von Frauen, die in Deutschland in den Wissenschaften Fuß fassen konnten, denn das Frauenstudium wurde erst 1900 in Baden eingeführt. Heute sind Frauen in einzelnen Fächer und vor allem in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert.

ruprecht: Die Anzahl der Universitätsabsolventinnen nimmt stetig zu, der Anteil der Professorinnen liegt momentan bei zwölf Prozent. Woran liegt das?

Sandra Kluwe: Nach dem Gleichstellungskonzept der Universität Heidelberg gilt: Wenn in einem Berufungsverfahren weniger als 20 Prozent Bewerbungen von Wissenschaftlerinnen eingegangen sind, soll aktiv rekrutiert werden. Zumindest für eine Übergangsphase muss wohl in dieser Art nachgeholfen werden.

Patzel-Mattern: Wie ist denn Ihre Erfahrung? Wird wirklich aktiv nachrekrutiert?

Kluwe: Das kann ich so nicht beurteilen. In den geisteswissenschaftlichen Fächern gehen wohl in den meisten Fällen genügend Bewerbungen von Frauen ein. Für die Naturwissenschaften dürfte eine zusätzliche Schlaufe hier und da notwendig sein.

Claudia Ullrich de Flores: Als studentisches Mitglied in einer Berufungskommission in der Romanistik war meine Erfahrung, dass zunächst ein Großteil der Bewerber Frauen waren. In der Vorauswahl, an der nicht alle Kommissionsmitglieder gleichmäßig mitwirken, fiel ein ganz großer Teil der Frauen raus – warum auch immer. In der engeren Wahl war der Männeranteil dann letztlich höher. Das gibt einem doch zu denken, wenn es vorher partiell mehr Frauen waren. Vielleicht liest sich der ein oder andere Lebenslauf nicht so gut, weil man eben nicht so schnell so weit gekommen ist; weil andere Dinge im Leben auch eine Rolle spielen, die bei einem Mann nicht ganz so zeitintensiv sind.

ruprecht: Wie ist die Erfahrung in den Naturwissenschaften?

Julia Portl: In meinem Studium der Informatik und Mathematik hatte ich durch die Bank herausragende Professorinnen. Auch meine Doktormutter ist eine Frau. Ich mag vielleicht die Ausnahme sein, bisher habe ich mir da wenig Gedanken drüber gemacht, weil ich beim Thema Frauen in den Naturwissenschaften nie an Grenzen gestoßen bin.

ruprecht: Es gibt die These, dass Frauen als Lehrende beide Geschlechter fördern, Männer jedoch eher Männer fördern. Würden Sie dem zustimmen?

Ullrich: Ich komme aus einem Fach mit besonders hohem Frauenanteil unter den Studierenden. Wir hatten während meines Studiums hauptsächlich männliche Professoren und es war schon auffällig, dass  viele von den HiWis Männer waren. Auch im Kreise derer, die dann eine Promotion beginnen, sind überdurchschnittlich viele Männer dabei.

Patzel-Mattern: Man sucht Leute nach Ähnlichkeiten aus. Diese können zum Beispiel auch im Lebenslauf liegen. Der sogenannte ‚Normallebenslauf‘ hat bei der Stellenbesetzung lange Zeit als Maßstab gegolten; sehr geradlinig und zielgerichtet, ohne Unterbrechungen und ohne Schlenker, eher ein männlicher Lebenslauf. Ein anderer Punkt: Männer sind häufig auch schon am Beginn ihrer Laufbahn sehr zielorientiert. Die kommen nämlich und sagen: Ich suche eine HiWi-Stelle, haben Sie eine? Das machen Frauen viel seltener.

Kluwe: Ein männlicher Professor erzählte mir mal, dass ein männlicher Student zu ihm kam und fragte: Ich möchte bei Ihnen Assistent werden, was muss ich dafür tun? Ich selbst erinnere mich an Studenten, die zu mir in die Sprechstunde gekommen sind und gesagt haben: Wenn ich in der Prüfung ‘ne Eins haben will, was muss ich machen? Das geht in dieselbe Richtung. Aber letztlich ist das natürlich immer auch eine Frage des individuellen Typs, bei Frauen ebenso wie bei Männern. Wobei Frauen offensives Selbstmarketing statistisch gesehen wohl häufiger peinlich ist und bei ihnen schneller eine Gehemmtheit im Auftreten entsteht. Frauen setzen sich viel zu oft freiwillig in die zweite Reihe, verstecken sich. Im Prüfungsverhalten fällt mir das auch oft auf. Es gibt diesen Typus einer sehr fleißigen und sehr leistungsfähigen  Studentin, die sich in der Prüfung sehr schlecht verkauft, ängstlich und schüchtern auftritt und sich nicht viel zutraut. Die typische Reaktion ist dann immer: Was, ich habe eine Eins gemacht? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Wobei das eigentlich völlig klar war.

Patzel-Mattern: Das hat natürlich auch etwas mit Rollenverhalten und Erwartungen zu tun. Klassischerweise wird von Frauen eher ein integratives Gesprächsverhalten erwartet. In meinen Seminaren beobachte ich, dass Männer häufiger dazu neigen, lange Co-Vorträge zu halten, wohingegen Frauen versuchen, Anschlüsse herzustellen.

ruprecht: Wie sind die Erfahrungen in Ihrer Uni-Karriere? Gab es Diskriminierungen oder Momente, in denen Sie daran gedacht haben, als Frau benachteiligt zu werden?

Patzel-Mattern: Ich hatte lange Zeit das Gefühl, als Frau stark von Fördermaßnahmen zu profitieren. Meine Stipendien habe ich natürlich durch Leistungen erhalten, vielleicht aber auch angesichts  des Bewusstseins, man brauche mehr Frauen in den Wissenschaften. Ich glaube, der ‚Normallebenslauf“ bricht zunehmend auf und es wird mehr honoriert, neben der Universitätsausbildung links und rechts geschaut zu haben – auf jeden Fall in den Geisteswissenschaften. Damit wird der Weg für Frauen, die häufiger andere Lebensläufe haben, in die akademische Karriere leichter.

ruprecht: Gibt es zu wenig Förderung speziell für Frauen?

Patzel-Mattern: Ich glaube ja. Aber es stellt sich natürlich auch die Frage: Woran soll eine spezifische Frauenförderung gekoppelt sein? Es fehlt vor allem daran, jungen Frauen die Gewissheit zu geben, dass sie eine bestimmte Ausbildungs- oder Karrierestufe erreichen können und dass eine solche Zielsetzung legitim ist. Das fängt bereits auf einer früheren Ebene an – auch wenn die Uni selbstverständlich ebenfalls einen Beitrag leisten kann.

Kluwe: Bis vor kurzem wirkte es in Auswahlkommissionen zentraler Fördereinrichtungen leicht peinlich, nach der Frauenquote zu fragen. Jetzt wird das standardmäßig geprüft.

Patzel-Mattern: Vielleicht würde da die Aufgabe unterstützend zu wirken doch wieder in den Händen der Universitätslehrerinnen und -lehrer liegen: Frau, bewirb dich auf ein Stipendium, trau dir das zu. Ich unterstütze dich, ich bin sicher, du kannst das. Es ist wichtig, Frauen ganz spezifisch in ihrem Weg zu bestärken.

Ullrich: Ich persönlich möchte nicht bevorzugt werden, weil ich eine Frau bin. Ich möchte die gleichen Chancen haben. Ich möchte nicht reden dürfen, weil ich eine Frau bin, sondern ich möchte reden dürfen, weil ich etwas zu sagen habe. So ist es auch mit Stipendien. Man muss Frauen vielleicht mehr motivieren, ihnen Wege aufzeigen. Aber ich persönlich möchte nicht das Gefühl haben, ich habe ein Stipendium oder die Professur bekommen, weil es eine Frauenquote gab.

Portl: Natürlich muss man früher herangeführt werden, zum Beispiel mit dem Girls Day in den Naturwissenschaften. Solange sich die Geschlechteraufteilung der Studenten nicht bei den Lehrenden einigermaßen widerspiegelt, muss man auch an der Basis arbeiten. Für mich war es immer total selbstverständlich und ich habe mir nie Gedanken darüber machen müssen, ob Frau oder nicht Frau. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich auf einem Mädchengymnasium war. Wenn es keine Probleme und kein Gefälle gäbe, hätten wir auch keine Frauenbeauftragten. Aber mir wurden nie Steine in den Weg gelegt.

ruprecht: Wie fiel die Entscheidung, zu promovieren?

Portl: Ich hatte wie viele Mathematik-Studentinnen auf Lehramt studiert. Am Ende meines Studiums hatte ich gar nicht das Bedürfnis, an die Schule zu gehen.Ich wollte promovieren und das ging dann.

Ullrich: Für mich waren Noten und der schulische Erfolg nie so wichtig. Ich hätte nie gedacht, im Vergleich zu meinen Kommilitonen in einer besseren Leistungsgruppe zu liegen. Mein Professor, bei dem ich jetzt die Promotion beginne, hat schon sehr früh begonnen, mich zu motivieren. Er hat mich als HiWi angestellt und im vierten oder fünften Semester in sein Doktorandenkolloquium geholt. Er hat mir sehr früh das Gefühl gegeben, ich könne das und er traue mir das zu. Dennoch ist mir die Entscheidung schwer gefallen, weil mehr dazugehört als die fachliche Kompetenz. Man muss den ganzen Lebensentwurf überdenken. Und die Entscheidung ist erst kürzlich gefallen.

ruprecht: Fiel damit auch die Entscheidung für eine Karriere an der Uni?

Ullrich: Ich könnte mir gut vorstellen, weiterhin wissenschaftlich zu arbeiten. Aber für eine echte Universitätskarriere bin ich die Falsche. Ich möchte nicht so werden müssen, wie man vielleicht muss. Ich möchte nicht mit Ellbogen kämpfen, um weiterzukommen.

Kluwe: Sie würden eine typische Uni-Karriere mit der Fähigkeit beschreiben, die Ellbogen auszufahren und strategisch zu agieren?

Ullrich: Ein Stück weit. Ich kann das aber nur für meine Institute und Seminare sagen – und klar, da gibt es auch Unterschiede.

Portl: In der Wirtschaft wird genauso wenig gekuschelt.

Ullrich: Das ist natürlich wahr. Aber eine Entscheidung für eine Universitätskarriere muss man sich insofern gut überlegen, weil der Weg raus nicht mehr so einfach ist. Angenommen ich brauche noch ein paar Jahre für meine Promotion, bin Mitte bis Ende 30 und habe nicht die Möglichkeit, an der Uni zu bleiben. Möchte man dann wechseln, werten Personaler die Tätigkeit an der Uni meist nicht als Berufserfahrung. Man ist Berufsanfänger, im schlimmsten Fall auch noch fachlich überqualifiziert.

Patzel-Mattern: In der Überlegung für oder gegen eine Unikarriere spielt auch folgendes eine Rolle: Männer haben oft die Assistentenstelle, die früher von einer C1- in eine C2-Stelle umgewandelt wurde. Das gibt Planungssicherheit. Es ist kein Zufall, dass ich den Weg über Stipendien gewählt habe – ein klassisch weiblicher Lebensweg. Er ermöglicht Flexibilität – sei es für Partnerschaft, Familie oder außeruniversitäres Engagement, manchmal zulasten der Sicherheit.

Kluwe: Mich würde interessieren, ob sich Frauen Handicaps immer noch selbst zuschreiben, oder ob sie vielleicht sogar im Sinne der Überkompensation erst recht ostentativ auftreten: Bloß nicht in die Schublade der zurückhaltenden Dame gesteckt werden wollen, obwohl solches Verhalten in anderen Einrichtungen wie der Schule oder in der Erziehung nicht selten auf positive Resonanz stößt.

Patzel-Mattern: Die Verstärkung im Kindesalter halte ich für ganz massiv. Mädchen werden in Kindergarten und Schule immer noch für ihre zurückhaltende Art gelobt. Das betont schon eine gewisse Erwartungshaltung und hängt sicherlich mit weiblichem Gesprächsverhalten, der Selbstsicherheit, der Fähigkeit, eigene Ansprüche zu formulieren, zusammen.

ruprecht: Sie sprechen das Thema Familie an. In einem Gespräch mit Frauen über Karriere kommt man automatisch an diesen Punkt. Warum werden ihre männlichen Kollegen nie nach Familie, Kindern und der Vereinbarkeit mit dem Beruf gefragt?

Kluwe: Es gehört im Allgemeinen nicht zum männlichen Kommunikationsstil, über das Privatleben zu sprechen. Das wird professionell ausgeblendet. Die meisten prototypischen Karrieremenschen sind stolz darauf, wenn sie alles Private in irgendeiner Art und Weise unsichtbar gestalten können.

Patzel-Mattern: Deutschland löst sich erst langsam von den Denkmustern Mann ist gleich Ernährer, Frau ist gleich Familie. Ich habe zwei Kinder, mein Mann hat seine Arbeitszeit reduziert, damit das so funktioniert. Ich befinde mich häufig in dem Zwiespalt, genüge ich meiner Familie und genüge ich meinem Beruf? Ich verlängere dieses Denkmuster also in mein eigenes Leben hinein.

Ullrich: Das hat natürlich auch was mit der Familienpolitik eines Landes zu tun: In den Niederlanden, in Frankreich und in den USA kann der Arbeitgeber spätestens nach drei Monaten gesetzlich einfordern, dass die Frau wieder arbeitet. Ich bemerke bei mir selbst, obwohl ich mich eigentlich als relativ emanzipiert betrachten würde, dass ich mich schon manchmal frage: Warum hat man ein Kind, dass man es nach drei, vier Monaten jemand anderem überlässt? Die Lösung wäre, das letztlich innerhalb der Partnerschaft auszugleichen, dass beide daran beteiligt sind, aber beide auch beruflich soweit sie denn möchten, weitermachen könnten. 

Patzel-Mattern: Hinzu kommen aber auch Terminkollisionen und mögliche Krankheitsfälle. Es ist eine enorme Belastung, das zu koordinieren. Eine institutionelle Kinderbetreuung kann hier Sicherheit und Konstanz bieten.

ruprecht: Sollte die Uni mehr Betreuungsmöglichkeiten anbieten und diese flexibler gestalten?

Ullrich: Nicht nur in der wissenschaftlichen Arbeitswelt muss die institutionelle Förderung stimmen, damit sich Frauen für Kinder entscheiden. Die meisten Frauen in meinem Bekanntenkreis warten, bis sie fertig sind mit Studium oder Promotion. Aber die Tatsache, dass ich nicht viel über das Betreuungsangebot in Heidelberg sagen kann, ist eigentlich erschreckend. Vielleicht könnte da eine Universität offensiver vorgehen, auf Studentinnen aktiv zugehen und Angebote aufzeigen, die Familie und Studium vereinbar machen.

Patzel-Mattern: Das Hortangebot hier an der Uni wendet sich gar nicht vorrangig an Studierende. Langfristig könnte das aber auch ein Standortvorteil für Universitäten werden, wenn Studierende knapp werden.

Kluwe: In einigen Studiengängen der Universität Heidelberg wird mittlerweile ein Teilzeitstudium angeboten – unter anderem speziell für Studierende, die Eltern sind. Das darf den betreffenden Studierenden gegenüber Vollzeitstudierenden natürlich keine Nachteile einbringen.

Patzel-Mattern: Ein Teilzeitstudium zeigt ja auch, dass man flexibel ist und es schafft, unterschiedliche Anforderungen zu kombinieren und trotzdem einen bestimmten Bildungsabschluss zu erzielen.

ruprecht: Wie würden Sie die zukünftige Entwicklung einschätzen? Wird es sich irgendwie einrenken oder muss viel dafür getan werden, damit sich etwas verändert?

Kluwe: Ohne Nachhilfe wird sich nicht viel tun. Am Germanistischen Seminar hatten wir über Jahrzehnte hinweg ein Direktorium, das sich aus 100 Prozent Männern zusammengesetzt hat. Frauen fanden sich im Mittelbau, als außerplanmäßige Professorinnen oder Privatdozentinnen. Wir brauchen dringend mehr weibliche Orientierungsfiguren. Wahrscheinlich wird sich das auch in den nächsten zehn Jahren nicht von selbst erledigt haben, dafür gibt es im öffentlichen Leben immer noch viel zu starke Beharrungskräfte.

Ullrich: Ja, diese weiblichen Professorinnen als Vorbild, als Motivationsfaktor, braucht es unbedingt.  Während meiner Studienzeit bis vor zwei Jahren gab es unter den Professorinnen keine Frauen mit Kindern. Da überlegt man sich natürlich, ob man eine Karriere ohne Kompromisse will.

Kluwe: Kommt eine Frau, die sich als Role Model mit Kindern und entsprechender Lebensgestaltung präsentiert, nicht gleichzeitig in die Gefahr, zur Vorzeigedame funktionalisiert zu werden, die beweist, dass alles möglich ist und es letztlich gar nicht so schwierig war?

Patzel-Mattern: Brüche und Selbstzweifel müssen eben auch thematisiert werden. Grundsätzlich geht es darum, nicht an die Leistungsgrenzen zu kommen, wenn man gleichzeitig mit Familie und Karriere glücklich sein will.

ruprecht: Um etwas zu ändern, sollte die Uni also zum einen Frauen bestärken und zum anderen Männer auch mal nach der Familie fragen?

Patzel-Mattern: Ja, natürlich liegt es auch an der Institution, nicht zu erwarten, dass ein Mann auf jeden Fall immer kann. Ihm müssen genauso mögliche familiär bedingte Auszeiten gegeben werden.

Ullrich: Mein persönlicher Eindruck ist, dass sich auch immer mehr junge Männer vorstellen können, für die Karriere der Partnerin zurückzustecken – sei es aus finanziellen Gründen oder wegen eines gewissen Sinneswandels.

Kluwe: Momentan bekommen Frauen in Bewerbungsverfahren pro Kind zwei Jahre angerechnet, in denen sie weniger Zeit hatten, zu publizieren. Vielleicht müsste das annäherungsweise auch für Männer gelten, die nachweislich Elternzeit genommen haben.

Patzel-Mattern: In meinem Lebenslauf gibt es diese Publikationslücke, als ich Kinder bekommen habe. Ideal wäre es, wenn Anrechnungsmöglichkeiten für Erziehungszeiten von Frauen und Männer gleichermaßen gelten würden. Aber davon sind wir noch weit entfernt.

Kluwe: Die Frage ist auch: Gewinnt man mit diesen Regeln überhaupt etwas, oder sind sie im Ernstfall nur Makulatur?

Ullrich: In der einzigen Kommission, in der ich bisher saß, wurden diese Zielsetzungen und Regeln mit keinem Wort erwähnt. Und auch die wenigsten der Bewerber haben deutlich gemacht, dass Familie da ist oder diese den Karrierefortschritt beeinflusst hat – vielleicht mit der Befürchtung, das werde zum Nachteil ausgelegt. Da muss sich etwas ändern. Ich bin kritisch, ob sich die Situation mit Klauseln oder Quoten bessert. Frauen, die es dadurch geschafft haben, sind auch keine guten Vorbilder, die motivieren.

Kluwe: Wahrscheinlich lassen wir uns viel zu leicht ins Bockshorn jagen und als Quotenfrau abstempeln.

Patzel-Mattern: In der Praxis spielen die „Quotenfrauen“ kaum eine Rolle. Diese Befürchtung passt in das weibliche Denkmuster. Frauen glauben oft nicht daran, dass sie hervorragend sind und nicht die Quote, sondern die Leistung sie an eine bestimmte Stelle gebracht hat. Studentinnen sollten fordern, kommunizieren, dass sie Karriere und Familie kombinieren möchten, und an sich glauben.

ruprecht: Vielen Dank Ihnen allen für das Gespräch.


Katja Patzel-Mattern, 41, ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nach ihrer Promotion war sie auch außerhalb der Uni, unter anderem am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, tätig.

Claudia Ullrich de Flores, 30, zieht für ihre Doktorarbeit in der Romanischen Sprachwissenschaft nach Bolivien. Dort wird sie die zweisprachige Grundschulerziehung indigener Gemeinschaften untersuchen.

Julia Portl, 27, analysiert und visualiert für ihre Dissertation neuromuskuläre Verbindungen. In ihrer Arbeitsgruppe in der Informatik sind vier von neun Mitarbeitern sind weiblich.

Dr. Sandra Kluwe, 36, lehrt Literaturwissenschaft in der Germanistik mit besonderem Interesse für Genderforschung. Sie ist Gleichstellungsbeauftragte an der Neuphilologischen Fakultät.

   

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