Die Heidelberger Spargelaffäre
Ein Spargelessen erregte 1935 die Nazis in Deutschland
An der Frage wie der Führer seinen Spargel äße, entzündete sich die Heidelberger Spargelaffäre / Foto: Stephan Mosel
Nur selten spielen Agrarerzeugnisse eine Rolle im gesellschaftspolitischen Geschehen. Doch am 26. Mai 1935 fand sich ein beliebtes deutsches Frühlingsgemüse in ebensolcher Position. Die Rede ist vom deutschen Spargel - und wie Adolf Hitler ihn essen würde.
Fünf Tage zuvor hatten sich einige, wohl angetrunkene Mitglieder des Heidelberger Corps Saxo-Borussia nach eigenen Feierlichkeiten gegen 22 Uhr in ihr Stammlokal, das Wirtshaus „Zum Seppl“, in der Hauptstraße 213 begeben. Zur gleichen Zeit wurde im Radio eine Rede Adolf Hitlers vor dem Reichstag, seine sogenannte „Friedensrede“, ausgestrahlt. Auch die Gäste im „Seppl“ lauschten der Übertragung.
Am darauffolgenden Tag, dem 22. Mai, kamen jedoch Vorwürfe auf, wonach die Corps-Studenten durch auffälliges und „ungebührliches Verhalten“ die anderen Gäste am Hören der Rede gestört hätten. Mit diesen Anschuldigungen konfrontiert, bat das Corps Saxo-Borussia nicht nur den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) und die Deutsche Studentenschaft, der sie politisch unterstanden, sondern auch den Universitätsrektor Wilhelm Groh um Entschuldigung. Ohne weitere Konsequenzen nahm man die Entschuldigung allseits an und ließ die Vorkommnisse auf sich beruhen.
Doch innerhalb der bereits seit 1933 gleichgeschalteten Presse fielen die Geschehnisse vom 21. Mai 1935 auf deutlich fruchtbareren Boden. Die Situation erreichte jedoch erst mit den Ereignissen des 26. Mai als „Heidelberger Spargelaffäre“ ihren Höhepunkt.
An diesem Sonntag saßen abermals 13 Saxo-Borussen im Gasthaus „Zur Hirschgasse“ beisammen, diesmal zum Spargelessen. Während des Tischgesprächs sollen auch die Essgewohnheiten des Reichskanzlers zur Sprache gekommen sein. Man war sich nicht ganz sicher, ob Adolf Hitler seinen Spargel nun „mit Messer, Gabel oder Pfoten“ äße.
Schon lange waren die Korporationen der NSDAP-Führung ein Dorn im Auge, auch wenn viele der Verbindungsstudenten selbst Anhänger der nationalsozialistischen Ideen waren und sich einige Korporationen dem Alleinvertretungsanspruch des NSDStB widerstandslos beugten. Verkörperten die Verbindungen doch laut Reichsjugendführer Baldur von Schirach Ideale wie „verlogene Altheidelberg-Romantik und arbeiterfeindliches Feudalwesen“, was sie zu „Feinde(n) der sozialistischen Nation macht(e)“.
So hätten besonders die Vorfälle in Heidelberg „ein furchtbares Bild der Verrohung und Zuchtlosigkeit, ja abgrundtiefen Gemeinheit einer kleinen Clique von Korporationsstudenten, die lärmt und säuft, während Deutschland arbeitet“ geliefert.
Als Folge des „Heidelberger Spargelessens“ nutzte die nationalsozialistische Regierung die entstandene Empörung und erhöhte den Druck auf alle Korporationen. Daran beteiligte sich auch die Presse. Die häufig adligen Corps-Angehörigen wurden regierungskonform als „dummes“, „dekadentes“ und „reaktionäres“ Feindbild stilisiert. Adolf Hitler selbst sprach sich am 15. Juli 1935 in einer internen Konferenz für einen „langsamen Tod“ der Korporationen aus.
Für das Corps Saxo-Borussia hatten die Ereignisse nicht nur den Ausschluss aus der Gemeinschaft schlagender Verbände zur Folge. Das Verhalten des gesamten Corps und der einzelnen Beteiligten wurde auch während eines Disziplinarverfahrens durch die Universität geprüft. Als Konsequenz erhielten einige Studenten Verweise von der Universität, ein Senior wurde für kurze Zeit inhaftiert und das Corps selbst suspendiert.
In letzter Instanz zog das „Heidelberger Spargelessen“ schließlich das Verbot aller Korporationen im Dritten Reich nach sich. So gliederten sich bis Mitte 1936 die Verbindungen entweder in nationalsozialistischen Organisationen ein oder lösten sich selbst auf.