Nachrichten

10.10.2011

Einmal durch die Hauptstraße

Ein Spaziergang zum Karlstor in acht Etappen

Hexenturm - © 2006 BishkekRocks

Hexenturm
Foto: BishkekRocks, Wikimedia Commons

Wer von seiner Universitätsstadt mehr sehen will, als die Strecke Zimmertür zum Hörsaal, der Bibliothek oder dem Supermarkt, dem verraten wir hier, was wohl den meisten Passanten bei den unzähligen Besuchen der Hauptstraße verborgen bleibt.

Wir stehen an der Hauptstraße 52. Das 1707 im Barockstil erbaute Haus zum Riesen bot Steinen vom gesprengten Dicken Turm des Schlosses neue Verwendung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird das Gebäude von der Universität genutzt und war Wirkungsstätte bedeutender Forscher wie Robert Bunsen, Gustav Kirchhoff, Hermann Helmholtz oder Wilhelm Salomon-Calvi.

Läuft man die Straße etwas weiter hinauf, kommt man an der Ecke Schiffsgasse zum ehemaligen Hotel Badischer Hof. Es galt als vornehmstes Haus am Platz und beherbergte unter anderem König Ludwig I. von Bayern. Am 5. März 1848 tagte hier die Heidelberger Versammlung, eine wichtige Station auf dem Weg zur Frankfurter Nationalversammlung.

Bei einem Schlenker in den Innenhof der Neuen Universität sehen wir den Hexenturm, einziger Rest der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Im ersten Obergeschoss wurde 1932/33 ein Kreuz zum Gedenken an die gefallenen Mitglieder der Universität im Ersten Weltkrieg angebracht.

Auf dem Weg zurück zur Hauptstraße kommen wir an der 1759 fertiggestellten Jesuitenkirche vorbei. Der Orden sollte die Rekatholisierungsbemühungen des damaligen Kürfürsten Johann Wilhelm unterstützen. Nach seiner Aufhebung 1773 wurde die Kirche als Lazarett genutzt. Erst 1809 fand sie als Pfarrkirche wieder Verwendung.

Am Marktplatz erhebt sich die Heiliggeistkirche, einst Heimat der Bibliotheca Palatina, zu ihrer Blütezeit im 16. und 17. Jahrhundert die berühmteste Büchersammlung Deutschlands. Einzigartige Handschriften wie das Lorscher Evangiliar, den Codex Manesse oder das Falkenbuch von Kaiser Friedrich II wurden hier aufbewahrt, im Dreißigjährigen Krieg jedoch als Beutgut in den Vatikan gebracht.

Erst 1816 konnten zumindest die deutschsprachigen Handschriften als Codex Palatinus Germanicus nach Heidelberg zurückgebracht werden. Diese sind heute vollständig digitalisiert und über die UB-Internetseite zugänglich. Besonders die wechselhafte Geschichte des Kernstücks der Sammlung, des Codex Manesse, mit seinen häufigen Orts- und Eigentümerwechseln ist ein Zeitzeuge Heidelberger Geschichte.

Die Kirche wurde bis 1515 als Grablege der pfälzischen Kurfürsten errichtet und war nach mehreren Glaubenswechseln ab 1706 in einen katholischen und evangelischen Teil getrennt. Einige Jahre später beanspruchte Kurfürst Karl Philipp die ganze Kirche für den katholischen Glauben, woraufhin den Reformierten die Unterstützung Preußens, Schwedens und sogar Kaiser Karls VI. sicher war. Der Kurfürst musste der Trennung zustimmen und verlegte daraufhin seine Residenz aus Protest nach Mannheim.

Neben der Kirche befindet sich das 1592 errichtete Haus zum Ritter. Persta invicta, Venus. Bleibe stets unbesiegt, Schönheit, prangt es dort triumphierend unter dem Giebel. Dank der Steinbauweise überstand es sowohl die Feuersbrünste des Dreißigjährigen Krieges wie auch des Pfälzischen Erbfolgekrieges und ist somit das älteste noch erhaltene Haus der Stadt.

Auf dem weiteren Weg kommen wir an das Palais Boisserée, Anfang des 18. Jahrhunderts durch Franz von Sickingen errichtet. Von 1810 bis 1819 brachten hier die Gebrüder Boisserée ihre Sammlung altdeutscher Gemälde unter, die heute in der Alten Pinakothek in München ausgestellt ist. In dieser Zeit war auch Johann Wolfgang von Goethe einige Wochen bei den Brüdern zu Gast und das Haus avancierte fortan zu einem wichtigen gesellschaftlichen Zentrum. Heute beheimatet es das Germanistische Seminar.

Letzte Adresse vor unserem Ziel ist das Palais Weimar. Die Anfang des 18. Jahrhunderts erbaute Stadtresidenz erhielt ihren Namen nach ihrem vorletzten Besitzer Prinz Wilhelm von Sachsen-Weimar-Eisenach. Von ihm übernahm der Mineraloge Victor Goldschmidt 1921 das Anwesen und brachte hier erste Stücke des heutigen Völkerkundemuseums unter.

Letzte Etappe unseres Spaziergangs ist das einem römischen Triumphbogen nachempfundene Karlstor, seit 1781 markiert es das östliche Ende der Altstadt. Es wurde zu Ehren des Kurfürsten Karl Theodor errichtet. Ihm verdanken wir den Wiederaufbau des Schlosses nach dem Pfälzischen Erbfolgekrieg und den Bau der Alten Brücke.

von Raphael Schäfer
   

ruprecht anrufen