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 StudiLeben
13.06.2012

Burschen gespalten

Liberale wehren sich gegen Rechtsradikale

Null Toleranz für Nulltoleranz / Foto: Ruprecht

Der Deutschen Burschenschaft droht eine Austrittswelle. Grund ist die Wiederwahl des rechtsradikalen Chefredakteurs der Verbandszeitschrift. Gegen ihn ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft, weil er den NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als „Landesverräter“ bezeichnet hat. 

Norbert Weidner von der Alten Breslauer Studentenverbindung der Raczeks zu Bonn ist bekannt für seine rechtsradikalen Ansichten: In den 1990er Jahren organisierte er als führendes Mitglied inzwischen verbotener Neonazi-Organisationen wie der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) Aufmärsche und gab rund um die fremdenfeindlichen Anschläge in Rostock-Lichtenhagen einschlägige Interviews. Seit 2008 hat Weidner in der Deutschen Burschenschaft (DB), einem Dachverband aus 120 Bünden, das Amt des „Schriftleiters“ der Verbandszeitschrift „Burschenschaftliche Blätter“ inne.

Seine Studentenverbindung, die Raczeks, landete 2011 in den Schlagzeilen, als sie eine deutsche Abstammung als DB-Mitgliedschaftskriterium forderte. Diese Forderung richtete sich vornehmlich gegen den chinesischstämmigen Kai-Ming Au, Mitglied der Hansea Mannheim (siehe ruprecht 133). 

Außerdem bezeichnete Weidner im Herbst 2011 im internen Mitteilungsblatt der Raczeks den NS-Widerstandkämpfer Dietrich Bonhoeffer als „Landesverräter“ und seine Hinrichtung als „gerechtfertigt“ (Der Beitrag als PDF im vollen Wortlaut). Die FDP, der Weidner seit mehr als zehn Jahren angehört, beantragte deshalb ein Ausschlussverfahren. Die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt wegen „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“. 

Mitglieder externer Verbindungen sind davon überzeugt, dass sich die DB auf „Selbstzerfleischungskurs“ befindet. Die Frankonia Heidelberg trat im Januar aus dem Dachverband aus. Im März gründeten 21 liberal-konservative DB-Bünde, darunter die Hansea Mannheim, die Initiative Burschenschaftliche Zukunft (IBZ). Die nach eigenen Aussagen „gesitteten“ Bünde der IBZ distanzieren sich von der Linie der Raczeks. Ihnen genügt der „rechtsstaatliche Einsatz für das Wohl des deutschen Volkes unabhängig von staatlichen Grenzen in einem einigen Europa der freien Völker“. Lediglich zwei Prozent der Studierenden in Deutschland schließen sich momentan Korporationen an. Es lohnt sich also, die Auswahlkriterien nicht so streng zu sehen. 

Die Neue Deutsche Burschenschaft (NDB), ein Verband von 22 Bünden, die sich bereits 1996 aufgrund ähnlicher Dispute von der DB abgespalten hatten, kündigte im April ihre Mitgliedschaft im Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA). Der CDA, dem unter anderem auch die DB angehört, bemühte sich folglich um eine Stellungnahme. Weidners Worte seien „totalitär-nationalistisch“. Die Meinungsfreiheit stelle ein hohes Gut dar, dennoch sei ihrem Ausleben deutliche Grenzen zu setzen.

Auf Meinungsfreiheit pocht allerdings die Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), ein 1961 gegründeter Verband 44 deutscher und österreichischer Bünde, die fast vollständig der DB angehören. Auch die Raczeks sind hier vertreten. Die „Medienkampagne“ gegen Weidner sei laut BG „wahrheitswidrig“. „Der eigentliche Skandal“ sei die Veröffentlichung von Interna, „Gesinnungsschnüffelei und Maulkörbe“: Denn „frei ist das Wort und frei ist der Bursch!“. 

Die BG ist ein Sammelbecken völkisch-radikaler Burschenschaften. Einige BG-Burschen engagieren sich sogar in der NPD und vergleichbaren Organen. Das rechte Spektrum nutzt diese Burschenschaften, um seinen akademischen Nachwuchs auf vermeintliche Gesellschaftsfähigkeit zu trimmen. 

Imagepolierung soll's richten?

Günter Hennersdorf vom Lassalle-Kreis, in dem sich korporierte SPD-Genossinnen und -Genossen organisieren, meint, es sei ein Fehler, dass die Korporationen noch nicht Stellung gegen Rechtsradikalismus bezogen haben: „Sie haben sich vom Nazi-Reich und der Rolle der Korporationen darin nie öffentlich distanziert.“

Ein Schritt in diese Richtung wurde mit „Burschenschafter gegen Neonazis“ unternommen. Auch die Begründer dieser Initiative sind sich des Nachwuchsmangels und seiner Folgen bewusst: Seit Jahren schafft die niedrige Anzahl an jungen „Füchsen“ Platz für engagierte Rechtsradikale in der Szene. Verbindungen sind noch heute Karrierenetzwerke, in denen Attribute für Führungskräfte und entsprechende Posten vermittelt werden sollen. Daher propagiert die Initiative auf ihrem Weblog QuoVadisBuxe den Slogan „Wer die Politik links liegen lässt, tritt rechts in die Sche..e.“ Fragt sich, wie ernst es die anonymen Blogger meinen. Geht es ihnen lediglich um die Imagepolierung ihrer Elitenetzwerke? Oder hinterfragen sie auch die Strukturen und Mechanismen, welche die Burschenschaften für Rechtsradikale so attraktiv machen?

In Zeiten, in denen mindestens die Hälfte der Studierenden Frauen sind, erscheinen Männerbünde antiquiert, bisweilen chauvinistisch. Wichtiger wäre es, einflussreiche Netzwerke für Frauen zu öffnen, denn sie verdienen laut aktueller Statistiken in der BRD bis zu 23 Prozent weniger als Männer und sind in Führungspositionen unterrepräsentiert. 

Die Burschenwelt dreht sich indes um Abstammungskriterien und Vaterlandsbegriffe. In einem Aufruf tadelten rund 400 DB-Mitglieder Weidners Bemerkungen als rufschädigend und forderten seinen Rücktritt. Die Mehrheit der 15.000 Verbandsbrüder ließ das kalt. Auf dem Burschentag Anfang Juni stimmten nur 38 der 120 Bünde gegen Weidner, angesichts der aktuellen Aufdeckungen in der Neonaziszene, eine bedenkliche Wahl. Die IBZ-Mitglieder legten daraufhin ihre Ämter nieder und verließen die Veranstaltung vorzeitig. 

Es bleibt abzuwarten, ob mitglieds- und finanzstarke Bünde die DB durch Austritte schwächen oder ob die Liberal-Konservativen „den rechtsextremen Tendenzen in der DB Einhalt gebieten“ werden. Schließlich gelte es, den „hoch verdienten Namen“ der Deutschen Burschenschaft aus dem „braunen Schmutz“ zu ziehen, so die Meinung der Initiative Burschenschaftliche Zukunft.


Weg damit!

Ein Kommentar von Kai Gräf

Der differenzierende Beobachter unterscheidet innerhalb der „Deutschen Burschenschaft“ (DB) verschiedene Strömungen je nach Grad ihres Rechtsdrifts – in hellbraun und dunkelbraun, Milchschokolade und Edelbitter gewissermaßen. Bislang mochte man hoffen, dass die Milchschokoladenen innerhalb der DB deren Mäßigung vorantrieben, die Extremisten nur geduldet würden. Spätestens in Eisenach hat sich das als Irrtum erwiesen. 

Nun wollen die „Liberalen“ den Verband verlassen. Die Frage bleibt, ob die Unterscheidung überhaupt lohnt: Als ob fechtende Männerbündler, die ihre politische Gesinnung am Stammtisch entwickeln und das Pflegen von Seilschaften mit Elitebewusstsein verwechseln, auf dem Boden der freiheitlichdemokratischen Grundordnung
stünden; „Lebensbund“ und völkische Ideologie als Zeichen von Geistesgesundheit gelten könnten.

Burschenschaften bleiben hässliche Anachronismen in einer offenen Gesellschaft und sollten sich lieber ganz abschaffen.

 

von Michael Abschlag und Anne-Kathrin Glaser
   

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