Dies ist ein Archiv der ruprecht-Webseiten, wie sie bis zum 12.10.2013 bestanden. Die aktuelle Seite findet sich auf https://www.ruprecht.de

ruprecht-Logo Banner
ruprecht/Schlagloch-doppelkeks-Jubiläum
Am 13.10. feiern wir 25 Jahre ruprecht/Schlagloch und 10 Jahre doppelkeks [...mehr]
ruprecht auf Facebook
Der aktuelle ruprecht
ruprecht vor 10 Jahren
Andere Studizeitungen
ruprechts Liste von Studierendenzeitungen im deutschsprachigen Raum
ruprecht-RSS
ruprecht-Nachrichten per RSS-Feed
 Interview
04.07.2013

"Was die Nordkoreaner wirklich glauben, ist ein Geheimnis"

Adam Johnson über Propaganda und Nordkorea in seinem Roman

Adam Johnson mit seinem Roman "Das geraubte Leben des Waisen Jun Do". / Foto: Thomas Leurs.

Nachdem der Pulitzerpreis in der Sparte Roman im Jahr 2012 überraschenderweise nicht vergeben wurde, ging die begehrte Auszeichnung dieses Jahr an den amerikanischen Schriftsteller Adam Johnson. Wir sprachen mit ihm über Nordkorea, Orwells "1984" und "Das geraubte Leben des Waisen Jun Do".

Mit seinem Roman "Das geraubte Leben des Waisen Jun Do" erzählt er die Geschichte eines Waisen, der in Nordkorea groß wird, sich anfangs dem System beugen muss, doch später in eine Position gerät, die es ihm ermöglicht seine ganze eigene, nicht vom Regime vorgeschriebene, Geschichte zu schreiben. Die Pulitzerjury meint: "Ein außerordentlich geschriebener Roman, der den Leser auf eine abenteuerliche Reise in die Tiefen des totalitären Nordkorea trägt und in die intimsten Sphären des menschlichen Herzens."



ruprecht: Die Geschichte des Jun Do spielt in Nordkorea, sie selbst kommen aus Kalifornien. Wie kam es, dass sie einen Roman über ein Land geschrieben haben, das sie selbst nur einmal besucht haben?

Adam Johnson: Nun, ich denke, dass ein Schriftsteller über Geheimnisse schreibt. Nordkorea ist der geheimnisvollste Ort der Welt. Deshalb macht es nur Sinn, dass man über Nordkorea schreiben möchte. Ich bin überrascht, dass es andere nicht machen. Ich denke, das ist der Ort, wo die Vorstellung des Schreibens über Science Fiction herkommt. Es kann sehr nützlich sein und dabei helfen, die Menschen menschlicher zu machen, mit denen wir normalerweise nicht reden.

ruprecht: Denken Sie, dass Ihr Roman eher Fiktion oder Realität ist?

Johnson: Der Ort oder das Buch?

ruprecht: Der Ort ist real, die Geschichte ist auch real, aber...

Johnson: Wollen Sie wissen, ob mein Roman eher fiktional oder eher real ist? Denn der ganze Roman ist Fiktion.

ruprecht: Es gibt nämlich eine Person in diesem Roman, Kim Jong-Il, die wirklich existiert.

Johnson: Ja, aber das ist nicht der echte Kim Jong-Il. Es ist eine Version von ihm, eine fiktionale Version. Nun, das heißt: Es kann nicht der Echte sein. Er kann in meinem Buch nicht eingefangen werden. Die Fakten über Nordkorea kommen durch meine Recherche über Nordkorea. Diese sind real. Sie erschaffen eine psychologische Wahrheit, eine künstlerische Wahrheit. Sie wissen, das ist das, was einen Schriftsteller ausmacht.

ruprecht: Das Buch gibt uns einen Einblick in eine Welt, die wir an sich nicht kennen. Glauben Sie, dass sich mit dem Buch etwas ändern wird?

Johnson: Ich hoffe, dass das Buch etwas verändert. Ich würde sagen, es ist der einzige Job jedes Kunstwerks, die Wahrheit über die Menschen zu vermitteln und Erfahrung zu geben; ein gutes Gemälde sollte auf seine eigene Weise wunderschön sein und ein Roman sollte bewegend und einnehmend für den Leser sein. Deshalb hoffe ich für das Buch, dass es psychologisch gesehen in gewisser Weise wahr ist und dass es ein guter Roman ist. Andererseits hoffe ich, dass es Nordkorea mehr Aufmerksamkeit bringt. Dass die Leser Nordkorea nicht als böse oder verrückt ansehen, sondern dass es dort normale Menschen gibt, die in sehr schwierigen schmerzhaften Situationen gefangen sind. Aber sie sind genauso real, wie wir es sind. Und genauso normal.

ruprecht: Ihre Hauptfigur ist ein Waise. Warum ein Waise?

Johnson: Wissen Sie, ich wurde von jemandem inspiriert, der aus Nordkorea kommt, der durch den Krieg zum Waisen wurde und diese Geschichte war eine der ersten Geschichten, die ich hörte. Das war eine Entscheidung, die ich gleich zu Beginn gefällt habe. Ich war davon von Anfang an inspiriert worden.

ruprecht: Sie waren einmal selbst in Nordkorea. Gab es dort etwas, was Sie überrascht hat? Was Sie aus ihren Recherchen noch nicht wussten?

Johnson: Ja, zahllose Dinge. (überlegt lange) Das ist eine sehr große Frage. Das könnte eine eigene Geschichte sein.

ruprecht: Auf den ersten Seiten des Romans kommen gleich Durchsagen eines Lautsprechers. Es war so seltsam und verrückt. Glauben die Menschen, die dort leben, das tatsächlich?

Johnson: Ja, es gibt Lautsprecher bei den Menschen zu Hause und in den Fabriken. Die Lautsprecher wurden in den frühen 70ern installiert. Wahrscheinlich hat jeder Haushalt in Nordkorea einen Lautsprecher. Wir können es nicht wissen, aber die Überläufer reden davon. Wir haben nur ein oder zwei Fotos von ihnen, deshalb ist es schwer festzustellen, ob es wirklich so ist.

Es ist wahrscheinlich war, dass es jetzt weniger Lautsprecher als früher gibt. Ein Mann, mit dem ich in Pjöngjang war, sagte, dass in Nordkorea Lautsprecher auf öffentlichen Plätzen und in den U-Bahnen waren, aber die gibt es jetzt nicht mehr. Wir wissen nicht, wie viele Lautsprecher es jetzt gibt und wie oft sie Nachrichten übermitteln. Viele Details drehen sich um Propaganda. Ich übernahm Nachrichten über Nordkorea, über Tauben, die über Kim Jong-Il fliegen, um ihm Schatten zu spenden oder dass es Zeit ist für die Kornernte. Ich nahm das direkt aus der nordkoreanischen Propaganda in mein Buch auf. Ich kann nicht die Lautsprecher in den Häusern aufnehmen, weil es mir nicht gestattet ist, die Häuser in Nordkorea zu betreten. Aber ich habe Propaganda genommen, die häufig auch gedruckt wurde und machte daraus Nachrichten aus dem Lautsprecher.

Was die Nordkoreaner wirklich glauben ist auch ein Geheimnis. Glauben sie an die Propaganda in Nordkorea? In Pjöngjang glauben sie es wahrscheinlich nicht, weil sie dort Telefonzellen und Handys haben. An den Randgebieten glauben sie es vielleicht. Wir wissen es nicht, weil wir nicht mit ihnen reden dürfen.

ruprecht: Jun Do war auch einmal in Texas. Dort wird er zweimal gefragt: "Du weißt schon, dass der Süden gewonnen hat?" Aber er glaubt nicht daran, sondern denkt, der Norden habe gewonnen.

Johnson: Die Menschen, die im koreanischen Krieg gekämpft haben, sind jetzt sehr alt. Deshalb können sie tatsächlich sagen, wir machten einen Ãœberraschungsangriff auf den Süden. Es ist schon so lange her, dass sie sich nicht mehr daran erinnern können, wie der Krieg begann. Deshalb ist es leicht für die Propaganda, ihre eigene Version zu kreieren. Und zu sagen, dass die Amerikaner und Südkoreaner sie angegriffen haben und sie sich verteidigt haben. Und wieder: Es ist schwer zu erfahren, was Nordkorea weiß. Aber die Propagandaversion ist in den Filmen, der Oper, den Lautsprechern, in allem. Ja, der Süden begann den Krieg und die Nordkoreaner gewannen ihn und es war eine Pattsituation.

ruprecht: Das Buch erinnert ein wenig an George Orwells dystopischen Roman "1984". Würden Sie sagen, dass es in Nordkorea wie in Orwells England ist?

Johnson: Nun, ich würde sagen, dass "1984" wie Nordkorea ist, weil Nordkorea der wirkliche Ort ist und "1984" ein erfundener. Es sind beides Romane, es sind beides erdachte Orte, aber ich würde sagen, dass "1984" wie Nordkorea ist. Macht das Sinn?

ruprecht: Wollen Sie nach diesem noch einen weiteren Roman über Nordkorea schreiben?

Johnson: Nein, nein, nein. Ich schreibe immer noch Artikel über Nordkorea. Aber die sind nicht fiktiv. Mein Roman ist ein fiktionales Porträt. Es ist die literarische Wahrheit.

von Thomas Leurs
   

Archiv Interview 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | 2013 | 2012 | 2011 | 2010 | 2009 | 2008 | 2007 | 2006 | 2005 | 2004