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 Interview
15.07.2013

Der Kommilitone im Bundestag

Mit Anfang 20 ins Parlament? Für Stevan Cirkovic (Piraten) und Hannes Munzinger (SPD) keine Illusion. Die Studenten kandidieren im September für ein Mandat

Mit 22 oder 24 Jahren steht man gemeinhin in der Mitte seines Studiums, beginnt einen Beruf, macht Praktika, reist durch die Welt. Ihr aber kandidiert für ein Mandat im Deutschen Bundestag. Warum? 

Hannes: Da schwingen unterschiedliche Fragen mit. Zunächst: Warum macht man überhaupt Politik? Jeder wird dir antworten, man will die Gesellschaft mitgestalten, oder, um es mit Max Frisch zu sagen: Demokratie bedeutet, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. Die Frage, warum man kandidiert, ist natürlich auch vielschichtig. Das hängt mit dem eigenen Engagement in der Partei zusammen. Außerdem muss sich die Situation im Wahlkreis ergeben. Das ist nicht etwas, was man unbedingt planen kann. Ich wurde einfach gefragt. 

Stevan: Auch ich wurde gefragt. Ich glaube, dass es dafür nie einen einzigen richtigen Zeitpunkt gibt. Leute, die sich darauf vorbereiten, um einen idealen Zeitpunkt zu finden, machen etwas falsch. Aktiv in der Politik zu sein und im Bundestag zu sitzen, ist auch kein herkömmlicher Beruf und und darf nicht als ein solcher gesehen werden

Aber als Student im Bundestag zu sitzen, ist doch recht außergewöhnlich...

Hannes: Ich bin der Meinung, dass es möglich ist, auch mit Mitte zwanzig politische Verantwortung zu übernehmen. Weil ich der Überzeugung bin, dass Verantwortung von Antworten kommt. Und dass nur der Antworten geben kann, der die Sprache der Jugendlichen versteht und mit deren Problemen er bekannt ist. Der Bundestag ist von der Altersstruktur her so aufgestellt, dass die unter 30-Jährigen gerade mal zwei Prozent ausmachen. In der Bevölkerung stellen sie ein ganzes Viertel. Das ist einfach eine Ungleichbehandlung, die nicht gerechtfertigt ist.

Stevan: Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Die gesellschaftliche Vielfalt muss natürlich auch im Parlament gewährleistet sein. Wenn Hannes und/oder ich gewählt werden sollten, werden wir keine Abgeordnete zweiter Klasse sein, nur weil wir jünger sind als der Rest. Das gilt auch für die Themenauswahl. Ich werde mich sicher nicht mit "Juniorthemen" abspeisen lassen, weil meine Schwerpunkte Europa- und Außenpolitik für junge Menschen mindestens genauso relevant sind. 

Ist das nicht ziemlich optimistisch? Als junger, unerfahrener Politiker ist es doch unwahrscheinlich, dass man sich zu so wichtigen Themen positionieren kann. 

Hannes: Die Seniorität ist in so einem Parlament natürlich stark verankert. Wer schon mal drin war, sucht sich seinen Ausschuss aus. Als Neuling schaut man, wo man hinkommt. Da kann man nicht zwingend seine Lieblingsthemen bekommen. Das gilt aber nicht nur für junge Neue, sondern für ältere Neue auch.

 

 


Stevan Cirkovic, geboren 1991 in der Nähe von Karlsruhe, studiert in Heidelberg Politikwissenschaften. 2009 trat er aus der Jungen Union und der CDU wieder aus. Er wurde 2011 Mitglied der Piratenpartei. Dort ist Cirkovic Teil der parteiinternen Arbeitsgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik. Bei der Bundestagswahl tritt er als Direktkandidat für den Wahlkreis Heidelberg an.


 

 

Ihr beide habt wenig Erfahrung im politischen Betrieb, wart weder im Landtag, noch in Gemeinderäten. Braucht man nicht ein gewisses Maß an Erfahrung in der Politik? 

Stevan: Ich denke, es kann ein enormer Vorteil sein, jung zu sein. Junge Menschen neigen tendenziell noch dazu, Warum-Fragen zu stellen und nicht nur alles zu akzeptieren, weil das schon immer so war. 

Hannes: Die Anforderungen, die an einen Kandidaten gestellt werden, sind eigentlich nie zu erfüllen. Man soll Erfahrung haben, soll aber zugleich jung und frisch sein. Man soll ein gutes Netzwerk in der Partei haben, aber gleichzeitig kein "Parteisoldat" sein. 

Zu den Anfängen: Was hat euch in die Politik geführt? 

Stevan: Parteipolitisch aktiv wurde ich schon früh. Ich bin mit 14 in die Junge Union eingetreten, aber ich hatte schnell inhaltliche Differenzen. Was mich aber drin gehalten hat, waren vor allem persönliche Verbindungen. 2009 bin ich aus dieser Partei ausgetreten. 2011, kurz vor der Landtagswahl, bin ich auf die Piraten gestoßen und mische dort seither in der Außenpolitik mit.

Hannes: Ich hatte das Aha-Erlebnis bei Gerhard Schröders Fernsehansprache 2003 zum Irakkrieg, als er sagte, dass Deutschland sich nicht am Irakkrieg beteiligen werde. Den Schritt in die Partei habe ich gemacht, weil wir einen umtriebigen Betreuungsabgeordneten im Kreis hatten, der mir nach dem Abitur mit einem Praktikum Orientierung gegeben hat. 

Wie stehen eure Chancen, am 22. September gewählt zu werden? Die Umfragen sprechen derzeit ja eher nicht für euch.

Stevan: Da würde ich noch den bevorstehenden Straßenwahlkampf abwarten. Da sind Piraten, das haben die letzten Landtagswahlen gezeigt, doch relativ überzeugend. Allerdings habe ich einen der hinteren Listenplätze (Anm. d. Red.: Platz 23). Ich denke nicht, dass das bei mir klappt. Aber ich würde bei den Piraten noch nicht den Schiffsbruch sehen. 

Hannes, bei dir ist es ähnlich aussichtslos…

Hannes: Man muss das ganz nüchtern sehen. Ich trete in einem Oberschwäbischen Wahlkreis an, der seit dem Bestehen der Republik direkt an die CDU ging. Bei der Liste bin ich auch leider sehr weit hinten gelandet (Anm. d. Red.: Platz 29). Weil die Partei nicht über ihren Schatten gesprungen ist, mich weiter vorne zu platzieren.

Hannes, auf deiner Internetseite steht, dass du zuletzt Kinderfeste und Seniorentreffen besucht hast. Wann entwickelt man die Gabe, dass man zu ganz vielen verschiedenen Menschen immer höflich und zuvorkommend ist?

Hannes: Das geht nicht automatisch. Aber man muss es auch nicht machen. Man wandelt immer auf einem schmalen Grat, zwischen sich verstellen, wenn ich dahingehe. Andererseits sind diese Besuche wichtig, weil ich Menschen treffe, die ich vertreten will und verstehen muss. Wie die Auswahl dann ausfällt, siehst du an dem, was ich tue. Nämlich Seniorennachmittage und Kinderfeste. Und ich muss sagen: Bislang geht es mir sehr gut damit. 

Um die Distanzen in deinem Wahlkreis zu überwinden, hast du einen alten VW-Bus.

Hannes: Ja, der ist Baujahr 1986, älter als ich. Vor Kurzem auf der Rückfahrt von der Landeskonferenz der Jusos, hat er auf einmal angefangen zu brennen. Ich sah den Wahlkampf schon in Gefahr. Der Motorraum qualmte wie verrückt, aber es war zum Glück nur ein kleiner Defekt.

 


Hannes Munzinger, geboren 1988, stammt aus Ravensburg in Oberschwaben. Seit seiner Jugend ist er Mitglied bei den Jusos, seit 2006 in der SPD. Bis April studierte er Volkswirtschaft in Heidelberg. Nun arbeitet er im Verlag seiner Eltern, der vor allem Biografien veröffentlicht. Bei der Bundestagswahl 2013 kandidiert er für die SPD für den Wahlkreis Ravensburg.


 

 

Wie viel Zeit steckt ihr in den Wahlkampf? Müsst ihr selbst finanzielle Mittel reinbringen oder wird das alles von den Parteien getragen?

Stevan: Ich weiß zwar nicht, wie viel ich das in Stunden mache, aber die Kandidatur ist im Moment das Zeitaufwendigste. Es ist schon eine Belastung. Was das Finanzielle angeht, muss man schon viel vorstrecken. Bei den Piraten ist das ja so, dass wir noch mal weniger Geld haben. Das heißt, wir können somit auch nicht alles stemmen, was wir stemmen wollten. 

Wie ist das wenn man Student und Kandidat gleichzeitig ist?

Stevan: Es ist eine lustige Erfahrung. Wenn man in der Vorlesung auf einen Dozenten trifft und ihn dann später auf dem Podium mit sich sitzen hat. Es macht auf jeden Fall wahnsinnig viel Spaß, diese Doppelrolle auszufüllen. Gestern zum Beispiel hat ein Dozent im Seminar durchaus nett gemeinte Kommentare gemacht. Plötzlich ist man dann auch im Seminar Kandidat. 

Hannes: Es ist schwierig, weil man permanent die Rollen wechseln muss. Einerseits hat man das lockere WG- und Studentenleben. Andererseits ist man aber an Wochenenden unterwegs und steht als Kandidat bei Veranstaltungen im Rampenlicht. Viele Kommilitonen haben kein Verständnis dafür, wenn ich mir Tag und Nacht um die Ohren schlage, um mich für solche Veranstaltungen vorzubereiten. Klar ist es eine interessante Erfahrung, aber es ist auch einfach saumäßig anstrengend.

Stellt euch vor, am 23. September, um ein Uhr nachts, erhaltet ihr völlig überraschend die Nachricht, dass ihr in den Bundestag eingezogen seid. Was wird eure erste Amtshandlung sein?

Stevan: Unabhängig davon, ob ich reinkommen werde oder nicht, bin ich jetzt schon zufrieden und den vielen Leuten sehr dankbar, die mich im Wahlkampf unterstützen.

Hannes: Ich werde am 23. September in jedem Fall feiern, egal ob ich gewählt werde oder nicht. Einerseits, weil man viel Arbeit hinter sich hat. Andererseits, weil ich Geburtstag habe.

von Michael Graupner
   

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