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Debatte


point & counterpoint

Bonus für Deutschlands Profs?

Sollen Hochschullehrer leistungsbezogen' besoldet werden?

Die Idee klingt, als stamme sie von Ludwig Erhardt: Deutschlands Hochschullehrer sollen in Zukunft danach entlohnt werden, was sie in Labor, Hörsaal oder Seminarraum ,leisten". Freilich ist der Vorschlag aus dem gedanklichen Arsenal der Marktwirtschaft selbst unter Professoren höchst umstritten. Hier nun das Für und Wider.

"Ja"

Prof. Dr. Hartmut Schiedermair
Präsident des Deutschen Hochschulverbandes

Wettbewerb im Hochschulbereich muß bei den Hochschullehren anfangen. Eine leistungsgerechtere Besoldung der Hochschullehrer kann diesen Wettbewerb durchaus beflügeln. Ich begrüße daher die Forderung, Professoren nach Leistung zu bezahlen. Allerdings dürfte das teuer werden. Denn eines steht fest: In den letzten knapp 20 Jahren hat sich die Anzahl der Studierenden mehr als verdoppelt. Für dieses Mehr an Ausbildungsleistung, deren Qualität im übrigen unbestritten ist, wurde kein einziger Hochschullehrer zusätzlich eingestellt. Welches Industrieunternehmen kann solche Produktivkraft vorweisen? Gelingen konnte dies nur, weil die ganz überwiegende Zahl der gut 20.000 Universitätsprofessoren durch hohen persönlichen Einsatz und weit über ihre Dienstpflichten hinaus dazu beigetragen haben. Insofern ist es nur recht - nicht billig! -, für eine Besoldung einzutreten, die diese Leistung endlich angemessen honoriert.

Aber als Politiker Anfang des Jahres eine leistungsgerechte Besoldung für Professoren forderten, dachten sie natürlich an etwas ganz anderes. Das Grundgehalt sollte gesenkt und darüber hinaus Leistungszuschlag gewährt werden. Mit einem solchen Angebot würde selbst der gutwilligste Nachwuchswissenschaftler verprellt werden, und die ganze Diskussion über den Wissenschaftsstandort Deutschland im globale Wettbewerb wäre schlicht absurd. Man kann nicht für A 14 den global player erwarten oder Leistungen à la Harvard.

Es mag ja sein, daß im Durchschnitt die deutschen Professorinnen und Professoren ordentlich bezahlt werden. Nur: Wenn es um Professoren und ihre Wissenschaft geht, kann es auf den Durchschnitt nicht ankommen. Unsere Spitzenkräfte werden erheblich unterbezahlt. Der Nachwuchs unterliegt schon heute nur allzuoft den verlockenden Angeboten, die sie in der Wirtschaft oder den freien Berufen erhalten. Vor allem diejenigen, die so gerne von Leistung, Effizienz und Management reden, sollten sich auch einmal daran erinnern, welche Gehälter in der freien Wirtschaft bezahlt werden.

Immerhin gibt es bereits ein leistungsorientiertes System im Rahmen der Hochschullehrerbesoldung. Nach geltendem Recht werden Berufungen und - mit 25 Prozent Abschlag - auch Bleibeverhandlungen finanziell mit rund DM 1000,- honoriert. Dieses System gewährleistet nicht nur Mobilität, sondern auch den Wettbewerb der geistigen Kräfte. In der Praxis ist das Berufungssystem allerdings verkrustet. Hemmnisse wie Berufungssperren von drei Jahren nach einer Neuberufung, die Berufungsaltersgrenze von 51 Jahren und gesetzlich fixierte Berufungsgewinne sind nicht geeignet, die individuelle wissenschaftliche Leistung zu honorieren. Ich darf in diesem Zusammenhang ein Beispiel nennen. Dem genialen Mathematiker Faltings mußte man in die USA ziehen lassen, weil ihm im deutschen Besoldungssystem kein adäquates Bleibeangebot gemacht werden konnte. Nur in einem funktionierenden Berufungssystem wird auch die wissenschaftliche Spitzenleistung gerecht gewürdigt.

Eine weitere Frage ist die nach der Beurteilung der Leistung von Professoren. Da es hier um die Bewertung wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit geht, können über die Kriterien nur die Fachvertreter der Fakultät im Berufungsverfahren entscheiden. Das für die Wissenschaft verantwortliche Ministerium hat hieraus die finanziellen Konsequenzen zu ziehen und wissenschaftliche Spitzenleistungen angemessen zu honorieren. Dabei kann im übrigen der Wettbewerb zwischen den Bundesländern durchaus hilfreich sein.

"Nein"

Dr. Horst Eichler
Akad. Oberrat am Geographischen Institut, Uni Heidelberg

Wer sich im gesellschaftlichen Chaos der höchsten in der Geschichte der Bundesrepublik je dagewesenen Arbeitslosigkeit, der leeren öffentlichen Kassen, der daraus resultierenden allgemeinen sozialen Verunsicherung und des allseits anerkannten desolaten Zustandes der deutschen Hochschulen aus der Position einer bestens gesicherten Lebens- und hochpriviligierten Arbeitssituation anheischig macht, über das Vehikel einer ,leistungsgerechten Bezahlung von Hochschullehrern" und des daraus dann erwachsenden universitären Wettbewerbs die deutsche Hochschulmisere beseitigen zu wollen - wie vom Cheflobbysten des 17.000 Mitglieder starken Deutschen Hochschulverbandes, Prof. Dr. H. Schiedermair (in Heidelberg lebend und in Köln tätig), derzeit multimedial und zuletzt beim Symposium ,Aus-Gebildet?" propagiert -, muß sich allerhand unangenehme Fragen und Entgegnungen gefallen lassen.

Statements wie: ,Wettbewerb im Hochschulbereich muß bei den Hochschullehrern angefangen", und: ,eine leistungsgerechtere Besoldung... kann diesen Wettbewerb beflügeln" (O-Ton Schiedermair), sind nicht nur akademisch würdelos (weil der ,lebendige" und nicht der pekuniär stimulierte Geist Forschung und Lehre beseelen soll), sondern im universitären Kontext auch unverständlich. Müssen Hochschulen Wettbewerber sein und Hochschullehrer Einzelkämpfer statt Teamkollegen? Wettbewerb wozu und wer gegen wen? Mediziner gegen Sportwissenschaftler? Mannheim gegen Heidelberg? Sein Bestes in Forschung und Lehre zu geben sollte ethnischer Imperativ des freiwillig gewählten Berufes sein.

Und was ist Leistung? Wie sollen Ergebnisse einer grundsätzlich wertfreien Wissenschaft gewichtet, wie akademische Leistung gemessen werden? Was zählt Lehre, was wissenschaftliche Arbeit? 5 Herztransplantationen gegen 8 Nieren? 320 Hörer im Massenfach gegen 20 im Mini-Institut? Nein, Schiedermair schlägt als Leistungslatte die Addition der Berufungen und Rufe vor. Welch unschuldiger Gedanke, der alle Garstigkeiten der Berufungskartelle und die Methoden der Ping-Pong-Rufe zur heimatlichen Besoldungsaufbesserung durch vorher schon bekannte Rufablehnung ausblendet.

Ein 15.000-DM-Salär bezeichnet Schiedermair für einen leistunsstarken Hochschullehrer als unangemessen niedrig, verglichen mit Industriegehältern. Der Blick von den Zinnen des Elfenbeinturmes wird gerne gegen den Horizont der freien Wirtschaftslandschaft gerichtet. Doch Anblick ist nicht unbedingt auch Durchblick! Freisemester und bis in die Millionendimensionen reichende Zubrote sind drüben keine Selbstverständlichkeit. Was fordert Schiedermair also letztendlich? Die Beibehaltung des Berufsbeamtentum für Hochschullehrer einerseits, aber die Abschaffung der nivellierenden Besoldungsordnung andererseits. Suum cuique - aber nicht für jeden!

Wer Schiedermairs Forderung nach leistungsgerechter Bezahlung von Hochschullehrern zum Zwecke der Gesundung der deutschen Universitäten folgt, sollte aber auch wissen, daß seine Definition des Hochschullehrers eines der Grundübel der deutschen Universität schlaglichtartig erhellt. Indem er den Begriff des ,Hochschullehrers" semantisch und hochschulrechtlich unstatthaft skrupellos allein für die Gruppe der Professoren usurpiert, leugnet er die Existenz der lehrenden ,Nichtprofessoren". Und damit auch die Existenz des größeren Teils der wirklich Lehrenden und deren hohen und hochengagierten Anteil an der Alltagsbewältigung im Bereich von Lehre und Forschung der heutigen Massenuniversität.

Das Mitteilungs- und Kampfblatt des von Schiedermair repräsentierten ,Kartells zur Bewahrung professoraler Privilegien" (DER SPIEGEL) ist da in Sachen Solidarität und möglicher Ressourcenausschöpfung an deutschen Hochschulen noch deutlicher geworden: ,Den Mittelbau", so tönte es und meinte damit die seinerzeit als Lehrprofessoren an die Universitäten gelockten Akademischen Räte, ,kann man leider nicht ohne Rückstände beseitigen; das teilt er mit Atommüll, ohne freilich in allem dessen Ausstrahlungskraft zu besitzen." Welch moralische Leistung! Nein, nicht Schiedermairs unpraktikabler Vorschlag wird die deutsche Hochschule gesunden lassen, sondern eher eine neue Moral des konstruktiven Miteinanders. Unsere Studentenschaft wartet darauf!


Interview: Oliver Sacks

Der Mann, der seine Patienten mit Romanhelden verwechselte

[Oliver Sacks]
     Oliver SacksFoto: gz   

Mediziner - die schneiden gewöhnlich an Innereien herum, starren stundenlang durch Mikroskope auf Bakterien, oder bitten ihre Patienten, ,Aaah" zu sagen. Die meisten tun dies in aller Stille, einige erlangen höchstens in Fachkreisen ein wenig Ruhm.
Jemand, der nicht in diesen Rahmen hineinpaßt, ist Oliver Sacks. Der Neurologe tourt durch die Welt und liest aus seinen Büchern, in denen er seine Erfahrungen als Arzt zu Literatur verarbeitet hat. In Amerika wie in Europa wird er wie ein Star gefeiert - ,außer in Texas; dort wollte mich keiner hören".
Oliver Sacks wurde 1933 in London geboren. Nach dem Medizin-Studium in Oxford und neurologischen Forschungen ging er in die USA, wo er als Neurologe in verschiedenen Kliniken arbeitete. Heute ist er am Albert-Einstein College of Medicine als Professor für klinische Neurologie tätig. 1952 war er als Student in Heidelberg und kehrte nun, nach 45 Jahren, anläßlich seiner Lesung erstmals wieder hierher zurück.

In Deutschland erschienen bisher unter anderem ,Awakenings - Zeit des Erwachens", ,Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte", ,Der Tag, an dem mein Bein fortging", und als letztes ,Die Insel der Farbenblinden".

ruprecht: Herr Sacks, Sie haben Medizin studiert und arbeiten in New York als Neurologe. Was hat Sie dazu bewogen, schriftstellerisch tätig zu werden?

Sacks: Ich wollte meine Erfahrungen als Arzt mit anderen teilen. Was ich mit meinen Patienten erlebe, ist unheimlich spannend, es ist voller Wunder. Ich empfinde es als Privileg, diese Geschichten mitzubekommen. Und aus diesem Grund will ich sie mit anderen teilen.

ruprecht: Sie schreiben über kranke Menschen und wie diese die Welt in einer ganz anderen Weise wahrnehmen: zum Beispiel ohne Zeit, ohne gerade Linien oder ohne Gesichter. Sehen diese sogenannten ,unnormalen" Menschen die Welt falsch und die ,gesunden" Menschen die Welt richtig?

Sacks: Nein. Ich denke, daß es manchmal gerade umgekehrt ist. Ich glaube, es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie wir die Welt sehen können. Es gibt wohl nicht die richtige Sicht der Dinge. Meiner Meinung nach gibt es viele Möglichkeiten, die Welt richtig wahrzunehmen, und viele Möglichkeiten, sie falsch wahrzunehmen. Aber das hat nichts mit Krankheit oder Gesundheit zu tun.

ruprecht: Ihr neues Buch ,Die Insel der Farbenblinden", das von der farbenblinden Bevölkerung auf einer Insel in Mikronesien erzählt, hat auch diesen Frage zum Thema.

Sacks: Ja, die Menschen auf dieser Insel sind farbenblind. Wir denken, ihnen fehlt etwas. Doch in Wirklichkeit ist diese Krankheit für die Insel wie geschaffen: Sie nehmen in dieser Umgebung, die für uns sogenannte Normale einfach Grün in Grün ist, durch die Schattenspiele und Grautonabstufungen alles viel besser wahr. Außerdem leben sie vom Fischfang, der nachts stattfindet. Und Farbenblinde sind für die Nacht am besten gerüstet.

ruprecht: Als ich Ihre teilweise unglaublichen Geschichten über all diese Menschen mit den verschiedensten neurologischen Störungen las, fragte ich mich manchmal selber: ,Wie kann es eigentlich sein, daß ich noch richtig funktioniere?" Haben Sie, der sich alltäglich so intensiv mit all diesen neurologischen Fällen befaßt, nicht manchmal Angst, daß Ihnen selbst so etwas passieren könnte?

Sacks: Nein, eigentlich nicht. Ich denke, wenn es passiert, dann passiert es eben.

ruprecht: Halten Sie den Menschen für die Krone der Schöpfung oder eher für einen Fehler im System?

Sacks: Ich liebe alle Arten von Tieren und Pflanzen. Ich sehe nirgendwo eine Krone der Schöpfung. Wenn nicht vor 16 Millionen Jahren ein Asteroid auf die Erde geknallt wäre, dann wären niemals Säugetiere entstanden, und es würde heute keine Menschen geben. Um meinen Freund Stephen Jay Gould zu zitieren: ,Wir sind ein wunderbarer Zufall".

ruprecht: Angenommen, Sie wären der Schöpfer - wie hätten Sie den Menschen erschaffen?

Sacks: Der Mensch ist eine Mischung aus Gutem und Schlechten. Manche Eigenschaften sind schrecklich. Die Kombination etwa von hohen intellektuellen Fähigkeiten und primitiven Gefühlen ist eine gefährliche Eigenart des Menschen, vielleicht sogar eine tödliche.

ruprecht: Das ,New York Magazine" schrieb über Ihre Geschichten, sie zeichneten ,nicht nur ein gespenstisches Bild vom Zustand der Medizin, sondern auch von der heutigen Situation des Menschen".

Sacks: Na ja, ich bin nicht verantwortlich dafür, was andere denken...

ruprecht: Aber stimmen Sie mit dieser Einschätzung überein?

Sacks: Ich persönlich sehe viel Finsteres und Grausamkeit auf dieser Erde, aber ebensoviel Freude und Kreativität. Meiner Meinung nach ist die Welt eine Mischung aus Gut und Böse.

ruprecht: In Ihren Erzählungen werden Sie oft philosophisch und zitieren häufig große Denker und Dichter. Wenn Sie schon mal in Heidelberg, der Stadt der Philosophen, sind: Wer ist denn Ihr Lieblingsphilosoph?

Sacks: Tja, das hat sich im Laufe der Jahre immer wieder geändert. Lange Zeit war es Spinoza, dann war es Hume, dann einmal Leibniz, und dann wiederum Kant. Heute mag ich Nietzsche ganz gerne. Ich muß aber hinzufügen: Ich mag nicht alles von Nietzsche. Meiner Meinung nach ist er eine großartige Mischung. Er gefällt mir und berührt mich sehr tief.

ruprecht: Am bekanntesten ist wohl ihr Buch ,Awakenings - Zeit des Erwachens", wahrscheinlich vor allem deswegen, weil es - mit so hochkarätigen Schauspielern wie Robin Williams und Robert de Niro - verfilmt wurde. Hatten Sie irgendwelchen Einfluß auf die Verfilmung?

Sacks: Nur ein klein wenig. Aber ich hatte keine offizielle Kontrolle.

ruprecht: Fühlten Sie sich von Robin Williams als Dr. Sayer gut dargestellt?

Sacks: Hm, ja, er hat mich gut getroffen.

ruprecht: Und, sind Sie selbst schon erwacht?

Sacks: Tja, ich weiß es nicht. Es ist gut möglich, daß ich noch schlafe.

ruprecht: Wir danken Ihnen für das Gespräch, Herr Sacks. (hee, gz)


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