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Meinung


Wissenschaft aus Neugier

Der Nobelpreisträger Bert Sakmann im Interview

Ein unscheinbarer Backsteinbau beheimatet die Crème de la Crème der Heidelberger Forschung: das Max-Planck-Institut für medizinische Forschung. Hier werden spektakuläre Entdeckungen gemacht, von denen der Normalbürger erst Kenntnis nimmt, wenn er als Patient von Ihnen profitiert. In seinem bescheidenen Büro empfängt uns Bert Sakmann. Hinter seinem kahlen Schreibtisch steht ein riesiger Aktenschrank. Eigentlich war das Interview auf 20 Minuten angesetzt, doch Bert Sakmann nimmt sich eine dreiviertel Stunde Zeit. Wenn er mit ruhiger Stimme von seiner Arbeit erzählt, scheint der schwäbische Akzent noch leicht durch.

Professor Bert Sakmann, 1942 in Stuttgart geboren, studierte in Tübingen und München Humanmedizin. Nach verschiedenen Forschungstätigkeiten im In- und Ausland leitet er heute das Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg. Dort leitet er heute die Abteilung für Zellphysiologie. Der Entwickler der Patch-clamp-Technik arbeitet an der Aufklärung der synaptischen Reizübertragung an Nervenzellen. Neben zahlreichen Ehrungen und Preisen ist er auch Träger des Ordens Pour Le Mérite, die höchste Auszeichnung, die Deutschland an Wissenschaftler und Künstler vergibt.

ruprecht: Verstehen Sie sich heute als Forscher oder als Mediziner?

Sakmann: Nur als Forscher, also als Wissenschaftler. Ich habe diese Entscheidung während meines Medizinstudiums getroffen, eigentlich vor dem Physikum schon, daß ich die Medizin fertig mache, sozusagen damit ich einen bürgerlichen Beruf habe. Schon in der Vorklinik haben mich die Physiologie, die Biochemie, und die Biophysik so interessiert, daß eigentlich klar war, daß ich das weiter machen wollte.

ruprecht: Haben Sie dann schon während des Studiums darauf hingearbeitet?

Sakmann: Damals war das Medizinstudium sehr interessant, und wir haben praktisch alle zwei Semester in eine andere Universitätsstadt gewechselt. Dabei gab es verschiedene Gesichtspunkte: einmal, was einen interessiert hat. Es war schon bekannt, wo es gute Professoren gab oder ein gutes Klima. Zum anderen war das natürlich auch eine politisch bewegte Zeit in den 60er Jahren. Das Medizinstudium habe ich dann schon fertig gemacht, habe mich aber sofort nach dem Physikum für eine Doktorarbeitsstelle interessiert, habe dann schon während den klinischen Semestern mit der Doktorarbeit angefangen. Dabei hatte ich sehr verständnisvolle Kliniker, die mich dann sozusagen um 12 Uhr ins Institut gehen ließen.

ruprecht: Wie wichtig waren für Sie die politischen Ereignisse?

Sakmann: Es klingt heute vielleicht ein bißchen herablassend, aber das war mehr oder weniger Freizeitbeschäftigung. Auch in Berlin oder München ist man zunächst mal hin, weil man nichts anderes zu tun hatte. Die Bedeutung der 68er-Ereignisse wird heute ein bißchen hochstilisiert.

ruprecht: Also mehr Gaudi?

Sakmann: Richtig. Aber auch bei denen, die sich heute als 68er hochstilisieren, war's mehr oder weniger Gaudi. Wenn Semesterferien waren, war ja alles ruhig.

ruprecht: Wie groß sind die persönlichen Opfer, wenn man es in der Wissenschaft zu etwas bringen will?

Sakmann: Wenn man sich überlegt, was man sein Leben lang machen will und man die Freiheit hat, seinen Interessen oder seiner Neugier nachzugehen, bringt man eigentlich gar keine Opfer. Wir hatten damals andere Berufsaussichten. Bei uns war eigentlich die Frage eher, wo gehen wir hin, wo ist es am interessantesten. Heutzutage ist es ja so, daß sich diese armen Kerle anstellen müssen. Um uns haben sich die Krankenhäuser gerissen. Und von daher waren für uns materielle Gesichtspunkte sekundär. Das war vor der Medizinerschwemme. Bei uns ging's nur darum: Wo bekomme ich die beste Ausbildung, welche Stelle nehme ich an?

ruprecht: Den Nobelpreis haben sie bekommen für ein Messverfahren für Ionenkanäle.

Sakmann: Es ist nicht das Meßverfahren ausgezeichnet worden, sondern es sind die Einsichten, die man dadurch erhalten hat - Größe und Dauer der elementaren Stromereignisse in biologischen Membranen, die durch Ionenkanäle vermittelt werden.

ruprecht: Waren diese Erkenntnisse, die sie dabei gewonnen haben, ein Ergebnis einer plötzlichen Idee oder jahrelanger Arbeit?

Sakmann: Das hat ungefähr fünf, sechs Jahre gedauert, von der Fragestellung bis zur Perfektionierung der Methode und der Analyse. Jahrelang hat uns dann beschäftigt, wie die Strommessungen strukturell zu interpretieren sind. Was uns zur Zeit beschäftigt ist, wie diese verschiedenen Ionenkanäle zusammenspielen. Es ist allgemein in der Biologie so, daß man mit der reduktionistischen Betrachtung sehr weit gekommen ist: man kennt jetzt fast alle Elementarteile, und die Herausforderung für das nächste Jahrhundert ist herauszufingen, wie sie in so komplexen Systemen wie Nervenzellen zusammenspielen.

ruprecht: Ihre Forschungsarbeit wurde sicherlich durch den Nobelpreis am deutlichsten gewürdigt.

Sakmann: Das ist die prestigeträchtigste Anerkennung. Was einen da natürlich freut, ist die Anerkennung von den Kollegen und Mitbewerbern. Es gibt ja immer einen mehr oder weniger scharfen Wettbewerb, und es ist eine Art Anerkennung nicht nur von denen, die den Nobelpreis auf einem anderen Gebiet erhalten, sondern besonders auch von denen, die auf dem selben Gebiet arbeiten. Deshalb ist der Nobelpreis nicht wegen des ganzen Rummels wichtig, sondern weil er das Ergebnis einer weltweiten Abstimmung ist.

ruprecht: Wenn man plötzlich von seiner Nominierung erfährt, wie fühlt man sich dann?

Sakmann: Ich hatte mich natürlich gefreut, daß das jetzt anerkannt wird, hatte aber gerade eine Serie anderer Experimente vor, und dann war mir klar: Für das nächste halbe Jahr ist also Schluß damit.

ruprecht: Ist für sie ein Literaturnobelpreis gleichwertig mit einem in der Naturwissenschaft?

Sakmann: In der Literatur hat man natürlich eine ganz andere Skala der Bewertung. Literaturnobelpreise werden nach Kriterien vergeben, die sicher nicht die Kriterien sind, nach denen ein Nobelpreis in der Wissenschaft vergeben wird. Da kommen politische Gesichtspunkte hinein, Vorlieben der Akademiemitglieder. Eine Nominierung im kulturellen Bereich wird von so vielen Strömungen gespeist, daß das nicht mit den Naturwissenschaften vergleichbar ist. Hier wird ein Erkenntniszuwachs ausgezeichnet. Das unterscheidet uns von der Soziologie oder sonstigen Kulturwissenschaften. Einmal ist man Positivist, einmal Hermeneutiker, was gerade so in Mode ist. Und das ist bei uns nicht oder nur im geringsten Maße der Fall. Obwohl von einigen Soziologen gerade versucht wird, naturwissenschaftliche Einsichten als soziales Konstrukt sozusagen zu diffamieren. So eine Art Bewegung von frustrierten Soziologen.

ruprecht: Und wie sehen Sie sich gegenüber einem Literaturnobelpreisträger?

Sakmann: Die Kunst ist rational nicht faßbar. Wenn sie Musik hören oder vor einem Picasso-Bild stehen, regt das ganz andere Seiten in ihrem Gehirn an. Das ist sicher noch nicht objektivierbar. Da geht die Persönlichkeit des Künstlers mit ein. Ein Literatur- oder Friedensnobelpreis hat auch eine sehr viel größere Außenwirkung. Da ist es die Person, die geehrt wird. Nadine Gordimer war die Literaturpreisträgerin 1991. Sie war einfach eine beeindruckende Persönlichkeit. Das wird einem in dem Maße nicht klar, wenn man nur ihre Romane liest.

ruprecht: Ihre Nominierung liegt jetzt sechs Jahre zurück. Was hat sich da verändert?

Sakmann: Eigentlich nichts. Ich hatte eine Zeit lang mehr Außenverpflichtungen für die Max-Planck-Gesellschaft und für die Forschung allgemein. Wir leben ja von Steuergeldern, und man muß das allgemeinverständlich darstellen, wozu wir sie verwenden. Man kann dann die schlimmsten Auswüchse von Falschdarstellung von ein paar Journalisten, die Interesse daran haben, die Forschung zu diffamieren, richtigstellen. Man begibt sich dabei in ein Gebiet, in dem andere Regeln herrschen, die wir nicht akzeptieren. Pauschaliert wird versucht, Meinungen zu manipulieren, egal ob das auf Fakten beruht oder nicht. Das ist ein Verhalten, das bei uns zum Absturz führt. Die Naturwissenschaften stellen eine ganz andere Kultur dar und der Graben zwischen den zwei Kulturen wird leider immer größer, weil Informationsdefizite bei den Nichtnaturwissenschaftlern vorliegen.

ruprecht: Ein Mangel an Journalisten, die Naturwissenschaft allgemeinverständlich darstellen?

Sakmann: Nein. Das wird jetzt besser. Das Schlimmste ist vorüber, seitdem seriöse Tageszeitungen den Wissenschaftsteil wichtiger nehmen

ruprecht: Sie leisten ja als Mediziner Grundlagenforschung. Ist es nicht frustrierend für sie, das Leid zu sehen, daß, während sie das Haus auf der einen Seite zu löschen versuchen, auf der anderen Seite gezündelt wird?

Sakmann: Das kann man konstatieren. Aber man muß sehen, wo man selber Einflußmöglichkeiten hat. Im politischen Bereich gelten eben andere Regeln. Da wird versucht, die eigene Vorstellung durchzusetzen ohne Rücksicht auf die Mittel. Deshalb muß man versuchen, in dem Bereich, in dem man Wirkungsmöglichkeiten hat, einzugreifen. Wenn man sagt, man will Menschen helfen, geht das heutzutage meistens nur über die Entwicklung von Diagnose- oder Therapieverfahren. Und es ist heute leider so, daß die Entwicklung eines neuen Heilmittels zwischen 300 und 500 Millionen DM kostet. Eine Einsicht umzusetzen in etwas, das schließlich verkauft wird, geht nur mit Hilfe der Großindustrie. Es ist vollkommen klar, wenn wir etwas haben, was sich wirtschaftlich ausnutzen läßt, daß das der deutschen Industrie zugute kommen kann. Was wir produzieren können, sind Einsichten, und dann müssen Leute aus der Industrie kommen, die Ideen haben, wie man so etwas umsetzt.

ruprecht: Sehen sie nicht die Gefahr, die in den Medien angedeutet wird, daß die Wissenschaft die ethischen Gesichtspunkte ihres Handelns nicht ausreichend reflektiert?

Sakmann: Die Neurowissenschaften sind noch so weit weg von einer Einflußnahme, daß man das vollkommen ausschließen kann. Wenn sie einen naturwissenschaftlichen Sachverhalt aufdecken, ist das nichts Unethisches. Die Ethik kommt dann ins Spiel, wenn es darum geht, aufgrund dieser Kenntnisse etwas zu verändern. Dafür sind im wesentlichen Politiker verantwortlich, die die Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen steuern könnten. Derjenige, der die Eisenherstellung entdeckt hat, war sicherlich nicht in der Lage, vorherzusehen, daß daraus einmal Spieße gemacht werden. In dieser Situation sind wir auch heute.

ruprecht: Auf den Gang der Anwendung fordern sie aber politischen Einfluß? Zum Beispiel einen Rat der Nobelpreistträger der Vereinten Nationen, der nicht nur von unten Interessen vertritt, sondern auch von oben Vernunft einspielen läßt?

Sakmann: Ethik ist ein Gebiet, daß zweieinhalbtausend Jahre alt ist, und es gibt bisher keine allgemein verbindlichen Richtlinien. Was ethisch vertretbar in einer Kultur ist, das ist nicht vertretbar für die ganze Welt. Ich möchte nicht polemisch werden.Aber wenn sie sehen, wieviel Leid angerichtet wurde aufgrund von solchen ethischen Vorgaben, in deren Namen Kriege geführt wurden, und dem Schaden, der angerichtet wurde durch falschen Einsatz von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, ist der vernachlässigbar. Ich halte Ideologien für erheblich gefährlicher.

ruprecht: Wir bedanken uns für das Gespräch. (jm, fw)


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