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Nostalgie


Wenn Großmutter erzählt ...

Zum 10. Geburtstag: ruprecht-Altredakteure geben Anekdoten zum Besten

Nicht nur stolze fünfzig Ausgaben, auch chaotische zehn Jahre hat der ruprecht hinter sich gebracht. 1987 nahm ein Häuflein Idealisten Schreibmaschine, Schere und Kleber zur Hand und montierte das "Schlagloch", die seit Jahrzehnten erste unabhängige studentische Zeitung in Heidelberg. Mit der 18. Ausgabe nannte man sich 1991 "ruprecht". Inzwischen haben wir tolle Computer, edle Anzeigenprospekte, Intranet und Internet, und geben uns fürchterlich professionell. In Wirklichkeit aber kommen uns die Geschichten, die unsere AltredakteurInnen über das Treiben in der Redaktion zu erzählen haben, nur allzu bekannt vor.

Als "man" noch "pc" war

Oh ja, Großmutter erinnert sich noch daran, daß es in den grauen Anfangszeiten einiges gab, das wir zwar für durchaus programmatisch, aber dennoch für ziemlich uninspiriert hielten - es war nun mal das einzige, auf was man sich einigen konnte ...

Apropos "man": In der Blütezeit der feministischen Linguistik nahm die Frage der möglichst gerechten geschlechtsneutralen oder eben nicht neutralen Sprachgestaltung bei uns breiten Raum ein. Der Kompromiß zwischen den Hardlinern beider Seiten war schließlich die "Innen-Form" im Titel und in allem "Übergreifenden" sowie das Zugeständnis, daß ansonsten in ihren/seinen Artikeln sowie jedeR alles so machen könne, wie sie/er es wolle. (Schon geht das Gewurstel los!)

Die Gleichberechtigungsthematik war wichtig, und auch mit dem damals noch gar nicht bekannten Begriff "Political Correctness" gab sich ein guter Teil der Redaktion - mich eingeschlossen - redlich Mühe. Das beste Beispiel dafür ist ein Gedicht, das ein damaliger Mitarbeiter in der Zeitung veröffentlichen wollte. "Ihre Brüste" - so der Anfang - "Sie war mir so nah" (oder "fern"? Oder "fremd"?). An diesem doch eher harmlosen Ausdruck erotischer Phantasien erhitzen sich die Gemüter. Kommt das Gedicht in die Zeitung oder nicht? Wenn nein, warum nicht? Weil es schlecht oder weil es sexistisch ist? Wenn ja, dann verschämt, versteckt, oder provozierend exponiert? Ohne oder mit distanzierendem Kommentar? Wenn ich mich recht erinnere, kam das Gedicht rein, auf eine der hinteren Seiten.

Unsere Arbeit war ungetrübt von jeglicher Professionalität, die viele auch gar nicht in dem Maße anstrebten, wie das beim heutigen ruprecht der Fall ist. Und das zeigte sich auch im Laufe der Zeit: Diejenigen, die eigentlich nur hin und wieder mal einen Artikel schreiben wollten, gingen nach und nach. Andere, mit dem größeren "jounalistischen Potential", blieben. Neue Leute kamen hinzu. Es hat der Zeitung gut getan!

(Ute Nikolaus, dabei ab Nr. 1)

Liebe LeserInnen!

Eben ruft Bertram an, der sich 800 Zeilen wünscht, auch, bis morgen mittag. Vorsichtshalber lege ich eine Reminiszenz-Cassette ein, "Köln-Concert", Prince. Aber was schreiben, was ist typisch?

Ha, echte Fundis, die die linke Gesinnung und Rechtschreibfehler einfordern! Der journalistische Mainstream wird gebrandmarkt, Unrecht gegen afrikanische Frauen verurteilt. Wir teilen den Layout-Raum mit dem Nicaragua-AK. Die Wortendung "-Innen" ist mehr als nur Handwerkszeug. Und als schließlich Computer und Layout-Richtlinien kommen, ist dies hart umkämpft und ein inhaltlicher Eingriff ins teure Konzept.

Bleiben wir bei Inhalten. Ich könnte beginnen, den Erwartungen entsprechen, und eine Kladde liefern, die darlegt, warum der botanische Garten nun nicht verlegt wird, der Bau der durch den alten Garten geplanten Straße aber nicht mehr zu verhindern ist. Nun, das bleibt unvollständig, wenn es nicht mindestens anderthalb Seiten füllt. Außerdem ist es zu politisch.

Daher mutmaße ich einfach - wahrscheinlich stehen die Grundfeste noch, die Artikel, ja die ganze Zeitung entsteht in Nachtarbeit, aber Chaotik wirkt Sympathie. Was singen die da, die FANTA-4? "Die Musik ist aus, man ist immer noch da." Oder so ähnlich.

Ivo Tews, dabei ab Nr. 2

Die Gerüche des ruprecht

ruprecht, das ist für mich nicht zuletzt die Geschichte der Gerüche. Den ersten ruprecht-Geruch nahm ich wahr, als Christoph Ecken, damals unermüdlicher Anwerber für "Schlagloch", sich nach dem Seminar eine Zigarette drehte. Der leicht süßlicher Duft seines "Javansee Jongens" stieg mir in die Nase, während er mir die Zeitung im Café Villa erklärte. Nebendran saß Frank Schirrmacher, damals noch "nur" Redakteur und Gastdozent in Heidelberg, und lobte die Aufmachung. So kam ich zur Zeitung.

Der zweite ruprecht-Geruch ist an die vorweihnachtlichen Umstände des "Studihauses" gebunden. Dort oben im ersten Stock wurde nämlich, während wir über die Umbenennung der Zeitung "Schlagloch" debattierten, Glühwein aufgekocht. Sicher brachte uns dieser Duft dazu, unser Blatt erst einmal "Nikolaus" und dann "ruprecht" zu nennen.

Der dritte Geruch in der Reihe enthält alle Segnungen eines erfüllten Zeitungsmachers in der Lauerstraße im zweiten Stock an einem Montag Morgen gegen fünf Uhr früh. Es ist eine Mischung aus morgendlicher Dämmerungsluft, den Ausdünstungen eines 56-Stunden Non-Stop-Layout-Wochenendes, einer brennenden Zigarette und einer gerade durchlaufenden Kanne frischen Kaffees - und eine Prise "Eternity", die sich eine Mitarbeiterin gerade aufgesprüht hat.

Nummer Vier ist der Duft der fertiggeklebten und handzugeschnittenen Layoutvorlage auf dem Interregio-Bistrotisch: Das fertige Produkt auf dem Weg zur Druckerei, eine Mischung aus Pattex, Fotoentwicklungssäure und Bleistiftgraphitstaub. Wenn Erleichterung, Stolz und Vorfreude riechen könnten, dann so.

Fünf galt Pythagoras als die Zahl der Hochzeit. Hoch, denn die neue Ausgabe ist fertig. Der Geruch ist eine Mixtur aus Plastik, Druckerschwärze und Mensagarküche. Der Moment der Verteilung der Zeitung, und der Gedanke an die Gesinnungsgenossen, die mit "Erwachet!" am Heidelberger Hauptbahnhof stehen.

Salz und Moisturizer. Können Tränen duften? Dann sind sie Nummer Sechs, denn irgendwann ist für jeden Mitarbeiter einmal der Abschied gekommen. Der Abschied von einer Zeitung, in der so wunderbare Dinge möglich waren wie jene Ästhetik-Reihe, die ich zusammen mit Alexander Paquet schrieb, um den studentischen Tag phänomenologisch zu verschönern. Was bleibt? Ein noch zu erfindendes ruprecht-Parfum. Ich würde es "Norwegian Wood" nennen.

(Eckard H. Nickel, dabei ab Nr. 8)

Vier Männer und ein Baby

Um es gleich vorweg zu sagen, das Baby war ich. Und die Männer? So ganz genau ist mir bis heute nicht klar, was sich hinter den Fassaden des lederbejackten Schnauzbartträgers Christoph Ecken - nach meiner Auffassung der Prototyp des Journalisten -, des scheinbar immer Fröhlichen, Bertram Eisenhauer, des Dandys, Eckart Nickel, und des Mannes zwischen James Joyce und Kampfstern Galaktika, Alexander Paquet, verbarg. Doch diese vier sollten zu einem unvergeßlichen Teil meiner Heidelberger Studentenzeit werden: Verwirrende Gespräche über den Sinn des Lebens im Kulturaustausch (B.E.), die Aufgaben und Ziele des studentischen Journalismus (C.E.), die Barbourjacke im Heidelberger Stadtbild (E.N.) und den schmalen Grad zwischen Ollenhauer, Höllerer und Ollenschläger (A.-P.).

Mein Job war zumeist der eines Maskottchens, das schlau zu gucken, schlauer zu reden und am schlauesten zu schweigen hatte. Da ich letzteres so gut wie nie tat, ist klar, daß die vier keine Machos waren, sondern sich ehrlich Mühe gaben, meine journalistische Unerfahrenheit und intellektuelle Naivität zu ertragen und "entzückend" zu finden. So schrieb ich kleine Artikel über Gesellschaftsspiele, versuchte mich an der Rubrik "Horoskop", verbreitete nach Kräften gute Laune und himmelte meine Männer an. Lieber ruprecht, nun bist zumindest Du kein Baby mehr - herzlichen Glückwunsch!

Isabelle K. Baum, dabei ab Nr. 16

Der Morgen danach

Die Mitarbeit am ruprecht hat mir durch das Schleppen der schweren Hochleistungsrechner in den zweiten Stock des FSK-Büros kräftige Oberarme gebracht. Während der berüchtigten Layout-Wochenenden gelangte ich zu der Erkenntnis, daß man vier Sachen gleichzeitig machen kann: mit jemandem telefonieren, der einen Betroffenheitsartikel loswerden will, dabei mit dem Cursor Blödsinn anrichten, Harald wegen des Anrufs genervt zuzwinkern, und Bertrams Lieblingscassette an diesem Abend zum drittenmal hören. Neben der Einsicht, daß kaum etwas soviel Spaß macht, wie zusammen kreativ zu sein, steht die bittere Erfahrung, daß man die genialen Sätze, die einem morgens um drei einfallen, am Morgen danach keinem, der nicht dabei war, so richtig nahebringen kann. Ich wünsche mir für die nächste Ausgabe einen Artikel, der dieses Phänomen anhand von zahlreichen Beispielen einmal ernsthaft-intellektuell aufrollt.

Frank Barsch, dabei ab Nr. 20

The Comeback Kid

Spätestens seit der ruprecht nicht mehr SCHLAGLOCH heißt, ist die Versuchung übergroß, sich ihn als lebendiges Wesen vorzustellen, als Kind, das nun schon ganz schön kräftig geworden ist: THE COMEBACK KID, das Stehaufmännchen - so nannte sich der in seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf der Niederlage sehr, sehr nahe gekommene Bill Clinton gerne. Solche FIGHTER-Qualitäten hatte auch der ruprecht immer: Wenn es dumm lief, konnte er zu seiner besten Form auflaufen: Irgendwann, es war wohl bei Ausgabe 22, fuhren Harald und ich nach dem - wie üblich, gegen Ende hin wie in Trance erlebten - Layoutwochenende die fertigen Vorlagen zur Druckerei nach Frankfurt. Völlig übermüdet standen wir vor unserem persönlichen, immer verständnisvollen Sachbearbeiter, und legten ihm unser Werk vor; natürlich einen Tag später als angekündigt. Wieviele Seiten wir denn hätten, wollte er wissen. Vierzehn, sagten wir. Da blickte er auf und erläuterte sehr ruhig, ein Druckbogen habe immer, immer vier Seiten, weshalb überhaupt nur Vielfache von vier... Wir schauten uns, dann ihn an, was aber wenig half. Also fuhrenwir zurück nach Heidelberg und zwängten uns in Haralds winziges Zimmer in der Floringasse, um zwei weitere Seiten zu produzieren. Eine Seite füllten wir mit einem langen Essay, den wir vorher für zu... naja, imaginativ gehalten hatten. Daneben fingen wir an, bei Redakteuren herumzutelefonieren: Welchen Film sie denn in letzter Zeit gesehen hätten... Als wir mit den Kurzkritiken eine Seite voll hatten, nannten wir die Sammlung ruprecht goes to the movies - heute eine der beliebtesten Rubriken der Zeitung. Was beweist: Auch ein Stehaufmännchen braucht gelegentlich eine Hand, die ihm hochhilft.

Bertram Eisenhauer, dabei ab Nr. 2

(red: hn, dabei ab Nr. 16)


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