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Feuilleton


Bubikopf und Hühnerauge

Ausstellung zur Frau in der Weimarer Republik

Sie wurden dargestellt als moderne Selbstbewußte mit Bubikopf, als treusorgende Mutter oder als gleichgestellte Kameradin des Mannes: Nachdem die Frauen nach 1919 zu gleichberechtigten Staatsbürgerinnen geworden waren, warben auch die Parteien der Weimarer Republik auf ihren Plakaten gezielt um die weiblichen Wählerstimmen. Die Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte hat nun eine Ausstellung zum Thema "Zwischen Wahlurne und Waschmaschine - Frauen in der Werbung der Weimarer Republik" erarbeitet.

Neben über neunzig politischen Plakaten aus Wahlkampf und Propaganda sind auch etwa vierzig kommerzielle Anschläge zu sehen: In ihrer Darstellung eines selbstbestimmten und vereinfachten Lebens stehen sie in einem auffälligen Gegensatz zu den häufig sehr realistischen Politplakaten.

Bemerkenswert ist die hohe künstlerische Qualität einer großen Anzahl der Entwürfe - besonders, wenn man sie mit heutigen Parteiwerbungen vergleicht. Genaues Hinschauen lohnt sich also: beispielsweise bei einem Entwurf, der mit einem Ringelreigen von Mutter und Kinderschar wirbt, gezeichnet im Jugendstil - und zwar für die USPD, deren linker Flügel im Spartakusaufstand ihre demokratischen Ideale auch mit Waffengewalt verteidigte. Oder Plakate, die durch ihre Symbolik zunächst auf eine sozialistische Zielsetzung schließen lassen - aber rechtskonservative oder Nazipropaganda vertraten. Schade nur, daß es nicht gelang, mehr themenrelevante Plakate der NSDAP auszustellen - gerade hier wäre der Kontrast zur Darstellungsweise der Frau in den Plakaten der demokratiebejahenden Parteien interessant.

Insgesamt ist das Kunststück gelungen, eine Ausstellung zur politischen Geschichte mit Unterhaltungswert zusammenzustellen - nicht zuletzt durch die Auswahl der kommerziellen Werbeträger. Die reizen auch schon mal zum Lachen - zum Beispiel, wenn eine modisch gekleidete, junge Mutter von ihrem engelsgleichen Kind umjubelt wird: "Mutti hat neue Füße" und das ganze zum Kauf von Hühneraugenpflastern animieren soll.

Doch diese Auflockerungen haben auch einen praktischen Nutzen: Der Unterschied zwischen damaligem Lebensideal und Wirklichkeit wird greifbar. Erst bei der Betrachtung der Werbeplakate wird verständlich, welche Wirkung der Anblick der verhärmten, wehrlosen Frauen auf den Anschlägen, die vor vermeintlichen Gefahren von Demokratie und Sozialismus warnen sollten, auf die Menschen gehabt haben muß. (gan)

Die Ausstellung ist in der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Pfaffengasse 18, noch bis zum 25. Januar 1998 täglich, außer montags, zu sehen.
Öffnungszeiten: 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags bis 20.00 Uhr, Eintritt frei.

Öffentliche Führungen:14.12.1997 und 6., 25.1.1998, jeweils 14.30 Uhr.


Dreck

Von Haß und Liebe

Ein Mann sitzt in seinem Sessel und motzt über Ausländer. Das ist die Haupthandlung des Stückes "Dreck" von Robert Schneider, das derzeit das Theater Gutmacher zum Besten gibt. Diesen Inhalt könnte man ohne weiteres als rassistisch abtun, wenn - ja, wenn dieser Mann nicht selber Ausländer wäre. Sein Monolog ist natürlich keine endlose Schimpftirade. Vielmehr führt uns der Schauspieler eine ganze Bandbreite von Emotionen vor, von der Xenophobie bis zur Liebe. Das Stück überrascht mit seiner Vielfältigkeit und seinen unerwarteten Wendungen. Alles wäre aber nur halb so farbig, wenn nicht der Hauptdarsteller die Fähigkeit besäße, jede feinste Nuance seiner Rolle überzeugend auszuleben.

Ein interessantes Stück in einer gelungenen Inszenierung. Wer sie noch nicht gesehen hat, sollte seine letzte Chance nutzen : Am Donnerstag, den 11. Dezember um 20 Uhr im Marstall. (st)


Viel Lärm um Nichts bei den jungen Wilden?

Stücke der neuen Spielzeit am Mannheimer Nationaltheater

Während das Heidelberger Stadttheater meist eher behäbig daherkommt, weht in Mannheim seit dem Antritt des neuen Intendanten Ulrich Schwab vor einem Jahr ein frischer Wind. Auch in dieser Spielzeit hat man sich wieder einige freche Stücke junger Autoren vorgenommen, darunter gleich zwei Uraufführungen: Kerstin Hensels "Klistier" und Barbara Freys "Das Geheimnis des Lebens", beides recht leichte Kost. Für grüblerische Gemüter ist schließlich noch Albert Ostermaiers sperrige "Tollertopographie" im Angebot.

Im Klinikum Broadwitz des Professor Becherling sucht man seit nunmehr 102 Jahren eine Anwort auf die faustische Frage, was "die halswirbelkranke Welt zusammenhält". Doch Becherlings Untersuchungsgegenstand, die "Veränderung der Frakturtechnik im Halswirbelbereich zu Beginn, im Verlauf und zum Ende eines Krieges", kann man mangels Forschungsobjekten nicht nachgehen. So muß sich das untätige Personal, ein skurriles Panoptikum verwirrter Gestalten, fern jeglichen Wirklichkeitsbezugs damit begnügen, die Wahrheit aus der Petersilie zu lesen und von der Weltrettung durch die Wissenschaft zu träumen.

Die Vorgeschichte von Kerstin Hensels "Klistier" ist abenteuerlich: Geschrieben in der DDR der 80er Jahre, war es lange Zeit verschollen, bis es nach der Wende in den Stasi-Akten der Autorin wieder auftauchte und neu überarbeitet nun seinen Weg auf die Bühne fand. Wer in der bleiernen Erstarrung und im verschrobenen Fanatismus von Broadwitz Parallelen zur DDR-Realität finden möchte, muß allerdings enttäuscht werden: Mit den Mitteln der Groteske versucht Hensel eher, das Chaos des Weltganzen zu fassen, den immergleichen "verkrampften Karneval unter wechselnder Diktatur", wie sie sagt. Neu ist das nicht, ebensowenig wie das Motiv des Außenseiters aus der Wildnis, das schließlich bemüht wird, um den seelenlosen Klinikbetrieb mit der Idee von Freiheit und Unverfälschtheit zu kontrastieren. Doch unbeschädigt ist auch der Fremde (fulminant gespielt von Jörg Hartmann) nicht mehr: Er ist einer Anstalt entronnen, in der mißliebige Elemente eingesperrt werden, von deren Existenz man aber eigentlich gar nicht wissen darf, "weil es in unserem Land keine Anstalten gibt, nur freie Bürger". Immerhin: Das Klinikum geht an der Irritation durch den Fremden zugrunde und findet sich zuletzt zu einem - wohl nach der Wiedervereinigung eingefügten - Schlußtableau zusammen, in dem aus dem trüben Klinik-Kollektiv ein grelles, aber ebenso freudloses Party-Kollektiv geworden ist.

Kann in "Klistier" nur die temporeiche Inszenierung von Corinna Bethge die schlechte Vorlage retten, geht Regisseurin Barbara Frey in "Das Geheimnis des Lebens. Ein Mörderinnen-Seminar" gar nicht von einem vorgegebenen Text aus, sondern montiert die Geschichten mordender Frauen aus der Weltliteratur - von Salome und Judith über Penthesilea bis zur Loreley - zu einem Theaterabend zusammen. Als Rahmen dient ein Lesesaal voll schwerer Folianten, in dem zwei herrisch-altjungferliche Bibliothekarinnen (Friederike Wagner und Nina Kunzendorf) ihre Besucher in die Geheimnisse der Mörderinnen-Psyche einführen. Zwischen den Texteinlagen zeigen die weiblichen Lesehungrigen eindrucksvoll, wie die Frau von heute ihren unterdrückten Killerinstinkten Luft verschafft: Die "Haus- und Gartenfreundin" gibt sich beim Zwiebelhacken Zerstörungsexzessen hin, die Emanze schreckt die anwesenden Männer durch ihre leidenschaftliche Identifikation mit der kinder- und männermordenden Medea des Euripides, die zwei Bibliothekarinnen weiden sich an den Kriminalgeschichten der Sensationspresse. Die immer wieder obsessiv aufgeworfene Frage, warum Frauen morden, kann Freys Collage jedoch nicht beantworten, den roten Faden hat sie bei ihrem Patchwork-Drama nicht mitgestrickt.

Ein einfühlsames Seelenpanorama des Dichters Ernst Toller zeichnet indes Albert Ostermaier mit seinem Stück "Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie", in dem er die Stunden kurz vor Tollers Selbstmord am 22. Mai 1939 im New Yorker Hotel "Mayflower" heraufbeschwört. Glühender Revolutionär der Münchner Räterepublik, gefeierter Künstler der Weimarer Zeit, schließlich vom NS-Regime ins Exil getriebener Repräsentant des "anderen" Deutschland, war es Tollers Tragik, Privatschicksal und öffentlichen Kampf in einem selbstinszenierten Gesamtkunstwerk zu vermischen: Als seine politischen Pläne mit dem Sieg der Franco-Faschisten im spanischen Bürgerkrieg endgültig fehlschlugen, zogen sie seine Person mit in den Abgrund.

Um den Gründen für Tollers Scheitern nachzugehen, spaltet Ostermaier seinen Helden in zwei Figuren: Auf der einen Seite der narzißtische Dichter Toller (Matthias Brandt), der immer noch von vergangenen revolutionären Großtaten träumt und sich nun in fiebriger Verzweiflung in die Rolle des letzten Aufrechten unter lauter Mördern hineinsteigert; auf der anderen Seite sein alter ego Tollkirsch (Peter Knaack), der die egomane Gestik des "guten politischen Menschen" längst durchschaut hat - "an Blumenworten frißt du dich satt", politische Agitation als Lebensform und Mittel der Selbstdarstellung.

Vor seiner "Tollertopographie" hat Ostermaier eher mit Gedichtbänden ("Herz Vers Sagen", "fremdkörper hautnah") auf sich aufmerksam gemacht, und so ist auch sein erstes Drama im Grunde reine Lyrik, hochexpressiv: "mit totenfingern / schlägt splitter wie / granatentrichter / ins hinterland der augen ...". Den sehr statischen Text hat Regisseur Christoph Biermeier gekonnt aufgelockert, indem er Tollers Seelenkämpfe in rasante Bewegungsfolgen umsetzt, grausam ausgeleuchtet in einer kahlen hermetischen Verhörzelle, einem spitz zulaufenden Angstraum. Alles in allem ein virtuoses Spiel, anstrengend zwar, doch dafür weit entfernt von der Beliebigkeit eines leerlaufenden Klinikum-Klamauks oder oberflächlicher Mörderinnen-Psychogramme. (kebi)

Weitere Termine:
Klistier: 3. und 27. Januar
Das Geheimnis des Lebens: 11. Dezember, 2., 7., 27. und 28. Januar
Tollertopographie: voraussichtlich erst wieder im Februar


Die Toten leisten ihm Gesellschaft

Das Romandebüt von Andreas Höfele: "Der Spitzel"

Andreas Höfele, Professor für Anglistik in Heidelberg, nutzt für seinen Erstling eine bescheidene Anzahl von Dokumenten als Basis für eine literarische Reise ins England des ausgehenden 16. Jahrhunderts.

Diese Dokumente betreffen zwei Personen: einen gewissen Robert Poley und den Literaten Christopher Marlowe. Beide haben eines gemeinsam: Sie waren Spitzel. Die mysteriösen Todesumstände Marlowes und die spärlichen und uneindeutigen Aussagen über Poley bindet Höfele in die Geschehnisse der zweiten Hälfte der Regierungszeit Elisabeths I. ein.

Das Kind Robert Poley lebt auf dem Land als Schweinehirt. Eine Begegnung mit einer Wilddiebin kostet ihn beinahe das Leben. Um nicht verlacht oder bestraft zu werden, berichtet er im Dorf von einem Überfall mehrerer Männer. Aus seiner Lügengeschichte wird schnell eine Tatsache, durch die er das Talent zum Lügen erkennt.

Als zu Weihnachten Schauspieler in die Stadt kommen, entdeckt er unter ihnen die Wilddiebin. Auch er wird erkannt, doch man läßt ihn wieder laufen, weil die Älteste es so will: "Er ist ein Todbringer", murmelt sie, "aber er stirbt nicht".

Einige Jahre später steht er in Diensten des Secretary Walsingham Elisabeths I. Poley wird eingesetzt, um Anhänger der im Exil befindlichen Maria Stuart auszuspionieren. Er knüpft Kontakte zu Anführern des Widerstands, schließt enge Freundschaft mit dem Anführer des Aufruhrs in England, Anthony Babbington.

Es beginnt ein raffiniertes Intrigenspiel, bei dem die katholischen Gegner jederzeit voll überwachbar sind und durch das Taktieren und Manipulieren von Secretary Walsingham und seiner Handlanger zu Taten getrieben werden, die ihnen schließlich Verfolgung und Tod einbringen, letztlich sogar die Grundlage für die Hinrichtung Maria Stuarts bilden. Poley ist dabei ein Werkzeug, am Ende bleibt ihm trotz seines Erfolgs eine Inhaftierung im Tower nicht erspart. Walsingham kennt ihn nicht mehr.

Er versucht sein Glück als Hintertreiber und Denunziant in Cambridge, kreuzt dort aber zum ersten Mal den Weg Marlowes, der seine Pläne durchschaut und ihn zur Aufgabe zwingt. Marlowe, wortgewaltiger Dichter, schwul, ist ebenfalls Spitzel. Es beginnt ein rasantes Wechselspiel zwischen den beiden Rivalen. Marlowe selbst wird denunziert, soll gegen Sir Walther Raleigh, einen in Ungnade gefallenen Günstling der Königin, eine Aussage machen, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Mit dem Fortgang der Ereignisse wird immer deutlicher, daß jeder Spitzel und Intrigant nur Handlanger eines weiteren Spitzels und Intriganten ist, Rivalität und Feindschaft herrscht überall, auch wenn Ziel und Auftrag die gleichen zu sein scheinen. Wer im einen Moment begünstigt wird, kann im nächsten bereits selbst unter Verdacht stehen, über seine eigenen Denunziationen stolpern. Die Todbringer geraten schließlich selbst in Gefahr, getötet zu werden. Nur Poley nicht. Er bewahrt die Symbole, die mit dem Tod seiner Opfer verbunden waren, in einer Kassette auf. Im Alter bewegt seinen Geist nur noch das Geschehene. Die Toten leisten ihm so auf zweierlei Weise Gesellschaft.

Andreas Höfele hat einen historischen Roman geschaffen, der spannend und unterhaltsam ist. Im einzelnen betrachtet, nimmt sich die Qualität des Romans jedoch sehr unterschiedlich aus. Während das erste Kapitel über Poleys Jugend inhaltlich brillante Fiktion mit unvorhersehbaren und einfallsreichen Wendungen bietet, bleibt es sprachlich an einigen Stellen unterhalb des Niveaus des übrigen Romans. Dessen Stil bezeichnet Höfele im Epilog übrigens als "Gelsenkirchener Barock". Packender geschrieben, dafür inhaltlich etwas blasser, sind die Passagen, in denen Poley als Erzähler auftritt. Ermüdend schließlich das letzte Kapitel, in welchem dem Leser suggeriert wird, daß letztlich alle Ereignisse doch von der zuvor scheinbar so entrückten Königin gesteuert wurden. Zu diesem Zweck plaudert Höfele zuviel aus seiner Schublade für englische Geschichte.

Durchweg ansprechend sind hingegen die Einsprengsel aus der Alltagsgeschichte und vor allem sämtliche erotische Passagen. Sowohl der Weiberheld Poley als auch der homosexuelle Marlowe erhalten im Buch reichlich Gelegenheit, ihren Bedürfnissen nachzugehen oder über deren Unbefriedigtheit zu sinnieren. Trotz großer Derbheit gelingt es dem Autor, Platitüden zu vermeiden und Klischees zu umgehen. Was den Realitätsbezug der Geschichte betrifft, so ist Höfele allzu oft darum bemüht, die Bezüge zu den Quellen herzustellen. Das hemmt den Handlungsfluß und bietet im wesentlichen keine wichtigen Informationen. Die Kraft der Fiktion ist stark genug, um den historischen Hintergrund ausschalten zu können, sie deklariert ihn zu überflüssigem Ballast. (papa)


ruprecht goes to the movies

Filmtips - und vor allem Meinungen

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:

kein ruprecht - nicht empfehlenswert
ein ruprecht - mäßig
zwei ruprechts - ordentlich
drei ruprechts - empfehlenswert
vier ruprechts - begeisternd

Am Ende der Gewalt (4)

Der gefühlskalte, millionenschwere Investment-Banker Nicolas van Orton (Michael Douglas) wohnt in einem Riesenhaus, speist in den nobelsten Etablissements und bewegt jeden Tag gut fünfzig Millionen Dollar. Deshalb hat sein Bruder Conrad (Sean Penn) ein Problem: Was schenkt man einem Mann, der schon alles hat? Conrad befreit sich aus der Bredouille, indem er Nicolas die Eintrittskarte zu einem seltsamen Spiel schenkt: Das Unternehmen CRS (Customer Recreation Service) verspricht ihm ein Vergnügen der ganz besonderen Art: "Die Ferien werden zu Ihnen kommen!". Doch was in der folgenden Woche passiert, ist keineswegs erholsam. Nicolas wird auf CNN rüde und live beschimpft, ihm wird gleich ein ganzes Album schmieriger Sex-Photos mit seinem Konterfei untergeschoben und eines Abends findet er sein Haus von Einbrechern mit Graffittis beschmiert vor. Nicolas geordnetes Leben gerät plötzlich aus den Fugen, er entgeht nur knapp mehreren Mordanschlägen. Auch die Rolle der geheimnisvollen Christine wird immer undurchsichtiger. Erst ganz zum Schluß klärt sich das Rätsel, wobei die etwas kitschige Lösung à la Hollywood nicht ganz überzeugt. Trotzdem muß man Regisseur David Fincher ("Sieben") zugute halten, daß sein Thriller nicht vorhersehbar und äußerst spannend ist. Passendes Fazit des Films ist das Bibelzitat, das Nicolas von einem Bekannten, der das Spiel bereits absolviert hat, hört: "Nur das eine weiß ich, daß ich blind war und jetzt sehen kann." (Joh 9, 25) (mi)

The Game (2)

Ein millionenschwerer Filmproduzent (Bill Pullman) wird entführt. Er befreit sich und beschließt, unterzutauchen und ein armes Leben zu beginnen. Seine Frau (Andie MacDowell), die bis dahin im goldenen Käfig ihrer Ehe in verzweifelter Einsamkeit lebte, übernimmt nach dem Verschwinden ihres Mannes dessen Rolle: Sie wird zum eiskalten Geschäftsmenschen. Eine dritte Figur (Gabriel Byrne) thront wie Big Brother persönlich inmitten von Monitoren in einem Observatorium über Los Angeles; von dort aus überwacht der Informatiker mit tausenden Kameraaugen die Stadt. Doch auch er erweist sich als austauschbares Rädchen eines Molochs.
Aber der Film (Buch: Nicholas Klein) beschränkt sich nicht auf das Erzählen der drei Schicksale und die Beschreibung der sie umgebenden Menschen. Manchmal hat der Zuschauer sogar den Eindruck, daß der Plot um das Protagonistentrio zur Nebensache wird: wenn Regisseur Wim Wenders über dem Betrachter ein Füllhorn von Bildmetaphern, Zitaten und Eigenironie ausschüttet. Edward Hoppers Bilder werden Kulisse, Kultregisseur Sam Fuller mimt einen sabbernden Alten, dessen aktiver Wortschatz aus Floskeln besteht und der damit doch Wesentliches ausdrückt.
Verkopftes Intellektuellenkino also? Nein: "Das Ende der Gewalt" ist ein Beispiel für das seltene Kunststück, einen "intelligenten" Film ohne Brutalität oder endlose Dialoge zu drehen, der den Zuschauer doch sehr gut unterhält: einer der cineastischen Höhepunkte des Jahres. (gan)

L.A. Confidential

Curtis Hanson hat James Ellroys Erfolgsroman, der lange Zeit als zu komplex fürs Kino galt, mit vielen Stars verfilmt. Zahlreiche Handlungsstränge, mehrere Protagonisten und viele Nebenhandlungen kennzeichnen die Story. Hanson entführt in das L.A. der 50er Jahre. Kleinere Verbrechen geschehen, weil sie von der Polizei inszeniert, von der Presse bezahlt und von der Masse begafft werden. Morde in einer Bar, bei denen unter anderem ein ehemaliger Polizist ums Leben kommt, stellen den Anfang einer Ermittlungsaktion dar, bei der die unterschiedlichen Protagonisten sich zunächst auf ihre Weise Genugtuung verschaffen.

Ed Exley, früher auf Gerechtigkeit, jetzt mehr auf Karriere bedacht, nutzt den Fall zunächst, um sich zu profilieren. Jack Vincennes, schneidig und ohne Ideale, braucht Erfolg, um weiter bei einer Hollywood-Produktion den Berater spielen zu können. Budd White, ein Schlägertyp, scheinbar ohne Hirn, haßt selbstgerecht und tötet die vermeintlichen Mörder. Alle drei hegen kurz danach Zweifel an deren Schuld. Mit der Arbeit an der Entlarvung der wahren Täter geraten alle drei an ihre Grenzen und besinnen sich auf frühere Ideale.
Hansons Film ist gewaltig und gewalttätig. Gewaltig sind die Bilder, meisterhaft untermalt mit Musik von Altmeister Jerry Goldsmith.
Gewalttätig ist die Story, zutiefst unmoralisch und zugleich moraltriefend, weil einmal mehr die zum Guten Bekehrten mit den Mitteln des Bösen den Sieg über das Böse davontragen. (papa)

Die Hochzeit meines...

Besser spät als nie: Erst als ihr langjähriger bester Freund Michael ihr eröffnet, daß er heiraten wird, bemerkt Julianne (Julia Roberts), daß sie selbst mehr für ihn empfindet als nur Kameradschaft. Sie beschließt, das Traumpaar in den verbleibenden vier Tagen bis zur Hochzeit auseinanderzubringen und Michael für sich zu erobern.
Regisseur Hogan ("Muriels Hochzeit") konnte sich offenbar nicht zwischen kitschiger Romanze und spritziger Komödie entscheiden: Die Charaktere handeln theatralisch und sprunghaft, und auf heftige Gefühlsausbrüche folgen skurrile Slapstick-Einlagen. Diese Mischung macht es unmöglich, mit den Personen zu leiden - man nimmt sie einfach nicht ernst. Der Film enthält jedoch ein paar nette Ideen und einige gute Gags und ist als seichte Abendunterhaltung völlig akzeptabel. Falls er jedoch länger in Erinnerung bleiben sollte, dann nur, weil Julia Roberts so schöne Rehaugen hat. (stw)

Siddharta (3)

Mit der Verfilmung von Hermann Hesses "Siddharta" hat sich Conrad Rooks einer großen Herausforderung gestellt. Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen: In eindrucksvollen Natur- und Landschaftsaufnahmen Nordindiens illustriert der Film die rastlose Suche des adligen Brahmanensohnes Siddharta nach dem Sinn des Lebens. Die Erfahrungsstationen seines Weges werden dargelegt und die Stufen der geistigen Entwicklung in szenischer Abfolge verdeutlicht. Siddhartas Weg führt von den geistigen Lehren der Askese und Meditation über die sinnliche Liebeserfahrung zu weltlichen Genüssen von Reichtum und Macht. Angewidert besinnt er sich und findet letztendlich Frieden am Ufer eines Flusses. Der Fluß ist Leitmotiv: "Nichts bleibt wie es ist, alles ändert sich, alles kehrt wieder" und wird als Sinnbild für den Gang des Lebens immer wieder in die Handlung eingebaut. Stellenweise läßt der Film Tiefe vermissen, muß der Zuschauer Sprünge in der Handlung in Kauf nehmen. Die von expressiven Bildern und traditioneller indischer Gesangs- und Instrumentalmusik untermalte - nahezu mystische - Atmosphäre mag diese kleine Schwäche vergessen lassen. Auch die sich teilweise an der Grenze zum Kitsch befindliche Dramatik mancher Szenen ist verzeihlich. Die Botschaft Hesses, das Erlebnis der Einheit höher zu werten als geistige Erkenntnis und den Wert der Liebe anzuerkennen, wird jedenfalls schön herausgestellt und systematisch erleuchtet. Das macht den Film sehenswert. (ko)


ruprecht on the record

Musiktips

Jacqueline du Pré:
Haydn, Beethoven, Schumann: Cellowerke

Bereits zu Lebzeiten war die britische Cellistin Jacqueline du Pré ein Mythos, wie keine andere zog sie das Publikum in den Bann der Musik. Als Zwanzigjährige eroberte sie mit ihrem exzessiven Spieldie Bühen Europas und faszinierte die Großen von Rostropowitsch bis Casals. "Es war ein erstaunliches Wechselspiel", beschrieb William Pleeth seine Schülerin, "je mehr sie bekam, desto mehr gab sie zurück." 1967 heiratete Jacqueline du Pré den Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim, zu den schönsten Dokumenten ihres künstlerischen Zusammenwirkens gehört die Einspielung des Cellokonzerts von Robert Schumann. In den 70er Jahren nahm das Leben der Cello-Königin eine tragische Wendung: Sie erkrankte an Multipler Sklerose, an der sie am 19. Oktober 1987 im Alter von 42 Jahren starb. Die Protrait-CD präsentiert eine Kostprobe ihres musikalischen Werks. Die wilde Mischung vom Klassik-Papa bis zum verträumten Romantiker sollte keinen abschrecken, zumal sie durch Portemonnaiefreundlichkeit besticht. Einmal vom Celloklang Jacqueline du Prés gebannt, wird es bei der einmaligen Begegnung allerdings nicht bleiben. (kh)

Pat Metheny Group
Imaginary Day

Phantasie schon beim Booklet: Es ist verfaßt in einem eigenen Schriftcode, nur zu entschlüsseln mit der Silberscheibe. Experimentierfreudigkeit beweist Metheny aber vor allem in seiner Musik, beispielsweise bei der Instrumentierung: eine eigens für ihn angefertigte 42saitigen Pikassogitarre,die wie eine Mischung aus Harfe, Hackbrett und Windspiel klingt, setzt er in "Into the Dream" ein. Doch das innovativste Element der Gruppe bleiben die Kompositionen von Metheny/Mays: Ihr Einfallsreichtum macht die einzelnen Songs zu Reisen in überraschende Klangwelten. Dabei besucht der Hörer Landschaften voll von unberührter, wilder Schönheit, wie in "The Roots of Coincidence", in dem der Gegensatz von akustischen und elektronischen Gitarren aufgehoben scheint. Etwas künstlich klingt "In the Heat of the Day", das mit andalusischen Rhythmen bei gleichzeitigem Einsatz von Sitar viel amerikanischen Sinn für Folklore beweist. Eine Reise birgt immer die Gefahr unschöner Erlebnisse wie dieser, und bei "Imaginary Day" überwiegen die guten Begegnungen: "A Story within the Story" beispielsweise, tatsächlich ein Ausflug für sich. (gan)

Joe Jackson
Heaven and Hell

Joe Jackson zählt zu den Exzentrikern unter den Songwritern. Selten blieb sein Sound lange gleich, Jackson sann immer nach Veränderung. Mit "Night Music" hat er 1994 Fans erschreckt und Kritiker überrascht, weil er sich der klassischen Musik zuwandte. Auch das neue Album ist von Pop weit entfernt. "Heaven and Hell" vereint unterschiedlichste Stilrichtungen, Instrumente und Sänger, thematisch orientiert an den sieben Todsünden. Die Fortsetzung der Einbindung klassischer Elemente und der Auftritt von Gastsängern dominieren dieses Album neben der thematischen Vorgabe. Die Texte sind kurz, die Aussagen konzentriert. Die Musik ist daher entscheidend bei der Umsetzung der Idee der einzelnen Passagen zu den Todsünden. Dies gelingt Jackson recht unterschiedlich. Eher enttäuschend ist der Abschnitt "Anger", musikalisch ganz in der Nähe von Jacksons Stil Ende der 70er Jahre, nicht gerade einfallsreich. Brilliant hingegen "Pride" oder "Envy", da muß man nicht lange auf dem Booklet nachsehen, um welche Todsünde es sich handelt. "Heaven and Hell" ist teilweise anstrengend, manchmal etwas monoton, aber durchweg hörenswert. (papa)

Metallica
Reload

Wie angekündigt, gibt es auf "Reload" keine wirklich neuen Songs. Es werden lediglich die Stücke nachgeschoben, die zum letzten Album nicht fertig geworden waren, Metallica setzen also ihren umstrittenen, den 90ern angepaßten Weg fort. Nichts gegen Soundveränderungen, aber auch die meisten Songs auf "Reload" haben einfach nicht die Qualität, die klassische Metallica Alben wie "Master of Puppets" oder "...and Justice for all" auszeichnete. Viele Stücke wirken unfertig und beliebig, außerdem scheinen der Band die Ideen auszugehen: Vieles trudelt unspektakulär im Midtempofahrwasser daher, das Riff von "Slither" erinnert fatal an "Enter Sandman" und mit "The Unforgiven II" gibt es gar eine lauwarme "Weiterführung" des Klassikers vom schwarzen Album. Doch auch "Reload" hat seine Momente: Etwa den rotzigen Opener "Fuel", das psychodelische "Where the wild Things are" oder die Ballade "Low Man's Lyrik", die durch eine Art Leierkasten ein besonders Flair erhält. So bleibt unterm Strich immer noch ein gutes Rockalbum, dem ich aufgrund größerer Abwechslung gegenüber seinem Zwilling "Load" sogar den Vorzug gebe. (jba)

Jane's Addiction
Kettle Whistle

Sechs Jahre nach ihrer Auflösung meldet sich eine der einflußreichsten Bands der jüngeren Rockgeschichte zurück, wenn es auch vorerst nur eines der mittlerweile sehr beliebten "best of rarities, previously unreleased demos etc." Alben geworden ist. Gegen Ende der 80er etablierten sich Jane's Addiction zu einer Zeit, als Amerikas führende Alternative Band, als diese Szene noch Underground war. Nicht nur aufgrund ihrer klischeefreien Musik, auch wegen des provokanten Outfits wurde das Quartett aus L.A. zum Trendsetter. "Kettle Whistle" vereinigt nun fast alle Klassiker der Band und ist somit ein passender Appetithappen für Neueinsteiger. Aber auch alte Fans können bedenkenlos zugreifen, denn neben bisher unbekannten Demo- und Liveversionen bekannter Songs (incl. einiger unnachahmlicher Ansagen von Perry Farrell) gibt es auch neuen Stoff. Allein schon der Titelsong sowie "So what", beides fein ausgearbeitete, mit tribalartigen Beats und spacigen Gitarrenfetzen unterlegte Kunststücke, lohnen die Anschaffung. Höhepunkt ist für mich das atmosphärische "Slow Divers", eine alte Liveaufnahme . Mal sehen, wie es weitergeht. (jba)


Verpackung? Ja, bitte!

Im Rausch der Hüllen vergangener Zeiten

Samstag, irgendwann im Dezember: Mäntel quetschen sich durch die Hauptstraße, ein Kind sieht nach oben und schreit "Nikolausi". Und während ich unweigerlich an Gerhard Polt denke, bin ich auch schon daran vorbei gelaufen: Das Deutsche Verpackungsmittelmuseum liegt unscheinbar in einem beschaulichen Hinterhof mit Eingang zur Hauptstraße.

Nicht gerade viel los, genau genommen ist außer mir nur noch ein Fernsehteam in den Ausstellungsräumen. In den Glaskästen vor mir liegen die Objekte meiner Begierde: Verpackungen, meist älteren Datums. Und schon bei den ersten Stücken denke ich, daß ich wohl seltener die Verpackungen gleich im Laden lassen würde, wenn auch nur einige davon so schmuck wären wie diese hier. "Caramba - Blechkanister für Schmieröl". Donnerwetter, brauch' ich nicht, würd' ich trotzdem kaufen. Schon der aufwendigen Lithographie wegen. Mann an Zapfsäule, phallisch, bunt - toll. Nebenan Dosen, die eher an Hundeknochen erinnern. Der Erläuterung ist zu entnehmen, daß es sich um Dosen für Schokoladenautomaten handelt. Die Form war notwendig, damit die Dosen im Automaten befördert werden konnten. Schokoladenautomaten! Könnte man mit Phillip Morris nicht darüber verhandeln, ob...

Jetzt wird's knallhart: Autlerpfiff, schon wieder was für den unterdrückten und gezähmten Mann der 90er Jahre. Der Schnaps fürs Autofahren, 35%. Die Verpackung stammt aus dem Jahre 1925, da gab's offensichtlich noch Platz auf den Straßen und keine Alkoholkontrollen.

Der Zeitgeist steckt aber nicht nur in dieser Flasche, er liegt förmlich in der Luft. Reisen, zu Wasser, zu Land und in der Luft - das ist schick. Und wer sein Produkt damit bewirbt, kann sich sicher sein, daß es vom Flair der neuen großen Freiheit profitiert. "Cunard Line, lithographierte Blechdose für Zigaretten", viel zu sperrig für unterwegs, aber im Ohrensessel kann man von der grossen Überfahrt träumen. Oder von einer Überlandfahrt im Citroen-Gangsterwagen. Nebendran eine andere Marke, vorne drauf prangert der Zeppelin. War wohl noch ein paar Jährchen, bevor die "Hindenburg" auf ihre letzte Reise ging...

"Flottenparade, der Feinschnitt für 50 Pf., 1930-1945". Ja auch Hitler wollte verpacken und verpacken lassen. Exakt gescheitelte blonde Jünglinge, dahinter ein deutsches Schiff, nicht unbedingt das, was man klein nennen würde. Und dann der Blick. Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, schnell wie ein Windhund. Wer konnte sowas bloß zeichnen? In einem anderen Raum steht eine Parfümflasche, die mich sofort in ihren Bann zieht. Formschön, farblich nicht das übliche Pißgelb, drumherum ein schlichter Karton. "IA 33, Parfüm. Benannt nach einem Automobilkennzeichen. D 1930." Nebenan eine Cognac-Flasche, Jahrgang 1997. Sieht aber eher aus wie aus der Renaissance.

Zurück auf der Hauptstraße. Jetzt fällt es mehr auf als zuvor: Die Mäntel tragen ja auch Taschen. Ich werde von ihren Trägern beäugt, weil ich auf ihre Einkäufe starre und nicht selten lächeln muß. Die Odol-Flasche sieht noch immer aus wie 1950. (papa)


Theater mit Pfiff

Oscar Wildes "The Importance of Being Earnest"

Algernon Moncrieff ist ein junger dekadenter Dandy der englischen Oberschicht. Um gelegentlich den langweiligen Dinner-Parties mit dem immer gleichen belanglosen Gerede über immer gleichem schalem Whisky sowie seiner Tante Augusta, einem regelrechten Hausdrachen, zu entfliehen, vertreibt er sich die Zeit mit kleinen Eskapaden, die er aber aus Etikettegründen unter einer Zweitidentität als "Bunbury" verheimlicht.

Sein Freund Jack gibt sich als "Ernest" aus. Er ist scharf auf Algernons verwöhnte Cousine Gwendolen. Diese möchte unbedingt einen Mann mit Namen Ernest haben, genau wie die reizende Cecily, dem Mündel Jacks, die behütet auf dem Lande aufwächst. Bei einer der "Bunbury"-Aktionen verliebt sich Algernon sofort unsterblich in sie. Eine wunderbare verwirrte Verwechslungsgeschichte nimmt ihren Lauf, bei der nicht nur Gurkensandwiches auf rätselhafte Weise verschwinden, sondern die windigen Luftikusse Algernon und Jack zu "ernsten" Männern werden...

"A Trivial Comedy for Serious People" lautet der Untertitel der amüsanten Farce, und mit typisch Wilde'schem Witz und (Selbst-)Ironie werden die kleinen Verfehlungen und die Dekadenz der English Upper Class porträtiert. Oscar Wilde, Schriftsteller, gefeierter Salonlöwe und erster moderner Mensch ist es mit "The Importance of Being Earnest" gelungen, geistreichen Wortwitz und hintergründige Aphorismen elegant in eine locker-spritzige Handlung zu packen, ohne dabei Gefahr zu laufen, trivial zu werden.

Die international besetzte Schauspielgruppe des Anglistischen Seminars um Regisseur Alastair Alderton setzt das Stück in enger Anlehnung an das Original in Szene, wenn auch einige Adaptionen etwas frischen Wind in das beinahe schon zum Klassiker avancierte Stück pusten sollen. So wird etwa das Setting von der plüschigen Wilde-Viktorianik in die lebensprallen Zwanziger verlegt - "twenties-fashion" bei den Kostümen gibt dem Ganzen den richtigen Pfiff. Auch die Travestieeinlagen des ehrwürdigen Reverend Chasuble und der Gouvernante Miss Prism dürften für Stimmung im Publikum sorgen. Am Ende sollte dann aber wirklich jedem klar sein, warum es so unendlich wichtig ist, ernst zu sein.

"The Importance of Being Earnest" wird vom 21. bis 27. Januar 1998 jeweils um 20.00 Uhr im Romanischen Keller aufgeführt. Es wird auch Nachmittagsvorstellungen geben, Daten gibt's dann im ruprecht-aktuell! Karten kosten 15 bzw. 10 Mark (Studierendenermäßigung). (kw)


Tragisch

Antigone in MA

Man hört "klassisch" und denkt: na ja, vielleicht doch lieber Party heute. Man hört "Tragödie" und denkt: Ach, ein paar Bier in der Kneipe wären doch auch ein guter Abendfüller.

Wenn nun "klassisch" und "Tragödie" zusammenfallen, scheint ein verstaubter Abend vorprogrammiert. Doch weit gefehlt - zumindest, wenn es um die Aufführung von Sophokles Antigone im Nationaltheater geht.

Der Stoff dürfte jedem Altphilologen bekannt sein: Creon, Herrscher über Theben, hat befohlen, daß nur einer seiner beiden Neffen, die im Kampf gefallen sind, ein ehrenvolles Begräbnis erhalten soll. Der andere, Polyneikes, soll an der Sonne verwesen. Dies will nun Antigone, Schwester des Polyneikes, nicht zulassen und bedeckt dessen Leib mit Erde. Zur weiteren Handlung nur soviel: Am Ende sind viele tot, der Rest in unsäglicher Trauer.

Die Mannheimer Inszenierung verbindet gelungen antike Worte mit zeitgenössischer Darstellung. Bühnenbild: Fehlanzeige. Zwischen den Halteelmenten des Theaterbodens wird die Illusion durchbrochen. Dank sehr guter schauspielerischer Leistuung gehen die Konflikte dennoch unter die Haut. Am 12. Dezember besteht zum letzten Mal die Chance, Antigones Leiden zu teilen. (mg)


Zwerchfell und Gänsehaut

"Jeden Mittwoch Mord" in Mannheim

In der Vorweihnachtszeit metzelt es sich besonders angenehm: Seit Anfang Dezember werden in Mannheim an jedem Mittwoch wieder Tanten vergiftet, Handarbeitslehrerinnen genotzüchtigt und die Liebsten verhackstückt. Peter Baltruschat und Lars Michael Storm gehen an einem Abend über mehr als 160 Leichen (ein von einem Brandstifterpaar kukidenter Balkonrentner angezündeter Zirkus inklusive), und geraten dabei kaum ins Stolpern.

Das Blut strömt allerdings nur in den Texten der Chansons und in der Vorstellung der Zuschauer von den Bühnenbrettern: Die Kulisse im TiG 7 ist auffällig schlicht gehalten, und auf den gefährlich naheliegenden Einsatz von effektheischendem Ketchup und Schreckschußpistolen wurde verzichtet. Statt dessen gelingt die gruselige Stimmung beim "Kriminal Tango" lediglich durch Einsatz von zwei Stablampen, und wenn die schizophrene Ader eines Folterdandys unterstrichen werden soll, reichen dazu zwei Gummihandschuhe, die die Figur gegen ihre Glacés vertauscht. Die Devise "weniger ist mehr" gilt auch für die musikalische Begleitung: Die instrumentale Begleitung hat man auf ein Keyboard beschränkt - von Joe Völker phantasiereich gespielt. So bleibt zwischen den vielen mitreißenden, schwungvollen Chansons auch Zeit für nachdenkliche Momente: Der Zuschauer wird hin- und hergerissen zwischen kreislerischen Schwänken und Texten von Wedekind, die das Lachen einfrieren lassen.

Also kein Abend des verblödeten Gelächters. Wenn das Chansonierduo bei seinen Moritaten Leuteschinder und Kretin mimen, ist es die gelungene Art des Vortrags, die amüsiert - und im nächsten Moment, wenn der Zuschauer über den Text nachdenkt, spürt er die Gänsehaut. Da stört es auch nicht sehr, wenn bei tiefschwarzen Texten von Qualtinger der Dialekt nicht ganz durchgehalten wird; im nächsten Moment beanspruchen Verse wie "Lustig ist die Jägerei - Lotte war im Weg dabei" das Zwerchfell des Publikums.

Am Heiligabend kann man sich mit dem Mordsspektakel die kitschigen Weihnachtsohrwürmer austreiben. Totenstill wird die Nacht auf diese Weise aber bestimmt nicht: Himmlische Ruhe gibt es bei dieser musikalischen Gratwanderung zwischen Nachdenklichem und Satire nur für die Opfer in den Texten der Stücke. Ein Mordsspaß.

"Jeden Mittwoch Mord", immer mittwochs um 20:30 Uhr im Tig 7, Theaterhaus im G7, 4b in Mannheim. Karten unter: 0621/392-1404. (gan)


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