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Feuilleton


Arrh! No!! Schmidt!!!

Ist der Mythos des deutschen Großschriftstellers am Ende?

Es ist schon mutig, ein Buch herauszugeben, das nie geschrieben wurde. 25 Jahre hat Arno Schmidt an dem Buchprojekt "Lilienthal" herumgeplant, Material gesammelt, dieses dann doch wieder in anderen Büchern verbraten, mal eine Seite geschrieben, ein paar Zettelkästen angelegt und es dann doch auf später verschoben. Mal hängt es ihm "nicht nur zum Halse" heraus, dann wieder hält er die Durchführung des Riesenprojekts doch für möglich. Jetzt erscheint es im Haffmans Verlag. Was fasziniert so an Arno Schmidt, daß man schon ungeschriebene Bücher von ihm veröffentlicht?

Aus dem Krieg zurückgekehrt, setzte sich Arno Schmidt "Duden's nicht achtend" an die Schreibmaschine, um endlich zu werden, was er schon immer hatte sein wollen: Schriftsteller. Es galt, die durch den Krieg verlorenen Jahre aufzuholen - mit erbarmungslosem Fleiß. Fünfzehn Jahre später hatte er es geschafft: Er war der Held seiner Leserschaft - und das Haßobjekt seiner Feinde.

[Arno Schmidt 1936]
   Bild des Künstlers als junger Mann 1936 in der Lausitz  

Wie kein anderer Nackriegsschriftsteller polarisierte Schmidt das Publikum. Während 'konkret' überzeugt war, er sei "mit Abstand Deutschlands bedeutendster Prosa-Autor der mittleren Generation" schrie der Mannheimer Morgen auf: "Gott schütze die deutsche Literatur!" Im Mai 1959 machte der SPIEGEL eine Titel-Story über ihn, Überschrift: "<<,;.-:!-:!!>>". Schmidts experimenteller Umgang mit Sprache wurde als "Kalauer und Schüler-Blödeleien", als "unüberbietbare Sprachverschluderung, wirres, ekles Gestammel" und "pathologisches Gekritzel" angefeindet oder als die "Summe der nach dem letzten Krieg in der Literatur versäumten formalen Möglichkeiten" hochgejubelt.

Doch für all das, so verkündete Schmidt, interessiere er sich überhaupt nicht. Der "Würgklichkeit" hatte er spätestens seit der Erfahrung des Krieges abgeschworen. "Ich habe im Zimmer weit größere Freiheit, als draußen; und die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the rest is a nightmare." Das wahre Leben war für den selbsternannten "Wortweltnbauer" das "längere Gedankenspiel", also die Flucht in eine möglichst detailreiche und ausgeklügelte Phantasiewelt. Von ihm selbst wohl während seiner Militärzeit und der Kriegsgefangenschaft als Überlebensmittel genutzt, wurde das "längere Gedankenspiel" jetzt zum Lebenscredo: "Das muß'n armer Mann sein, der, im Lauf seines Lebens, sich nich mindestens 3, 4 kommplette Welltn, inclusieweMühtollogie aufbaut!".

Und so zog er sich, sobald er das Geld mühsam mit Radioprogrammen und anderen literarischen Brotarbeiten angeschafft hatte, in eine Hütte in Bargfeld zurück. Im Flachland um das Dörfchen fand er , was er suchte: "Wieseneinsamkeiten". "Mir war schon als Kind nichts lieber, als weite Ebenen, mit Haide bedeckt, Moor eingemischt, darin Kiefernwaldungen auf Sandboden; kurzum karge, menschenleere Öde", schrieb er in den Materalien zu einer Selbstbiographie. Er wählte die Isolation bewußt, denn "nur ungestört (und alles, was von außen kommt, ist, nach dem man genug gelebt hat, Störung!) kann man ganz der werden, der man ist." Von dort ließ er nur selten etwas verlauten, ansonsten vergrub er sich unter Büchern und Arbeit.

Eine literarische Schwerstarbeit, die ihm sichtlich zusetzte. Als sein Hauptwerk "Zettels Traum" nach fünf Jahren fertig war, wog es 9 Kilo. Auf 1330 Seiten DIN A 3 hatte Arno Schmidt einen einzigen Tag (!) beschrieben. 120 000 Zettel, auf denen er literarisch-sprachliche Kleinstideen festgehalten hatte, waren die Basis des Textes. Das erste halbe Jahr hatte er 14-16 Stunden daran gearbeitet; dann war er zusammengeklappt und hatte acht Tage lang nur geschlafen.

Daß "Zettels Traum" praktisch unlesbar, ja größtenteils überhaupt nicht mehr dechiffrierbar war, störte ihn nicht im geringsten. Denn schließlich, so rechnete er der erstaunten Öffentlichkeit vor, existiere sowieso nur eine ernstzunehmende Leserschaft in der Größe der dritten Wurzel aus p (Population). Er habe also in der BRD höchstens 390 Leser, die sein Werk verstünden.

Damit war ein wesentlicher Grundstein zu seiner Verkultung gelegt: Wer seine Bücher nicht mochte, der verstand sie nicht. Diese Einsicht wurde unumstößliches Dogma der Schmidt-Gemeinde. An die Stelle der Lust am Lesen war die literarische Ostereier-Suche getreten.

An Selbstvertrauen hat es Schmidt nie gemangelt. Den Journalisten erklärte er ganz ungeniert: "Ich finde niemand, der so oft recht hätte wie ich". Die Dichterkollegen, die im Gegensatz zu Poe, Joyce und Lewis Caroll nicht seinem literarischen Götterhimmel angehörten, sahen sich harter Kritik ausgesetzt. Nur wenige Autoren kamen ungeschoren davon. So manchen erwischte es böse: Goethe - "Rumpelkiste", Balzac - "Kein Dichter, kein Verhältnis zur Natur", Schiller - "dialogisierte Kriminalromane", Platon - "voller stillistischer und philosophischer Plattheiten" etc. Schmidt war nicht nur davon überzeugt, dies alles beurteilen zu können, auch an seiner eigenen Genialität hat er nie gezweifelt.

Und so taucht dann in einem späteren Roman sein eigenes Meisterwerk ZT (Zettels Traum) als "...dies (schon legendäre!) RiesenBuch; das vom Alltäglichen, (ja, dem Herrlichstn=SubAlläglichn ! ), der alltn Zeitn redit!...?" auf. Daß Schmidt den Verfasser des "Überbuchs" den Namen "TIMON d'ARSCH" (ein Anagramm Arno Schmidts) gibt, zeugt von gewisser Selbstironie.

Wie aber läßt sich seine Literatur beschreiben? Praktisch gar nicht! Also, versuchen wir's mal: Sie besteht aus zwei Bausätzen: 1. dem spielerischen bis verkünstelnd-verdrechselnden Umgang mit der Sprache und 2. dem Prinzip der Meta-Literatur, soll heißen: Schmidts Bücher haben kaum (oder nur unwichtige) Handlung. Das eigentlich wichtige sind die geäußerten Reflexionen über Literatur. So ist beispielsweise "Zettels Traum" als riesiges Buch über Edgar Allen Poe zu lesen. Über den unterhalten sich die Hauptfiguren nämlich bei jeder Gelegenheit ("AH! Pro:Poe;")

Daß es sich bei seinen "Anekzot'n" nicht um Kalauer handle, erklärte Schmidt anhand der "Etymtheorie". Ihr zufolge sind die Worte im menschlichen Gehirn nicht semantisch, sondern phonetisch gelagert. Ein Umstand, den sich die Werbung längst zunutze gemacht habe, man denke nur an "Rama"- wem fiele da nicht der gute Rahm ein ("oder ein englisch-rammelndes 'rum'")? Es sei endlich an der Zeit, daß auch die Literatur diese Chance nutze, um hinter das Vordergrundgeschehen einen phonetischen Echoraum zu blenden, der das Unbewußte des Lesers unbemerkt bearbeite. Der Leser solle sich dann, nachdem er von POlitik, POesie, POlemik, LiPOsomen und HiPOkrates gelesen habe, mit einem unbewußt mitschwingenden "Po-Po" im Ohr aus dem Sessel erheben. Ziemlich verschroben? Allerdings! Daß Schmidt mit dieser Theorie im Nacken bei seinen literarischen ANALysen Poes und Karl Mays mehr hinein- als herauslas, dürfte kaum überraschen.

In seinen eigenen Werken -besonders dem Spätwerk- nahm die Sprachverdrehung gar kein Ende mehr. Bisweilen wurde ihm deswegen vorgeworfen, er imitiere Joyce, vor allem dessen 'Finnegan's Wake'. Ein Vorwurf, den Schmidt brüsk zurückwies: Er selbst schrieb, es bestehe "natürlich nicht die geringste Ähnlichkeit!". Natürlich.

[Arno in den 70ern]
In Leder: Schmidt in den 70ern

 

Trotz oder gerade wegen der Körperfremdheit ("Ich habe immer das Gefühl, als wenn "ich" mich etwa in Kopfhöhe hinter "mir" befände.") des selbsternannten "Gehirntiers" strotzten seine Bücher von Tabubrüchen. Mit seiner derben Erotik und seinem Interesse für alle Defäktions- und Drüsenaktivitäten des menschlichen Körpers war er schnell zum Feindbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft geworden. Und natürlich ließ er sich auch nicht nehmen, den literarischen Halbgott dieser Gesellschaft Thomas Mann auf eine schriftliche Anfrage hin gnadenlos abzufertigen. Mann habe, so Schmidt trocken, "sprachlich nie etwas gewagt"; ihm sei "jeder Expressionist" voraus gewesen. (Wer wollte ihm da wiedersprechen? Aber lassen wir das.).

So entwickelte sich Arno Schmidt immer mehr zum Kultobjekt einer links-intellektuellen Leserschaft, die sich gerne mit der Feder schmückte, zu den 390 literarisch verständigen Menschen der Republik zu gehören. 1970 nahm das A.S.D.S. (Arno-Schmidt-Dechifrier-Syndikat) seine Arbeit auf. Ab 1972 erschienen in der eigens gegründeten Zeitschrift "Bargfelder Boten" die neusten Nachrichten und Entschlüsselungen aus dem Kosmos des "Wortweltnbauers". Versteht man wie Umberto Eco einen Roman als eine Maschine, deren Aufgabe darin besteht, möglichst viele Interpretationen zu produzieren, so haben Schmidts Bücher zumindest diese Aufgabe bewältigt: neben dem Bargfelder Boten ergossen sich zahlreiche weitere Ströme der Sekundärliteratur, mündend im Ozean der Meta-Meta-Literatur.

Doch die Liebe zwischen den Linken und Arno Schmidt, dem orthodox atheistisch und antiklerikalen Entlarver und Verhöhner des Spießertum geriet Ende der sechziger Jahre in äußerst unruhige Gewässer. Er, der sein Leben lang mit kompromißlosem Fleiß für den ewigen Ruhm gearbeitet hatte, mußte mit Entsetzen feststellen, daß die Jugend sich einen Scheißdreck für die Ewigeit interessierte, für den von Schmidt geforderten erbarmungslosen Fleiß bei der Aneignung der Kulturgüter nicht zu haben war, sondern sich im Sumpf der Empirie den Freuden des Lebens hingab. Umgekehrt mußten sich die Linken über eine immer weiter fortschreitende Verspießerung ihres einstigen Idols wundern. Zum endgültigen Bruch mit den Linken kam es anläßlich der Goethepreisrede 1973. Hier ließ er von seiner Frau verlesen (er selbst war lieber in Bargfeld geblieben), "unser ganzes Volk, an der Spitze natürlich die Jugend," sei "mitnichten überarbeitet, vielmehr typisch unterarbeitet". Und weiter: "Ich kann das Geschwafel von der 40 Stunden Woche nicht mehr hören: meine Woche hat immer 100 Stunden gehabt." - eine Ohrfeige für die Linken. Die wahren Schmidtianer blieben dem Meister trotz allem treu ergeben.

Und heute? Da bringt der Haffmans Verlag ein enorm aufwendiges Kompendium heraus, läßt vom Herausgeber Bernd Rauschenbach alles zusammentragen, was mit dem großen Buchprojekt "Lilienthal 1801" zu tun hat, - und keinen interessiert's. Außer den Schmidtianern natürlich. Man stelle sich derartiges bei Mann oder Hesse vor! Mit der Edition der Lilienthal-Fragmente scheint eine Ära zu Ende zu gehen, Höhepunkt und Endpunkt der Schmidt-Verkultung in einem. (fw)

Arno Schmidts "Lilienthal 1801. oder Die Astronomen", Haffmans Verlag Zürich, 172 Seiten, 180 DM.


Perser

Kalila und Dimna

Zwei Hochschullehrer der Heidelberger Uni übersetzen einen persischen Bestseller aus dem 12. Jahrhundert.

"Womöglich das älteste, auf alle Fälle aber eines der ältesten Bücher der Welt" hat Professor Seyfeddin Najmabadi nach eigenen Angaben mit Siegfried Weber übersetzt. Die Fabelsammlung mit dem Titel "Kalila und Dimna" ist über Jahrhunderte in die verschiedensten Sprachen übertragen worden. Der ursprüngliche Text war in Sanskrit, der alten Brahmanen-Sprache Indiens verfaßt worden. Von dort wurde sie ins Mittelpersische und Arabische übersetzt. Dabei reicherten die Übersetzer den Text mit Koran-Zitaten und anderen lehrreichen Sentenzen an. Im Mittelalter entstanden auch Übersetzungen ins Lateinische.

[Als Kaligraphie]
   "Kalima und Dimna" als Kaligraphie  

Es ist erstaunlich, daß eine moderne Übersetzung des Buches, das in der islamischen Welt mindestens so bekannt ist wie die Märchen aus tausend und einer Nacht, erst jetzt vorliegt.

Die Übertragung der persischen Version, die die beiden Iranisten am 30.4. im iranischen Kulturzentrum vorstellten, wirkt stellenweise etwas künstlich an die Umgangssprache angelehnt. Das schmälert jedoch die Leistung der Übersetzer nicht, die an der Übertragung der Gedichte und arabischen Einflechtungen schwer zu knabbern hatten. Die zahllosen oft vier- und fünffach ineinander verschachtelten Geschichten bereiten echten Lesespaß. (fw)

(Kalila und Dimna, Beck-Verlag, 49. 90 DM)


ruprecht goes to the movies

Filmtips - und vor allem Meinungen

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:

kein ruprecht - nicht empfehlenswert
ein ruprecht - mäßig
zwei ruprechts - ordentlich
drei ruprechts - empfehlenswert
vier ruprechts - begeisternd

absolut power (3)

Vorsicht: Der Titel des Streifens klingt nach der Art Action-Schrott, wie ihn die Amerikaner ebenso mühelos wie regelmäßig in unsere Kinos schicken. Doch wenn ein Film von und mit Clint Eastwood ist, denkt sich der Zuschauer, könnte sich vielleicht doch etwas Ordentliches dahinter verbergen. Und tatsächlich: Eastwood brilliert als alternder Meister-Einbrecher, der zufällig Zeuge eines Mordes wird und bald darauf in größte Schwierigkeiten gerät, weil in den Mord kein Geringerer als der Präsident der Vereinigten Staaten verwickelt ist. Den spielt Gene Hackman, der in Hollywood inzwischen auf die Rolle des intensiven Bösewicht abonniert ist, überzeugend wie immer. Nur sieht er halt so sehr nach Gene Hackman aus, daß es ein wenig schwer fällt, sich den US-Präsidenten vorzustellen. Schade ist, daß Hauptdarsteller und Zuschauer von Anfang an alles wissen und durchschauen, so daß relativ wenig Überraschungen bleiben, was etwas von der Spannung wegnimmt. Dennoch erweist sich "Absolute Power" als gutgemachter Thriller, der, was heutzutage selten geworden ist, ohne explodierende Autos und stundenlange Schießereien auskommt, sich aber ein gelegentliches Augenzwinkern gönnt. (ah)

2 Tage L.A. (4)

Zwei Bullen, einer neurotisch, der andere scharf auf Detektivspielchen. Zwei Gangster, einer Profikiller, der andere nicht viel mehr als ein Pizzabäcker mit schlecht sitzendem Toupet. Zwei Frauen, eine läßt ihren Mann umbringen, die andere ist Gehilfin des Killers. Dazu noch ein arroganter Manager mit Nierenproblemen, eine unterwürfige Sekretärin, eine Krankenschwester und ein paar Statisten. Viele Figuren, deren Leben scheinbar nichts gemeinsam haben, werden ins Spiel gebracht und zum Teil auf irrwitzige Weise zusammengeführt. 2 Tage L.A. ist ein perfekt inszenierter, gut ausgetüftelter Episodenfilm. Voll von Überraschungen, unerwarteten Wendungen, spannend und witzig bis zur letzten Szene. (papa)

Wilde Kreaturen (3)

Vielleicht liegt es daran, daß die Tiere in "Ein Fisch namens Wanda" allesamt kein sonderlich glückliches Ende erleben durften: Jedenfalls dreht sich im neuen Film von John Cleese alles darum, einen Zoo zu erhalten. Beim engen Kontakt mit den Bestien stellt sich ganz schnell heraus, daß die eigentlichen Wilden ihre spärlich behaarten zweibeinigen Freunde sind - und folgerichtig landet Direktor Rollo, gespielt vom britischsten aller Monthy-Pythons, Cleese selbst, samt seinem Büro im Käfig. Gar nicht so einfach, einen der erfolgreichsten englischen Filme in die Kinos zu bringen und dann nicht der Versuchung zu erliegen, eine Fortsetzung zu drehen. Aber "Wilde Kreaturen" ist kein Wanda-Abklatsch. Zwar sind die Hauptrollen vom gleichen Team besetzt, aber ganz anders verteilt: Statt Mr. Fawlty Towers ist jetzt Jamie Lee Curtis als (karriere-) geile Managerin die einzig halbwegs Normale, Wanda-Stotterer Michael Palin hört nicht mehr auf zu reden ("Ein Ameisenbär gratis beim Kauf von zwei überteuerten T-Shirts"), und Kevin Kline, der seit der Pommes-Frites-Folter einen Oscar zu Hause hat, darf sogar zwei Charaktere spielen.

Kein Film, der für die Ewigkeit ist - aber ewig viel Spaß macht. (gan)

Lone Star (4)

Auf einem alten Schießplatz in der texanischen Wüste finden zwei Männer ein Skelett: die Überreste des alten Sheriffs der Gegend, der vor vierzig Jahren mit der Gemeindekasse verschwand und in der Erinnerung der Menschen als korrupter Blutsauger weiterlebte. Inzwischen hat den Posten der Sohn des Widersachers und Nachfolgers des tyrannischen Gesetzeshüters inne, Sheriff Deeds junior.

Sein Vater ist zum Mythos für Gerechtigkeitsliebe und Prosperität des Ortes geworden. Als Deeds versucht, die Rolle seines Vaters beim Verschwinden des alten Sheriffs herauszufinden, stößt er auf immer neue Widersprüche - bis aus der Routineermittlung eine Suche nach der eigenen Vergangenheit geworden ist.

Unter dem Steppensand ist mehr als nur ein paar bleiche Knochen begraben. Die Wahrheiten, die Deeds schließlich entdeckt, sind ganz andere, als er finden wollte: er begreift, daß allzu menschliche Zwänge den Vater bei seiner Erziehung leiteten.

Fazit: Regisseur John Sayles ist mit Lone Star eine fast schon zu schön erzählte, dichte Story gelungen, die trotz Themen wie Rassismus und dem Generationenstreit den moralischen Zeigefinger und Happy-end-Schmalzerei ausläßt. (gan)

Zeit der Sinnlichkeit - Restoration (2)

Männer mit Lockenperücken, wohlfrisierte Damen in wallenden Gewändern, pompöse Musik, prunkvolle Gemächer und viel Gold: ein Film von Michael Hoffmann so bunt wie der Hof Charles' II. von England um 1660.

Nicht jedem jungen, aufstrebenden Arzt ist es vergönnt, eigenhändig das schlagende Herz eines lebenden Menschen zu berühren. Merivel (Robert Downey jr.) tut es. King Charles ist begeistert und ruft ihn an den Hof. Der eifersüchtigen Gattin wegen verheiratet Charles den hörigen Lakaien kurzerhand mit seiner Maitresse - Voraussetzung: Die "Sinnlichkeit" bleibt dem König vorbehalten. Das Unvermeidbare geschieht: Der Frauenheld verliebt sich in die eigene Frau... - Aus dem Hofarzt für Hündchen wird ein Irrenarzt und Musiktherapeut bei Quäkern, schließlich arbeitet er als Pestarzt.

Der Stoff ist nicht neu, doch wem bei Historienschinken über Liebe und Tod, Auf und Ab des Lebens, Taftröcke und Spanieldamen kein Schauder über den Rücken läuft, wer schon immer mal Hugh Grant mit Löckchenperücke und Schönheitsflecken oder Meg Ryan als irre Irin sehen wollte, kann diesem Film durchaus einen Sonntagabend widmen; er ist besser als sein Titel verspricht. (cw)


ruprecht on the record

Musiktips

...but alive:

Bis jetzt ging alles gut

Als die Split -Single "Ich will Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen" erschien (die anderen "Quotenhuren" kommen übrigens auch nicht viel besser weg), konnten sich die ...but alive-Freunde sicher sein, daß die Hamburger Indie-Band auch auf ihrem dritten Album Tacheles reden würden. Und in der Tat: Auf "Bis jetzt ging alles gut" legen die Herren aus Hamburg nicht nur den Finger in die Wunde, nein, sie puhlen auch noch kräftig darin herum. Zeilen wie "Alles, was du nicht brauchst, muß genügen" gehören wohl zum Besten an deutschsprachiger Underground-Lyrik der Gegenwart. ...but alive schwingen nicht den moralischen Zeigefinger. Dennoch fühlt sich der Hörer auf Schritt und Tritt ertappt.

Die dritte CD ...but alive stellt gleichzeitig ein Debüt dar. Es ist die erste, die die Hamburger Band auf ihrem eigenen Label (B.A. - Records) herausgebracht haben.

Musikalisch paßt auch die neue ...but alive in keine Schublade: Wurzeln im Punk und Einflüsse aus dem SKA sind unüberhörbar, doch der schnelle, gitarrenlastige Sound bleibt unkategorisierbar. Also: kaufen, selber hören! (fw)

Buckshot LeFongue:

Music Evolution

"Add a little this, take out a little that. Than you come up with that jazz called rap"

Das gibt Branford Marsalis mit auf den spannenden Weg durch seine neueste CD. Wer nur Jazz-Hiphop- erwartet, wird getäuscht: Selten findet man Künstler wie Marsalis, die das Wagnis eingehen, Titel in verschiedenen Musikgenres auf einer CD, sogar im gleichen Stück, zusammenzubringen: ruhigen Soul-Pop mit Streichern, von Hiphop-Groove unterlegt oder Beebop-Bläsersätze im Jungle-Groove. Nach jedem Titel muß der Zuhörer auf alles gefaßt sein: Einem Saxophon-Solo über Sample-Grooves folgt gitarrenstarker Hard-Core-Rap, darauf eine Ballade im Stevie-Wonder-Sound. Bei so vielen Einflüssen dürfen die Originale nicht fehlen: So duellieren sich David Sandborn und Marsalis über James-Brown-Bläsersätze oder G.U.R.U., mit seinem Projekt Jazzmatazz einer der großen Wegbereiter des Hiphop-Jazz, interveniert als Gast-Rapper. Mit Leichtigkeit und viel Witz kombiniert Marsalis Samba-Motive und Hiphop und verabschiedet sich schließlich ganz in Coreas Electric-Light-Orchestra-Manier. (jm)

Bobby McFerrin:

Circlesongs

Einer allein eine Band - Bobby Mc Ferrin glänzt bei seinen Soloauftritten durch seine Gabe, eine Vielzahl von Stimmen und Geräuschen alleine produzieren zu können. Im Zusammenspiel mit anderen hat er sich nie festlegen lassen. Mal Pop, mal Jazz und zuletzt auch Klassik, McFerrin beherrscht alle Bereiche und fügt ihnen seine unverwechselbare Färbung hinzu. Das neuste Produkt McFerrins besteht aus acht A capella-Aufnahmen, die weder eigentlichen Titel noch Text haben. Formal gesehen sind die Stücke alle gleich aufgebaut, sie haben eine Grundsequenz, die nur aus 4 Takten besteht. Man könnte daher Monotonie und Langeweile erwarten, doch das Gegenteil ist der Fall. Für ein voluminöses und vielschichtiges Fundament sorgen 12 Sängerinnen und Sänger aus aller Welt. Darüber legt McFerrin in gewohnt ungewohnter Weise Klänge aus allen Tonlagen. "Circlesongs" hat etwas ungemein Beruhigendes an sich, wohl auch wegen der einfachen Grundsequenz und den eingängigen Rhythmen; Ähnlichkeiten mit Gospelsongs bestehen. Die Detailstärke des Ensembles macht aber auch bei konzentriertem Zuhören große Freude. (papa)

Glenn Gould:

Bach: Italienisches Konzert

D. Scarlatti: Sonaten

Glenn Gould hörte mit 30 auf, Konzerte zu geben. Die Situation des Konzerts sei sadistisch gegenüber dem Solisten, und der Zuschauer (besonders die fachkundige Konkurrenz) hoffe nur darauf, daß er sich endlich kräftig verspiele. Außerdem mache die Perfektionierung der Tontechnik den Konzertsaal völlig unnötig. Also widmete sich Gould völlig der Arbeit im Tonstudio.

Ständig begann er neue Projekte (Gesamtaufnahme der Skriabin-Klaviersonaten, Gesamtaufnahme der Liszt-Transkriptionen der Beethoven-Sinfonien), um sie nach kurzer Zeit wieder abzubrechen.

So blieben den vom Perfektionisten Gould entnervten Herren von Columbia-Records ständig Aufnahmen übrig, die nur schwer zu einem sinnvollen Album zusammenzustellen waren. Ähnlich bei den nun auf CD erschienen Aufnahmen. Wer Goulds klaren Stil mag, wird hier großes Hörvergnügen haben. Was soll man sagen? Gould zu loben wäre einfach anmaßend! (fw)


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