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Interview


Weltenbummler und Landkind

Politikwissenschaftler Klaus von Beyme nach seiner Emeritierung auf Tahiti?

Klaus von Beyme wurde am 3. Juli 1934 in Schlesien geboren und machte 1954 sein Abitur in Celle. 1956 bis 1961 studierte er in Heidelberg, Bonn, München, Paris und Moskau, danach ein Jahr in Harvard. Nach Promotion und Habilitation in Heidelberg war er 1967 bis 1973 Professor der Politikwissenschaft in Tübingen. Abgesehen von Gastprofessuren in Stanford und an der Ecole de science politique in Paris ist er seit 1974 Professor in Heidelberg gewesen. Als bisher einziger Deutscher war er 1982 bis 1985 Präsident der International Political Science Association (IPSA). Seine zahlreichen Publikationen umfassen vor allem die Arbeitsgebiete Politische Theorie, Vergleichende Regierungslehre und das politische System der Bundesrepublik. Vergangenen Mittwoch verabschiedeten sich in seiner letzten Vorlesung die Studenten mit 200 Rosen von ihm.

ruprecht: Herr Professor von Beyme, seit vielen Jahren gelten Sie, wie eine Studie erst kürzlich wieder belegte, als der führende deutsche Politikwissenschaftler. Sind Sie darüber eigentlich ein klein wenig eitel?

von Beyme: Eitel hoffe ich nicht, aber daß ich mich nicht freue, das wäre auch zuviel gesagt. Ich kann das aber interpretieren: Reputationsanalysen werden nämlich vom Durchschnitt der Lehrenden in dem Fach gemacht, und diese sind alle sehr spezialisiert. Es gibt dann wenige, die auch allgemeiner bekannt sind. In so einer Umfrage kommt zum Beispiel ein internationaler Politikspezialist immer ganz schlecht weg, weil die anderen überhaupt nie ein Buch von ihm gelesen haben. Aber wenn einer in zentralen Gebieten wie der Bundesrepublik und der Vergleichenden Regierungslehre arbeitet, hat er größere Chancen da gut wegzukommen.

ruprecht: Aber es gibt auch andere, die ein breites Spektrum bedienen...

von Beyme: ...die anderen sind dann ja auch genannt worden.

ruprecht: Sie haben zunächst eine Verlagsbuchhändlerlehre begonnen, sich dann aber 1956 entschieden, Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie zu studieren. Warum ausgerechnet Politikwissenschaft?

von Beyme: Ich habe ja zunächst mit Jura angefangen, aber nebenbei Soziologie und Geschichte studiert - Politik gab es noch nicht. Meine Lehre habe ich auch nur gemacht, weil meine Eltern sagten, wir haben kein Geld. Ich wollte aber studieren und habe mir dann ein Stipendium besorgt. Dann hieß es: Studiere doch was Rechtes! Und was ist denn recht? Natürlich das Recht. Ich hätte am liebsten Kunstgeschichte, Germanistik und so schöne Sachen studiert. Aber meine Eltern sagten: Junge, damit wirst Du nichts. Da habe ich dann vier Semester Jura studiert und abgebrochen. Sie dürfen es ruhig weitersagen: Auch ich bin ein Studienabbrecher! Inzwischen hatte Carl-Joachim Friedrich das Institut für Politische Wissenschaft in Heidelberg gegründet. Und was mir an der Jurisprudenz eigentlich immer gefiel, war Öffentliches Recht und das nächste dazu war die Politikwissenschaft - und so kam ich zu diesem Hauptfach.

ruprecht: Sie haben 1959-60 in Moskau studiert.Wie kam es zu dieser doch außergewöhnlichen Studienplatzwahl?

von Beyme: Erst einmal war ich in Paris. Mich haben schon immer andere Länder interessiert und Moskau hat mich ganz besonders interessiert. Die Liebe zu Rußland ist zunächst einmal aus dem Haß entstanden - das Flüchtlingsschicksal nach 1945. Ich hatte keinen Grund, die Russen zu lieben. Aber irgendwie haben sie mich interessiert: Ich wollte wissen, was in ihnen tickt. Ich habe dann während meiner Lehrzeit, als ich mich arg gelangweilt habe, abends einen Volkshochschulkurs in Russisch gemacht. Immerhin hatte ich genügend gelernt, um bei einer Auswahl, dem ersten Austausch mit Studenten in der Sowjetunion, den Adenauer 1956 ausgehandelt hatte, dabei zu sein - und seither interessiert mich das.

ruprecht: Sie waren dann eine Art Pionier in Moskau?

von Beyme: Das waren wir wirklich. Das war unerhört, daß zehn Jahre nach dem Krieg überhaupt Deutsche dahin gekommen sind. Es gab natürlich eine Menge DDR-Studenten. Aber Westdeutsche, das war ungewöhnlich.

ruprecht: Nach sieben Jahren als Professor in Tübingen, sind Sie 1974 nach Heidelberg gekommen und hier, abgesehen von einigen Gastprofessuren, bis heute geblieben. Warum hängen Sie so an Heidelberg? Haben Sie nie das Bedürfnis gehabt, dauerhaft in eine Großstadt zu ziehen?

von Beyme: Nein, ich hatte ja Angebote in Frankfurt und Berlin und habe beide ausgeschlagen. Vielleicht liegt das daran, daß ich in einem Dorf geboren bin, das 200 Seelen hatte und im Grunde immer ein Landkind war. Kleinstädte sind mir überschaubarer und Heidelberg hat mir gefallen: Es ist meine intellektuelle Heimat. Gerade weil ich immerzu herumzigeunert bin, nach dem Krieg in der DDR, dann in verschiedenen Orten im Westen, wollte ich einen Platz haben, wo ich zu Hause bin - und das ist Heidelberg geworden. Und weil ich sehr viel herumreise und mich unaufhörlich in Großstädten aufhalte, mag ich die Kleinstadt zur Erholung ganz gern. Ich hätte damals übrigens auch nach Hamburg gehen können, das wäre auch eine Großstadt gewesen. Und ich jubele noch heute für den HSV, weil das der Verein meiner Jugend in Norddeutschland gewesen ist.

ruprecht: Sie haben ja auch eine Gastprofessur am Wissenschaftszentrum Berlin gehabt...

von Beyme: ...das war ein Jahr Schnupperarbeit. Ich hatte auch das Angebot, den Rest meines Lebens dort zu verbringen, aber mich dann entschlossen, wieder hierher zu kommen. Ein reines Forschungsinstitut ist nichts für mich, weil mir der Kontakt mit den Studenten gefehlt hätte.

ruprecht: Aber in der Hauptstadtfrage haben Sie sich sehr für Berlin eingesetzt.

von Beyme: Das ist ganz normal bei einem Preußen, der im Osten geboren ist. Ich habe in Bonn studiert, aber nie in Berlin. Ich mag Bonn, aber der Stadt wäre das nicht bekommen, wenn sie endgültige Hauptstadt geworden wäre. Dann hätten wir Bonn völlig umgepflügt und vom schönem Rheintal wäre nichts übrig geblieben. Und eine vernünftige Hauptstadt wäre das auch nicht geworden. Wir wissen nicht genau, ob das in Berlin was wird, aber die Chance ist doch größer.

ruprecht: In der breiten Öffentlichkeit herrscht das Vorurteil, Politikwissenschaftler wollen letztlich doch etwas politisch bewegen - nur eben auf einem anderen Weg. Sie selbst haben 1969 für den Bundestag kandidiert. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur praktischen Politik charakterisieren?

von Beyme: Inzwischen sehr distanziert. Was wir machen ist gelegentliche Politikberatung, ohne die Bedeutung dessen zu überschätzen. Da wird man mal zu einem Palaver bei einem Minister eingeladen, ich war einmal bei Helmut Schmidt. Aber ansonsten kann ich mir eigentlich nicht mehr vorstellen, Bundestagsabgeordneter zu sein - das wäre ein völliger Berufswechsel. Damals war ich auch noch nicht erfahren genug. Ich war erst 32 Jahre alt und hatte noch nicht genügend Lebenserfahrung.

ruprecht: Haben Sie es also nie bereut?

von Beyme: Heute kann ich die Entscheidung der Mehrheit der Deligiertenkonferenz nur segnen, daß sie den Platzhirsch genommen haben.

ruprecht: Wie stark ist denn der Einfluß der Politikberatung durch Politikwissenschaftler?

von Beyme: Das kommt darauf an. Wenn das zum Beispiel Fraktionsexperten sind, was mir eigentlich immer am liebsten war, dann haben die gut zugehört. Die schmauchten an ihrer Pfeife und ich auch - und es war ein gutes Gespräch. Aber Anhörungen im Bundestag, das ist eine Schau, das hat überhaupt keine Bedeutung. Und ich würde sogar sagen, unser wichtigste Einfluß ist, wenn uns frühere Schüler einladen und man seine Meinung überbringen darf. Wenn man Glück hat, verkünden die dann so etwas ähnliches in den Medien. Das ist der indirekte Weg, mit dem man heute etwas beeinflußt.

ruprecht: Sie haben den Lehrstuhl von Dolf Sternberger übernommen, der das Ziel der Politik im Frieden sah. Was ist Ihrer Ansicht nach das Ziel der Politik?

von Beyme: Gegen Frieden ist niemand - da kann ich Sternberger durchaus zustimmen. Aber es gibt noch ein bißchen speziellere Punkte und damit würde ich auch von Sternberger abweichen.

ruprecht: Und was ist dann Politik?

von Beyme: Konfliktschlichtung. Konfliktschlichtungen durch Institutionen, aber auch durch die Schulung von Verhalten.

ruprecht: Als Vorsitzender der IPSA und durch Ihre Gastprofessuren haben Sie auch ausländische Hochschulsysteme kennengelernt. Obwohl die Zeit der großen Demonstrationen vorbei ist, bleibt doch viel Kritik am deutschen Universitätssystem. Wie würden Sie die Lage der deutschen Universitäten im Vergleich zum Ausland beurteilen?

von Beyme: Das französische System mit seinen Paukbetrieben, mit seiner sehr stark verschulten Art, das dann zwar viel Elitenauslese macht, aber ansonsten homogen aussieht - das alles würde ich nicht gerne nachmachen. Die Niederländer und Skandinavier haben einiges Gutes, in der Regel durch die Anpassung an Amerika. Was ich mir nicht wünsche, sind Studiengebühren in der Höhe der Amerikaner, damit das gleich klar ist. Aber auf der anderen Seite bin ich der Meinung, daß man eine Studiengebühr in Höhe von etwa 2.000 DM braucht - davon ist das arme Drittel natürlich ausgenommen. Denn was nichts kostet, ist nicht sehr hoch geschätzt, und wir könnten einfach mit dem Geld eine Menge machen.

ruprecht: Und wie sieht es generell mit der Qualität der Lehre und Forschung aus?

von Beyme: Die ist im Durchschnitt natürlich gut und ist in Heidelberg sicherlich besser als im Southern Baptist College in Boulder. Darum geht es aber nicht. Wir wollen ja auch nicht diese Extreme hier. Wir denken immer an Harvard oder Yale und verkennen, daß es da Tausende von Colleges gibt, die vielleicht gerade einmal Abiturniveau erzeugen. Also: Das kann man nicht vergleichen.

ruprecht: Wo würden Sie Reformen ansetzen?

von Beyme: Überall. Erstens: Entbeamtung. Zweitens: Abschaffung der Habilitation - ein Schrei der Kollegen!

ruprecht: Und was noch?

von Beyme: Daß man vor den Magister einen Bachelor schiebt. Daß auch viele, die eigentlich nicht so furchtbar scharf sind, furchtbar lange und eifrig zu studieren, einen Titel kriegen. Der ist dann nicht berufsqualifizierend, aber mein Gott, daß ist im Grunde kein Studium bei uns. Was man lernt, ist Lernen lernen.

ruprecht: Was müßte sich konkret ändern?

von Beyme: Zum Beispiel: Jetzt hockt man in einer Vorlesung und es ist ein intellektuelles Sportabzeichen, indem man sich einen Sitzschein geben läßt. Der Prof hat keine Ahnung, ob der Mensch wirklich da war. Und wenn er es nicht gar zu dolle treibt, unterschreibt man. Das ist eine Verschleuderung von Ressourcen.

ruprecht: Ihre Vorstellungen entsprechen damit ziemlich genau dem angelsächsischen Modell.

von Beyme: Vieles ist aus Amerika. Aber mit wohlfahrtsstaatlichen Linderungen der Mängel des amerikanischen Modells.

ruprecht: In Ihrer Vorlesung scherzten Sie einmal, daß Sie sich nach Ihrer Emeritierung wahrscheinlich in Tahiti aufhalten werden. Wo werden wir Sie denn im nächsten Semester nun antreffen?

von Beyme: Hier in Heidelberg. Mein Nachfolger ist ja nicht da, das dauert ungefähr ein Jahr. Ich werde hier bleiben im Winter, allerdings mit Unterbrechungen: Ich habe einige Verpflichtungen im Ausland. Und im Sommer werde ich vielleicht wieder etwas ankündigen.

ruprecht: Werden Sie auch weiterhin Vorlesungen machen?

von Beyme: Nicht immer Vorlesungen, aber Seminare - je nachdem. Ich werde furchtbar viele Prüfungen haben. Es ist nicht so, daß ich arbeitslos werde.

ruprecht: Wie lange wollen Sie noch arbeiten?

von Beyme: Bis daß der Tod uns scheidet. Es kommt auch darauf an, wie gesund ich bleibe.

ruprecht: Derzeit wird viel spekuliert, wer denn Ihr Nachfolger sein wird. Einmal abgesehen davon, wer es letztlich tatsächlich wird, wen würden Sie sich persönlich als Nachfolger wünschen - Sie haben die freie Auswahl!

von Beyme: Mein geistiger Nachfolger ist eigentlich schon da: Professor Wolfgang Merkel. Der neue Professor, der mir jetzt auf meinem Lehrstuhl nachfolgt, muß Manfred G. Schmidt [Professor in Heidelberg 1987-1997 - Red.] ähnlich sein. Ich würde mir jemanden wünschen, der - wie Schmidt - obwohl er Quantitativist ist, darüber den Verstand nicht verloren hat. Das war ja einmalig bei Schmidt, der noch ein Lexikon für Politikwissenschaft schreibt, was sonst ein Computerfummler zutiefst verachtet!

ruprecht: Herr Professor von Beyme, wir bedanken uns für das Gespräch. (ab, cl)


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