Was das mit Heidelberg zu tun hat? Leudesdorff und von Hatzfeld waren Studenten der Ruprecht-Karls-Universität. Es gelang uns, von Hatzfeld, der heute in München lebt, telefonisch zu erreichen und über die Motivation und den Erfolg der Besetzung zu befragen.
Der Krieg war noch nicht lange vorbei, allerorten diskutierte man über Wiedervereinigung, Aufrüstung und Pazifismus. So auch in Heidelberg, wo sich die im AStA organisierten Studierenden regelmäßig zu Diskussionsrunden trafen.
"Ich befand mich damals in einem prärevolutionärem Stadium, in einem Lebensaugenblick, wo etwas passieren mußte. Helgoland war damals jede Woche in der Zeitung. So entstand die Idee, das militärische Sperrgebiet Helgoland zu 'besetzen'. René war von einer spontanen Begeisterung, die man nur sehr selten vorfindet.", so Hatzfeld. Im Gegensatz zu Hatzfeld war Leudesdorff von der Idee Europa überzeugt. Hatzfeld sah in seiner politischen Motivation immer ein gesamtdeutsches Element: "Mir war klar, wenn aufgerüstet würde, dann ist es mit der Wiedervereinigung zumindest für meine Generation vorbei." Beiden gemeinsam war das pazifistische Element. Nicht zuletzt deshalb entschlossen sie sich, nur zu zweit auf die Insel zu fahren: "50 Studenten im Sommer - das wäre eine Kriegserklärung, die Engländer müßten reagieren. Aber zwei Studenten im kalten Winter- das rührt die Herzen."
Ohne einen Pfennig Geld in der Tasche trampten die beiden nach Hamburg. Dort klapperten sie die verschiedenen Zeitungen ab, um ihre Idee vorzutragen und Geld für die Überfahrt zu organisieren. Als Gegenleistung für die Geschichte verlangten sie außerdem eine Schlagzeile, denn ihnen war bewußt, daß sie nur dann einigermaßen sicher auf der Insel waren, wenn ihre Anwesenheit als bekannt vorausgesetzt werden konnte. Doch zunächst schien ihr Ruf ungehört zu verhallen. Erst bei der ZEIT fand ihre Idee Gehör. Der Chef vom Dienst und spätere Chefredakteur Müller-Marein gab den Studenten 250 Mark, den Grundstock für das abenteuerliche Vorhaben.
In der Nacht des 20. Dezembers tauchte Helgoland vor ihrem Schiff aus dem Nebel auf - und ein im Hafen liegendes englisches Schiff. Der Admiral des Schiffes riet ihnen, schnell zu verschwinden, da am nächsten Tag wieder bombardiert würde. Die mitgereisten Journalisten machten ein Foto und folgten dem Rat, Leudesdorff und Hatzfeld aber blieben im Vertrauen auf ihre im Vorfeld geleistete Pressearbeit.
Das politische "Indianerspiel" (Hatzfeld) zeigte Wirkung. Erstmals nach dem Krieg übten Deutsche den passiven Widerstand gegen die Bemühungen der Engländer um Räumung der Insel. Die Wasserschutzpolizei Cuxhaven verwies darauf, daß Helgoland zu Schleswig-Holstein gehöre und sie daher nicht zuständig sei, der schleswig-holsteinische Innenminister bedauerte, daß ihm keine Schiffe zur Verfügung stünden, und ein deutscher Kommandant mit deutscher Mannschaft auf einem Schiff unter englischer Flagge verweigerte den Gehorsam mit der Begründung: "Ich habe in Nürnberg gelernt, daß man Befehlen nur dann gehorchen soll, wenn man sie mit seinem Gewissen vereinbaren kann." Die Androhung der Entlassung konnte weder ihn noch die Mannschaft überzeugen. Im Militärgerichtsverfahren wurde er daraufhin suspendiert, später allerdings wieder freigesprochen.
Mit einer kurzen Unterbrechung aufgrund einer Sturmflutwarnung verbrachten Leudesdorff und Hatzfeld 14 Tage auf Helgoland, bevor sie am 3. Januar 1951 ihre Besetzung beendeten.
Einen Prozeß gegen die Inselbesetzer gab es nicht. Es wurde damals ein Gesetz verabschiedet, daß das Betreten der Insel von nun an verboten sei, nur um die beiden Studenten nicht bestrafen zu müssen. Ein Umstand, den von Hatzfeld mit Bedauern registrierte: "Ich war ganz wild auf den Prozeß. So einen Prozeß bekommst Du Dein ganzes Leben nicht wieder!"
Mit ihrer Aktion hatten sie den Lauf der Geschichte unwiderruflich beeinflußt. Viele hatten ihre Angst verloren, und es war abzusehen, daß weitere Besetzungen folgen würden. Ein Landrat rief die Bauern seines Landkreises sogar auf, Lebensmittel für die nächste "Invasion" zu spenden. Und so endete die Geschichte, wie sie unter diesen Umständen enden mußte: Am 1. März 1952 wurde Helgoland wieder an Deutschland zurückgegeben. In mühsamer Arbeit wurden etwa 170.000 Bomben, Granaten, Torpedos und Minen aus dem zerwühlten Boden, in dem auch heute noch immer wieder Blindgänger gefunden werden, geborgen. Hatzfeld : "Die Insel sah nicht aus wie vor der Entstehung der Welt, sondern wie nach ihrem Untergang."
Besucht man heute die Insel, sollte man vielleicht daran denken, daß es nicht zuletzt Leudesdorff und Hatzfeld zu verdanken ist, daß Helgoland wohl nie wieder als Seefestung mißbraucht wird. (hpc)
Jaspers Veranstaltung über die Schuldfrage war eine der ersten an der sich neu entfaltenden Heidelberger Universität. Der Mediziner und Philosoph Jaspers hatte die Entwicklung der Ruperto Carola seit 1903 als Jura-und Medizin- Student miterlebt, seit 1909 als Arzt an der Heidelberger Psychiatrie. 1913 habilitierte er mit der "Allgemeinen Psychopathologie". In der folgenden Zeit konzentrierte er sich stärker auf philosophische und psychologische Probleme und veröffentlichte 1919 mit der "Psychologie der Weltanschauungen" die früheste Schrift der deutschen Existenzphilosophie. 1922 wurde Jaspers ordentlicher Professor für Philosophie, sein Hauptwerk die dreibändige "Philosophie" erschien 1932. In den 30er Jahren warnte Jaspers vor freiheits- und wissenschaftsfeindlichem Extremismus an der Heidelberger Universität, die als eine der radikalsten galt. 1937 wurde Jaspers die Lehre verboten, 1938 die Publikation. Nach Kriegsende bildete sich mit Genehmigung der Besatzungsmacht ein "13er-Ausschuß zum Wiederaufbau der Universität", der sich in der Wohnung Jaspers in der Plöck 88 traf. Der Kreis, dem neben Jaspers weitere "ehemalige" Professoren wie Gustav Radbruch und Alfred Weber angehörten, befaßte sich mit der geistigen Grundlage der Wiedereröffnung der Universität. An der Ausarbeitung einer Verfassung, die später vom engen Senat beschlossen wurde, war Jaspers maßgeblich beteiligt. Er sah in der Universität eine "durch Leistung und Persönlichkeit bestimmte geistesaristokratische Ordnung". Sie sollte im Vertrauen zum Volke entwickelt und diesem zur Beurteilung vermittelt werden, damit sie von ihm gebilligt und mitgetragen werden könne. Jaspers setzte angesichts der zerrütteten Nachkriegsgesellschaft auf den einzelnen jungen Menschen, der an der Universität zu "Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit" erzogen werden sollte. Er betonte die Notwendigkeit der Kommunikation zur "Überwindung der Grenzen zwischen Belasteten und Unbelasteten auf dem Weg zum rechten Ziel". Entscheidend war für ihn nicht die Vergangenheit der Menschen, sondern ihre "geschichtliche Gegenwart".
Im Zuge des Wiederaufbaus arbeitete Jaspers eng mit dem Chirurgen K.H. Bauer zusammen, der bei dem ersten freien Wahlen im August 1945 Rektor der Universität wurde. Jaspers war "als öffentlich wirksamer, aber amtsloser Dritter" dabei, da er aufgrund eines chronischen Lungenleidens körperlich zu geschwächt war, um ein Amt zu übernehmen. Auf "schreiben, reden, Vorschläge machen" beschränkt, bekam er die heftigen Unruhen, die die Vorbereitung der Wiedereröffnung begleiteten, nur indirekt mit. Vor allem die Gewerkschaften befürchteten reaktionäre Bewegungen im Umfeld der Universität und kritisierten unzureichende Denazifizierung. Mit Unterstützung der amerikanischen Militärregierung wurde die Universität am 7.1.1946 trotz aller Widerstände mit den Fakultäten Theologie, Jura, Medizin, Philosophie und Mathematik-Naturwissenschaften eröffnet. Jaspers sah seine glänzenden Ideale von Wissenschaft und Gesellschaft zunehmend mit der nüchternen Realität konfrontiert. Er bedauerte, daß die im 13er-Ausschuß so "beschwingte" Universitätsverfassung sich bald "in endlosen kleinen Diskussionen" verlor. Im Sommer 1946 erregte eine Maßnahme des Professors Weber großes Aufsehen. Er hatte die Verlegung der betriebswirtschaftlichen Fächer an die neue Mannheimer Handelshochschule bewirkt mit der Begründung, Berufsvorbereitung sei zwar Sache der Universität, nicht aber in Bezug auf technisch ausgerichtete Tätigkeiten. Dieser Schritt wurde in der Öffentlichkeit als "Isolierung geistigen Schaffens um der Wissenschaft willen" scharf kritisiert und veranlaßte den AFGB dazu, der Universität öffentlich ihre "undemokratische" Haltung vorzuwerfen. Obwohl es in diesem Konflikt ganz konkret um Jaspers zentrale Vorstellung einer vom Volk getragenen Universität ging, hielt er sich sehr zurück.
Zunehmend resigniert verließ Karl Jaspers Heidelberg 1948 und folgte einem Ruf der Universität Basel. Im Nachhinein äußerte er sich bedauernd über die vertane Chance zu einem Neuanfang, die sich 1945 mit dem Ende der "nationalsozialistischen Vergewaltigung" aufgetan hatte: "Schon bald war keine Rede mehr von geistiger Neugründung der Universität. Seit 1948 entstand ein Staat unter neuen Vorraussetzungen. Die Jahre 1945-48 waren vertan." (kh)