kein ruprecht - nicht empfehlenswert
ein ruprecht - mäßig
zwei
ruprechts - ordentlich
drei ruprechts - empfehlenswert
vier ruprechts -
begeisternd
Con Air
Ein Flugzeug, das einen Gefangenentransport durchführt, wird von seinen Passagieren, dem Abschaum der Schwerverbrecher Amerikas, gekapert und entführt. Und mittendrin ist zum Glück der auf Bewährung freigekommene Poe (Nicolas Cage), der zu Unrecht sieben Jahre im Knast gesessen hat, weil er in Notwehr einen Schläger getötet hat. Cage sieht diesmal mit seinen langen Haaren aus wie eine Mischung aus Rambo und Braveheart, und genauso unverwundbar ist er auch: Bei jeder Explosion bringt er mit einem Hechtsprung seinen muskelbepackten Körper in letzter Sekunde noch in Sicherheit, keine Kugel erwischt ihn, und er gewinnt jeden Zweikampf. Seinen Gegenspieler, den hochintelligenten Anführer der Mörderbande, Cyrus (genannt "Virus") spielt Hollywoods Spezialist für Psychopathen-Rollen: John Malkovich. Und Cyrus & Co kennen kein Erbarmen. Da gibt es viel zu tun für den Held Poe. Es wird ein Fest für die Pyrotechniker: Überall knallt und brennt es, alles fliegt irgendwann in die Luft. Die Bildschnitte sind oft so schnell, daß man kaum erkennen kann, wer da gerade wem den Schädel einschlägt bzw. eine Kugel zwischen die Augen jagt. Wer am Schluß dran glauben muß und wer überlebt, läßt sich recht einfach voraussehen. Und daß Gefangene mit Gewalt das Kommando übernehmen, das gab's doch auch schon mal irgendwo? (ah)
Wallace & Grommit total
Puppenkosmos. Dreimal hintereinander wird im Gloria jetzt der Stoff gezeigt, aus dem die Geschichten irgendeiner Welt sind. In der die Menschen wieder klein werden. So klein wie damals, vielleicht beim sechsten Geburtstag in einem stickigen Puppentheater. Lila die Wände, mit dicker Brille die Nachbarin, die die Mutter eingeladen hatte, man selbst aber nie leiden konnte. Die Puppen so groß wie damals, als sie wirklich noch wie die Wirklichkeit waren. Der Stoff, aus dem die Kindheit ist. Es ist aber mehr als Material, das nicht zu leben scheint. Mehr als Puppen, die kreuz und quer im Zimmer herumgelegen und manchmal an die Wand geflogen sind, weil die Schwester das letzte Stück Kuchen bekommen hatte, vorhin am Kaffeetisch. Das Licht geht aus, das Leben an. Stoff wird lebendig. Menschlich. Puppenkosmos. (rot)
Batman & Robin
Wenn ein Film schon zum vierten Mal ins Kino kommt, muß es ja eigentlich heißen, daß er erfolgreich ist. Und das kann man Batman auch nicht absprechen, jedoch verwundert es schon, daß man im vierten Teil schon den dritten Darsteller verbraucht; ich wage daher zu behaupten, daß es das nächstes Mal jedenfalls nicht mehr der ewig dumm grinsende George Clooney sein wird. Und wenn nicht die liebe Alicia als Batgirl bis zum nächsten Jahr ein paar Pfunde, pfundige Pfunde, abspeckt, erschreckt sie die Bösewichte allenfalls mit ihrem Doppelkinn. Einzig allein Uma Thurman (im hautengen grünen Latexbody und mit roten Haaren) ist da noch ein Lichtblick, so muß eine Frau sein, so lange sie nicht den Mund aufmacht. Darum darf auch der Preis der besten weiblichen Rolle Ms. Nora Fries nicht abgesprochen werden, ihre Leistung ist einfach grandios. Ob ich da einfach mit der falschen Erwartung ins Kino gegangen bin? Regisseur Schumacher ist nicht Burton, Keaton nicht Clooney, und wo verdammt nochmal ist Michelle Pfeiffer? So verkommen die anfangs genial düsteren Filme zu bewegten Comicstrips, bei denen man jeden Moment nur noch auf das eingeblendete "CRASH" wartet. Bob Kane hätte seinen Spaß dran. Übrigens suche ich immer noch Arnie. Er soll ja im Film mitspielen, aber irgendwie konnte ich den Grazer nicht finden. (jr)
Love etc.
Der schüchterne Banker Benoit (Yvan Attal) und Marie (Charlotte
Gainsbourg) lernen sich über eine Kontaktanzeige kennen. Sie heiraten.
Benoits Freund Pierre, ein Frauenheld, verliebt sich ebenfalls in Marie. Er
macht ihr so lange den Hof, bis die Ehe zerrüttet ist. Benoits Leben ist
zerstört. Es verschafft ihm nicht einmal mehr Erleichterung, seinem
ehemaligen Freund die Nase zu brechen.
Regisseurin Vernoux erzählt die
Geschichte streng chronologisch und phantasielos. Es fehlt auch eine
Exposition, die den Figuren etwas mehr Leben einhauchen hätte können.
So erfährt der Zuschauer nur, wie sich die Dreiecksgeschichte abspielt -
nicht aber den psychologischen Hintergrund der Figuren. Stattdessen schafft
platte Bildsymbolik intellektuellen Anspruch: Wenn bei der entscheidenden
Betrugsszene zufällig ein Marienbild zu sehen ist oder ausgerechnet ein
Stau im Parkhaus zur Metapher für eine ausweglose Situation wird. Charles
Berling spielt das skrupellose Charakterschwein Pierre dermaßen
unleidenschaftlich, daß es dem Publikum eigentlich gleichgültig sein
kann, als Benoit ihn endlich verprügelt. Doch der Film endet nicht mit
diesem zwangsläufigen Eklat: die drei treffen sich im Jahr 2000 wieder -
versöhnt, wobei offen bleibt, wie sie das Erlebte verarbeiteten. Ein
überraschendes Happy End, das für den Film so wesentlich ist wie der
Wurmfortsatz für den Darm. (gan)
Wie schon in den letzten Jahren findet dort sechs Wochen lang ein Kino Open Air statt - allerdings nicht mehr auf dem Gelände der Pädagogischen Hochschule, sondern am Tiergartenschwimmbad. Von Ende Juni bis Anfang August sind über dreißig Filme zu sehen: die größten Publikumserfolge und Leinwandkunstwerke der letzten Jahre in Auswahl. Eine schöne Möglichkeit, das Sommerloch im Kino zu überbrücken.
Zumindest bei folgenden Filmen sollte man auf gutes Wetter hoffen - sie wurden alle von ruprecht-movie empfohlen: "Rossini" (Sa 5.7.), "Braveheart" (Do 17.7.), "Fargo" (So 20.7.), "Wallace & Gromit Total" (Fr 8.8.), "Der Postmann" (So 10.8.). Ein besonderer Leckerbissen für Kinofreunde sind die Kurzfilme im Vorprogramm. Der prominenteste darunter ist "Quest" - er wurde bei der letzten Oscar-Verleihung als bester Animationsfilm ausgezeichnet und zieht den Zuschauer vom Anfang bis zum Ende in seinen Bann. Ein weiterer Höhepunkt wird der Drei-Minuten-Film "Das Lied vom Brünfticht Männlein" (14.-17.8.) sein.
Wer auf das Auto verzichtet, erreicht das Schwimmbadgelände mit den Linien 12 und 33 (und kommt immerhin bis halb zwei wieder weg) oder als Pedalritter. Besonders hingewiesen sei dabei auf die vorbildlichen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, die seit einigen Wochen auf dem Parkplatz angebracht sind - man muß sich also nicht erst in die Büsche schlagen, um den Drahtesel diebstahlsicher anzuschließen.
Die Abendkasse hat an jedem Vorführungsabend ab 20 Uhr geöffnet. Auch Verpflegungsmöglichkeiten wird es wieder geben - es muß also nur noch das Wetter mitspielen.(gan)
Nun kommt der Streifen auch nach Deutschland. Am 17.7. wird in der Kamera um 22.30 Uhr eine Preview stattfinden. Wer den ruprecht-Coupon mitbringt, erhält zwei Mark Ermäßigung.
(gan)
"Love! Valour! Compassion!"-Preview
Die
Kamera 17.07.1997 22.30 Uhr
(Pro Person nur ein Coupon
einlösbar / bei Ausverkauf kein Anspruch auf Ersatz)
Wenn man nicht so recht weiß, was es ist, dann ist es eben Jazz. Aber was sollte man bei Man doki schon für Bezeichnungen finden. Wie wär's denn mit Funkfusionrockfahrstuhljazz? "The Jazz Cuts" ist eine Zusammenstellung von bisher unveröffentlichten Aufnahmen aus früheren Produktionen Man dokis, einigen neuen Songs und Liveaufnahmen. Wie schwer sie irgendeiner Richtung zuzuordnen sind, mag ein Blick auf die Liste der an dem Projekt beteiligten Musiker verdeutlichen: Neben Man doki am Schlagzeug und Percussion sind Jazzer vom Schlage Michael und Randy Breckers, Al Di Meolas und Bill Evans beteiligt. Aber auch ausgesprochene Popikonen wie Nik Kershaw und Ian Anderson haben dem Projekt zu großer Vielfalt verholfen. Fast alle Songs haben ein popsongartiges Grundmuster mit eingängigem Gesang, verwandeln sich dann aber schnell in das, was wohl mit Jazz gemeint ist, um den Musikern weiten Spielraum zum Improvisieren zu geben. Dank guter Arrangements bleiben die Songs dabei eingängig und wirken nur selten angestrengt. (papa)
Supertramp
Crime of the Century
Nach langer Pause haben Supertramp in diesem Jahr ein neues Studioalbum auf den Markt gebracht. Der Titel war Programm: Some things never change. Während dieser Umstand nicht für alle Supertramp-Fans Anlaß zur Freude gewesen sein mag, so wird man sich um so mehr an den nun wiederveröffentlichten Alben der siebziger und achtziger Jahre erfreuen. Von Klassikern wie "Famous Last Words" oder "Live in Paris" wurden die Originalbänder digital neubearbeitet. Ebenso das Album, das Supertramp einen Platz in der Popgeschichte gesichert hat: "Crime of the Century" ist heute so etwas wie best of Supertramp, "School", "Dreamer", "Hide in Your Shell" und "Crime of the Century" sind auf dieser Platte 1974 veröffentlicht worden. Und während die aktuelle Supertramp CD merkwürdig altmodisch daherkommt, hat "Crime of the Century" nichts an Kraft eingebüßt und wirkt daher frischer und moderner. War schon das Original für seine Zeit auch technisch eine Meisterleistung, so ist nach der Bearbeitung kaum noch zu merken, daß diese Aufnahmen schon 23 Jahre alt sind. (papa)
Liquid Soul
Liquid Soul
Einer der Funk-Höhepunkte des diesjährigen New-Jazz-Festivals Moers war sicher das kleine Energie-Bündel Mars Williams mit seiner Band Liquid Soul. Die Newcomer aus Chicago als Acid-Jazz-Band zu bezeichnen, wäre zu wenig. Eine geballte Mischung aus Funk, Soul, dazu sparsame Scratches und Samples von DJ Jesse De La Pena. Dabei zeigt Williams, daß man auch nur mit einem Trompeter und einem treibenden Tenorsaxophon Power-Bläser-sätze arrangieren kann, die einem bei ihren Auftritten und auf der CD, die zur Hälfte aus Live-Mitschnitten besteht, entgegenschlagen. Die Songs sind oft gleich aufgebaut: DJ Jesse spinnt auf dem Plattenteller etwas herum. Dann steigen die Musiker mit dem Thema auf den Beat ein. Spontane Horneinsätze, Baßlininen, Gitarrenläufe türmen sich auf zu einer herrlichen Freestyle-Session. Nicht nur aus eigenen Titeln besteht das Album. Frech verfunken diese sechs Musiker auch Jazz-Standards von Coltrane, Shorter und Davis wie Footprints, Equinox oder Freddie the Freeloader. Jazz-Funk-Acid-Party-Stimmung pur. (jm)
Benjamin Britten:
Soring Symphony
John Eliot Gardiner
Pastoralmusik hat ja an sich schon etwas Anrüchiges. Da bekommt der Hörer jede Menge Holzblasinstrumente (Schafhirte) und Quarten (Jägerhorn) zu hören. Wenn man Glück hat, begnügt sich der Komponist mit einem Bauerntanz. Schlechtestenfalls muß man sich ein Hörspiel anhören, bei dem die Querflöte wie ein Vogel zwitschert und die Celli wie die Hirsche röhren - schauderhaft.
Benjamin Britten hat bewußt versucht, sich von all diesen musikalischen Klischees abzugrenzen, vor allem jedoch vom pappsüßen Klangbrei seines Landsmannes Vaughan Williams. Ganz gelungen ist ihm dies in seiner Frühlingssymphonie, einem Auftragswerk für die Bostoner Philharmonie, jedoch nicht.
Und so konnte Sir Eliot Gardiner bei der neuen Einspielung des Werkes nicht viel retten. Doch nicht alles von Gardiner ist so gut, wie der Name verspricht. Der berühmte Bach-Interpret ist hier sichtlich bemüht, die Sache irgendwie interessant zu machen. Doch der Hörer hat den Eindruck, all dieses pastorale und halbpastorale schon einmal gehört zu haben - nur besser. (fw)
Sechs Stücke hatte das Auswahlgremium, das aus Mitgliedern der Autorenstiftung und des Theaters der Stadt Heidelberg zusammengesetzt war, nominiert. Die endgültige Entscheidung lag bei der Jury: Katharina Gericke, der Preisträgerin des letzten Stückemarktes, Jens-Daniel Herzog, Regisseur bei den Münchener Kammerspielen, und Hubert Spiegel, Literaturredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Verschiedenheit der Stücke zeigt, auf welch unterschiedliche Weise Theater "machbar" ist, sie war aber gleichzeitig auch Anlaß zu Grundsatzdiskussionen: Wie muß Theater heute sein? Was läßt sich auf der Bühne umsetzen? Minimalkunst oder Marktgeschrei? Wo grenzt sich Theater noch vom Film ab?
Ralf Rothmann, dem Autor des "Berlin Blues", hielt man "eine große Sympathie für seine Figuren" und den Blick "von unten" auf ein "Allerweltspersonal" zugute, das die Situation unserer Gesellschaft widerspiegele. Bei der Lesung erschien der Berliner Blues jedoch zu seicht für das Theater und eher für eine Vorabendserie geeignet ("Wenn uns das Stück zu langweilig erscheint, vielleicht ist unser Leben ja so langweilig", meldete sich ein findiger Zuhörer nach einem besonders vernichtenden Kommentar zu Wort). Theresia Walsers "Restpaar" war der Jury dann wohl doch zu belanglos, und Franzobel warf man vor, es sei ihm in seinem Stück "Bibapoh" trotz großer sprachlicher Gewandtheit nicht gelungen, glaubwürdige Figuren zu schaffen.
In die engere Auswahl genommen wurde Lutz Hübners "Der Maschinist" über den Tüftler Johann Nepomuk Mälzel. In seinem Umgang mit Aufbau und Ausarbeitung des Stoffes gleicht der Autor seinem Protagonisten, denn auch er ist Perfektionist: Beide setzen ihren ganzen Ehrgeiz in die technische Vervollkommnung ihrer Erfindungen. Heraus kommt ein Theaterstück nach klassischem Aufbau in fünf Akten, das dabei nicht den Bezug zur Gegenwart verliert, denn der Konflikt zwischen dem unvollkommenen Menschen und der funktionierenden Maschine ist auch heute noch aktuell. Schwierig wird es mit der Inszenierung werden, denn wie soll man die halbe Welt, um die Mälzel reist, auf der Bühne unterbringen?
Roland Schimmelpfennigs "Vor langer Zeit im Mai" hat eine ganz eigene poetische Kraft. In "Einundachtzig kurze(n) Bildern für die Bühne" laufen zwei Handlungsstränge scheinbar unabhängig nebeneinander her: Ein Mann kreist mit einem Fahrrad auf der leeren Bühne und fährt mit Anlauf gegen die Wand, eine Frau in einem Rokokokleid tritt je nach Szene mehr oder weniger zögernd aus einer Tapetentür, eine andere stürzt mit einem Koffer über und auf die Bühne, dabei geht der Koffer auf - oder nicht. Eine dritte Frau kehrt und singt. Und dann sind da noch die Liebespaare... Im Laufe der Handlung vermischen, verwirren und vervielfältigen sich die Figuren. Auf der zweiten Ebene versucht ein Paar einen Dialog. Er nimmt Bezug auf die Requisiten, erklärt die Handlung jedoch nicht und vermittelt nichts als das Scheitern einer zwischenmenschlichen Beziehung. Das Stück fordert förmlich zu Bearbeitung und Interpretationsversuchen heraus.
Sicher keine leichte Entscheidung, doch die Jury beschloß schließlich, Ulrich Hub mit seinem Stück "Die Beleidigten" zum Sieger des einwöchigen Lesungsmarathons zu erklären. Vier Streicher, verbunden zu einem Streichquartett und durch persönliche Bande, geigen sich hier die Meinung, die zunehmend verletzender ausfällt, bis einer nicht mehr mitspielen will und kurz vor dem gemeinsamen Konzert Selbstmord begeht. Was dem Autor Franzobel aberkannt wurde, fand die Jury hier verwirklicht: die Schöpfung von bühnenwirksamen Figuren, die dem Marktbesucher nächstes Jahr auf der Bühne gegenüberstehen werden, wenn es wieder heißt: Vorhang auf für den Heidelberger Stückemarkt!
Elfriede Jelinek, "Stecken, Stab und Stangl", Schauspiel Leipzig
"Stecken, Stab und Stangl" von Elfriede Jelinek hat ein aktuelles Ereignis zum Anlaß: Im österreichischen Burgenland wurden am 4. Februar 1995 vier Roma durch eine Rohrbombe ermordet. Das Stück entstand aus dem Zorn über diesen Meuchelmord und die vielfache Verharmlosung des Ereignisses durch die Medien (z.B. den "Kronen-Zeitung"-Kolumnisten Staberl). Elfriede Jelinek verwebt Talkshow-Elemente mit Staberl-Zitaten und österreichischer Walzerstimmung zu einem grausigen Patchwork-Häkelwerk. Der KZ-Kommandant von Treblinka, Stangl, wird nicht nur im Titel zitiert; die Autorin verteilt harte Rundumschläge und läßt nichts und niemanden aus: Heidegger und der ORF müssen ebenso dran glauben wie Paul Celan. Während eines endlosen Geplappers, das Banales mit Tiefernstem derart verbindet, daß einem das Lachen im Hals steckenbleibt, häkeln die Figuren nach und nach die Bühne ein. Die Schauspieler vom Theater hinterm Eisernen (Schauspiel Leipzig) leisteten Hervorragendes. Vielleicht hat Kazuko Watanabe nach japanischer Art zu verhalten inszeniert, einige Zuschauer verließen nach den ersten Sprachfetzen den Raum, andere äußerten ihr Entsetzen über das Lachen des Publikums. Doch Watanabes verhaltene Inszenierung verdeckt nicht den Text, und im Lachen schwingt doch stets das Entsetzen mit.
Herbert Achternbusch, "Meine Grabinschrift", Münchner Kammerspiele
"Meine Grabinschrift" von Herbert Achternbusch ist ein minimal gehaltenes Zweipersonenstück: Amenhotep, der königliche Schreiber, ist alt geworden, doch vor seinem Ableben will er seinem Schüler Seth noch die eigene Grabinschrift diktieren. Er blickt auf sein Leben als Schreiber zurück. Die Auseinandersetzung mit dem Besitz der Schrift und der damit verbundenen Macht hätte interessant werden können, doch sie beschränkt sich auf einige poetische und teilweise auch komische Momente: Nein, das Zeichen für Angst sei nicht das "Krokodil", denn das sei das Zeichen für Furcht. Für Angst müsse man das Zeichen für "Nacht" nehmen. Doch von diesen Momenten abgesehen ist der Stoff banal, und Amenhoteps Zorn über die soziale Ungerechtigkeit verhallt in der Stille. Es gelingt selbst Rolf Boysen von den Münchener Kammerspielen nicht, dem Stück wirklich Leben einzuhauchen. Einzig das alles in ein gespenstisches Blau-Weiß tauchende Schwarzlicht strahlt Magie aus, und der Zuschauer erwacht erst durch den Applaus aus seiner Trance, um sich zu überlegen, welche Botschaft ihm wohl gerade übermittelt worden ist. Erst jetzt begreift er, warum Amenhotep den alten Fluch ausgesprochen hat: "Schreiber! Zerbrich dein Schreibzeug! Sie werden nie verstehen!" (cw)
Das Leben in der Zone Drei scheint das reinste Paradies zu sein. Alle Bewohner lieben einander, es gibt keine Not und keinen Krieg. Die Bewohner können sich jederzeit mit der Königin Al Ith aussprechen. Nur die unerklärliche Traurigkeit der Tiere wirft langsam auch Schatten auf die menschlichen Bewohner.
In Zone Vier herrscht hingegen permanenter Ausnahmezustand: Militärisch straff vom Oberbefehlshaber Ben Ata geführt, zieht das ganze Volk ständig in den Krieg, denn "es muß ja was getan werden". Auch hier vermehren sich die Tiere nicht mehr.
Die Versorger befehlen nun die Hochzeit zwischen Al Ith und Ben Ata. Beide können damit nicht viel anfangen, die erste Begegnung verläuft eisig. Doch schließlich versuchen sie doch, das Beste aus der Situation zu machen. Al Ith wird schwanger, verliebt sich endlich in Ben Ata und entdeckt immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Zonen, während sie sich von ihrer eigenen immer mehr entfremdet.
Doch die Versorger ordnen nun an, daß Ben Ata nun die Königin der Zone Fünf, Vashti, heiraten soll. "Alles ist ständig in Bewegung, von Zone Fünf zu Zone Vier, und von Zone Vier zu Zone Drei. Neu ist die Welt, voller Leichtigkeit und Neugier. Wir erleben, wie die Grenzen verwischen."
Die Musik des Amerikaners Philip Glass war zunächst von der Zwölftontechnik geprägt, später dann von amerikanischen Komponisten wie Aaron Copland und Darius Milhaud. In Paris lernt er jedoch den Komponisten und Sitarspieler Ravi Shankar kennen, der auch die Beatles stark beeinflußte, und wird durch ihn mit der komplizierten Rhythmik der indischen Musik vertraut gemacht. Daraus entwickelt er das Konzept der minimalistischen Kompositionen: Über vorwiegend statisch aufgebauter Harmonik werden kurze Melodiephrasen vielfach wiederholt und durch kleinste Veränderungen entwickelt.
Das Opernlibretto stammt von der Schriftstellerin Doris Lessing, die in Persien geboren und in Rhodesien aufgewachsen ist, bevor sie nach England zog. Dabei bearbeitete sie den zweiten Band ihres Romanzyklus "Canopus im Argos". Lessings Werk wird bestimmt durch ihre eigenen Lebenserfahrungen - Rhodesien, Geschlechterbeziehung, England und ihre Schriftstellerexistenz.
Die erste Zusammenarbeit mit Peter Glass und Doris Lessing war die 1989 uraufgeführte Oper "Die Erschaffung des Repräsentanten für Pla-net 8" nach dem vierten Band des Canopus-Zyklus.
So sind eigentlich die Grundvoraussetzungen für ein spannendes Werk gegeben: ein moderner Komponist, eine zeitgenössische Autorin. Doch leider enttäuscht die Aufführung: Zu einfach erscheint der starre Dualismus zwischen Frau und Mann, Liebe und Krieg, der noch durch die einfache Symbolik der Kostüme - weiß gekleidet die Bewohner der Zone Drei, im Tarnanzug und militärischen Uniformen jedoch die Zone Vier - überdeutlich vorgeführt wird. Da hat es Vashti, dargestellt als Punk und Leader einer Straßengang, schwer, noch einen Akzent zu setzen. Die Kulissen sind sparsam, aber doch zu gegenständlich: ein Bergpanorama als Hintergrund für Zone Drei, ein Metallcontainerbau als Festung der Zone Vier. Einsichten wie "Eifersucht macht Liebe häßlich", im Duett von Al Ith und Ben Ata vorgetragen, vermitteln nur plump scheinbare Lebensweisheiten. Langsam entwickelt sich die Handlung im ersten Akt, während sie im zweiten Akt zu rasch voranschreitet und oft unverständlich wird. Dabei wird es schwer, der Entwicklung der Musik zu folgen: Was bleibt, sind monoton wirkende Akkordbrechungen, die sich scheinbar unendlich wiederholen, und nur durch wechselnde Taktarten, die verschiedenen Charakteren und Situationen zugeordnet sind, eine Zäsur erhalten.
Choreographisch orientiert sich Brigitta Trommler mehr am Schauspiel. Es gibt nur wenig beeindruckende Bilder, wie zum Beispiel das "Fest der Frauen". Etwas mehr Mut zu einer moderneren choreographischen Umsetzung einer modernen Oper wäre angebracht gewesen. So bleibt das Werk wenig aufregend und hat mehr von einem Musical als von einer zeitgenössichen Oper. Schade. (jm)
Weitere Termine in dieser Spielzeit: 3./ 6./16. Juli 1997
ruprecht: Ihre Aufsatzsammlung "Praktische Philosophie in der modernen Welt" ist als möglicher Katechismus eines modernen Ethikunterrichts bezeichnet worden. Nun hat die Aufklärung ja einige Mühen gehabt, die Katecheten zurückzudrängen. Brauchen wir denn wirklich einen neuen Katechismus?
Hösle: Der Begriff "Katechismus" ist in der Tat unpassend. Die erste Aufgabe der Philosophie ist es, zu argumentieren. Andererseits braucht der Mensch Orientierung, gerade in der Moderne, die uns ständig mit technischen Entwicklungen überfordert. Es besteht die Notwendigkeit, Fragen nach der Armut in der Dritten Welt oder nach der Umweltzerstörung zu reflektieren.
ruprecht: Hat die deutsche Universitätsphilosophie vor diesen Aufgaben versagt?
Hösle: "Versagen" ist ein zu hartes Wort. Es ist nun einmal so, daß die praktische Philosophie in Deutschland in diesem Jahrhundert zurückgedrängt wurde. Erst in den letzten zwanzig Jahren ist sie in Deutschland wieder ein wichtiges Thema geworden. Meiner Ansicht nach ist der Hauptverantwortliche dafür Martin Heidegger, der einen enormen Einfluß ausgeübt hat. Seine Philosophie enthält nicht nur keine Ethik, sondern ist meines Erachtens nach nicht einmal mit einer Ethik kompatibel. Daher sind wir den Angelsachsen in der Frage nach einer ökologischen Ethik weit hinterher.
ruprecht: Was sind denn die besonderen Herausforderungen, mit denen sich die praktische Philosophie Ihrer Ansicht nach konfrontiert sieht?
Hösle: Nun, wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der zahllose Vorstellungen darüber existieren, was gut und was schlecht ist. Und obwohl wir natürlich alle froh sind, daß wir Religionsfreiheit genießen, stellt sich auf der Meta-Ebene das Problem, daß zumindest die Religionsfreiheit ein allgemein anerkannter Wert sein muß. Trotz des Pluralismus muß es also allgemeingültige Prinzipien geben. Ethik bleibt also trotz Wertepluralismus notwendig.
ruprecht: Neben dem Thema Dritte Welt haben Sie sich besonders mit ökologischer Ethik beschäftigt. Sind frühere Ethiken, beispielsweise der kategorische Imperativ Kants, denn veraltet?
Hösle: Ich glaube, es gibt zwei Gründe, warum man sich Gedanken über eine neue Ethik machen muß. Erstens sind viele klassische Ethiken extrem anthropozentrisch, stellen also den Menschen oder, allgemeiner, Vernunftwesen mehr oder weniger bedingungslos in den Mittelpunkt. Kant ist zweifelsohne der größte Ethiker der Neuzeit. Doch er argumentiert beispielsweise bei der Ablehnung von Tierquälerei etwas merkwürdig. Da für ihn nur der Mensch einen intrinsischen Wert, einen Wert an sich, hat, lehnt er Tierquälerei mit der Begründung ab, ein Tierquäler könne womöglich auch gegenüber Menschen grausam sein. Diese empirische Aussage ist äußerst zweifelhaft, denn man kann sich durchaus einen Menschen vorstellen, der an Tieren seine Aggressionen auslebt und deswegen gegenüber seinen Mitmenschen friedlicher ist. Wir kommen also nicht umhin, das Wohl der Tiere als intrinsischen Wert zu verstehen.
Zweitens stellt sich aufgrund unseres durch die Technik räumlich und zeitlich erweiterten Handlungsspielraums das Problem der Gerechtigkeit gegenüber den kommenden Generationen. Wenn man der Ansicht ist, daß Rechtspflichten vor allem auf Gegenseitigkeit beruhen, kommt man in dieser Frage nicht weiter. Die kommenden Generationen haben uns noch nichts Positives getan, warum also sollten wir ihre Lebensgrundlagen verschonen?
ruprecht: Ist das Hobbes'sche System des rationellen Egoismus am Ende?
Hösle: Davon bin ich überzeugt. In einem ethischen System, in dem Gerechtigkeit durch Interessenkonkurrenz entstehen soll, haben die kommenden Generationen schlechte Karten: Da sie noch nicht geboren sind, können sie ihre Interessen ja noch nicht vertreten. In meinem neuen Buch fordere ich daher ein zweites "undemokratisches" Verfassungsorgan neben dem Bundesverfassungsgericht, das die Interessen der kommenden Generationen vertreten soll.
ruprecht: Ein Begriff, den Sie oft verwenden, ist "Suffizienzrevolu-tion". Was genau ist damit gemeint?
Hösle: Ernst-Ulrich von Weizsäcker, den ich sehr schätze, setzt sich sehr für die "Effizienzrevolution" ein. Er fordert eine technische Revolution, die uns die Möglichkeit gibt, mit sehr viel weniger Energie auszukommen. Ich denke jedoch, daß der Mensch die Tendenz hat, mit den Möglichkeiten auch die Bedürfnisse steigen zu lassen. Forscher haben es geschafft, in einem solarbetriebenen Treibhaus in Colorado auch im Mai Mango-Früchte anzubauen - zweifellos ein Erfolg. Ich frage mich aber, was passiert, wenn die Menschen im Januar Mangos haben wollen. Wir kommen meiner Ansicht nach nicht darum herum, uns zu fragen, was wir wirklich brauchen und was nicht. Eine Effizienzrevolution allein löst das Problem nicht: Wir müssen auch an der Bedürfnisschraube drehen. Wir brauchen eine Suffizienzrevolution.
ruprecht: Der heutige Lebensstandard ist also nicht zu halten?
Hösle: Nein, und das muß gar nicht so schlimm sein. Sehen Sie, zum Beispiel Goethe, der ja immerhin Goethe war, ist in seinem ganzen Leben nur zweimal nach Italien gefahren. Warum müssen wir denn wie selbstverständlich zweimal im Jahr nach Italien fahren?
ruprecht: In einem Ihrer "Moskauer Vorträge" kommen Sie zu dem Ergebnis, daß ein unnötiger Flug unmoralisch gegenüber einem ertrinkenden Bangladeschi des Jahres 2040 ist. Wie gehen Sie persönlich mit dieser Frage um?
Hösle: Ich habe kein Auto, fahre selten Taxi und bemühe mich ansonsten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Zu einer Veranstaltung des Goethe-Instituts in Ankara bin ich mit dem Zug gefahren. Das hat zwar hin und zurück fünf Tage gedauert, und ich habe auf der Fahrt einiges erlebt, aber ich bin immerhin nicht geflogen.
ruprecht: Eine so anspruchsvolle Ethik erfordert ein enormes Abstraktionsvermögen. Aber man hat den Eindruck, daß unsere Gesellschaft so weit säkularisert ist, daß niemand mehr Religion ernst nimmt, andererseits aber noch nicht soweit, daß man den Religionsunterricht in den Schulen endlich abschafft und ihn durch Ethikunterricht ersetzt.
Hösle: Die Tatsache, daß unsere Gesellschaft nicht mehr erzieht, ist in der Tat fatal. Die Schulen sind ja zu Wissenstransfer-Anstalten verkommen. Oft sind sie nicht einmal mehr das.
Wir brauchen selbstverständlich dringend Philosophieunterricht an den Schulen. Ich denke aber, daß es falsch ist, einen Gegensatz zwischen Philosophie- und Religionsunterricht aufzubauen. Ich finde, man sollte den jungen Menschen beides bieten. Man muß allerdings dazusagen, daß nicht die Verbreitung jeder Philosophie an den Schulen im öffentlichen Interesse ist.
ruprecht: Zum Beispiel Heidegger?
Hösle: (lacht) Das haben Sie gesagt - ich hab's nur gedacht!
ruprecht: Wenn man eine so anspruchsvolle Ethik auch über allgemeinverbindliche Regelungen vorantreiben will, so muß dies die Politik leisten. Diese gerät jedoch in ein Dilemma. Die Diskussion um die Erhöhung der Energiesteuer zeigt, daß die Politiker vor der Frage stehen: "Wahrheit oder Mehrheit?".
Hösle: Es ist leider in der Tat nicht auszuschließen, daß die Menschheit noch einige Nackenschläge braucht, die an Grausamkeit dem zweiten Weltkrieg nicht nachstehen. Wir Intellektuellen können uns nur bemühen, Aufklärungsarbeit zu leisten. Was das Dilemma "Wahrheit oder Mehrheit" angeht, so glaube ich, daß es in der Gesellschaft auch ein Bedürfnis nach ehrlichen Politikern gibt. Im Endeffekt wird auch der Mehrheit derjenige Politiker suspekt, der nur noch an die Mehrheit denkt und die Wahrheit verdrängt.
ruprecht: Herr Hösle, wir danken Ihnen für das Gespräch. (fw)
Der Abend begann abschreckend: Der Moderator stellte mit dem Charme eines Oberstufen-Deutschlehrers die Gruppen vor: die "LitOff", die ohne festen Zusammenhang Lesungen organisiert und kein Zeitschriftenorgan hat, die "metamorphosen", eine von zwei Heidelberger Studenten herausgegebene Zeitschrift, die für 3 Mark in fast jeder Buchhandlung zu haben ist und mittlerweile als etabliert zu bezeichnen ist, und die Gruppe um die Zeitschrift "Trystero", das mit Abstand mutigste und experimentellste Heft der Gegend, in ausgewählten Buchhandlungen für 5 Mark erhältlich.
Dann wurde gelesen. Ein peinlicher Auftritt aus den Reihen der LitOff ("rrrzz, rrz, rrb, rrb" - gähn!) bereitete die Hörer auf eine grottenlangweilige Lesung aus den Reihen der "metamorphosen" vor. Letzte hatte nicht gerade ihr bestes Pferd ins Rennen geschickt. Jedenfalls forderte die "deilweise audändische geschischde aus dem frangfudä bängä-miliö" den Gästen eine harten Kampf gegen den Schlaf ab. Interessanter war da schon der Auftritt des "Trystero"-Teams. Das machte von Anfang an klar, daß es nicht zögern würde, sich weit aus dem Fenster zu hängen. Wie revolutionär das wirklich war, was da geboten wurde, sei dahingestellt. Jedenfalls stellte es all die anderen Lesungen dieses Abends bei weitem in den Schatten.
Nach einer kleinen Raucherpause, in der "so manches" geraucht wurde, versammelte man sich wieder zur Diskussion, leider moderiert vom erwähnten Deutschlehrer. "Diese ständige innere Verkrampftheit führt letztendlich nur zu Darmverschluß. Und da haben wir keinen Bock drauf" - so brachte ein Vertreter des "Trystero" seine Kritik an den "metamorphosen" auf den Punkt. Aber es kam noch dicker. Die "metamorphosen" verstehen sich als unpolitisch, und genau das kritisieren die Herausgeber des "Trystero". Sie sehen ihre Tätigkeit auch als politische Tätigkeit und die "metamorphosen" als konservatives Blatt, ein Vorwurf, der von den "metamorphosen" mit satirischen Bemerkungen zurückgewiesen wurde.
Was allerdings so politisch daran sein soll, Texte wie "Die Fickoperation" zu veröffentlichen, blieb so manchem unklar. "Eine gewisse Härte" wollten die Herausgeber des "Trystero" für ihr Blatt in Anspruch nehmen. "Gewisse Härte"? - Nett gesagt! Im "Trystero" geht' s knüppelhart zur Sache - das richtige Blatt für den ganzen Mann? Der Vorhang zu, und viele Fragen offen... (fw)