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Heidelberg


"Ich fühle mich zehn Jahre jünger"

Eine Odyssee mit Ende in Heidelberg

Zehn Jahre verbrachte er hinter Gittern. Und doch hat Bodo Strehlow weder einen Menschen totgeschlagen, noch Banktresore leergeräumt; er wollte frei sein und sich den Traum seines Lebens erfüllen: Das Physikstudium. Die DDR-Funktionäre sahen das allerdings anders.

"Der Strehlow ist noch im Keller", berichtet mir ein junger Mann, der sich als Informatikstudent und Aushilfe des kleinen Neuenheimer Computer-Consulting-Unternehmens entpuppt. Er führt mich in Bodo Strehlows Büro, wo ich, umgeben von Computern in Einzelteilen, auf den "Chef" des Ein-Mann-Betriebes warte. Nüchterne Sachlichkeit regiert die Atmosphäre des Zimmers der riesigen Jugendstil-Villa; an den Wänden nichts Persönliches, nur Werbeplakate neuer Pentium-Prozessoren, eine in der Tiefe des Raumes verschwindende Zimmerpalme, nichts was dem Besucher auch nur ein Fünkchen Privates verraten könnte.

Ein hochgewachsener Mittvierziger betritt das Büro. Strehlows Gedanken sind anderswo, das bemerke ich schon beim Handschlag. Er nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz und fragt mich, was ich wissen möchte. Je tiefer wir uns in den nächsten zwei Stunden, die er mir Rede und Antwort stand, in seine Biographie begeben, desto sinnloser scheint mir meine allzu übliche Neugier. Hier geht es nicht nur um einen Menschen, der unter dem Eingesperrtsein in der DDR gelitten hat, sondern um ein ganzes Leben, dem zehn der besten Jahre gestohlen wurden.

Fluchtversuch über die Ostsee

Der Fluchtversuch, den der junge Bodo Strehlow am 4. August 1979 unternahm und der ihn für eine Dekade unseres Jahrhunderts in die Isolationshaft nach Bautzen brachte, liest sich wie eine dieser Hollywood-Räuberpistolen, deren Bleigehalt den Status als Kassenrenner sichert.

Nach dem Abitur 1975 stand für Strehlow der Wehrdienst an. Als er erfuhr, daß der Physik-Studienplatz nur erreichbar war, indem er sich für den verlängerten, vierjährigen Dienst entschied, sah er darin die einzige Möglichkeit, seinen Traum zu realisieren. Ohne Einfluß auf diese Entscheidung wurde er zur Marine nach Stralsund abkommandiert. Nach der Ausbildung versah er seinen Dienst auf einem Aufklärer der DDR-Flotte, dessen Aufgabe es war, Republikflüchtlinge aufzugreifen. Aufgrund regimekritischer Aussagen, die er auf dem Schiff gemacht hatte, erfuhr Strehlow 1979, daß er trotz des fast vollständig abgeleisteten Dienstes keinen Studienplatz erhalten sollte. Daher reifte in ihm der endgültige Entschluß, seine Position als Teil einer Schiffsbesatzung, die fast täglich Berührung mit bundesdeutschen Gewässern hatte, zur Flucht zu nutzen. Am 4. August 1979, die Besatzung war aus Urlaubsgründen von 21 auf ungefähr 15 Mitglieder geschrumpft, schloß Bodo Strehlow während der Nachtwache die gesamte, schlafende Besatzung seines Schiffes mit zwei Vorhängeschlössern unter Deck ein. Anschließend startete er die Dieselmotoren, um das Schiff in westdeutsche Hoheitsgewässer zu manövrieren, welche der Aufklärer, so hatte es Strehlow berechnet, innerhalb von 20 Minuten erreichen sollte. Seine Kameraden wurden vom Lärm der Maschine geweckt. Sie zündeten jedoch eine Handgranate und gelangten so an Deck. Mit einer weiteren Granate zielten sie auf Strehlow, der bei diesem Angriff schwer verletzt wurde und unter den Folgen noch heute erheblich leidet.

Isolationshaft in Bautzen

Obwohl sich der Aufklärer bereits in bundesdeutschen Gewässern befunden hatte, erhielt Strehlow keinerlei Hilfe eines in der Nähe patrouillierenden Schiffes des Bundesgrenzschutzes. Für den 24jährigen entscheiden diese Stunden sein ganzes Leben. Verhaftung, Prozeß, lebenslange Haft, während der er nur sechs Mal im Jahr für eine Stunde besucht werden durfte. Isolation. Die Jahre, in denen die meisten Menschen ihre soziale und berufliche Heimat finden, ziehen an Bodo Strehlow in Bautzen vorbei. Doch er gibt sich nicht auf. Auf Umwegen gelangen vier Physikbücher, ein Computer-Buch und, als Gipfel des Zynismus, der Studienführer westdeutscher Universitäten in seine Hände. Dieses halbe Dutzend Bücher erreicht im Lauf der Jahre für Strehlow einen biblischen Status.

Aber auch im Knast hält der Häftling Strehlow den Mund nicht. Es kommt immer wieder zu Verhören, bis er eines Tages 1984 nur knapp einem Mordversuch durch Vergiften entgeht. Das nach der Wende angestrengte Verfahren wird eingestellt, Strehlow überlebt knapp.

Am 21. Dezember 1989 ist der Alptraum zu Ende. Nichts mehr hält Bodo Strehlow im Osten. Der Berliner Rechtsanwalt Vogel erledigt für ihn die Formalitäten, begleitet ihn in den Westen der Stadt, von wo er nach Münster ausgeflogen wird. Ein Journalist nimmt sich seiner an und bringt ihn in den letzten Dezembertagen zu Günther Jauch in die Sendung "Menschen '89". Nachdem er dort den Wunsch bekräftigte, Physik zu studieren, bietet ihm der ehemalige Rektor der Universität Heidelberg und Professor der Physik zu Putlitz einen Studienplatz in Heidelberg an. Fortan lebte Bodo Strehlow in einem Studentenwohnheim im Neuenheimer Feld und tat endlich das, was er schon immer wollte. In Heidelberg lernte er auch seine Ehefrau kennen, gründete eine Familie und trat 1995 nach dem Vordiplom in die Selbständigkeit.

Student wird Unternehmer

Ich frage ihn, wie er mit der Erinnerung an Bautzen und der tagtäglichen Gewißheit umgeht, zehn Jahre seines Lebens an ein Unrechtsregime verloren zu haben, dessen Existenz die Westdeutschen gerne vergessen. "Es gibt viel zu tun", antwortet er und beschreibt mit seiner Hand einen Bogen, der wohl sinnbildlich sein junges Unternehmen einschließen soll und bricht in ein selbstironisches Lachen aus. In Strehlows Leben regiert die Verdrängung, jedenfalls in dem Gesicht, das er der Öffentlichkeit zeigt. Es ist schwierig, ihn davon abzubringen, den Teil des Interviews, welcher die Zeit seiner Haft betrifft, mit beißendem Zynismus zu würzen. Allein die Tatsache, daß er über unser Gespräch die Zeit und damit den Beginn der Schulung vergißt, die er leitet, zeigt mir, daß jedesmal Steine ins Rollen kommen, wenn von Bautzen die Rede ist.

Im nächsten Jahr wird sich die Wende zum zehnten Mal jähren, wird Bodo Strehlow am 21. Dezember seinen zweiten Geburtstag feiern. Und die wiedervereinten Deutschen? Kennen wirklich alle die Geschichte der unzähligen Strehlows, die nicht nur in Bautzen in Haft waren? "Ich fühle mich zehn Jahre jünger", sagt Bodo Strehlow. Und lacht. (job)


Einfach und ehrlich

ruprechts Kneipenforscher im Hörnchen

Kaffeeklatsch oder Caipirinha-Orgie? ruprecht-Redakteure testen Heidelbergs Cafés, Kneipen und was es sonst noch gibt, ohne Rücksicht auf erhöhte Leberwerte und nervenzerrüttende Koffeinschocks. Die obligatorische Kneipenkritik-Serie, diesmal mit dem "Hörnchen" in der Heidelberger Altstadt.

ruprechts Kneipenforscher im "Hörnchen"

Das Hörnchen:

Pils: 3,70 Cola: 3,20 Kaffee/Tee 3,- Cappuccino/Schokolade: 3,80 Caipirinha: 10,-

Öffnungszeiten: Montag bis Samstag: 8- 1 Uhr Sonn- und Feiertags: 10-1Uhr

Durch die beiden großen Fenster fällt das Licht des Wintermorgens und erhellt den vorderen Teil des kleinen Raumes. Wir sitzen an der Theke des "Hörnchens" und blicken über die kleinen Bartische hinaus auf den Heumarkt. Leise Musik und gedämpfte Gespräche schaffen im Raum eine ruhige Atmosphäre: Ein guter Platz, um die aktuelle Beziehungskrise auszudiskutieren oder sich vom Uni-Streß zu erholen.

Nicht nur Studis kommen hierher, das Publikum ist gemischt: Besonders morgens und abends schauen auch Alt-Heidelberger gern vorbei. "Für mich ist das hier einfach die Kneipe um die Ecke", meint ein älterer Stammgast, "schon vor ewigen Zeiten habe ich hier meinen Kaffee getrunken." Seit fünf Jahren wird das Hörnchen von Anja Breitenbacher geführt, "davor hat es dem 'Herbie' gehört", weiß Sabine, die hier ab und zu arbeitet. Normalerweise reicht für die wenigen Tische eine Bedienung aus, nur samstags bei der Fußballübertragung wird Hilfe gebraucht. Jetzt ist es relativ ruhig. Sabine hat es nicht eilig und macht sich erst einmal selbst einen Cappuccino. "Man weiß vorher nie, wie's läuft", meint sie. "Kein Abend ist wie der andere. Mal sind bloß fünf Gäste da, die sich vollaufen lassen, dann wiederum ist der Laden proppevoll." Die Leute, die ins "Hörnchen" gehen, seien "einfach und ehrlich", genau wie die Kneipe selbst. Vor fünf Jahren wurde renoviert, jetzt erinnert die Einrichtung an ein französisches Bistro: an den gelblich verputzten Wänden hängen alte Zirkusplakate, die Kerzen auf den Tischen stecken in leeren "Orangina"- Flaschen, und in einer Ecke hängt neben der leuchtenden Weihnachtsdekoration ein Michelin-Männchen. "Eigentlich war dieser Stil gar nicht geplant", erzählt Sabine, "das hat sich beim Einrichten so ergeben."

Warum das Lokal trotzdem "Hörnchen" heißt und nicht etwa "Croissant"? Das weiß selbst der Stammgast neben uns am Tresen nicht mehr. Frankreich hin oder her, das am meisten gefragte Getränk sei immer noch das Bier, erklärt Sabine.

Im Vorbeigehen wirkt das "Hörnchen" manchmal leer, und abends ist es eine der ruhigeren Kneipen. Man merkt, daß die Gästen nicht wegen irgendeines Tresenstylings kommen, sondern von der gewachsenen Atmosphäre angezogen werden. Einfach und ehrlich eben. (stw, gan)


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