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Feuilleton


Unsichtbares Denkmal

Debatte um das Berliner Holocaust-Mahnmal

Holocaust Memorial in Amerika und Yad Vashem in Israel bezeugen das Gedächtnis der Opfer der europäischen Judenvernichtung. Doch im Land der Täter fehlt eine zentrale Gedenkstätte: eine "Asymmetrie des Gedenkens"? Die Debatte um das "Denkmal für die ermordeten Juden in Europa" ist kontroverser denn je zuvor. Am 1. Dezember erreichte die Denkmalsdebatte auch Heidelberg.

Seit zehn Jahren existieren Überlegungen, an prominenter Stelle in Berlin eine zentrale Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Juden in Europa zu errichten. Zahlreiche Kommissionen stritten in kleinen Zirkeln über das Für und Wider, schließlich lud man weltweit anerkannte Architekten ein, die künstlerische Umsetzung eines solchen Mahnmals zu bewerkstelligen. In einer einsamen Entscheidung erwählte dann der letzte Bundeskanzler Helmut Kohl den Entwurf des Amerikaners Peter Eisenmann zum Sieger, wenn eine Überarbeitung noch folgen würde - der Spatenstich wäre demnächst erfolgt. Doch die demokratischen Spielregeln durchkreuzten dieses Szenario gleich zweifach: Der neue Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Kulturbeauftragter Michael Naumann stehen dem Mahnmal erst einmal ablehnend gegenüber, und des weiteren ist die Denkmaldebatte nun in einer sehr viel breiteren Öffentlichkeit angelangt. Auch in der Podiumsdiskussion im Städtischen Theater Heidelberg stellte sich die Frage: Was wird nun aus dem Denkmal?

Das Denkmal soll gebaut werden: an dem vorgesehenen Ort südlich des Brandenburger Tores, in der letztgenannten künstlerischen Form des überarbeiteten Eisenmann-Entwurfes und nur mit dem Andenken an die jüdischen Opfer des Holocaust. Micha Brumlik, Heidelberger Professor der Erziehungswissenschaften und Dezernent für Multikulturelles in Frankfurt, setzte ein eindringliches Ausrufezeichen hinter seine Forderung, das Denkmal so schnell wie möglich zu realisieren. Scham als spontan moralisch empfundenes Bekenntnis zu den Opfern der Judenvernichtung wünsche er sich durch ein solches Denkmal, welches damit auch ein gemeinschaftsprägendes Element darstellen könne.

Im Wunsch, möglichst bald ein Denkmal errichten zu können, stimmten die beiden anderen Podiumsmitglieder dem Anliegen Brumliks sofort zu, wenn auch mit anderen Akzentuierungen. Aleida Assmann, Literaturprofessorin in Konstanz und langjähriges Mitglied der Mahnmal-Förderinitiative, stellte anstatt der von Brumlik angestrebten Scham die Trauer in den Vordergrund und formulierte darüber hinaus einen gewissen erzieherischen Auftrag an das Denkmal - die "stumme Rhetorik der Steine" solle durch ein angegliedertes Holocaust-Museum ergänzt werden, das eine symbolische Zusammenführung aller Gedenkstätten zum Ziel haben könnte. Schließlich untermauerte Peter Iden, Leiter der Kulturredaktion der Frankfurter Rundschau, sein Plädoyer für das Denkmal durch hitzige Angriffe auf Rudolf Augstein, der sich im Spiegel deutlich gegen das Denkmal aussprach.

Gerade durch Peter Iden wurde in scharfen Tönen gegen die immer zahlreicheren ablehnenden Äußerungen gewettert - wer weiß, wie scharf die Debatte geworden wäre, hätte mit Lea Rosh die entschiedenste Befürworterin nicht kurzfristig absagen müssen. An Schärfe zu überbieten ist die um die eigentliche Denkmaldebatte hinausgehende Kontroverse zwischen Martin Walser und Ignatz Bubis jedoch kaum noch, in der sich auf beiden Seiten die Zahl der Fürsprecher vergrößert und die feindlichen Positionen verhärtet haben. Was infolge der Walserschen Friedenspreisrede begann, ist nun zu einem grundlegenden Streit über die nationalsozialistische Vergangenheit und die Erinnerung daran ausgebrochen. Der Eisenmann-Entwurf als scham-evozierendes, symbolhaftes Leichenfeld oder als "steinerner Horror", der zur "Monumentalisierung der Schande" beitrage? Augstein, Dohnanyi und Walser als "geistige Brandstifter" im rechtsradikalen Milieu?

Was soll der einfache Mensch dabei denken? Besorgt und irritiert fragte ein sich als "einfacher Mensch" vorstellender Diskussionsteilnehmer, welches Ausmaß die Debatte angenommen habe und wie wenig in der breiten Öffentlichkeit überhaupt angekommen sei. Wie sieht eigentlich der überarbeitete Eisenmann-Entwurf aus? Hier nun kamen die Befürworter des Denkmals auf dem Podium in Verlegenheit - denn die meisten der zahlreichen Besucher haben bestenfalls in ihrer Tageszeitung einmal ein unscharfes Photo gesehen. Auch die Veranstalter konnten kein Photo, geschweige denn ein Modell, vorweisen: die Urheberrechte werden nicht allgemein freigegeben. Das Denkmal bleibt unsichtbar. (ab)


Frei ist der Bursch

1848/49: Heidelberger Studenten wollten auch mal Revoluzzer sein

Als sich das Bürgertum 1848 eifrig im Revoltieren übte, erwachten die Heidelberger Studenten aus ihrem biedermeierlichen Halbschlaf und so manch einer entdeckte seine liberale Ader. Die restriktive Überwachung der Universitäten war verhaßt, daher unterstützte man die liberalen Märzforderungen wie Presse- und Versammlungsfreiheit.

In den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerieten die Studenten mit der Bildung einer Studentenkompanie, die für Ruhe und Ordnung sorgen sollte. Denn auch in Heidelberg gärte es. Das Korps integrierte sich in die Bürgerwehr, um die Verbindung mit der Bürgerschaft zu besiegeln. Doch genehmigte der Senat die Bewaffnung der Studenten nicht ohne Hintergedanken: Die Herren Senatoren befürchteten, daß sich so mancher Jungspund von radikal-republikanischen Genossen mit sozialrevolutionären Ideen verführen lassen würde. So glaubte man die Studenten in der Bürgerwehr besser aufgehoben.

Der Kampfgeist der Studentenkompanie wurde selten auf die Probe gestellt, schließlich bestand die Hauptaufgabe in harmlosem Patrouillieren. Ihre einzige Bewährung hatte die Kompanie am 24. April zu bestehen, als es galt, die mit Heugabeln und Sensen bewaffneten plündernden Odenwälder Bauern vor dem Rathaus in die Flucht zu schlagen.

Demokratischer Studentenverein

Größeres Aufsehen erregten die Studenten mit der Gründung eines "demokratischen Studentenvereins", ähnlich den bürgerlichen Vereinen, die mehr oder weniger offen die Herstellung der Republik proklamierten. Zwar waren anfangs nur 28 Mann in diesem Verein organisiert, das entsprach etwa 5 Prozent der Studierendenschaft, doch brachte dieser eine Lawine ins Rollen, die erst mit der Unbeholfenheit der Studenten ein Ende nahm. Mit einem Anschlag am schwarzen Brett in der Universität zog der Verein die Aufmerksamkeit von Senat, Universitätspolizei, Kurator und Ministerium auf sich: "Commilitonen, wem von Euch Freiheit und Volkswohl ein Herz im Busen schlägt, und wer consequent genug ist, die einzig mögliche Verwirklichung dieser Freiheit in der Republik zu erkennen, den fordern wir auf, tretet unserem Verein bei."

Der Anschlag wurde sofort beschlagnahmt. "Hochverrat" meinte der Kurator zu den studentischen Bestrebungen. Den Vereinsmitgliedern unterstellte er, einen "Bürgerkrieg" anzuzetteln. Da es die Studenten bei der Unerfahrenheit im politischen Leben auf "Abwege" bringen würde, löste das Innenministerium den Verein kurzerhand auf. Doch verfehlte das Verbot sein Ziel: Jedenfalls brachte die formelle Auflösung die beste Propaganda für den Verein. Denn die Studentenschaft solidarisierte sich mit den Opfern der Zensur.

Burschis und Corps

Eine Deputation von liberalen Professoren und Studenten reiste nach Karlsruhe, um bei der Beibehaltung des Verbots mit dem Auszug aller Studenten aus Heidelberg zu drohen. Die Akademiker sahen sich um eine der wichtigsten März-Errungenschaften, dem Assoziationsrecht, betrogen. Am 17. Juli warfen die Studenten nach vergeblicher Mission ihrer Universität den Fehdehandschuh hin: Die Mehrheit beschloß den Auszug. Unter den 364 Studenten waren die Burschenschaften Teutonia, Franconia und Allemania, die Corps Vandalia und Nassovia sowie der progressistisch angehauchte Teil der Corps Suevia. Daß nicht alle Studenten die Liberalisierung befürworteten, zeigt die Debatte unter den Corps: Während die Vandalia und Nassovia sich nicht gegen die Mehrheit der Studenten stellen wollten, erachteten Guestphalia und Saxo-Borussia das Eintreten für den Verein und seine Tendenzen für unzulässig.

Gegen staatliche Willkür

In den Morgenstunden des 17. Juli zogen die Widerständler mit der schwarz-rot-goldenen Fahne und unter dem Leitspruch "Frei ist der Bursch!" in Richtung Neustadt an der Weinstraße. Doch ist dieser Auszug weniger als Demonstration republikanischer Gesinnung zu bewerten, sondern vielmehr als Aufstand gegen staatliche Willkür. In einer Petition wiesen die Studenten selbst darauf hin, daß sie "keineswegs sämtlich der republikanischen Richtung" angehörten, sondern ebensogut der konstitutionellen". Es ging bei diesem Auszug um das Recht auf Verbindungsfreiheit und die Gleichstellung mit demokratischen Organen des liberalen Bürgertums.

Und hierin lag ein folgenschwerer Fehler: Die Studenten forderten, wenn ihr Verein schon nicht weiter bestehen dürfe, dann sollten auch die anderen demokratischen Vereine um der Gerechtigkeit willen aufgelöst werden. Dem Ministerium kam diese Forderung natürlich ganz recht: Die zweite Kammer faßte den Beschluß, den Studenten "Gerechtigkeit" widerfahren zu lassen und sämtliche Vereine wurden aufgelöst. Am 25. Juli kehrten die Studenten wieder in Heidelberg ein, wo sie von den Wirten und Pensionsbesitzern schon erwartet wurden. In einer Proklamation verkündeten sie: "Zwar ist unsere studentische Ehre wieder hergestellt, da jetzt auch die übrigen demokratischen Vereine in Baden aufgehoben sind; aber wir verwünschen eine solche Genugtuung, welche geschehenes Unrecht nur durch größeres wieder gut macht!"

Fahnenflüchtig

Erst mit dem Sommersemester 1849 wurde es wieder unruhig in der Neckarstadt. Wie viele Akademiker letztendlich dem Aufruf zur Reichsverfassungskampagne folgten, ist unklar. Jedenfalls rekrutierten sich in den Reihen der Freiheitskämpfer auch Studenten, um an den Gefechten in Baden und in der Pfalz teilzunehmen. Doch hört man von der Manneskraft der Studenten wenig Gutes. So schreibt Friedrich Engels, der Adjutant im Willichschen Freikorps war: "Namentlich die Studenten waren die ersten, die fahnenflüchtig wurden, soweit sie nicht durch Verleihung des Offiziersranges, wozu sie sich natürlich selten eigneten, zurückgehalten wurden." Doch ist die Revolution kaum am kriegstechnischen Unvermögen mancher Studenten gescheitert. Kurt Tucholsky sagte einmal: "Verärgerte Bürger sind noch keine Revolutionäre."

Die Deutsche Burschenschaft, Dachverband all jener Verbindungen, die dem rechten Spektrum besonders zugeneigt sind, sieht in den Burschenschaften die "wichtigsten Träger der Revolution". Doch ist die Rolle der Burschenschaften in der Revolution nicht überzubewerten. Zum zweiten sollte sich der Dachverband bei der Verbreitung dieser Behauptung klar werden, daß sich die Burschenschaften bis heute weniger den Ideen der Demokratie und des Liberalismus verpflichtet fühlen: Während sie in der 48er Revolution das durchaus begründete Verlangen nach einem Nationalstaat hegten, pervertierte sich diese Vorstellung im nationalsozialistischen Rassenkult unseres Jahrhunderts. (cl)


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