Warum sollte ein gestandener Professor der Jurisprudenz und langjähriger Regierungspolitiker die Lust verspüren, einen Politkrimi zu schreiben? Horst Ehmke kann gleich auf mehrere Gründe verweisen, doch zwei scheinen besonders erwähnenswert, da besonders erhellend. Zum einen führt Ehmke das Wiederneuerlernen der Sprache an, die nach Jahren juristischer Fach- und politischer Rhetoriksprache auf schriftstellerische Menschlichkeit getrimmt werden mußte. Zum zweiten könne in lang(weilig)en Parteivorstandssitzungen seiner sozialdemokratischen Partei einem schon der Gedanke kommen, sich mit etwas abseitigen Dingen zu beschäftigen.
Also hat der ehemalige Justizminister und Kanzleramtschef unter Willy Brandt über das geschrieben, worüber er am besten Bescheid weiß: Organisierte Kriminalität (OK im Fachjargon genannt). Und tatsächlich hat Horst Ehmke einen spannenden Politkrimi geschrieben, der kein verkappter Schlüsselroman ist, um andere hinterrücks zu demaskieren, statt dessen ist es ein anspruchsvoller Thriller ohne erkennbares Motiv des Autors geworden. Ohne Motiv? Kann ein politisches Schwergewicht wie Ehmke schreiben, ohne eine politische Absicht zu verfolgen? Beinahe. Beiläufig tauchen nämlich doch politische Positionen auf, wenn auch durch den fiktiven Staatssekretär gesprochen, der im Roman monologisch klagt, letztlich seien die Mechanismen des kalten Räuberkapitalismus die Wurzeln der Organisierten Kriminalität.
Daß der 71jährige Ehmke trotz seines Ausfluges in seichtere Gefilde ein politischer Kopf bleibt, bewies er am 25. November nach der Lesung seines Politkrimis "Global Players" im Deutsch-Amerikanischen Institut eindrucksvoll. Auf wißbegierige Fragen im Auditorium stoßend, dozierte der ehemalige Professor und Politiker Horst Ehmke in großen Zusammenhängen über Ursachen, Formen und Ausmaß der "OK", deren Macht und Größe schließlich auch in Deutschland nicht unterschätzt werden dürfe - man brauche erst gar nicht nach Sizilien schauen. Einen Eindruck konnte man bei alledem schnell gewinnen: den Ehrentitel "Kriminalkommissar" hat sich Horst Ehmke längst verdient. (ab)
In den Genuß dieser Werke kommt man, wenn man regelmäßig das Satiremagazin "Titanic" käuflich erwirbt oder die gesammelten Ergüsse des Meisters in Buchform sein eigen nennen kann. Zu den Glücklichen durften sich diejenigen zählen, die Goldts Lesung im DeutschAmerikanischen Institut am 1. November nicht versäumt hatten.
Der Mann muß keine Reisen in entlegene Länder unternehmen, "wo die Menschen sich am Hintern kratzen" (Goldt). Der Mann schreibt über seinen Alltag, unseren Alltag : "Als ich einmal das Görlitzer Naturkundemuseum besuchte, war gerade der ausgestopfte Uhu umgefallen". Mit dem Wissen um einen gemeinsamen Background stellt Goldt Kurioses an, spinnt Verrücktes weiter, führt uns den alltäglichen Wahnsinn vor Augen. Er findet die richtigen Zutaten, um durch Übertreibung, Hohn und Spott menschliche Schwächen und Laster darzustellen. Goldt schreibt nicht platt oder laut kreischend, seine Ironie entfaltet sich nach und nach, leise, fast unmerklich, um dann seine ganze Pracht zu entblättern: "Die Gläubigen sinken nach des Arbeitstages Marter in die Badewanne und spielen mit dem schönen Schaum, und zum schönen Schaum gesellt sich der liebe Gott, und dann werden Pforten zum Licht gesichtet. Die anderen können nur in der warmen Brühe liegen und wichsen". Da wird psychologisiert und philosophiert, auseinandergenommen und mit neuem Sinn zusammengesetzt. Dort wird mit Worten jongliert, die stets hinfallen, wo sie nicht das geringste verloren haben, und das nur, "um die Konversation zum Moussieren zu bringen". Auch an Wortneuschöpfungen mangelt es nicht. Die Fußmatte vor der Toilette wird zur "Klofußumpuschelung", der Geschlechtsakt zum "Unterleibsrambazamba". Die Rosinen in seinen Stücken sind zweifellos die unzähligen Bilder und Metaphern, die vom einfachen Vergleich bis hin zum kolossalen Wolkenschloß reichen. So sind seine "Geschmacksknospen vom Grappatrinken in einem Zustand wie Dresden 1945", und die Strafe vor Gericht "mild wie ein andalusischer Winter". Max Goldt bietet zudem Lebensweisheiten an, die einem bisher verborgen blieben: "Prima ist es an der See. Man kann einen Furz lassen, und der Furz wird umgehend ins befreundete Ausland geweht". Es wird auch belehrt. So zum Beispiel, daß "eintrudeln" nur Gäste können, praktisch "gästespezifisches Ankunftsverhalten" ist. "Denn", so rechtfertigt sich Goldt, "sind die Deutschen anno '39 in Polen eingetrudelt? Nein!" Sonst werden einfache Beobachtungen angestellt und den "lieben Lesefröschchen", so Goldts bevorzugte Anrede der Leserschaft, mitgeteilt. Bei Goldt hört sich das so an: "Fuck Alltagsbeobachtungen! Ich kann gar keinen Alltag beobachten, weil ich in einer glitzernden Traumwelt gefangengehalten werde!" Auch vor momentanen Trends wird nicht haltgemacht. Der Autor berichtet uns , daß es "out" ist, Blinden 6,9 kg schwere Pakete mit Abfall zu schicken, nur weil eine Blindensendung bis 7 kg portofrei ist. Der Satiriker will sein Wissen "unter die Leute peitschen"; da ist der Name hilfreich: "Max Goldt ein Name wie ein Peitschenhieb!" Trotz aller Gewalt liegt Goldt der lächelnde, der fröhliche Leser am Herzen, denn "Schmunzeln ist wie Vanille für die Seele". Natürlich bekommen auch die lieben Studenten ihr Fett weg. Goldt meint, daß jeder Student zu Besuch in den ersten fünf Minuten fragt : Und was bezahlst du hier Miete? Sein Kommentar: "Studenten fragen das immer! In einem preisgekrönten Spielfilm über geistig behinderte Kinder fände man so etwas 'liebenswürdig' und 'entwaffnend', aber das Leben ist anders."
Der Autor, 1958 in Göttingen geboren und wohnhaft in Hamburg, wird weiterhin " am Publikumsinteresse vorbeiproduzieren". Im Heyne Verlag erschienen seine Bücher "Die Radiotrinkerin", "Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau" , "Schließ einfach die Augen und stell dir vor, ich wäre Heinz Kluncker", "Die Kugeln in unseren Köpfen", im Haffmanns Verlag "Ä",und sein neustes Werk "Mind boggling Evening Post". (tas)
Mit seinem leichten Sehfehler, seiner mickrigen Stimme und seiner grenzenlose Schüchternheit hat er auf dem Fleischmarkt der Liebe denkbar schlechte Chancen. Dabei ist er eigentlich scharf wie Nachbars Lumpi und wünscht sich nichts sehnlicher als eine Freundin. Als er dann endlich ein Mädchen abbekommt, ist er wieder unglücklich. Mit Vanina, deren Name nicht von ungefähr an peinlichen Aufklärungsunterricht erinnert, macht er seine ersten sexuellen Erfahrungen, doch zugleich schämt er sich für ihr riesiges Hinterteil. Auch für seine ausgeflippten Eltern schämt sich Louis. Weil sich sein schwabbeliger Vater als Jungunternehmer um seine Karriere kümmern mußte und seine Mutter Mary (auch dieser Name birgt Anspielungen in sich) als weltenbummelnder Späthippie ihr Lebensglück sucht, wuchs Louis bei den Großeltern auf. Im Laufe des Romans entwickelt Louis, der sich immer ein normales Familienleben gewünscht hatte, dann eine intensivere Beziehung zu seiner Mutter. Sie ist es auch, die als ansonsten eher verantwortungslose Mutter Louis in seinem Liebeskummer tröstet. Vielleicht versteht Mary ihren Sohn gerade deshalb so gut, weil auch sie vom Leben schon oft enttäuscht worden ist. Marys Geschichte und die Geschichte von Louis' Geburt in einem Schweizer Gefängnis, in dem Mary als ertappter Drogenkurier landet, wird im Mittelteil des Romans erzählt (der leider zu den schwächeren Passagen des Buches gehört). Im Rest des Romans hangelt sich Louis neurosengeplagt durchs Leben, kümmert sich um seine senile Nachbarin und ist immer auf der Suche nach dem unkomplizierten Leben und der erfüllten Liebe zu einer Frau. Dabei wird dieser Louis Blaul in seinen Urteilen und in seiner Sprache doch niemals boshaft oder sarkastisch, sondern schildert das, was er erlebt, immer mit Charme und Witz. Überhaupt die Sprache. Da merkt man von der ersten Seite weg, daß Rothmann das Erzählen im Blut steckt. Da klingt nichts gequält oder gestelzt, man hat immer den Eindruck, daß Rothmann auch sprachlich aus dem prallen Leben schöpft. Doch auch bei den Motiven und Sujets wirkt Rothmanns Roman bunt wie das Leben. Der jugendliche Held auf der Suche nach seinem Platz in der Welt. Der Generationenkonflikt. Die unglückliche Liebesgeschichte. Die beinahe-inzestuöse Mutter-Sohn-Beziehung. Darüber hinaus erfährt der Leser auch, ob Jesus Schuppen hatte und weshalb das Abitur so heißt wie es heißt. Einzig und allein der Titel (eine Stelle aus dem Hohen Lied der Liebe) hätte besser gewählt werden können. Denn "Flieh, mein Freund!" ist ganz sicher der falsche Rat an den Leser.
Ralf Rothmann, geboren 1953 in Schleswig, wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach Volksschule und Maurerlehre arbeitete er in verschiedenen Berufen. Er lebt in Berlin.
Veröffentlichungen. Kratzer und andere Gedichte (1987), Messers Schneide. Erzählung (1986), Der Windfisch Erzählung (1988), Stier. Roman (1991), Wäldernacht (1994) und das Schauspiel Berlin Blues (1997). (col)