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Feuilleton


Objekt der Begierde

Kunsthistorischer Kongreß der anderen Art

"Einige Vorträge fand ich erstaunlich gut. Man merkt das Bemühen, witzige und spannende Thesen zum Thema aufzustellen und Neues zu kreieren", resümierte Katrin Heisse am Ende das 60. Kunsthistorischen Studenten Kongresses (KSK) in Heidelberg. Die Leipzigerin ist eine der über 60 Kunstgeschichtsstudierenden, die aus ganz Deutschland angereist waren, um sich hier auf möglichst freie Art und Weise mit dem Thema "Das Kunstwerk im Rampenlicht - Objekt der Begierde" auseinanderzusetzen.

Der KSK besteht seit 1969 als einziges Forum aller Studierenden der Kunstwissenschaft im deutschsprachigen Raum. Er wird jedes Semester in einer anderen Stadt ausgerichtet und befaßt sich neben hochschulpolitischen Fragen vor allem mit der Kunstgeschichte selbst. Den Organisatoren des Kongresses in Heidelberg ging es hauptsächlich darum, das thematische und methodische Spektrum des Faches auszuloten: "Wir wollen möglichst viele verschiedene Kunstgattungen - wie etwa Video, Fotografie, Malerei und Skulptur - möglichst epochenübergreifend besprechen", so Thomas Niederbühl.

Alte und neue Kunst

Das Besondere beim Kongreß sei die diskussionsfreundliche Atmosphäre, ergänzte Anne Leeb. "Hier sind hauptsächlich Studenten, das ist einfach viel lockerer sowohl für die Vortragenden als auch für die Zuhörer". Insgesamt 17 Referenten, allesamt Studenten, fokussieren ihre Ausführungen auf ein Objekt, um dabei ihre eigenen Ansätze und Herangehensweisen zu verdeutlichen. Aus der Offenheit des Themas spannte sich ein weiter Bogen von alter zu neuer Kunst sowie von klassischen Themen bis zu sogenannten Randbereichen des Faches.

"Die Doppeldeutigkeit des Themas war von vorneherein fest eingeplant", betonte Thomas Niederbühl. Folglich berührten sämtliche Vorträge nicht nur das Kunstwerk als Objekt der Begierde, sondern thematisierten auch die Begierde an sich, wie etwa in "Moral und Lust im Zeitalter der Antike" oder den Betrachtungen zu den Arbeiten der bekannten Fotografin Claude Cahun. Gender/queer studies verbanden sich darin mit Kunstgeschichte, wobei die Betonung auf letzterem ruhte.

Mannsbilder

Ein wenig ausgetrickst konnte sich daher die mäßig kunsthistorisch ambitionierte Frau fühlen, die der vielversprechende Titel "Mannsbilder oder Begierde als Objekt" ins Kunsthistorische Institut gelockt hatte. Der Vortrag bot anstelle der erwarteten Augenweiden vor allem Kopfarbeit mit dem Thema: "Männlichkeit als reinstitutionalisierendes Vorstellungsprodukt, um den Mann zu verschleiern". Über den passiven Status als Objekt der Begierde hinaus, so war zu lernen, ist Frederic Lord Leightons Gemälde "Daedalus and Icarus" (1869) in den sexuellen Begehrensprozeß des Betrachters eingebunden und produziert diesen mit. Am Ende des Vortrags war auch dem kunsthistorischen Laien die Relevanz der sexuell-erotischen Ambiguität im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts für heute klar.

Kontaktforum

"Wir haben zwar eine Menge Plakate in anderen geisteswissenschaftlichen Instituten ausgehängt, aber größtenteils waren es doch Studenten der Kunstgeschichte, die sich für den Kongreß interessierten und zu den Vorträgen kamen", so Anne Leeb, "das ist ein bißchen schade, aber nicht zu ändern". Dafür kamen Studenten der Kunstgeschichte aus der ganzen Bundesrepublik angereist, wie aus den Städten Hamburg, München, Oldenburg, Köln und Greifswald, um nur einige Studienorte zu nennen. Schließlich ist der KSK ein großes Forum, auf dem die Studierenden Kontakte aufbauen und sich austauschen können. "Man bekommt Insiderinformationen, etwa wie es an anderen Instituten läuft, mit welchen strukturellen Problemen man dort konfrontiert wird oder wo die Forschungsschwerpunkte liegen", weiß Christin Mani besonders am Kongreß zu schätzen. Die Berlinerin muß es ja wissen, schließlich ist sie bereits zum dritten Mal dabei und wird auch den nächsten Kunsthistorischen Studentenkongreß sicherlich nicht verpassen. (bak)


"Offene Bühne" jeden Monat

Alternatives Theater im Romanischen Keller

Strampelnd hängt Bierchen an seinem Bergsteigerseil an der Wand, grummelt widerwillig vor sich hin und entlädt seinen Zorn darüber, daß er sich nicht selbst befreien kann, in brunftigen Schreien. Als die kleine Nicole aus dem Odenwald ihrer Blockflöte zwecks weihnachtlicher Stimmung ein quietschendes "Alle Jahre wieder" entlockt, wirft Bierchen alias Matthias Klingenberg in seiner Verzweiflung mit Erdnüssen um sich, und endlich empfindet auch das Publikum Mitgefühl.

Diese recht ungewöhnliche - künstlerisch jedoch durchaus aussagekräftige - Szene spielte sich am vergangenen Dienstag im Romanischen Keller ab. Mit einer "Offenen Bühne" soll dort künftig ein Forum für all jene künstlerisch ambitionierten Menschen bestehen, die ihre kreativen Energien in sozial verträglicher Weise entladen wollen. Dichter, Schauspieler, Kabarettisten, Stand-Up-Comedians, Zauberer, Tänzer, Musiker und sonstige (Körper-) Künstler sind an jedem ersten Dienstag im Monat dazu eingeladen, sich und ihr Improvisationstalent einem Publikum zu präsentieren.

"Wir sind das erste Theater hier in Heidelberg, das eine offene Bühne bietet", betonte Torsten Siche, der das Projekt gemeinsam mit Matthias Paul ins Leben gerufen hat. Für subventionierte Theater, so finden die beiden, ist das ein Armutszeugnis: "Die sollten sich einmal überlegen, warum sie nicht in der Lage sind, ähnliche alternative Kulturgeschichten auf die Beine zu stellen". Das Theater im Romanischen Keller ist privat organisiert und finanziert, was die Arbeit der beiden HiWis natürlich erschwert. Damit keiner umsonst kommt, werden jeweils etwa drei Akte fest eingeplant. Dadurch soll auch ein gewisser qualitativer Standard gesichert werden. "Diese Künstler nutzen die Bühne quasi als Werbeauftritt", erläuterte Projektleiter Siche. Eher Werbeaushang war in dieser Hinsicht wohl Bierchen. Gemeinsam mit seinem Partner Bulette alias Matthias Paul präsentierte er kurze, szenisch bearbeitete Texte des russischen Schwarzhumoristen Daniel Charms. "Ich bin ein Prinz", strahlte Bulette über die dicken Schokoladenbäckchen, "zum Anbeißen", dachte sich der hingerissene Zuschauer. Süß war der Prinz jedoch nur äußerlich, inhaltlich ergoß sich Giftiges auf der Bühne. Die geplant spontane Einlage, Bierchen nach dem Auftritt nicht mehr abzuseilen, entblößte im Publikum ähnlich bösen Humor und ergänzte so bei allem Nonsense sinnig das Programm.

Als weiterer fester Akt trat am ersten Abend der "offenen Bühne" im Romanischen Keller Minnesänger Marc Lewon vom Ensemble Trencento auf. Mit Harfenklängen und Walther von der Vogelweide schloß er an den alten Klassiker "Dinner for one" an und demonstrierte damit den angestrebten Facettenreichtum der "offenen Bühne".

"Eigentlich hatten wir mit mehr Leuten gerechnet", so Siche, "es bleibt abzuwarten, wie sich die Resonanz entwickeln wird". Bei einigen leeren Stühlen versteckte sich die allgemeine Mitmachstimmung anfangs etwas hinter Verlegenheit. Doch die Drohung, die kleine Nicole noch einmal mit ihrer Blockflöte auftreten zu lassen, wirkte Wunder. Keiner wollte so recht in Weihnachtsstimmung kommen. Da Witz und Spontanität jedoch immmer der entsprechenden Stimmung bedürfen, warten Matthias und Torsten sowie das künftige Publikum auf mehr derartiger Künstler. Ein solcher ist möglicherweise Boris Halva. Er hat sich von der Idee der Offenen Bühne begeistern lassen und erzählt: "Ich überlege mir, ob ich das nächste Mal etwas vortrage oder klimpere". (bak)

Wer es ihm gleichtun möchte, kann seinen Auftritt in den Sprechzeiten des Romanischen Kellers (Di. 14-16, Do. 15-17, Fr. 10-12 Uhr) oder unter Tel. 06221 / 436665 und 24134 anmelden und absprechen oder sich ganz einfach ganz spontan präsentieren.


"Ein komisches Ding"

Die Premiere von Edward Bonds Komödie "Die See"

Der kontrovers diskutierte englische Dramatiker Edward Bond zählt zu den Vertretern der sogenannten Angry Young Men - Literatur, der auch Alan Sillitoe zugeordnet wird. Bonds Komödie "Die See" hatte am 6.12. Premiere im Stadttheater.

In einer stürmischen Nacht geschieht ein Unglück vor der Küste Englands: Ein Boot kentert, einer der Insassen ertrinkt. Der andere kann sich an Land retten und findet sich in einer seltsamen englischen Kleinstadt wieder, wo er einige Überraschungen erleben muß.

Der Tuchhändler Hatch, der in der besagten Nacht zur Küstenwache eingeteilt ist, empfängt den Fremden Willy Carson mit wüsten Beschimpfungen, denn er hält ihn für den Abgesandten eines außerirdischen Volkes, das eine Invasion der Erde plant. Hatch macht es sich zur Aufgabe, die Stadt zu warnen und einen Widerstand zu organisieren. Doch er findet nur wenige Anhänger und im Laufe des Stücks wird klar, daß er immer mehr dem Wahn verfällt, denn seine Existenz ist kurz vor dem Scheitern. Die reiche Miss Rafi schikaniert ihn mit umfangreichen Bestellungen, in die Hatch sein ganzes Kapital stecken muß und die sie danach nicht mehr haben will.

Überhaupt scheint jeder in der Stadt nach ihrer Pfeife zu tanzen. Für die von ihr inszenierte Aufführung der griechischen Sage "Orpheus und Euridike" muß sogar der Vikar der Gemeinde in Strumpfhosen antreten.

Reichlich theatralisch wirkt auch die Beerdigung der inzwischen angeschwemmten Wasserleiche. Nicht der Priester ist es, der einige Worte an die Trauergemeinde richtet und die Asche aus der Urne verstreut, sondern Miss Rafi.

Es stellt sich allerdings heraus, daß vor allem Miss Rafi Probleme mit ihrer klassenbedingten Rolle der Befehlshaberin in der Gemeinschaft hat. Sie fühlt sich verpflichtet, die Geschicke ihrer Untergebenen zu lenken und bemüht sich, deren Vorstellungen einer herrschsüchtigen, arroganten Frau gerecht zu werden. Doch die daraus entstehende Isolation läßt sie das Altwerden fürchten. Und so hat jeder seine Probleme mit der ihm bestimmten Position in der Gesellschaft, die er mit sich herumschleppt und die ihn in seiner Freiheit einschränken.

Der Säufer Evens, der in einer Hütte am Strand haust, hat dieser Gesellschaft entsagt. Nach dem Tod seiner Frau wurde er zum Eremiten. Er scheint der einzige zu sein, der die Wirklichkeit noch unverklärt wahrnimmt. Und deshalb kann auch nur er dem verwirrten Carson als hilfreicher Ansprechpartner dienen. Auf dessen Ratschlag hin verläßt er schließlich auch mit Rose, der Verlobten seines toten Freundes, die Stadt.

Die am Schluß eskalierende Gewalt ist ebenso Produkt der strengen und repressiven Hierarchie der Kleinstadt wie Hatchs Wahn.

In "Die See" haben gleichzeitig auch zwei neue Ensemblemitglieder Premiere: Ursula Berlinghof spielt Louise Rafi, während Ines Krug als Rose auftritt. Doch nicht nur sie machen das Stück absolut sehenswert, das der Bezeichnung als Komödie pointenreich gerecht wird.

"Die See" im Stadttheater Heidelberg: 16.12.98, 20 Uhr; 02.01.99, 19.30 Uhr (mi)


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