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Standpunkte


Doppelte Staatsbürgerschaft

Das seit 1913 in Deutschland gültige Staatsangehörigkeitsrecht nach dem Blut- und Abstammungsprinzip gilt schon seit langem als nicht mehr zeitgemäß, da es zu grotesken Ungereimtheiten führte. Das Vorhaben der rot-grünen Regierung, das Staatsangehörigkeitsrecht zu reformieren, sieht neben der Regelung, hier geborenen Kindern ausländischer Eltern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit zu erteilen, auch die Streichung der Passage vor, die eine "doppelte Staatsbürgerschaft" verbietet. Die damit erfolgte Duldung der "doppelten Staatsbürgerschaft" kommt dabei insbesondere den hier lebenden Türken zugute, die mit Abgabe des türkischen Passes etwa fürchten müssen, dort ihre Erbansprüche zu verlieren. (ab)

Ist die Duldung der "doppelten Staatsbürgerschaft" gerechtfertigt?
JA
"Man würde sich nicht verschluckt fühlen, sondern assimiliert. Konflikte mit dem familiären Umfeld würden vermindert und das Bekenntnis zur Zugehörigkeit erleichtert"

Nilgün Yavuz

Philosophie/Literaturwissenschaft, Heidelberg

Daß das Ausländerrecht überholt werden muß, ist gar keine Frage. Es gibt genügend Fälle, bei denen man sich wundern muß, daß der oder die Betreffende nicht die Möglichkeit hat, eine Aufenthaltserlaubnis zugesprochen zu bekommen, geschweige denn einen deutschen Paß zu erwerben.

Die Reformbestrebungen der Regierung befürworte ich, auch wenn ein paar Formulierungen noch etwas zu präzisieren wären. Mit dem Reformpaket wird der dauerhaft in Deutschland lebenden ausländischen Bevölkerung ein klares Integrationsangebot gemacht. Dabei sehe ich die doppelte Staatsbürgerschaft als unverzichtbaren Teil dieses Reformpakets, denn für viele hier lebende Ausländer, die partizipieren wollen und die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben, ist die Abgabe des alten Passes ein Hinderungsgrund.

Die meisten Menschen ohne deutschen Paß haben ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft in Deutschland gefunden, sie identifizieren sich aber auch mit den Gegebenheiten und Problemen ihrer Herkunftsländer, gerade weil sie sich auch als Person über ihre Staatsbürgerschaft definieren. Wenn nun diesen Menschen die Möglichkeit gegeben würde, ohne sich gegen etwas entscheiden zu müssen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, hätte das sicher integrierende Wirkungen. Man würde sich nicht verschluckt fühlen, sondern akzeptiert statt assimiliert. Konflikte mit dem familiären Umfeld würden vermindert und das Bekenntnis zur neuen Zugehörigkeit erleichtert.

Die Überidentifikation mit den Problemen und gewissen Lebensweisen des Herkunftlandes, mit der sich viele Ausländer zur Zeit von Deutschland abgrenzen und in der sie sich zusammenrotten, würde sicherlich verringert. Denn habe ich als Ausländer auf einmal nicht mehr nur Pflichten, sondern auch alle Rechte in dem Land, in dem ich schon seit vielen Jahren lebe, dann fühle ich mich für das, was in diesem Land passiert, auch in einem viel stärkeren Maße verantwortlich.

Aber im Augenblick sieht es so aus, daß die dauerhafte Ausgrenzung der Eingewanderten das Zugehörigkeitsgefühl zur zweiten oder für viele auch ersten Heimat Deutschland sehr erschwert.

Kann denn ein Staat wie Deutschland es auf Dauer hinnehmen, daß ein zahlenmäßig bedeutender Teil der Bevölkerung, wir reden immerhin von sieben Millionen Menschen, über Generationen hinweg außerhalb der staatlichen Gemeinschaft steht? Wie legitim sind denn Wahlen, bei denen nicht größtmögliche Deckungsgleichheit von Staatsvolk und Wohnbevölkerung herrscht?

Meines Erachtens wird durch die geplante Reform der deutsche Paß nicht einfach verschleudert. Diejenigen, die sich um den Erwerb bemühen werden, sind sowieso größtenteils diejenigen, die sich ohnehin schon Gedanken darüber machen, die Entscheidung aber aus vielerlei Gründen einfach nicht treffen können.

Wir sollen uns eben zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden. Das ist viel leichter gesagt als getan. Ich habe diese Entscheidung nun getroffen, ich bin deutsche Staatsbürgerin, mein türkischer Paß hat einen dicken Stempel mit der Aufschrift: "Ungültig", mein türkischer Personalausweis ist gelocht. In dem provisorischen Ausweis für die Türkei, den man mir auf dem Konsulat ausgestellt hat, steht in gedruckten Buchstaben die Bezeichnung "Alman", d.h. "Deutsche". Jetzt habe ich mich drei Jahre um den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft bemüht, bin endlich am Ziel und kann mich dennoch nicht so ganz darüber freuen.

Ich bin dem deutschen Staat gegenüber nicht viel loyaler geworden, das war vorher schon der Fall. Meinen Namen muß ich immer noch rechtfertigen (bitte verlangt nicht, daß ich den dann eben auch abgeben soll), die Türkin bin und bleibe ich einfach. "Almanci" (Deutschländerin) war ich in der Türkei schon in der Zeit ohne deutschen Paß. Gegen dieses Wort habe ich mich immer gewehrt und dabei auch meinen türkischen Paß hochgehalten. Aber jetzt habe ich es schwarz auf weiß: Ich bin eine "Alman". Es wäre schon schön gewesen, wenn ich mich nicht gegen die Staatsbürgerschaft meiner Eltern, Geschwister und aller anderen Verwandten hätte entscheiden müssen.

Wenn ich mich nicht entscheiden kann, dann gelte ich als illoyal und als ein Sicherheitsrisiko. Aber nicht nur ich: alle der über zwei Millionen Menschen, die aus verschiedenerlei Gründen bereits die doppelte Staatsbürgerschaft haben. Ich finde es wirklich traurig, daß vor allem bei der aktuellen Unterschriftenkampagne mit Vorurteilen gespielt wird und damit auch ausländerfeindliche Ressentiments geschürt werden.

Nein"Gut gemeinte Integrationsbemühungen sind so von vornherein zum Scheitern verurteilt. An diesen Gegebenheiten kann die Hingabe eines deutschen Passes nichts ändern"

Carl Jonas Cords

Jura/Politik, Heidelberg

Eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist lange überfällig. Die neue Opposition hatte das Thema strategisch verschlafen, um am Abstammungsprinzip weiterhin festhalten zu können. Mit Hinweis auf die Alterspyramide und rückläufige Geburtenzahlen wurden dann russischsprechende potentielle CDU-Wähler in großer Zahl eingesiedelt, was mit einem Rollgriff in die Rentenkasse bezahlt wurde.

Rot-grün hat diese Möglichkeit nicht. Jenseits der Landesgrenzen wartet kein zu erschließendes Wählerpotential. Was ist zu tun, um in der Tradition der Regierung Brandt neue Wähler zu "gewinnen"? Ganz einfach: den deutschen Paß als giveaway an noch Nichtdeutsche. Die bisherige Möglichkeit zur Einbürgerung alleine reicht offensichtlich nicht aus. Weit mehr als die Hälfte beispielsweise der aus dem islamischen Kulturkreis stammenden Ausländer erfüllt heute die tatsächlichen Voraussetzungen für eine sofortige Einbürgerung nach geltendem Recht. Aber nur ein sehr geringer Anteil beantragt die deutsche Staatsbürgerschaft.

Rot-grün will die baldigen Deutschen nicht zu einer Entscheidung gegen ihr Heimatland nötigen, um so die Zahl der Einbürgerungen massiv steigern zu können. Dies geschieht, um die Integration zu fördern. Und genau dies ist die Kernfrage: Fördert die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft die Integration oder hemmt sie sie?

Dies sagt der Präsident des größten Einwanderungslandes der Welt zur Pflicht von Einwanderern: " ...they have a responsibility to enter the mainstream of American life. That means learning English and learning about our democratic system of government..." (Präsident Clinton bei seiner kürzlich gehaltenen State of the Union speech am 19. Januar). Wir ahnten es schon: Der Schlüssel ist die Bereitschaft zum Erlernen der Sprache und Kenntnis des politischen Systems. Wir Deutschen sind Spezialisten im Erlernen der Sprache des jeweiligen Urlaubslandes, wir sind Integrationsweltmeister. Aber wie sieht es bei uns zu Hause aus? Oft genug müssen ausländische Kinder ihre Eltern bei Behördengängen begleiten, den deutschen Schriftverkehr erledigen, als Dolmetscher fungieren. In vielen Großstädten besteht eine Infrastruktur, die es Ausländern ermöglicht, in Arbeit und Freizeit ausschließlich mit ihrer Muttersprache zu bestehen. Es gibt Schulklassen mit einem Anteil deutscher Kinder von 20 Prozent und weniger. Gut gemeinte Integrationsbemühungen sind so von vornherein zum Scheitern verurteilt. An diesen tatsächlichen Gegebenheiten kann die Hingabe eines deutschen

Passes nichts ändern. Wenn die Reform des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) diese Bemühungen schon nicht fördert, dann sollte sie wenigstens Integrationsversuche nicht erschweren. Aber genau das wird geschehen.

Ist ein Einwanderer angehalten, zwischen seinem alten und seinem neuen Heimatland zu wählen, wird er zwangsläufig Vor- und Nachteile der beiden Länder gegeneinander abwägen. Bei diesem Prozeß wird er sich naturgemäß mit dem System und den Lebensbedingungen beider Länder gedanklich auseinandersetzen. Und schon ist ein wichtiger Schritt zur Integration getan, ohne daß irgendwelche Tests hastig angelerntes Wissen in multiple-choice-Form abfragen müßten. Die geplante Regelung wird diesen gedanklichen Prozeß nicht anstoßen können, denn der zukünftige Deutsche soll den Paß möglichst mühelos erhalten können.

Die Forderung der Bündnisgrünen, die Gebühr für den Verwaltungsakt der Einbürgerung zu senken, hat die gleiche Stoßrichtung. Discountstaatsangehörigkeit im Doppelpack, verteilt per Postwurfsendung.

Die Rolle der Bündnisgrünen verdient unter einem anderen Gesichtspunkt noch besondere Aufmerksamkeit. Nicht die Tatsache, daß auf die Unionsparteien mit der Xenophobie-Keule munter eingedroschen wird erstaunt, denn das war zu erwarten. Aber der Aspekt, daß aus demjenigen politischen Lager, das die Begriffe "nationales Selbstverständnis" etc. in den Zusammenhang dumpfer Stammtisch-Atmo rückt, die Forderungen nach dem Erhalt der nationalen Identitäten der Einbürgerungskandidaten durch Behalt der alten Staatsangehörigkeit am lautesten klingen, hat bisher kaum Würdigung in der öffentlichen Meinung gefunden.

Abschließend bleibt zu sagen, daß die aktuelle Regierung das Volk spaltet und sie genau dies der Opposition vorwirft, und die CDU/CSU ihre Glaubwürdigkeit wieder einmal gegen einen Wahlsieg einzutauschen versucht, während wir uns verspannt im Sessel des Polittheaters zurücklehnen.


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