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Theater


Identität als Mosaik

"Angriffe auf Anne" im Studio

"Anne, ich bin's" - eine Stimme auf einem Anrufbeantworter hallt durch den gutgefüllten Saal des Heidelberger Studios, in dem die Inszenierung des 1997 in London uraufgeführten Stücks "Angriffe auf Anne" ("Attemps on Her Life") von Martin Crimp zur Zeit zu sehen ist. Weitere Nachrichten folgen, die alle an eine Person gerichtet sind: Anne. Doch diese selbst tritt nicht auf. Der Zuschauer erfährt von den zahlreichen Anrufern nur eines: Daß sie Anne nicht zu Hause antreffen, irritiert, verwundert oder verärgert sie.

Die in dieser Anfangssequenz angedeutete Suche nach Anne durchzieht als roter Faden das gesamte Stück. Anne selbst bleibt aber verschwunden. Dennoch macht der Zuschauer sich am Ende ein Bild von ihr, sei es, daß er die disparaten Komponenten der rätselhaften Person zu einem Ganzen formt oder nur Teilaspekte in seine Identitätsvorstellung einarbeitet, um Stimmigkeit herzustellen.

In rasantem Tempo fliegt die pausenlose etwa zweistündige Inszenierung unter der Regie von Hermann Schmidt-Rahmer nahezu am Zuschauer vorbei. Wie in einem Karussell vermag die Dynamik des Stücks zu fesseln, laufen die namenlosen Charaktere der siebzehn Szenarien in atemraubender Geschwindigkeit auf der Bühne am Zuschauer vorbei.

Die Bühne bildet ein an den einzelnen Kanten mit Neonröhren verzierter, leicht schräg gestellter Kubus, der zu Beginn vollständig in Packpapier gehüllt ist. Während in der Anfangsszene die Darsteller die Vorderwand der papiernen Bühnenkonstruktion noch behutsam entfernen, werden mit zunehmendem Handlungsverlauf die Aktionen der Zerstörung gewaltsamer und die dünnen Wände mit großem Getöse zerissen. Sinnbildlich steht dies für die fortschreitende Zertrümmerung der privaten Identität der abwesenden Protagonistin Anne, die in den Szenenfolgen durch die reißerischen Geschichten und Gespräche der agierenden Mitmenschen zunehmend an Kontur zu gewinnen scheint, Momente später aber einem vom Regen verschwommenen Bildnis gleicht, dessen klare Linienführung sich im Nichts verliert. Die eigenen vier Wände sind dünn und nicht länger vor Eingriffen sicher. Die Grenzen von Öffentlichkeit und Privatleben verschwimmen, alles ist öffentlich, nichts mehr privat, und so mancher wird sich an mittäglichen Fernseh- talk à la Arabella oder Hans Meiser erinnert fühlen.

Gleichförmig und eintönig in beige gehüllt, repräsentieren Clemens Giebel, Hariet Kracht, Ulrike Requadt, Shahbaz und Dominik Warta in farblichem Einklang mit der Umgebung in überzeugender Manier die klatsch- und tratschsüchtige Außenwelt in wechselnden Einzelrollen. "Wir sind authentisch und mit uns identisch", wird an einer Stelle geäußert. Doch die Persiflage ist hier nicht zu übersehen, wird die Aussage doch allein durch die Handlung widerlegt. So heißt es später auch: "Sie könnte jeder von uns sein".

Die dargestellte Welt trägt charakteristische Züge des Medienuniversums: Hektisch, unreflektiert und rücksichtslos wird jedes Detail bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet und interpretiert. Handy, Mikro und Diktiergerät gehören zur Grundaussstattung, die Sprache ist temporeich, interferiert durch Wiederholungen und gleichzeitiges Sprechen und variiert in Lautstärke und Tonhöhe.

Man begegnet Anne in ständig wechselnden Persönlichkeiten, glaubt sie zu fassen, wird aber im nächsten Moment von dem Berichteten und Ereignissen wieder überholt und steht vor einem neuen Rätsel. "Sie sagt, sie sei eine Abwesenheit von Person", heißt es einmal, und tatsächlich ist sie im gesamten Stück unglaublich abwesend anwesend.

Mal erscheint sie als ideale Begleiterin für Singlereisen, als verhinderte Suizidantin, brutale Kindsmörderin, Terroristin, umsorgende Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines Fanatikers, als gottesfürchtiges Mädchen, neurotische Künstlerin, intelligente Polyglotte, Pornostar oder vergegenständlichte Nobelkarosse. "Identifizierbare Charaktere und lineare Handlung zu entwerfen", hat der englische Gegenwartsdramatiker Martin Crimp nach eigenen Aussagen "immer als sehr einengend empfunden". Er folgt lieber den "Stimmen in seinem Kopf", weshalb die "kaleidoskopische(n) Szenarien" in "Angriffe auf Anne" für ihn eine Art Neuanfang markierten. Das Stück geht ausgesprochen unkonventionell mit derartigen klassischen Vorgaben um, doch hat das scheinbare Chaos System, wird der Zusammenhang der munteren Szenenfolge durch die einzelnen Versuche, die Person Anne zu ergründen, hergestellt, der sich im Titel programmatisch niederschlägt.

Der 1956 geborene Crimp schrieb 1990 sein erstes Stück für das Londoner Royal Court Theatre, an dem er als Hausautor engagiert ist und wo bisher sämtliche Uraufführungen seiner Stücke stattfanden. In Deutschland wurde "Angriffe auf Anne" 1998 am Bayrischen Staatsschauspiel München erstaufgeführt.

Passende musikalische Untermalung, von dem emsig arbeitenden Jochen Seiterle an E-Gitarre und Computer dirigiert, und eindrucksvolle Lichteffekte durch die kantenzierenden Neonleuchten begleiten eine phantastische Aufführung, die zeigt, wie fesselnd und faszinierend modernes Theater in intelligenter Umsetzung sein kann.

Die erfrischende Inszenierung, die gegen Ende die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit durch dezente Einbeziehung des Publikums nahezu aufzuheben versteht, verdient ein ganz besonderes Lob an alle Beteiligten.Wer dieses Stück verpaßt, ist selber schuld! (ko)

Weitere Vorstellungen im Studio am 19. Mai, um 20 Uhr und am 29. Mai, um 20.30 Uhr.


Tragödie des Nihilismus?

Georg Büchners "Woyzeck" im Stadttheater

Psychopathischer Eifersuchtstäter oder Opfer seiner Zeit - die Woyzeckfigur läßt in ihrer Motivation viele Fragen unbeantwortet, doch jeden Inszenierungsversuch des Fragmentes von Georg Büchner müssen sie grundsteinlegend begleiten.

Das gesamte Regiekonzept bedarf demnach einer eindimensional anmutenden Interpretation ohne deshalb je ermüdend zu wirken, worin die Schwierigkeit des Werkes offenbar liegt. Die Heidelberger Inszenierung des polnischen Regisseurs Janek Starczewski trägt eine eindeutig existentiell ausgeprägte Handschrift. Diese betrachtet nämlich den Protagonisten nicht unter soziologischen Gesichtspunkten als Opfer seiner Provenienz, sondern zieht Woyzecks Verständnis einer sinnlosen, leeren Welt als Handlungsmotiv heran.

Die Hauptfigur des von Georg Büchner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfaßten Werkes ist der Soldat Franz Woyzeck. Für den Lebensunterhalt seiner Geliebten Marie, der Mutter seines Kindes, kommt er unter anderem als medizinisches Versuchsobjekt auf. Doch Marie betrügt ihn mit dem Tambourmajor, woraufhin er zuerst sie und schließlich sich selbst tötet. Die Tat als fatales und gewissermaßen konsequentes Ende einer eifersuchtsbeladenen Beziehung zu sehen, wäre dem Stück nicht angemessen. Die Tötung artikuliert vielmehr erdstoßartig die aufgestaute Ausdrucks- und Mitteilungsunfähigkeit eines Menschen, der auf der niedrigsten Stufe des Lebens steht. Ihn quälen auf den ersten Blick zwar lediglich popularphilosophische, in ihrer unsäglichen Unbeantwortbarkeit aber lebensentscheidende Probleme. Die Ansprechpartner, die sich in seinem Leben bieten, sind sein Hauptmann, der sich in selbstgefälligen Reden und elitärer Arroganz von seinem Untergebenen Woyzeck distanziert und der Arzt, welcher ihn für Versuche zweideutigen Wertes mißbraucht und ihn gänzlich für seine Zwecke instrumentalisiert. Seine Geliebte Marie schwankt zwischen Mitleid für Woyzeck und selbstzerstörerischem Fatalismus, der sich in der Verbindung mit dem Tambourmajor äußert. Es ist, als ob Woyzeck und Marie stellvertretend für eine völlig rechtlose Bevölkerungsschicht am Abgrund stünden, in den der Protagonist mit seiner Tat hineinstürzt. Letztendlich ist es die Erkenntnis der eigenen geistigen Unfähigkeit, mit der Ungerechtigkeit und Wertlosigkeit der Welt zurechtzukommen, die ihn scheinbar nicht anders handeln lassen kann und ihn in die völlige Ausweglosigkeit geraten läßt.

Mit Jan Pröhl als Woyzeck hatte man sich für eine sehr junge Besetzung entschieden. Pröhl gelingt es mit einer recht konservativen Interpretation zu großen Teilen, den inneren Konflikt des Protagonisten darzustellen. Die Tendenz, in Woyzeck allzusehr den Paranoiker und nicht den Vertreter eines ganzen Standes herauszukehren, der an seinem sozialen Umfeld scheitert, ließ die Figur gelegentlich ins Psychodramatische abdriften. Worin Georg Büchner sicherlich die Aufgabe seines frühexpressionistischen Werkes allerdings nicht gesehen hatte. In Einheit mit der musikalischen Untermalung und dem ausdrucksstarken, weil kargen Bühnenbild war dem Regisseur Starczewski eine Woyzeck-Interpretation abseits des Experimentellen gelungen, welche die wesentlichen Inhalte des Dramas zu transportieren vermag. (job)

Weitere Vorstellungen am 13. und 29. April, jeweils um 19.30 Uhr und am 18. April um 20 Uhr im Theater der Stadt Heidelberg.


Goethe multi-medial

Die Premiere von "Willi. Ein Meisterstück" im Zwinger 3

Mit Goethes Entwicklungsroman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" hat sich Regisseur Hubert Habig ein nicht gerade wenig umfangreiches Werk des Jubilars für seine Inszenierung "Willi. Ein Meisterstück" im Zwinger 3 ausgesucht. Doch nicht nur deshalb wird der Zuschauer in etwa 90 Minuten ohne Pause karusselartig durch wichtige Stellen des Werkes geführt; die vier Schauspieler wechseln zudem noch die Rollen und jonglieren mit dem Text, daß es einem wirklich schwindelig werden kann.

Das Stück beginnt mit der Hamlet-Aufführung aus dem ersten Teil der "Lehrjahre" und endet mit dem Tod Mignons im zweiten Teil, allerdings noch vor dem eigentlichen Ende. Dazwischen sind die chronologischen Abläufe sehr verwischt, und die Schauspieler springen ebenso leichtfüßig durch den Originaltext wie die kindliche Mignon durch ihr Hüpfspiel. Geblieben sind die zentralen Themen des Romans (Wilhelms Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Theater und Geld, das Verhältnis von Kunst und Freiheit, individuelle Entfaltung und Liebe), die jedoch nur oberflächlich einer Aktualisierung bedurften.

Als hauptsächlich agierende Figuren sind Wilhelm, sein Jugendfreund Werner, das verwaiste Artistenkind Mignon und die Schauspielerin Philine geblieben. Während sich aber keine wirkliche Handlung entwickelt, dominieren die Wortgefechte und -streifzüge durch den Originltext: Keines der berühmten Zitate wird vergessen. In den Auseinandersetzungen klingen Elemente aus Ringkämpfen, Talkshows, spirituellen Sitzungen und ähnlichem an.

Doch neben vielen satirischen Anleihen aus der heutigen Zeit leistet auch die zur Videoinstallation umgestaltete Bühne mit zwei echten Kameras inklusive Leinwand sowie einem Mikrophon - entliehen aus dem audio-visuellen Zentrum der Pädagogischen Hochschule (PH) - einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der "Lehrjahre". Die quasi doppelte Erscheinung der jeweils handelnden Figur eröffnet neue Dimensionen, denn was auf der Bühne oft nur schwer zum Ausdruck kommt, kann der Kameramann oder die Kamerafrau (jeweils einer der Schauspieler) relativ mühelos durch einige Tricks erreichen. Die kleinste Regung in der Mimik der Darsteller wird erfaßt und riesenhaft in schwarz-weiß auf die Leinwand projiziert.

Die neunzigminütige Spieldauer teilt sich in neun Szenen, die relativ isoliert stehen. Die neu konstruierte Chronologie des Stückes läßt sich aber auch bei Kenntnis des Originaltextes nur schwer verstehen. Insgesamt muß man allerdings sowohl dem Regisseur als auch den Darstellern Carl-Herbert Braun (Wilhelm / Lothario), Daniela Zähl (Marianne / Philine / Aurelie / Therese / Natalie), Massoud Baygan (Werner / Serlo / Jarno) und Antje Natascha Menzel (Mignon) eine durchaus unterhaltsame Umsetzung der immerhin doch recht schweren Kost bescheinigen. (mi)

Nächste Vorstellung am 13. Mai, um 20 Uhr, im Zwinger 3.


Sex & Crime im Zirkuszelt

"Reine Nervensache" - Rasante Artistik-Show am Neckarufer

Harte Holzbänke, die staubige Sägemehlmanege und Artisten in glitzernden, paillettenbesetzten Kostümen. Das ist die ebenso poetische wie ausgelutschte Zirkuswelt. Doch "Flic Flac" ist anders. "Flic Flac" ist schnell. Alles, was die Show noch mit dem klassischen Zirkus verbindet, ist das Zelt, das sich 22 Meter hoch über Künstler und 1300 Zuschauer erstreckt. Die Show findet auf einer durchgestylten High-Tech-Bühne statt, die säuselnde Zirkuskapelle mutiert zur Rockband. Zur Zeit steht das Zelt in Mannheim.

Im Zirkus etwas wirklich Neues zu sehen, ist selten. Aber "Flic Flac" revolutioniert das Genre. Zwar tauchen neben innovativen Nummern auch immer wieder klassische Zirkuselemente, wie zum Beispiel die Schlangenmenschen mit ihren Gummiknochen oder ein Jongleur auf, doch alles ist modern verpackt. Der Zirkusdirektor heißt "Moderator", die Clowns tragen Horrorfratzen, und für den Humor sind zwei Soldaten zuständig. Das Programm - passenderder Titel: "Reine Nervensache" - hat Rasanz. Im "Globe of Speed", einer riesigen stählernen Gitterkugel rasen fünf Wahnsinnige kreuz und quer mit ihren Motorrädern umher. Volle Konzentration bei den Artisten, Staunen im Publikum. Stockte dem Zuschauer eben noch der Atem, findet er sich kurze Zeit später in einer ganz anderen Welt wieder. Nach den lauten Motoren ist Platz für die leisen Töne.

Die Artistiknummer "Passion" in luftiger Höhe hat eine aufregende Erotik und lädt zum Träumen ein. Zwei Menschen winden sich - in sanftes Licht getaucht - unter der Zeltkuppel in herunterhängenden Stoffbahnen. Ganz plötzlich ist der wunderschöne Traum zu Ende und die Szenerie wechselt in eine Hinterhofatmosphäre. Straßenkids versuchen sich im Breakdance und Graffiti-Sprayen, werden von der Security gestört, und schon fliegen Körper kunstvoll durch die Luft.

So ist jede Nummer in "Flic Flac" in ein anderes Ambiente getaucht. Die Band spielt passend dazu mal Rocksongs, Popballaden oder Elektrosounds. Der ständige Wechsel der Atmosphäre und die flexible Bühne lassen die ohnehin flotte Show nie langweilig werden. Dazu leisten auch die Lichteffekte ihren Beitrag. Zum großen Finale mit dem "Todesrad", auf dem ein waghalsiger Artist mit verbundenen Augen balanciert, wird die Zeltwand sogar zur Projektionsfläche für eine Lasershow.

Zuvor gibt es aber noch so spritzige Nummern wie die von Mario Berousek, der bis zu sieben Keulen so schnell jongliert, daß das Auge nicht mehr folgen kann. Die Horror-Clowns schweben an Bungee-Seilen durch die Luft, und die Kourbanovs jonglieren den Nachwuchs mit den Füßen. Ioulia Kolosova zeigt, was sich mit Hula-Hoop-Reifen machen läßt: An einer Hand hoch in der Luft hängend läßt sie ein gutes Dutzend Reifen um ihren Körper kreisen, als könne sie die Schwerkraft ausschalten. Die Männer am dreistufigen Reck lassen dagegen nicht nur durch ihr turnerisches Können Frauenherzen höher schlagen.

Das einzige, was manchmal etwas zu kurz kommt in dieser gelungenen Mischung aus Zirkus, Varieté und Tanztheater, ist die Komik. Die Menschen zum Lachen zu bringen, ist ja bekanntlich die schwerste aller Künste - "Flic Flac" gelingt es leider nicht immer. Das mag auch daran liegen, daß die 41 Künstler aus 10 Nationen, die hier auftreten, so gut sind, daß sie schon mal abgeworben werden. So geschehen mit den Collins Brothers, die noch vor kurzem Comedy vom Feinsten unterm schwarz-gelben Zeltdach boten und jetzt woanders auftreten.

Ansonsten läßt das zweistündige Programm aber keine Wünsche offen. Nicht einen Moment lang sehnt man die klassischen Clowns mit roten Pappnasen und überdimensionalen Schuhen herbei. Und auf von Dompteuren dressierte Tiere, die Kunststücke vollführen, verzichtet der moderne Mensch von heute ja ohnehin gern. Bei "Flic Flac" geht es um Menschen. Wenn der Zirkus eine Zukunft hat, dann so.

Nach der perfekten Show, die sich zum furiosen Ende hin unaufhaltsam steigert, sind die Zuschauer restlos begeistert. Es gelingt den Künstlern auf wunderbare Weise, Stimmungen zu transportieren. Der Nervenkitzel, den der Artist auf dem Todesrad spürt, springt wie ein Funke auf das gespannte Publikum über. Standing Ovations für einen fantastischen Abend. (thor)

"Flic Flac" hat sein Lager zur Zeit an der Kurpfalzbrücke in Mannheim aufgeschlagen. Ab dem 30. Mai geht's weiter. Vom 26. August bis 12. September gastiert sie in Heidelberg. Mehr Infos im Internet unter www.flicflac.de


Impro-Theater: Alle Macht dem Publikum!

Gereimter Fischkutter

"Macht mal ein Pferd!" Diese Übung schafft die linke Hälfte des Publikums noch locker. Die rechte Seite hat's etwas schwerer. Für das Heldenepos werden dringend "knorrige Eichen" benötigt. So macht Moderator Stephan das Publikum warm, während die Schauspieler hinterm Vorhang noch schnell die letzten Gehirnwindungen lockern. Auf sie warten viel schwierigere Herausforderungen. Denn im Improvisationstheater gibt das Publikum den Ton an.

Die Zuschauer bestimmen, was es zu sehen gibt. An welchem Ort spielt die nächste Szene? Welche Personen sind dabei? In welcher Beziehung stehen sie? Vom Publikum wird Kreativität verlangt, die Schauspieler müssen das Beste aus den Vorgaben machen. Drei - zwei - eins - los! Die Zuschauer zählen gnadenlos die nächste Runde ein.

Im Zwinger traten am Samstag gleich zwei Impro-Gruppen auf. Theatersport war angesagt. Die Hamburger "Steife Brise" bestritt ein Impro-Match gegen die Lokalmatadoren "Drama light". Es wurde um die Wette improvisiert, was das Zeug hielt. Angefeuert vom bestens gelaunten Publikum ließen die Akteure ihrem Spiel freien Lauf. Das Wunderbare daran: Jede Szene war witzig, wenigstens einigermaßen logisch aufgebaut und hatte einen Anfang und ein Ende. Nicht einfach, wenn man bedenkt, wie die Vorgaben aus dem Publikum oder von der gegnerischen Mannschaft lauteten. Zudem mußte noch den Anforderungen des jeweiligen Spieles - es gibt ungefähr 300 verschiedene - genügt werden.

Das sah dann so aus: Die Hamburger meisterten eine Szene auf einem Friedhof neben einem Atomkraftwerk, wobei jeder Darsteller einem anderen seine Stimme leihen mußte. Selbst für das Publikum kaum noch nachzuvollziehen. "Drama light" setzte eine Begebenheit auf einem Fischkutter dagegen - in Reimform. Einer der Höhepunkte des Abends waren die "Replays". Eine Szene mit einem Sofa, einem Polizisten und einer Putzfrau sollten die Heidelberger einmal auf deutsch, dann auf japanisch und usbekisch spielen. Die Nordlichter konterten musikalisch und spielten dieselbe Szene als Jazzstück und als Oper. Wie alle Szenen wurden auch diese von zwei Musikern am Klavier begleitet. Natürlich frei improvisiert und passend zum Geschehen auf der Bühne.

Ebendort wurde später der Tagesablauf einer Zuschauerin wiedergegeben. Es gab ein Puppentheater mit "Küstennebel" und die "langweiligste Szene der Welt", in der eine Naturkatastrophe vorkommen sollte. Tänzerisch wurde das Thema "Karamelpudding" umgesetzt, und einen Western gab es auch noch.

Das klingt ebenso nach Vielfalt wie nach Klamauk. Dem nüchternen Feuilletonisten wird sicherlich nicht gefallen, was im Zwinger geboten wurde. Doch wer sich auf das Spiel einläßt, seinen Kopf genauso frei macht wie es die Spieler tun müssen, dem wird diese Art Theater viel Spaß machen. Kein Abend ist wie der andere, keine Szene gibt es ein zweites Mal. Die Schauspieler dürfen keine Angst haben, fahren immer volles Risiko. "Wenn Du nachdenkst, ist es zu spät", erzählt Stephan Heydeck aus Hamburg. Und wenn doch mal etwas daneben ging, dann blieb den Zuschauern im Zwinger immer noch die Möglichkeit, einen nassen Schwamm auf die Bühne zu werfen. Bei anderer Gelegenheit regnete es dafür rote Rosen.

Nach jedem Spiel wurden per Klatschabstimmung Punkte vergeben. Der Sieger hieß am Schluß "Steife Brise". (thor)

Theatersport soll es im Zwinger nun regelmäßig einmal im Quartal geben. Eine "Drama Light"-Show gibt es wieder am 17. Juni im Kulturfenster.


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