Die Autorin Elke Heidenreich sprach in ihrem "Spiegel"-Artikel "Ein Autogramm von Gott" (15. Februar) von einem "ganz und gar erstaunlichen und wunderbaren Buch" und von einem "hochtalentierten, sehr jungen Autor". Gut. Der "Stern" kürte das Werk in weiser Voraussicht schon zum "Buch des Jahres", die "Zeit" dagegen betonte in vier Artikeln, wie unbedeutend das Buch sei. Auch gut. Daraus ist zu ersehen, daß der Roman, unabhängig von der Qualität, für Aufsehen und Unruhe im deutschem Literaturbetrieb sorgt und weiterhin sorgen wird.
Wir wollen vorsichtig beginnen: Ist man im gleichen Alter wie "Benni" oder so weit darüber hinaus, daß man Jugendliche in diesem Alter nur aus klasse Kinofilmchen kennt, ist dieser Roman sicherlich interessant und aufschlußreich. So kommt der "Spiegel" auch zu der Erkenntnis, daß es sich bei dem Werke um ein "Boygroup-Phänomen" handelt. Für den großen Rest jedoch stellt dieses Buch ein Ärgernis dar. Es ist weder sonderlich spannend, besitzt eigentlich keine Handlung und besticht durch einen derart kitschigen Tonfall, daß man sich manchmal kopfschüttelnd abwenden muß. Ja, natürlich, er ist noch so jung und wird seinen Stil noch finden, aber die ersten Versuche muß man ja nicht unbedingt lesen müssen. Andererseits könnte man diesen Jungen, der sich in die erwachsene Welt des Romans gewagt hat, auch ernst nehmen und ihn mit handelsüblichen Mitteln beurteilen.
Ansonsten ist es nämlich ein mäßig unterhaltsames und harmloses Kinder- oder Jugendbuch und kann bedenkenlos gekauft werden. Gehen wir allerdings vom ersten aus, so muß sich Lebert Kritik gefallen lassen. Hätte er seine Charaktere einfach so plappern lassen, wie ihnen stellenweise der Schnabel gewachsen ist ("Anstatt zu schlafen, eine Feuerleiter hinaufzuklettern, zu saufen, was das Zeug hält, mal eben ein bißchen zu vögeln und nebenbei erwachsen zu werden. Das reicht für eine Nacht. Da würde jeder kotzen, glaube ich".), ja dann hätte es wirklich ein amüsantes Geschichtchen werden können. So aber fangen die Personen urplötzlich an, zu philosophieren, was das Zeug hält ("Denn nur in Menschen, die von Grund aus verschieden sind, wächst etwas Neues" oder "Eine Freundschaft ist das, was in einem drinnen ist". "Man sieht sie nicht, aber sie ist trotzdem da") und verlieren jede Glaubwürdigkeit und Überzeugung. Das klingt konstruiert und peinlich. Auffallend sind auch die ständigen Wiederholungen ("Florian, den alle nur Mädchen nannten"), die auf Dauer nerven. So wird in fast jedem Kapitel der Buchtitel "Crazy" genannt, der nun wirklich für jede Situation und Definition herhalten muß. Leberts Vorstellung eines Gesprächs unter Jugendlichen (so dies gewollt war, und so sieht es aus) ist fernab jeder Realität. Die Knaben sind erschreckend bieder, sie unterhalten sich zu brav, zu schablonenhaft - tiefschürfend, um "echte" Jungs zu sein. Wer einmal einem "Gespräch" Jugendlicher im Bus gelauscht hat, weiß, wo die Unterschiede liegen! Da bringen auch ein paar eingestreute Vokabeln der Gossensprache keine Besserung (wer es bisher noch nicht wußte: Kleine Jungs wie Lebert lieben und sprechen ständig von "großen Brüsten").
Das bringt uns zur problemüberladenen Grundstimmung des Romans. Gut, eine Kindheit ist nicht leicht und in unserer heutigen Zeit sowieso nicht. Aber nicht jeder Mensch hat (Gott sei Dank) eine Körperbehinderung (und bekommt - wie ungerecht - keinen Behindertenausweis), leidet unter in Scheidung lebenden Eltern plus einer lesbischer Schwester plus (Bonus!) einem verstorbenen Hund (wie bei Benjamin der Fall). Oder ist ein "Einzelkind aus einer brutalen Familie", das nebenbei an Freßsucht leidet (der dicke Felix) und leider eher an "Klößchen" aus "TKKG" als an einen bemitleidenswerten Internatszögling erinnert. Florian gar ist Vollwaise und Troy hat einen im Sterben liegenden Bruder und spricht kein Wort. So sind unseren kleinen Freunde allesamt hilflos, sie sind Außenseiter und erscheinen ihrer Umwelt seltsam. Jeder von ihnen ist vom Schicksal gebeutelt, die Welt will sie nicht verstehen. Wie gemein! Benjamins eingestreute Ohnmachtssätze ("Wahrscheinlich habe ich keine Ahnung davon") machen zudem nicht betroffen, sondern sie belustigen nach jedem weiteren Auftreten. Die Handlung stellt sich, wie erwähnt, sowieso als eine äußerst dürftige dar, wie auch die "Zeit" in ihrer Kritik "Total süß" (vom 4. März) erkannte: "Das Buch handelt davon, wie er und seine Mitschüler im Internat Mädchen nageln, darüber in eine Sinnkrise geraten, nach München fahren, rauchen und in einem Striplokal Bacardi O-Saft trinken". Tja, eine Sinnkrise kann man da schon bekommen, aber nicht wegen der Mädchen! Der Roman ist schließlich unausgegoren und unlogisch ("Sechzehn Jahre lang ist er schon mein Vater, und noch immer verstehe ich ihn nicht" und 10 Zeilen weiter : "Und ich verstehe ihn").
Für die einen die ersten chaotischen Ansätze eines großen Schreibtalentes, für die anderen kein Lesegenuß, sondern die längste Lektüre der Welt. Und obwohl es scheint, als ob der Roman mit der Zeit "atmosphärisch dichter" werden würde, bleibt gerade nach dem abrupten Ende (Keine Lust mehr, Benni?) ein fader Beigeschmack.
Der Sinn des Lebens soll also gefunden werden, so weit kommt man schon mit, und ach, was fallen unseren gestrauchelten und grübelnden Freunden da für süße Erklärungsversuche ein: "Wir sind alle nur Zuschauer", soso, und: "Wir sind alle Fleischbrocken in einer Chappi-Dose", warum nicht, oder: "Wir sind die Sonne" und "Das Leben ist ein Versuch" und im nächsten Satz: "Das Leben ist ein Fluß", genug, genug! So fragt auch Janosch seine Kameraden: "Seit ihr denn total bescheuert?" und kommt zu dem Schluß: "Langsam genügt es, glaube ich". Ich glaube auch. Zu einfach darf man es dem Autor aber auch nicht machen und wie Florian im Roman erkennen: "Wir wissen alle von nichts. Darum sind wir ja Helden".
Da ist schon eher die Erkenntnis von Janosch zu beachten, der ergänzend resümiert: "Das ist die Logik der Wichser und Helden". (tas)
"Crazy" von Benjamin Lebert ist im "KiWi"-Verlag für 14.90 DM zu erstehen.
Der Wettbewerb war seit Juni 1998 an sieben deutschen Kunsthochschulen ausgeschrieben, und es wurden 80 Beiträge eingereicht. Eine Jury unter der Leitung von Hans Gercke, dem Direktor des Heidelberger Kunstvereins, wählte nun vier Beiträge aus, die für jeweils sechs Monate den Bahnhof zur Kunsthalle machen sollen. Die vier Beiträge setzen sich aus drei "normalen" Preisträgern und einem "Sonderpreisträger", dessen Beitrag die Jury lobend erwähnt, zusammen. Das Preisgeld beträgt jeweils 3000 DM für die drei als gleichrangig bewerteten Sieger und in 1000 DM für den weiteren Beitrag aufgeteilt. Die Künstler werden zusätzlich bei der technischen und finanziellen Umsetzung ihrer Werke unterstüzt.
Den Anfang machte bereits die Tuschezeichnung von Edwin Schäfer (Hochschule für Gestaltung in Offenbach). Ihn wird seine Kommilitonin Wiebke Grösch mit einer Gestaltung der Bildfläche durch Abdrücke von Fußbällen ablösen. Im neuen Jahrtausend wird dann ein Wandbild mit rotierenden Erdteilen von Alexa Kreissl und Daniel Kerber (Kunstakademie Düsseldorf) den Bahnhof zieren. Den Abschluß bildet Jürgen Heinerts "Etch a Sketch"-Installation (Akademie der Bildenden Künste, München). (mi)
Wer von uns wäre nicht auch gerne ein kleiner Goethe? Abends mit Freunden im Wirtshaus versacken, am nächsten Morgen beim Aufwachen von der Frau verwöhnt werden und danach ein bißchen am "Faust" weiterschreiben. So läßt es sich leben. Doch hat Goethe wirklich so gelebt?
Wenn man bisher etwas über Goethes Leben wissen wollte, mußte man sich ein Buch zur Hand nehmen und lesen. Damit ist jetzt wenigstens teilweise Schluß. Denn über 160 Jahre nach seinem Tod haben der Illustrator Christoph Kirsch und der Publizist Friedemann Bedürftig den Augenmenschen Goethe beim Wort genommen: "Wir reden zuviel, wir sollten weniger sprechen und mehr zeichnen." Entstanden ist dabei die erste, überaus prächtig ausgestattete Comic-Biographie Goethes, deren erster Band gerade im Stuttgarter Egmont (!) Ehapa Verlag erschienen ist.
Auf knapp 50 Seiten kann man die wichtigen Ereignisse aus Goethes Leben bis zu seiner Rückkehr aus Italien 1788 in Bildern und Texten kennenlernen. In die Bilder eingearbeitete Kostproben aus Goethes literarischem Schaffen sorgen dafür, daß im Comic neben seinem Leben das Werk nicht zu kurz kommt. Auch sind manche Teile seines Werkes in Bilder umgesetzt (Götz von Berlichingen, Werther). Im Anhang finden sich eine Zeittafel zu Goethes Leben und weitere Werkproben.
Die Comic-Biographie, die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut entstanden ist, kann man nur als gelungen bezeichnen. Wo der Text allein die Vorstellungskraft überfordern würde, springt ihm das Bild hilfreich zur Seite. So erfährt man ganz nebenbei etwas über die Mode der damaligen Zeit und über das Frankfurt der Goethe-Zeit.
Anfang August erscheint der zweite Band der Comic-Biographie, diesmal mit Thomas von Kummant als Zeichner. Man darf schon jetzt gespannt sein. (col)