<< >> Title Contents


Weite Welt


Meinung zählt - auch mit Putenschnitzel

Der ruprecht-Scout führt Lesewillige durch den studentischen Pressedschungel

Obwohl jeder weiß, daß Naturwissenschaftler eh' nicht lesen können und Geisteswissenschaftler sich studienbedingt durch solch gigantische Textmengen wühlen müssen, daß sie vor Geburtstagsfeiern ihre Freunde anflehen, ihnen doch bittebitte höchstens Comics zu schenken, hält sich ein Vorurteil besonders hartnäckig: Studenten lesen gern. Außerdem, so ein zweites langlebiges Vorurteil, sind Studenten angeblich an dem interessiert, was sich in der Welt außerhalb der Uni alles so tut und denken nicht etwa den ganzen Tag lang nur an Bücher, Mensamarken und billige Kopierer.

Die Kombination aus beiden Vorurteilen läßt aus Studenten eine enorm lukrativ erscheinende Zielgruppe für Presseerzeugnisse jeglicher Art werden. Nicht zuletzt wir vom ruprecht klammern uns an diese idealistische Vorstellung, wie diese unsere 60. Ausgabe beweist. Doch die Erfahrung lehrt den einsamen Zeitungsverteiler vor der Mensa, sei er nun von der Studentenpresse, vom Unimut, vom meier oder vom ruprecht, daß Studenten alles andere als begeistert reagieren, wenn man versucht, ihnen bedrucktes Papier in die Hand zu drücken. Die meisten eilen glasigen Blickes vorbei, einige nuscheln ein "Hab ich schon..." in Richtung Teerdecke. Studenten, so scheint's, sind wählerisch. Und das zu Recht, denn der Dschungel der Studentenpresse ist tief und undurchdringlich; nur wer weiß, was er will, vermeidet es, jeden Abend mit einem halben Regenwald in den Taschen die Stufen zur Wohnung hochzuächzen. ruprecht hat sich die Mühe gemacht und versucht, für Euch ein paar Trampelpfade ins Unterholz zu schlagen.

Zur wahren Institution im Rhein-Neckar-Delta zwischen Ludwigshafen, Mannheim und Heidelberg hat sich der meier gemausert. Seit Menschengedenken zum Preis von 2 Mark verkauft, bietet das jeweils um den 27. des Monats erscheinende Stadtmagazin eine gute Übersicht über alles, was man als Angehöriger der Heidelberger Hip-Generation so zu wissen hat. Schwerpunkte sind die Musik- und Clubszene, sowie Kultur, besonders Theater. Seit einigen Jahren legt der meier auch Wert auf kommunal- und umweltpolitische Themen. Empfehlenswert sind die Film- und Theaterkritiken, die Specials zu Themen mit Pfiff (Heft vom April '99 etwa: "Rad Spezial" mit Biker-Lovestories und Reisereportagen) und besonders die Terminleisten, die für jeden Tag des Monats eine volle Seite Programm bieten, von Kino, Theater und Kabarett über Klassik, Rock und Pop bis hin zu Vorträgen, Führungen und Parties. Noch ein Tip für Gastronomie-Fans: Außer der empfehlenswerten Rubrik "Essen & Trinken" im Hauptheft gibt es auch ein eigenes Schlemmer-Magazin namens Espresso, ein echter Almanach der Gaumengelüste im Rhein-Neckar-Raum. Jeweils zu Semesterbeginn bringen die meier-Macher eine spezielle Uni-Ausgabe heraus. Der Uni-meier wird gratis verteilt und enthält neben Geschichten rund um das studentische Universum die Essentials jungakademischer Lebensplanung - als da wären Kneipenführer, wichtige Telefonnummern, die billigsten Banken, Restaurants und CD-Läden und vieles andere mehr.

Natürlich gibt es in Heidelberg auch regionale Tageszeitungen, die allerdings unter Studenten wegen ihrer vermeintlichen Provinzialität zumeist verächtliches Naserümpfen oder arrogantes Wegschauen ernten. Die Wichtigsten sind die Rhein-Neckar-Zeitung, der Mannheimer Morgen und die Rheinpfalz.

Die journalistische Qualität der drei unterscheidet sich nicht gerade um Längen, auch wenn Rheinpfalz und (seit einigen Monaten) Mannheimer Morgen in wesentlich frischerem Layout daherkommen und ihr graphisches Konzept wesentlich weniger Staub aufweist als das der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung. Diese ist, obwohl von Theodor Heuss nach Kriegsende gegründet, inzwischen recht konservativ und nichts für schwache linksliberale Nerven. Trotzdem Vorsicht mit der schnellen Verachtung: Wer sich abseits vom meier-Monatsrhythmus über das kommunale Geschehen, tagespolitische Debatten und auch kulturelle Ereignisse auf dem Laufenden halten will, kommt um die RNZ nicht herum.

Eine eher kuriose Erscheinung sind dagegen Anzeigenblätter wie die Badische Anzeigenzeitung (BAZ) und Heidelberger Rundschau, oder offiziöse Organe wie das Stadtblatt und die Heidelberg Aktuell. Außer billigen Sonderangeboten bei Vobis enthalten diese Presseblüten selten wahrhaft Interessantes für's Studi-Leben.

Und wo wir gerade von Anzeigen sprechen: Einmal pro Monat stürzen sich auch die großen Uni-Magazine in den Kampf um Studis und Werbetausender. Sie heißen Audimax, academix, Unicum oder Uni-Compact, werden kostenlos in der Mensa verteilt und machen oft den Eindruck, als wüßten sie selbst noch nicht so recht, was sie eigentlich sein wollen: Karriereführer? Lifestyle-Magazin? Szene-Blatt? Studi-Broschüre? Kennzeichnend daher eine manchmal verwirrende Mischung aus Karrieretips (Immer wieder gern genommen: "Wie trete ich beim Bewerbungsgespräch sicher auf?"), Buch-, CD-, Computerspiel- und Filmbesprechungen, thematischen Geschichten zu vermeintlichen (leider bei Erscheinungstermin zumeist schon hoffnungslos veralteten) "In-Themen", wie Snowboarden, Schlagerhype oder - man kann's nicht mehr hören - den tollen Chancen im Internet. Die Blätter sind von ihrer graphischen Gestaltung her oft erfrischend frech und gar nicht so schlecht, die redaktionellen Beiträge zeichnet eine enorme Bandbreite aus, wobei generell gesagt werden kann, daß Korrekturlesen noch keinem geschadet hat. Doch wer ein bißchen blättert, findet gewiß etwas für ihn Interessantes, das auch erträglich geschrieben ist - zum Schmökern über dem Putenschnitzel sind die Unimagazine auf jeden Fall gut geeignet.

Auch die Universität Heidelberg und ihre Studenten lassen sich nicht lumpen, wenn es darum geht, der Welt ihre Gedanken aufs Auge zu drücken. Das offizielle Presseorgan der Universität ist der Unispiegel, in seriösem, doch geschmackvollem Layout, mit Nachrichten rund um die Uni. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt naturgemäß auf Berichten von offiziellen Anlässen, auch ist viel über Forschungsprojekte, Preise, Rufe und Ähnliches zu lesen. Wer sich als Student auch für den Aspekt der Universität als Forschungsanstalt und als gesellschaftliche Institution interessiert, sollte ab und an einmal einen Blick in den Unispiegel werfen, der auch kostenlos in der Mensa zu kriegen ist. Wer dagegen auf ordentliches Layout und ausgefeilte Formulierungen pfeift und Zeitung eher als Manifest politisch-sozialer Willensbildung begreift ("Meinung zählt!"), ist mit dem Unimut gut bedient. Das Blatt hat wenig Umfang, erscheint aber auch mit zahlreichen Sondereditionen zu aktuellen Hochschulthemen. Wo ihre politische Heimat ist, daraus machen die Unimut-Redakteure kein Hehl - nämlich ganz, ganz weit links. Die Blattmacher selbst haben nach eigenen Angaben nicht den Anspruch, objektiv zu berichten, sondern wollen meinungsbildend wirken, was ihnen auch immer wieder gelingt. Zu der linken Ideologie mag man stehen, wie man will, doch die Informationen des Unimut zu hochschulpolitischen Themen sind oft taufrisch und exklusiv.

Kommen wir nun in aller Bescheidenheit zu uns selbst. Der ruprecht ist eine unabhängige Zeitung von Studenten für Studenten. Er wird gratis verteilt und finanziert sich nur über Werbung, womit völlige weltanschauliche Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Die Zeitung erscheint dreimal im Semester, mit einer Auflage von 12.000 Stück. Neben einigen festen Rubriken (Interview mit prominenten Personen der Zeitgeschichte, Pro&Contra-Seite zu aktuellen Fragen, Heidelberger Profile, Movie- und Plattenseite) enthält der ruprecht viel Hochschulpolitisches und meistens ein prall gefülltes Feuilleton. Die Macher geben sich die größte Mühe, in Recherche, Stil und Layout professionell zu arbeiten; Bericht und Meinung sind streng getrennt. Den ruprecht gibt es auch im Internet: http://ruprecht.fsk.uni-heidelberg.de

Damit wären wir am Ende unserer tour d'horizon durch die Heidelberger Welt der Studentenpresse angelangt. Sicher gäbe es noch viel zu berichten (etwa von der Studenten-Beilage des SPIEGEL, dem FAZ-Hochschulmagazin oder der Hochschulseite der SZ), doch war am Anfang nur von Trampelpfaden die Rede, nicht von sechzehnspurigen Highways. Letzten Endes ist die Entscheidung für eine Zeitung, die man ein Leben lang aufschlägt, so bedeutend wie die Wahl des Ehepartners. Und da wollen wir doch keinem reinreden... (kw)

Zwischen Korruption und Kosovo

Ausgerechnet bei den Europawahlen leidet die EU unter Katerstimmung

Wenn vom 10. bis 13. Juni die Bürger der Europäischen Union (EU) zur Wahl des Europäischen Parlaments (EP) aufgerufen werden, wird für viele die Wahl zur Qual. Wie und wen man warum wählt, bleibt laut Umfragen vielen trotz intensiver Werbekampagnen eine unklare Frage. Nach wie vor dominieren nationale Themen den Europawahlkampf, von einer einheitlichen europäischen Wahl ist man noch weit entfernt. Warum soll man dann eigentlich überhaupt wählen?

Europa steckt scheinbar in der Krise. Reformvorhaben werden von Gipfel zu Gipfel vor sich hingeschleppt, die Kommission des Jacques Santer in die Wüste geschickt und im Kosovo erwiesen sich die Europäer zu einer einheitlichen Linie unfähig. Ausgerechnet in diese Katerstimmung fallen nun die Wahlen zum EP, dessen Reputation als chronisch machtlose Schwatzbude mit dicken Diäten sich hartnäckig hält. Schlimmer als die miserable Reputation kann eigentlich nur noch die schlichte Ignoranz sein - gerade einmal sechs Prozent der Deutschen können überhaupt wenigstens einen der 99 deutschen EP-Abgeordneten benennen.

Es wäre deshalb nicht überraschend, wenn bei den EP-Wahlen in Deutschland am 13. Juni die Wahlbeteiligung niedriger als 1994 mit 57 Prozent ausfallen würde. Im Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit erscheint es sinnlos, ein machtloses Parlament zu wählen, wenn dazu noch alle großen Parteien sich unisono "für ein starkes Europa" aussprechen. Doch entgegen der öffentlichen Meinung kommt seit dem im Juni 1997 verabschiedeten Amsterdamer Vertrag dem Straßburger Parlament gegenüber Brüssel eine beinahe gleichwertige Rolle zu. Und wenn heute die EU mit über 60 Prozent an der deutschen Gesetzgebung beteiligt ist, wird die demokratische Legitimation der EU zum zentralen Anliegen des Reformprozesses.

Ein Haupthindernis auf dem (nicht von allen präferierten) Wege zu einem supranationalen europäischen Parlament war bisher, daß die seit 1979 direkt durchgeführten EP-Wahlen hauptsächlich nationalstaatliche Stimmungstests für die einzelnen Regierungen waren. Auch der aktuelle Europawahlkampf wird von innenpolitischen Themen beherrscht ("Gelbe Karte für Rot-Grün") und spiegelt die nationale Stimmungslage wider - von Europapolitik ist nur am Rande die Rede. Man stelle sich nur einmal vor: Landespolitik würde den Bundestagswahlkampf bestimmen! Zwar existieren für die insgesamt über 100 Parteien acht große Europafraktionen, doch von europaübergreifenden Parteien ist man weit entfernt, noch herrschen nationale Trennungslinien vor.

Während es wahrscheinlich noch lange bei den nationalen Parteien bleiben wird, ist bei diesen EP-Wahlen ein erster Schritt unternommen worden, das Wahlverfahren zu europäisieren. Es gelten zwar weiterhin noch unterschiedliche nationale Wahlsysteme, doch werden 1999 alle EU-Staaten nach einem Verhältniswahlrecht wählen. In Deutschland findet eine Verhältniswahl mit Listenvorschlag statt, das heißt man hat nur eine Stimme zum Ankreuzen. Bei der nächsten EP-Wahl 2004 wird es vermutlich sogar nur noch ein Wahlverfahren geben. Wer weiß, wie mächtig dann das EP sein wird? (ab)


<< >> Title Contents