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Kosovo


Was bleibt, ist der pure Haß

Aus der Welt gerissen: Alltag in der Heidelberger Flüchtlingsunterkunft

"Sahid hat Dinge gesehen, die man als Kind einfach nicht sehen darf", sorgt sich sein Vater und berichtet von den mißhandelten Leichen, die der fünfjähriger Sahid gesehen hat. Phlegmatisch steht er da, der kleine Kosovare, und blickt mit seinen großen Augen in die Welt. Er wirkt, als wäre er am liebsten nirgendwo. Erwachsene und Kinder in der Heidelberger Flüchtlingsunterkunft scheinen zwischen Schock und Alltag hin- und hergerissen. Von einer Sekunde auf die andere wechseln die Stimmungen, die Kinder schrecken aus ihrem Spiel, Lachen und Zorn liegen eng beieinander.

Schnell bildet sich eine Männerrunde um die zwei Besucherinnen von der Presse. Die Kosovoflüchtlinge nutzen die Gelegenheit, ihre Wut zu äußern und zudem in einer Zeitung veröffentlicht zu wissen. "Massaker" ist das Wort, das von nun an das Gespräch vor den "mobil homes" dominiert. Die Flüchtlinge erinnern sich und erzählen, und mit den Geschichten erwacht die Wut auf alle Serben. Die Stimmung heizt sich auf, gleichzeitig steigt unsere Vorsicht, um nicht instrumentalisiert zu werden als Medium, um Haß und Wut zu verbreiten. Über allem schwebt jedoch die Traurigkeit über das Erlebte, über den Krieg und die verlassene Heimat.

Ein 42jähriger Mann erinnert sich daran, wie ihm am 1. April die serbische Polizei zwei Minuten Zeit ließ, um sein Haus zu verlassen. Danach sei er mit 40 weiteren Personen in einen Waggon gezwängt worden, der von Pristina in ein Lager nach Mazedonien gefahren ist. Nicht überlebt haben drei Kinder und ein älterer Mann die Zugfahrt. Im Lager in Mazedonien, so erzählt er weiter, sind 25 Personen gestorben.

Ein alter Mann meldet sich zu Wort: "Ich habe zusehen müssen, wie sie meinen Vater verbrannt haben", erzählt er und gerät ins Stocken. Es fällt ihm sichtlich schwer, und dennoch scheint er das Bedürfnis zu haben, das Erlebte auszusprechen. Über 40 Menschen seien bei dem Massaker in Recak von der serbischen Miliz getötet worden. Er selbst habe sich gerettet, indem er sich totgestellt habe. Die Frage, ob er nach allem, was sich in seiner Heimat ereignet hat, wieder in den Kosovo zurück möchte, wenn der Krieg vorbei ist , löst heftiges Kopfnicken in der Männerrunde aus. "Das wollen fast alle, obwohl die Serben uns so viel angetan haben." Ebenso klar ist die Antwort auf die Frage, ob sie sich vorstellen können, irgendwann einmal wieder mit den Serben zusammenleben zu können. "Nein", meint einer der jüngeren Männer aufgeregt, "auf keinen Fall. Seht doch, was die mit uns angerichtet haben." Der Haß gegen die Serben lebt in jedem Satz mit.

Zunächst gilt es jedoch, den Alltag in der fremden Stadt Heidelberg, im fremden Land Deutschland, zu meistern. Sprachprobleme machen vor allem den Kindern Schwierigkeiten. "Im Moment können sie hier leider noch nicht zur Schule gehen.", beschreibt Sahids Vater eine seiner Hauptsorgen. Die zehnjährige Tochter könne noch nicht einmal ihren Namen richtig schreiben. "Durch den Krieg gab es kaum eine Gelegenheit für die Kinder, eine Schule zu besuchen.", erklärt er. Überhaupt seien es besonders die Kinder, die unter der ganzen Situation am meisten zu leiden hätten. "Sie sind völlig aus ihrer Welt gerissen worden." Auf den ersten Blick ist dies den meisten nicht anzumerken. Sie spielen auf der Rasenfläche im Hof, zanken sich um die Wippe und linsen neugierig aus den Fenstern auf die Pressetante mit der Kamera. Von Zeit zu Zeit jedoch scheint eine Spur Verschrecktheit über ihre Gesichter zu huschen, die Köpfe verschwinden hinter den Gardinen und wir überlegen, ob kindliche Schüchternheit oder Angst die Ursache dafür sind. Sahid allein scheint von einer anderen Welt.

Spuren hat der Krieg sicherlich auch bei den Erwachsenen hinterlassen. Zudem leben viele Flüchtlinge in der Ungewißheit, ob die Familienmitglieder noch leben, wie es ihnen geht und wo sie sich befinden. Zwar laufen viele Suchaktionen, zum Teil über Fernseh- und Radiosender, doch bis diese etwas ergeben, verstreicht viel Zeit.

Überhaupt können die Kosovaren wenig tun im Wartezimmer Deutschland. Warten, bis der Krieg zuhause ein Ende gefunden hat, warten, bis Lebenszeichen von den Verwandten kommen, warten bis die Zeit vergeht. "Es ist schade, daß es keine Möglichkeit für uns gibt, zu arbeiten", meint ein junger Kosovare. Kontingentflüchtlinge bekommen in Deutschland zwar eine dreimonatige Aufenthaltsbefugnis, jedoch keine Arbeitserlaubnis. So bleibt nicht viel, was konkret getan werden kann, um die eigene Situation zu bessern. "Die Flüchtlinge", so die zuständige Sozialarbeiterin Gabriele Kurcan, "bekommen neben 80 Mark Taschengeld pro Monat auch Lebensmittelpakete und andere Sachleistungen." Mit vielen der zur Verfügung gestellten Lebensmittel können die Kosovaren jedoch nichts anfangen, weil sie sie nicht kennen, ergänzt sie. Daher erstellt sie gemeinsam mit den Flüchtlingen eine Liste der nötigen Lebensmittel.

Die organisatorische Arbeit nimmt Kurcan voll in Anspruch. Soziale und psychologische Hilfestellung ist für die Menschen aus der Kriegsregion Kosovo nicht vorgesehen, auch Kurcan findet keine Zeit dazu. Ob der Zukunft der Flüchtlinge in Deutschland zeigt sie sich besorgt: "Zur Zeit gibt es noch ein starkes öffentliches Interesse für die Flüchtlinge. In den Medien wird viel über sie berichtet und die Bürger beteiligen sich noch rege an bestimmten Spendenaktionen. Und so fühlen sich die Flüchtlinge momentan noch aufgewertet". Es werde aber auch die Zeit kommen, so befürchtet die Sozialarbeiterin, in der das öffentliche Interesse, wie auch bei den Flüchtlingen aus anderen Krisenregionen, in diesem Maße nicht mehr da sei. Damit käme dann auch bei den Flüchtlingen die große Enttäuschung.

Insgesamt bisher 36 Flüchtlinge aus dem Kosovo im Heidelberger Übergangsheim angekommen. Ob noch weitere Flüchtlinge in Heidelberg aufgenommen werden, ist noch nicht klar. Erst seit wenigen Wochen ist Predrag, ein junger Bäcker aus einem Dorf im Norden, in Heidelberg. "Ich bin froh, wieder in Deutschland zu sein, sicher vor den Schikanen der Serben", betont er. Vor ein paar Jahren hatte er in Deutschland bereits einen Asylantrag gestellt, der aber abgelehnt worden war. Der Krieg führte ihn nun zum zweiten Mal hierher, gemeinsam mit 18 weiteren Flüchtlingen in der zweiten und bisher letzten Flüchtlingsgruppe. Seine Bäckerei im Kosovo, so erzählt er aufgeregt, ist von der serbischen Polizei völlig zerstört worden. Mit großen Augen schildert er genau, wie sich die Dinge abgespielt haben, die Dialoge, die Szenen. Es ist schwer, ihm in seinem gebrochenen Deutsch zu folgen, klar zeigt sich jedoch seine Einteilung in Gut und Böse. Zwar ist die Welt aus allen Fugen geraten, eines jedoch scheint sicher festzustehen für ihn: Serben gehören zur bösen Seite.

"Mehr Bomben", tönt es eindringlich von allen Seiten, als der studentische Besuch sich verabschiedet. Mit Nachdruck betont der junge Bäcker aus dem Kosovo noch einmal: "Glaubt es mir: Die NATO muß noch viel stärker vorgehen, mehr Bomben abwerfen und vor allem Bodentruppen schicken. Glaubt es mir, daß ist die einzige Lösung. Ohne Bodentruppen geht es nicht."

Seither sind fast zwei Wochen vergangen. In dieser Zeit hat sich einiges verändert: die politische und militärische Lage. Anderes ist noch immer so, wie es der Krieg hinterlassen hat: die Menschen. Seit Milosevic dem Friedensplan der internationalen Vermittler zugestimmt hat, lebt die Hoffnung wieder auf, daß die Nato-Luftangriffe bald ein Ende finden und damit ein Friedensprozeß einsetzt. Dieser wird jedoch - so zeigt es traurig und deutlich die Situation in der Heidelberger Flüchtlingsunterkunft - zäh und langwierig sein.

Ob das militärische Vorgehen tatsächlich etwas bewegt hat auf dem Weg zu einem friedlichen Miteinander im ehemaligen Jugoslawien bleibt fraglic. Die schmerzliche Gegenwart und ukunft der Menschen im Kosovo und in Serbien jedenfalls ist im kleinen Sahid sicherlich am deutlichsten zu erkennen. (ckg, bak)


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