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Heidelberger Profile


Frikassee und Bockwurst

Regisseur Wolfgang Graczol schlägt in Heidelberg die Faust-Schlacht

Wenn er von seiner Arbeit erzählt, glänzen die Augen des wendigen Wiener Theaterpraktikers, der seit einem Vierteljahrhundert die Heidelberger Kulturszene bereichert. Auf der ausladenden Rampe, vor dem in Eigenarbeit ausgebauten Off-Theater im Landfried-Komplex, spricht der Gründer und Kopf des familiären Taeter Theaters exklusiv für den ruprecht Sequenzen aus seinen aktuellen Produktionen.

Als Regisseur, Promotion-Fachmann, Pförtner, Putzfrau, Kassierer und auch Schauspieler beherrscht Wolfgang Graczol seine Texte wie aus dem Effeff. Die filigranen Zwischentöne und Pointen bringt er auch dann vollendet zur Geltung, wenn Lichtregie und Bühnenbild die schauspielerische Aura einmal nicht unterstreichen. Die dramatische Atmosphäre gründet bei dem Mann mit dem feinen österreichischen Humor im Reichtum leichtfüßiger Wendungen und spielerischer Einfälle sowie in der geschickten Besetzung der Rollen nach den je eigenen Fähigkeiten hochmotivierter Laienspieler.

Jenseits von theatraler Vergnügungsindustrie und Repräsentationskultur hat der ehemalige Schauspieler des Wiener Burgtheaters und des Heidelberger Stadttheaters in den letzten Jahren mit seiner eigenen Bühne und den bescheidenen Mitteln eines aus Amateuren rekrutierten Ensembles große Ambitionen realisiert. Der "Faust" sticht dabei als in den vergangenen Jahren langfristig verfolgtes Monumentalprojekt hervor; der ist auch für den vollblütigen Theatermacher ein "Gewaltmarsch". In insgesamt vier Einzeletappen und Abenden hat der Regisseur in mehrjähriger Arbeit das zweiteilige dramatische Vermächtnis Goethes in Heidelberg inszeniert und heimste damit, schon als das Projekt 1994 noch in den Kinderschuhen steckte, den Stuttgarter Theaterpreis ein.

Der Regisseur, der sich nicht "vor'm Goethe fürchtet", träumt davon, das große Werk, das für das Taeter Theater immerhin schon um ein Drittel der Verse zusammengestrichen wurde, mit seinen insgesamt zwölf Stunden Spieldauer im 250. Geburtsjahr des großen Dichters an einem einzigen Wochenende zu spielen. Wiederaufnahmen der bereits abgeschlossenen Faust-Inszenierungen stehen im kommenden Herbst ins Haus. Die behäbigen, öffentlichen Theaterapparate tun sich vergleichsweise schwer mit großangelegten Klassikerinszenierungen, meint Graczol. Gagen und Ausstattung kosten die öffentlichen Häuser Unsummen von Geld. Trotz des mittlerweile auf 85.000 DM angestiegenen Fördervolumens von der Stadt werden im Taeter Theater auch größere Aufgaben weitgehend durch die zahlreichen, von Theaterfreunden aus der "Taeter-Szene" unentgeltlich erbrachten Arbeitsstunden bewältigt.

Nach einem zehnjährigen Engagement beim Theater der Stadt Heidelberg begann der am Max-Reinhardt-Seminar ausgebildete Schauspieler Graczol 1983 seine Arbeit mit freien Ensembles und Laienspielern. Die fehlende Spielstätte machte bald die Suche nach geeigneten konstanten Schauspielräumen in Heidelberg unerläßlich. Als "die große Not ihre Wendung herausforderte", fanden sich 1987 glücklicherweise die Räume im Landfried-Komplex. Ein Trägerverein wurde gegründet, die erste Spielzeit läutete die außergewöhnliche Laienspieltruppe mit einer Darbietung Brechtscher Lehrstücke ein, die bekanntlich ganz auf den Lernzuwachs der Schauspieler selbst hin konzipiert sind. Mittlerweile bringt das aus der Heidelberger Kulturszene nicht mehr wegzudenkende Taeter Theater zwischen 120 und 130 Aufführungen pro Jahr zustande.

Stilistisch sondert sich Graczol sowohl von einem effekthascherisch auftretenden, modernistischen Regietheater wie auch von der Klassiker-Originalstil-Bühne ab. Unter bemüht neugestylten Regie-Karosserien, so Graczol schmunzelnd, rasselten letztlich doch Opas Theatertöne. Modernes Theater zu machen heißt für ihn, "Theater für moderne Menschen mit einer wahren Empfindung" zu spielen. Theater soll "lebendiger sozialer Raum" sein, in dem die Bühnenarbeit Raum gibt für soziales Lernen und die reizvolle "Schlacht der Inszenierung" gemeinsam vollzogen wird. Die Bühne kann als Ort kultureller Selbstreflexion den gesellschaftlich erfolgenden Kommunikationsverlust in ihrem eigenen Wirklichkeitsbereich hinterfragen und rückgängig machen.

Übermäßig verkopft, wie das klingen mag, kommen Taeter-Inszenierungen allerdings nicht daher. Im Sommer stehen zunächst die "Drei Schwestern" von Tschechow, Sophokles' "König Ödipus" und einige teilweise internationale Gastspiele auf dem Programm. In der neuen Spielzeit steht eine Rückbesinnung auf dem kulturellen Speiseplan "vom Frikassee zur Bockwurst" an. Um so liebenswerten Fragen wie "Faust - ist denn das was Komisches?" zu begegnen, soll die Bergheimer Bühne in der kommenden Saison mit einem Sketch-Abend zum humoristischen Genre zurückfinden. Doch zuvor wird das schwarz gewandete Multitalent Graczol erneut als Mephistopheles ins Rampenlicht treten und davon sprechen, wie "in der großen Welt man kleine Welten macht." Unbesehen nimmt man ihm als Zuschauer die Berufung dazu ab. (kwa)

Der Rau-Vorläufer aus der Kurpfalz

Heidelberger Underdog zog aus, Präsident der Republik zu werden

Vor 70 Jahren fanden die einzigen Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung dieses Jahrhunderts statt. Die MSPD, die aus diesen Wahlen als stärkste Fraktion hervorging, konnte nach erbittert geführten Koalitionsverhandlungen mit den bürgerlichen Parteien den berühmtesten Sohn Heidelbergs zum ersten Repräsentanten des deutschen Volkes machen: Friedrich Ebert.

Über die prägenden jungen Jahre des Kurpfälzer Sozialdemokraten ist am wenigsten bekannt. 18 Tage nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs durch die Proklamation Wilhelms I. zum deutschen Kaiser wurde Friedrich Ebert geboren. Die Sattlerausbildung, die er 1885 beginnt, bricht er tief gekränkt vier Wochen vor der Gesellenprüfung ab. Sein Sattlermeister hatte den von Botengängen heimkehrenden Ebert der Faulheit bezichtigt und geschlagen. Die dreijährige Wanderschaft, zu der er 1888 aufbricht, markiert als noch privater Akt der Auflehnung zugleich den Beginn der politischen Laufbahn Eberts.

Seine ,Walz' führt ihn durch eine Reihe scheinbar zahlloser Städte. 1889 tritt er der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaft der Sattler bei. Steil verlaufen die folgenden Karriereschritte. 1913 wird Ebert als Nachfolger August Bebels einer der Parteivorsitzenden der SPD. 1918 überträgt der letzte vom Kaiser eingesetzte Reichskanzler Max von Baden die Amtsgeschäfte gegen den Willen Kaiser Wilhelms II. an Ebert. Nur drei Monate später ist er der erste von der Nationalversammlung demokratisch legitimierte deutsche Reichspräsident.

Der Präsident Ebert sieht sich als gesamtdeutscher Mittler zwischen den Parteien. Die von Ebert verfolgte Politik des Burgfriedens ist typologisch für die frühe, von Flügelkämpfen gezeichnete SPD-Politik. Programmatisch stellt sie sich auf die Seite der Marxschen Geschichtstheorie, betreibt zugleich aber eine pragmatische, reformistische Sozialpolitik. Die SPD muß so immer stärker mit den in ihrer Macht ungebrochenen Eliten des alten Staats kooperieren. Die Versäumnisse einer solchen allzu kompromißbereiten Politik zeigen sich schon beim Kapp-Putsch 1920, als der Verzicht auf die durchgreifende Demokratisierung des Militär-, Justiz- und Verwaltungsapparats sich bitter rächt.

Die republikfeindliche Rechte, der Ebert schon immer ein Dorn im Auge gewesen ist, holt schließlich zu immer unverschämteren Attacken gegen den Reichpräsidenten aus. So muß es ihn wie eine zweite schallende Ohrfeige getroffen haben, als ein Magdeburger Gericht 1924 den Vorwurf des Landesverrats bekräftigt, vor dem es Ebert hatte verteidigen sollen. Eine dringend notwendige Operation bleibt aus, während der an Blinddarmbeschwerden erkrankte Politiker sich auf einen Berufungsprozeß vorbereitet. Noch ehe der Prozeß beginnt, stirbt Ebert Anfang 1925 an einem Blinddarmdurchbruch. Auf dem Heidelberger Bergfriedhof wird er beigesetzt. (kwa)


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