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ruprecht on the record


Die Sterne

Wo ist hier

"Wir müssen nichts so machen wie wir's kennen, nur weil wir's kennen, wie wir's kennen."

Klingt vielversprechend, diese Zeile aus dem neuen Album der "Sterne". Seit 91 existiert die Hamburger Band, und "Wo ist hier" ist immerhin schon die fünfte CD, die Thomas Wenzel, Frank Will, Christopher Leich und der aus dem tiefsten Ostwestfalen stammende Sänger und Texteschreiber Frank Spilker herausbringen. Aber "Produktivität ist viel weniger das Problem als das von vielen Faktoren und Zeitumständen gespeiste Konzept einer Platte", meint Spilker, und ich beginne, genau hinzuhören und mir zu überlegen, ob ein solches Konzept, ein Thema, ein durchgängiges Motiv auf der neuen "Sterne"-CD zu finden ist. Ist es.

"Wo ist hier". Fast alle Lieder auf der Platte handeln vom Unterwegssein, von Unruhe, Aufbruch und Bewegung, nicht nur von einem Ort zum anderen, sondern auch von der Vergangenheit in die Zukunft. Es geht um das rasante Tempo der Reise in eine neue Zeit, in der man eben nichts so machen muß, wie man es kennt und mit der man klarkommt - oder auch nicht. "Big in Berlin" zum Beispiel hinterfragt als Zitat auf den "Alphaville"-Song "Big in Japan" den Wirbel und die Euphorie um unsere neue Metropole, und im nächsten Stück klingt es, als werde der Fortschritt von einem Guru angepriesen. "Das bißchen besser" beschreibt Gedanken und Gefühle in einer Sylvesternacht, vielleicht in der zum Jahr 2000, und in einem anderen Stück heißt es verzweifelt: "Manchmal sagt man vertraute Sachen vor sich hin, weil man nicht sicher ist - ob sie noch stimmen". Schöne, nüchterne Sätze, wie wir sie kennen von den "Sternen".

Und die Musik? Machen sie die auch so, wie wir's kennen? Die ersten zwei Stücke klingen recht "sternig", aber spätestens und natürlich ausgerechnet in "Nichts wie wir's kennen" tauchen ungewohnte Elemente auf: Elektronische Laute schwirren kreuz und quer durch das Lied, und ein techno-artiger Rhythmus treibt die Musik, passend zum Thema des Textes, enorm voran. "Dingeling", das nächste Stück, lebt vom Groove des Basses, doch auch hier hat sich ein Quentchen Elektronik eingeschlichen. Es entsteht eine Mischung, die irgendwie spacig klingt, aber Spaß macht.

Keine Angst: Man muß zwar nichts so machen, wie man's kennt, man darf aber. "Wo ist hier" ist unverkennbar eine CD der "Sterne", mit allem, was dazugehört: Baß und Schlagzeug sorgen für Rhythmus, Gitarre und Orgel kreieren eine Gelassenheit, die nicht recht zu den von Spilker monoton vorgetragenen Texten passen will. Bestes Beispiel: "Bevor du losgehst". Mit "Beastbeat" demonstrieren die "Sterne", wie man um eine einzige Zeile herum einen Rhythmus Stück für Stück aufbaut, und "Melodie d'amour" klingt wie der Gesang eines Priesters in der Kirche.

Und dann fällt mir auf, daß der Titel des allerletzten Stückes auf der CD das passende Fazit ist: "Respekt". (stw)

Cassandra Wilson

Traveling Miles

Wer auch immer in den letzten vierzig Jahren die Jazz-Bühne betrat, kam an einem Namen nicht vorbei: Miles Davis. Sein übergroßer Einfluß ist überall zu spüren. War es nicht Miles Davis, der mit seiner einfühlsamen Instrumental-Version von Cyndi Laupers "Time after time" der Pop-Generation den modernen Jazz nahebrachte?

Auch Cassandra Wilson, die Jazz-Sängerin der 90er Jahre, hat sich nun von dem großen Miles inspirieren lassen und ihm ein ganzes Album gewidmet: "Traveling miles".

Um es gleich zu sagen: Jazz-Puristen werden dieses Album nicht mögen. Denn Wilson läßt sich von vielerlei Musik beeinflussen: Da kommen Elemente aus dem akustischen Folk, dem Funk und sogar dem Rhythm & Blues zusammen. Den Miles-Klassiker "Seven steps to heaven" hat sich Cassandra Wilson sogar als Gospel Song vorgestellt. So ist denn ihr Tribut an Miles Davis sehr vielschichtig geworden. Auch hat sie aus allen verschiedenen Schaffensperioden von Davis etwas ausgewählt.

Aus Miles Davis "romantischer" Zeit in den 50er Jahren hat Wilson die beiden Kompositionen "Blue in green" und "Someday my prince will come" ausgewählt. Aus den 60er ist der schon erwähnte Klassiker "Seven steps to heaven" dabei, der in Cassandra Wilsons Interpretation das Vibraphon und die Geige zum Tanzen bringt.

Aus der Fusion-Zeit von "Bitches Brew" ist "Run the voodoo down" mit dabei. Als funkiger Opener der Platte ist er etwas gewöhnungsbedürftig, doch das muß dem Stück nicht zum Nachteil gereichen. Auch das letzte Lebensjahrzehnt von Miles Davis ist mit Marcus Millers Song "Tutu" vertreten. Den hatte Miller zwar ursprünglich für Bischof Tutu aus Südafrika geschrieben, doch ist "Tutu" auch das Wort für "cool". Von da ist es nicht mehr weit zu Miles Davis, einem der Mitbegründer des Cool Jazz.

Daß nun auch der Blue Note-Star Wilson den Jazz einem breiteren Publikum näherbringen, ist bei ihrer Version von "Time after time" nicht zu überhören. Durch den Einsatz von zwei akustischen Gitarren bekommt der Song wieder einen ganz neuen Reiz. Wer den Songs wegen Laupers quietschende Stimme nicht mochte, der wird Cassandra Wilsons Interpretation lieben. Wenn sie mit ihrem samtenen Alt den traurigen Text ins Mikro haucht, bekommt man auch bei 35deg. C eine Gänsehaut.

Doch nicht nur mit ihren Interpretationen anderer Stücke kann sie überzeugen, auch ihr eigenes Songmaterial kann sich auch diesmal hören lassen. Besonders "Right here, right now" kann überzeugen. Dafür garantiert auch eine All-Star Crew um ihren alten Weggefährten, den Altsaxophonisten Steve Coleman, den Bassisten Dave Holland und Multi-Talent Pat Metheny. So soll nun auch endlich der große kommerzielle Durchbruch erreicht werden, den Cassandra Wilson schon lange verdient hat und an dem sicher auch ihr Kater Miles Anteil haben wird. (col)

Jamiroquai

Synkronized

Das Überraschende an der neuen Scheibe von Jamiroquai ist, daß sie nicht gerade innovativ ist. Von "Emergency on planet earth"1993 bis zum Platin-Erfolg "Travelling without moving" vor zwei Jahren hatte jede Platte ihre besonderen Eigenheiten. So klangen auf "Travelling" einige Tracks noch wie eine Aborigines-Combo im Ferrari: Eine Mischung von Streicher- und Bläser-Sätzen zu Funk-Rhythmen entwickelte zusammen mit einer satten Portion Didgeridoos den unverkennbaren Stil.

Mit "Synkronized" haben sich Jamiroquai fast gänzlich von ihrer Down-under-Tute verabschiedet - und sich dafür um so mehr den Boogie- und Disco-Sounds zugewendet. Nur in "Supersonic", das ein letztes Didgeridoo-Reservat ist, konnte Wallis Buchanan seine Blaskünste zeigen - zu dem bestechendsten Beat der Platte. Allerdings wünscht man sich irgendwann, Sänger Jason Kay hätte ein paar Zeilen mehr Text auswendig gelernt. Eine Spielwiese für Metaphern ist dafür "Soul education": "Got my life information/Upon the breeze that's blowing through my hair/Got a pocket full of rainbows/Oh and a sky to put them in so blue..." Am ehesten an den Stil der alten Platten erinnert "Where do we go from here", das in Jamiroquais Funk-Tradition steht.

"Canned Heat", die aktuelle Auskopplung der CD, ist eine Verbeugung an den Stil der 70er - und damit typisch für das Album. Ein Millenium-Remake von "Saturday Night Fever" käme ohne diesen Song auf dem Soundtrack nicht aus. Der Rhythmus geht unweigerlich in die Beine, wer seine Mitmenschen nicht durch Mitwipperei und klopfende Fingern nerven will, sollte den Song allein hören. Gleiches gilt für "Black Capricorn Day" - kann es sein, das Jay Kay ein illegitimer Sohn von Marvin Gay ist? Dieser Track wird uns ziemlich sicher durch den Radioherbst führen.

Dagegen wirkt "Destitute Illusion" mehr wie ein Pausenfüller, bei "Planet Home" lassen monoton wiederkehrende Beatmotive die Finger zucken - in Richtung Vorspultaste.

Ein Party-Album: Nicht anspruchsvoll, auch nicht gerade sehr neu, aber alles andere als langweilig und sehr tanzbar. Wer aber "Travelling" schon im Schrank stehen hat, kann auf "Synkro" verzichten. (gan)


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