Nehberg: Meine Abenteuer sind eine Suche nach dem Ursprünglichen und Einfachen, weil ich mich hier von der ganzen Zivilisation so abhängig fühle. Ich möchte mir beweisen, daß ich notfalls auch ohne die Zivilisation auskomme, daß ich noch so funktioniere wie jedes Tier und in der Wildnis alleine ohne fremde Hilfe klarkomme. Aber es ist auch die Sehnsucht nach Abenteuer, die Sehnsucht nach Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit. Unabhängig zu sein war immer ein Lebensziel von mir. Deswegen habe ich mich auch selbständig gemacht, deswegen habe ich mit meiner Frau vereinbart, daß wir uns durch die Ehe nicht behindern lassen. Deswegen hat sie mich immer alleine reisen lassen, so wie ich es wollte. Und deswegen habe ich letzten Endes die Konditorei verkauft. Zuletzt fühlte ich mich dann doch sehr an den Laden gebunden, und als ich ihn dann verkaufen konnte, war ich sehr froh, weil ich jetzt völlig unabhängig bin. Ich bin jetzt Einzelkämpfer, Alleinarbeiter.
ruprecht: Besteht zwischen Ihren Survival-Abenteuern und der Kommerzialisierung dieser Bewegung (Outdoor-Läden, organisierte Survival-Urlaube) nicht ein Widerspruch?
Nehberg: Wer das in einer Weise praktiziert, daß er daraus Riesenreisen macht, oder wenn von Veranstaltern organisierte Abenteuer angeboten werden, ist das eigentlich nicht meine Richtung. Leute, die so etwas mitmachen, sind noch richtig weit entfernt vom richtigen Abenteuer. Organisiertes Abenteuer à la Camel ist mehr eine Verarschung des Kunden. Aber wer meine Art, Abenteuer zu leben, richtig versteht, der macht es sehr respektvoll und nicht ignorant. Er ignoriert die Natur nicht, sondern reist in Harmonie mit ihr. Die kommerziellen Unternehmen dagegen sind da doch ziemlich arrogant und nehmen bei ihren Reisen auch keine Rücksicht. Da ist das Abenteuer eigentlich nur ein Pseudoabenteuer. Da ist alles abgesichert, da darf nichts passieren, und wenn wirklich etwas passiert, ist das Geschrei groß.
ruprecht: Ist die Survival-Bewegung nicht auch ein Versuch, der Langeweile, die wir mit unserem modernen Großstadtleben ja erreicht haben, zu entfliehen? War das bei Ihnen vielleicht auch ein Antrieb?
Nehberg: Bei mir weniger, denn das Survival habe ich schon zu einer Zeit gemacht, wo es mir finanziell nicht so gut ging. Der Gedanke an sich ist sicher nicht ganz falsch. Ich sehe das ja bei Manager-Trainings. Das sind Leute, die nun alles haben und diesen Kick als Ausgleich brauchen. Die möchten es dann auch ganz extrem, aber natürlich auch schön abgesichert. Denn sie wollen ja wieder zurück auf ihren Ledersessel und weiterregieren.
ruprecht: Die moderne Technik ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Was bringt in unserer hochtechnisierten Welt Survival-Training?
Nehberg: Entweder Du lebst in dieser Welt mit der Technik, dann brauchst Du sie auch - ohne Computer wird es schwierig heute. Aber das andere ist einfach eine gegensätzliche Welt. Meine Bücher sind ja auch nicht so sehr auf Survival in der Zivilisation zugeschnitten, sondern mehr für Reisende, die im Abseits der Erde alleine klarkommen möchten. Eben nach dem Vortrag war da wieder so einer, der wollte einfach alles wissen, was mit Krankheiten, Zecken, Läusen und Sandflöhen ist. Wenn einer mit solchen Ängsten losgeht, bleibt er am besten zu Hause, da passiert auch was. Ich bin da eigentlich immer ziemlich sorglos losgegangen und habe dem Restrisiko noch eine Chance gelassen.
ruprecht: Was glauben Sie, können Sie mit Ihren Aktionen und Vorträgen wirklich bewegen?
Nehberg: Auf jeden Fall errege ich Aufmerksamkeit. Das Thema Survival ist eine Branche geworden, und die Yanomami kennt heute auch jeder. Mehr wollte ich nicht erreichen. Die Yanomami kennt heute nicht nur jeder, sondern sie stehen auch unter Schutz.
ruprecht: Aber sind Sie vielleicht nicht doch nur der Pausenclown, der uns Wohlstandsbürgern bei seinen Vorträgen mal kurz das Gruseln lehrt?
Nehberg: Dann wäre Survival ja nicht so eine Weltbewegung geworden. Aber für viele ist es natürlich auch Pausenclownerie und Unterhaltung. Das ist mir bei den Vorträgen schon bewußt. Ich bin ja auch kein Missionar, der die Leute zu irgend etwas bekehren will. Ich würde mich ja seelisch zerfetzen, wenn ich jetzt nach Hause ginge und traurig wäre, weil die Leute nicht alle surviveln.
ruprecht: Fühlen Sie sich immer ernst genommen von den Medien?
Nehberg: Das ist verschieden. Zu Anfang, als das Thema Survival noch völlig neu war, fühlte ich mich von den Medien weniger ernst genommen. Speziell bei der Bild-Zeitung war immer viel Hohn. Das hat aber völlig nachgelassen, nachdem alle gesehen haben, daß Survival eine Branche geworden ist, an der man nicht mehr vorbeikommt. Trotzdem hängt mir ein gewisses Image immer an. Wenn man fragt: "Kennst Du den Nehberg?" und man kennt ihn nicht, dann muß man nur sagen "der Würmerfresser", dann wissen die Leute Bescheid. Das bleibt einfach nicht aus, wenn man ein so extremes Hobby hat.
ruprecht: Ist die Natur des Menschen, so wie sie sie kennengelernt haben - auf einer Ihrer Touren ist ein Freund von Ihnen ermordet worden - überhaupt zum Überleben geschaffen?
Nehberg: Da kann man nur sagen: Der Mensch ist ein Vollidiot. Andererseits sind wir ganz große Genies, wenn man sieht, daß wir zu anderen Gestirnen fahren. Aber da ist dann auch wieder dieses Gesellschaftssystem der Maßlosigkeit, dieser ständige Konkurrenzdruck, wo nur der Rücksichtsloseste überlebt und den meisten Erfolg hat. Ich denke, daß wir irgendwann an unserer Habgier zugrunde gehen. Es ist aber auch irgendwo in der Natur vorgeprägt, daß Monokulturen nicht überleben. Wenn irgendwann einmal unsere westliche Kultur die Erde erobert hat und alles zuzivilisert ist, denke ich, daß die Natur zurückschlägt und uns mal wieder reduziert, ob durch neue Krankheiten oder durch Kriege. Monokultur verträgt die Erde nicht. Wir wissen, was der Erde bekommt, und wir haben auch gute Eigenschaften, sonst wäre es ja ganz beschissen, hier zu leben. Wir haben das Zeug dazu, die Erde völlig zu zerstören, und wir haben das Zeug dazu, aus ihr ein Paradies zu machen. Aber ich glaube, dazu müssen uns Katastrophen zwingen.
ruprecht: Sie engagieren sich für die Yanomami-Indianer in Brasilien. Weshalb gerade für dieses Volk, und warum sollten gerade die Yanomami überleben? Es gibt ja so viele Kulturen, die von diesem Planeten verschwunden sind, da kommt es auf eine mehr oder weniger doch nicht an, oder?
Nehberg: Die Tatsache, daß schon früher Kulturen verschwunden sind, ist doch kein Grund, auch heute bedrohte Völker untergehen zu lassen. Daß ich mich ausgerechnet für die Yanomami engagiere, kommt wohl daher, daß ich sie persönlich schätzen gelernt habe. Wäre ich ihnen nur über das Fernsehen begegnet, hätte sich das Engagement nicht entwickelt. Mich hat vor allem begeistert, daß es eine andere Lebensform geben kann. Die Lebensform der Yanomami ist eine völlig andere: da gibt es eine Bescheidenheit, ein viel intensiveres Miteinander, einen Respekt gegenüber der Natur und eben den fehlenden Fortschrittsglauben. Und ich dachte mir, daß die Erde angesichts der zunehmenden Weltbevölkerung mit dieser bescheidenen Lebensweise eine bessere Chance als mit unserer Fortschrittsgläubigkeit hätte. Aber auch die Tatsache, daß die Yanomami bedroht und nicht in der Lage waren, sich selbst zu helfen, hat bei mir so eine Art Helferinstinkt ausgelöst.
ruprecht: Führt das Schützen der Yanomami nicht dazu, daß sie irgendwann einmal wie im Zoo leben?
Nehberg: Manche Leute wollen die Yanomami isolieren. Es wäre aber
völlig falsch, sie wie im Zoo zu halten, damit unsere Nachkommen an den wilden Nackten ihren Spaß haben. Die optimale Lösung wäre ein Sichannähern der Kulturen, wobei die Yanomami aber auch etwas miteinbringen sollten. Die Yanomami können sich nicht so wie bisher bewahren und auch wir müssen lernen, uns weiterzuentwickeln. Ein Voneinander-Lernen wäre die ideale Lösung. Dazu muß man sie aber gegen unsere Übergriffe schützen und ihnen dann, ihrem Wunsch entsprechend, die Bildung geben, die sie brauchen, um Bestand auf der Erde zu haben.
ruprecht: Bedienen Sie bei Ihrer Darstellung der Yanomami nicht das Bild vom edlen Wilden?
Nehberg: Das glaube ich weniger, denn ich erzähle ja auch, was das für Knallköpfe sind. Ich sehe da keine edlen Wilden, denn die Yanomami haben auch Kriege geführt. Trotzdem sehe ich in ihrer Lebensart so manches Kopierenswerte.
ruprecht: Was würden sie an unserer Lebensweise kritisieren?
Nehberg: Die Maßlosigkeit. Es geht uns von allen Völkern dieser Welt mit Abstand am besten, und wir bilden uns ein, es müßte immer so weitergehen wie es seit 1945 gegangen ist. Daß unser Reichtum auf der Armut der anderen basiert, das ist etwas, was mich sehr stört. Alle maßlosen Kulturen sind irgendwann einmal zugrunde gegangen, ob das die Römer waren oder die Ägypter. Ich denke, irgendwann kriegen auch wir eins auf die Nase.
ruprecht: Ihr Engagement für die Yanomami in Ehren, aber gibt es nicht noch andere Völker, die Ihre Hilfe gebrauchen könnten?
Nehberg: Man kann nicht alles, und bevor ich auf zehn Hochzeiten tanze, mache ich lieber eine Sache beständig. Mit dem Erfolg, daß die Yanomami jetzt unter Schutz stehen, was aber nicht mein Verdienst ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man sich schon um drei Indianervölker in Brasilien kümmern würde, ist das bereits konfkliktbeladen, weil jedes Bundesland dort andere Probleme und andere Gesetze hat, andere Arten von Politikern. Man kann nicht alles machen, man pickt sich was raus, und ich will ja den anderen Leuten auch noch eine Aufgabe lassen.
ruprecht: Sie sind ja eigentlich ein Wanderer zwischen den Welten, zwischen Urwald und dem Mikrowellen-Zuhause. Fühlen sie sich da nicht manchmal hin- und hergerissen, innerlich zerissen?
Nehberg: Zerissen nicht, weil das so langsam gewachsen ist. Es ist ja nicht so, daß mich jemand in den Urwald wirft und ich keine Ahnung davon habe. Heimweh und Fernweh wechseln bei mir immer wieder. Damit komme ich auch gut klar. Außerdem würde mich der Urwald auf Dauer zerfetzen. Der ist so aggressiv, daß man die vielen Krankheiten, die einen da bedrohen, ständig mit Chemie und Vorsicht abwehren muß. Man ist nicht mit der Resistenz, die die Indianer haben, geboren worden. Wir müssen die Resistenzen künstlich entwickeln. Würde ich ohne Tabletten im Urwald reisen, wäre ich in einem Jahr tot.
ruprecht: Wie sieht Ihr nächstes Projekt aus?
Nehberg: Nächste Aktion ist Überquerung des Atlantik mit einem Baumstamm. Damit will ich noch mal ordentlich stören da drüben in Brasilien. Dann wollen wir bei den Yanomami eine zweite Krankenstation aufbauen. Privat habe ich vor, mich mitten in der Nacht im Urwald absetzen zu lassen und nicht zu wissen, wo das ist. Ich habe nur eine Badehose an und muß sehen, wie ich da rauskomme. Und ich denke, nach vier Wochen stehe ich irgendwo, wo auch immer. (bak, col)