Herausgeber Peter Stepan hat 93 Photographen ausgewählt, jeder wird auf einer Doppelseite vorgestellt: Den Schwerpunkt der Darstellung bildet jeweils ein Meisterwerk eines Künstlers; Werk und Meister werden in einem kurzen Text daneben vorgestellt. Eine kleinere Abbildung eines zweiten Bildes rundet die Darstellung ab, die Seite wird geschlossen durch tabellarische Biographien mit kleinem Bild des Photographen und weiterführendem Literaturhinweis.
Einen Anspruch auf Vollständigkeit hat das Buch nicht. Zu viele Photographen und Stile sind es, die berücksichtigt werden müßten. So gibt der Herausgeber im Vorwort offen zu, daß lediglich aus technischen Gründen der Umfang der Auswahl so gering blieb - hinter den über neunzig "Ikonen", wie Stepan sie nennt, stünden Abermillionen von weiteren Abzügen, geschaffen von Hunderten anderer Meister. Auf den ersten Blick wirkt die Sammlung wie ein Schnappschuß der Photographie dieses Jahrhunderts.
Die Photographien sind locker nach der Reihenfolge des Entstehens der ausgewählten "Meisterwerke" geordnet. Die chronologische Ordnung bedingt ein zufälliges Nebeneinander der verschiedenen Stile: August Sanders "Jungbauern im Sonntagsstaat, Westerwald" wird von einem Bild der Sportreportage von Jaques Henri Lartigue gefolgt, die Neue Sachlichkeit wird von zwei der Pflanzenaufnahmen Karl Blossfeldts vertreten, beim nächsten Umblättern erblickt man Man Rays surrealistischen Geniestreich, den Rückenakt der Violinenfrau "Kiki". Sozialreportage, Porträt- und Gesellschaftphotographie, Kriegsberichterstattung, Landschaftsaufnahme: alles scheint vertreten zu sein. Der Kenner wird viel Bekanntes wiederentdecken - doch die Begleittexte sind hervorragend geeignet, selbst denen, die schon alles gesehen haben, das Gezeigte besser verständlich zu machen. Wer sich aber für einen Neuling in Sachen Kunstphotographie hält, kann in diesen Bildern einen Regenbogen zwischen den Farben Schwarz und Weiß entdecken. So ist der Band mehr als nur eine kleine Auswahl verschiedener Photographen und einiger ihrer besten Bilder - er ist auch ein Querschnitt durch die verschiedenen Stile, mit denen die Photographie das 20. Jahrhundert vermittelt hat. Der Band ist kein Schnappschuß, mehr eine Nahaufnahme: Man sieht nicht alles, doch das wenige dafür um so deutlicher.
Allerdings weist der Band auch Schwächen auf: So bleibt unerklärt, warum Andreas Feiningers "Am Hudson River" spiegelverkehrt abgedruckt wurde. Handelt es sich um einen Fehler des Verlags, fährt der Dampfer tatsächlich nach links?
Doch im Vergleich zu dieser Irritation, die für die Komposition des Bildes unwesentlich ist, wiegt schwerer, daß den letzten dreißig Jahren der Photographie des Jahrhunderts nur ein Bruchteil des Platzes eingeräumt wurde: auf zwölf Doppelseiten drängen sich die 70er und 80er, die 90er sind nur mit zwei Photographen vertreten. Ein Grund dafür mag die kleinere Rolle sein, die die statische Photographie im Verhältnis zu der Ausbreitung der bewegten Bilder im betreffenden Zeitraum einnahm. Vielleicht war es auch einfach die Furcht, sich durch die Erhebung bisher nicht allgemein anerkannter Photographen in den Himmel der Newtons, Mapplethorpes und Hockneys der Gefahr von Kritik an der Auswahl auszusetzen. Wenn der Band seinem Untertitel nicht ganz gerecht wird - seinem Haupttitel: "FOTOGRAFIE!", großgeschrieben und mit Ausrufezeichen, wird er es um so mehr. Der richtige Bildband für alle, die Photographie nicht nur lieben-, sondern auch kennenlernen möchten - und dies zu einem studentenfreundlichen Preis. (gan)
Fotografie! Das 20. Jahrhundert, hg. von Peter Stepan, 200 Seiten mit 238 Abbildungen, davon 90 in Vierfarbwiedergabe und 148 Schwarz-Weiß. München/London/New York 1999 (Prestel); 50,- DM.
"Vor langer Zeit, als nur Finnen auf der Welt lebten und es noch keine anderen Völker gab, herrschte der Donnergott über alles Lebende, im Himmel wie auf der Erde...Aber die Zeiten ändern sich, im Himmel wie auf der Erde." Deshalb beruft der Donnergott Ukko alle finnischen Götter zu einer religiösen Lagebesprechung, ähnlich derer, die vor 2000 Jahren im christlichen Himmel stattfand. Was einmal geklappt hat, kann auch ein zweites Mal funktionieren, darum beschließt man, den Sohn des Donnergottes Rutja zur Erde zu schicken, um die Finnen wieder an ihren ursprünglichen Glauben zu erinnern. Ungünstigerweise weicht Rutja "in seinem Aussehen zu sehr von den Menschen ab", ist "unnötig groß, in unangemessener Weise behaart" und sieht "viel zu wild" aus. Also soll er sich für seinen Aufenthalt auf Erden den Körper eines der letzten Anhänger der finnischen Religion, den des Antiquitätenhändlers Sampsa Ronkainen, leihen. Nur: Der Gott leiht sich mit dem Körper auch die Sorgen Sampsas. Zwar hört sich die Ausgangssituation sehr nach Fantasy-Roman an, doch eigentlich kämpfen Paasilinnas Gestalten durchaus mit der Realität. Auch wenn sie Götter sind. Spöttisch, manchmal sogar äußerst bissig, erzählt Paasilinna von den Unternehmungen Rutjas. Zum Beispiel wie er Geld für seine Sache verdient, indem er Sampsas Bauernhof zu einer Irrenanstalt umbaut. Und wie die Verbreitung des neuen Glaubens von frisch geheilten Irren ausgeht. Man hatte im finnischen Himmel beschlossen, alles genauso zu machen wie seinerzeit die Christen.
Arto Paasilinna, zur Zeit einer der erfolgreichsten finnischen Schriftsteller, kennt man in Deutschland kaum. Seine 35 Romane wurden bereits in mehrere Sprachen übersetzt und manche sogar verfilmt. Aber die deutsche Übersetzung auf sich warten. Bisher sind zwei Paaslinna-Romane auf deutsch erhältlich: "Der heulende Müller" und "Die Giftköchin". "Der Sohn des Donnergottes" wurde bereits 1984 geschrieben, aber erst diesen September erschien die deutsche Übersetzung.
"Der Sohn des Donnergottes" ist ein typisches Paasilinna-Buch. Die abstruse Ausgangssituation, die sehr menschlichen Reaktionen der Figuren und die versteckte, aber doch sehr scharfe Kritik sind sein Markenzeichen. Natürlich dürfen nie die kleinen Sticheleien zur finnischen Politik, insbesondere zum Verhältnis Finnen - EU, fehlen. Ein besonderer Genuß ist Paasilinnas Schreibstil. Seine Sprache ist einfach, oft spröde, trifft aber präzise. Manchmal scheint er leider dazu zu tendieren, Situationen nur um der Beschreibung willen einfließen zu lassen. Das sei aber verziehen, da die Beschreibungen in diesen Fällen so gelungen sind, daß ein bißchen Inkohärenz nicht schadet. Dieses Buch macht süchtig. Wer einmal Paasilinna gelesen hat, kann nicht mehr aufhören. Ein Tip: Wem die drei deutschen Bücher nicht genügen, kann sich an englische oder französische Versionen halten, dort war man wieder schneller mit dem Übersetzen. (st)
"Der Sohn des Donnergottes" ist im Ehrenwirth-Verlag erschienen und kostet 29,80 DM.
Berge, Bier und Mülltrennung lautet die gängige Assoziationskette zu Deutschland. Dabei ist Mülltrennung eine der bequemsten Formen der UMVV: Kein wesentlicher Grundwert - wie etwa das existenzielle Autofahren - wird eingeschränkt; das einzige was man braucht, heißt Disziplin (und ist nicht zufällig eine deutsche Kardinaltugend). Verschlägt es nun jemanden aus dem mülltrennungstechnisch streng peniblen badischen Ländle ins anything goes, who cares? London, kommt das einer mittleren Katastrophe gleich. Man stelle sich vor: Ein Leben ohne Mülltrennung. Absolutely unbelievable! Outrageous! Es kommt daher nicht selten vor, daß man besonders an regnerisch-trüben Tagen heimlich beginnt, seinen Müll wenigstens etwas zu sortieren.
Denn die Hemmschwelle, Bioabfall, Papier und Plastikverpackungen einfach so in einen gemeinsamen Mülleimer zu werfen, ist erschreckend hoch - so schnell lernt man einfach nicht, skrupellos zu sein. Was für ein schmerzhafter Umgewöhnungseffekt! Zum Thema UMVV gehört in Deutschland auch, beim Einkaufen im Supermarkt seine eigene Einkaufstasche mitzunehmen (denn merke: "Vermeide Müll, schone die Umwelt!").
Vorneweg an der Ökofront marschieren die Öko-Hardliner mit ihren schmucken Baumwolltaschen, hintenan trödeln die Öko-Softies wenigstens noch mit ihrer einmal erworbenen großen Aldi-Einkaufstasche (aus Plastik!), mit der sie ganz unverschämt auch bei Tengelmann einkaufen gehen. Praktiziert man das gleiche Verhalten in England, wird man bestenfalls als komischer Kauz angesehen - oder aber ärgerlich angestarrt, weil man Werbung für die Konkurrenz zur Schau trägt.
Nein, in England funktioniert das alles ganz anders: Am Ende der Kasse kommt alles schön verteilt in viele kleine Plastiktüten, die dann stolz die Aufschrift "Sainsbury's" oder "Tesco's" tragen bzw. beim Inder um die Ecke einfach nur hellgrau und noch kleiner sind. Und wo kommen alle diese Plastiktüten am Ende hin? Richtig, alle landen in genau diesem einen Mülleimer, wo auch all der andere Müll schon lagert - ganz unsortiert.
London ist eben eine Weltstadt, da gehört das Chaos per definitionem dazu. Für einen Badener bedeutet das jeden Tag aufs Neue die Herausforderung, wenigstens ein klein wenig Ordnung zu schaffen. (ab)