ruprecht in kleinen Häppchen


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Endstation Studiticket?

Der Vertrag zwischen Studentenwerk und VRN ist gekündigt

Das Semesterticket hat sich als Verkaufsschlager erwiesen. Mit diesem können die Studierenden für 100,00 DM pro Semester das gesamte Angebot des VRN nutzen. Und das ist bei 25 angeschlossenen Verkehrsunternehmen in der gesamten Rhein-Neckar-Region nicht gerade wenig. Aber damit könnte vielleicht schon in einem Jahr Schluß sein, denn der VRN möchte den Preis erhöhen und den Vertrag ändern. Studentenwerk, FSK und Universitätsverwaltung protestieren und fordern Angebotsverbesserungen.

Der Streit entzündet sich am Vertragstext. Bei Tariferhöhungen von Seiten des VRN muß der Vertrag über das Semesterticket, in dem konkrete Preise stehen, formell gekündigt werden. Genau das ist am 19.Oktober geschehen. Nachdem der VRN Tarifänderungen beschlossen hatte, wurde der Vetrag gekündigt und dem Studentenwerk mitgeteilt, daß das Semesterticket ab 1. Oktober 1996 105,00 DM kosten soll. Der VRN bat um Zustimmung zu dieser Preiserhöhung und nutzte die Gelegenheit, den Wunsch nach einer grundlegenden Überarbeitung des Vertrages zu äußern. Der Verkehrsverbund wünscht eine Anpassung der "Kom-plementärfinanzierung" durch das Studentenwerk (jeder Student bezahlt 19,00 DM seines Semesterbeitrages für das Semesterticket, auch wenn er das Angebot nicht nutzt) an die Entwicklung der Studentenzahlen und an die jeweiligen Tarifänderungen ohne vorherige Kündigung des Vertrages.

Im Klartext bedeutet dies, daß der VRN dann die Preise für das Semesterticket festlegen könnte, ohne sich mit dem Studentenwerk abstimmen zu müssen, und darüberhinaus, daß auch die Höhe des Anteils vom Semesterbeitrag zur Disposition stünde. Letzteres würde aber heißen, daß die Höhe des Semesterbeitrages nicht mehr nur vom Studentenwerk festgelegt würde, sondern letztendlich vom VRN massiv beeinflußt würde. Dies ist auch Hauptkritikpunkt von seiten des Studentenwerks, das betont, daß es nicht gewillt ist, von den Studierenden einen noch höheren Solidarbeitrag zu verlangen.

Die Vermutung, daß der Verbund auf Kosten der Studierenden sein Defizit ausgleichen will, wie einige behaupten, ist allerdings objektiv betrachtet kaum haltbar.

Nahezu 50 % der Heidelberger Studierenden haben das Semesterticket erworben; im Wintersemester 1993/94, als es das Ticket zum ersten Mal zu kaufen gab, wurden 17089 Stück verkauft, im Sommer darauf 15337. Universität und FSK hatten 7000 verkaufte Tickets als Ziel anvisiert.

Wieviel hat der Verkehrsverbund daran verdient? Zunächst einmal den Grundbetrag von 19 DM, bei ca. 31000 Studierenden also 589000 DM. Bei einem Schnitt von 16000 verkauften Tickets pro Semester bedeutet das 1,6 Mio. DM direkt in die Kasse des VRN. Außerdem erhalten die angeschlossenen Unternehmen Ausgleichsleistungen nach §45a Personenbeförderungsgesetz, pro verkauftem Ticket ca. 140 DM Zuschuß. Bei 16000 Tickets macht das 2,24 Mio. DM. Die Einnahmen des VRN betragen damit nahezu 4,43 Mio. DM pro Semester. Eine stolze Summe, die sich bei der geplanten Preiserhöhung allerdings kaum verändern würde. Sollte der VRN ab Oktober nächsten Jahres fünf Mark mehr am Schalter kassieren, wie gefordert, würden die Einnahmen bei gleichbleibenden Verkaufszahlen um ca. 80000 DM steigen, zugleich sänke aber die "Stütze" aus Stuttgart.

Wieviel Geld dem VRN jedoch durch die Lappen gehen würde, gäbe es ab dem WS 1996/97 kein Studi-Ticket mehr, ist kaum errechenbar, da fragwürdig ist, ob das Kaufverhalten der StudentInnen vor Einführung (3700 verkaufte und ebenfalls bezuschußte Monatskarten) das gleiche wie nach einer eventuellen Abschaffung des Semestertickets ist.

Nach FSK-Rechnungen nahm der VRN vor Einführung des Tickets 3,1 Mio. DM pro Jahr durch Studierende ein, jetzt kassiert er über 8 Mio. DM. Sein Defizit aber kann der VRN durch die Mehreinnahmen, auch im Falle eines neuen Vertrages nach seinem Gusto, wahrlich nicht stopfen!

Das eigentliche Fehlverhalten des VRN ist also nicht primär finanzieller, sondern eher moralischer Natur. Es ist nämlich von Seiten der Studierenden nicht einzusehen, daß der VRN an dem Studi-Ticket verdient, ohne einen angemessenen Teil der Mehreinnahmen in eine Verbesserung des Angebots für Studierende zu investieren. So existiert ein "Forderungskatalog" von Seiten der Universität, dessen Umsetzung in den meisten Fällen nur eine Organisationsfrage ist und nur in den wenigsten Punkten größere Investitionen erfordert. Die Forderungen im einzelnen: Ganztägiger Takt auf der Linie 12 (auch am späten Abend bis ins Feld), Fünf-Minuten-Takt auf der Berliner Straße durch Entzerrung der Linien 1 und 4, Verbesserung des Anschlusses aus dem Norden ins Feld (hier wurde die Situation durch Anbindung der Linie 4 nach Hand-schuhsheim schon deutlich ent-schärft, ist aber weiter verbesserungsfähig), 5-min-Takt vom Hauptbahnhof in die Altstadt, Nachtverkehr bis 1.00 Uhr bzw. 2.00 Uhr am Wochenende, Verbesserung des Angebots Richtung St. Ilgen (wo es inzwischen mehrere Studentenwohnheime gibt), Verdichtung des Taktes der OEG auf der Strecke Mannheim-Dossenheim und eine bessere Koordination mit dem Zugverkehr der DB auf der Strecke Mannheim-Heidelberg.

Ein Vertrag ist immer eine Sache zwischen mindestens zwei Partnern und beinhaltet die Verpflichtung, aufeinander zuzugehen. Es kann nicht angehen, daß der VRN den Vertragspartnern kaum entgegenkommt, während er am Semesterticket eine Menge Geld verdient, die zugegebenermaßen im Vergleich zum Defizit äußerst bescheiden wirkt. Noch bescheidener allerdings sind die bisherigen Verbesserungen, nämlich eine zeitweise Takterhöhung der Linie 12 und die Möglichkeit, mit dem Semesterticket jetzt auch die Bergbahn benutzen zu dürfen.

Die FSK möchte, daß Angebotsverbesserungen in Höhe des Grundbetrags, also ca. 1,2 Mio. DM, vertraglich mit dem VRN festgelegt werden. Außerdem sollen entgegen den Vorstellungen des VRN Grund-betrag und Ticketpreis weiterhin einvernehmlich von den Vertragspartnern festgelegt werden. Nun stellt sich natürlich die Frage, wie die "Gegenseite" auf den Forderungskatalog von Universität und FSK reagieren wird. Will man die Forderungen durchsetzen, so bestünde zumindest die Möglichkeit, daß der VRN keinen neuen Vertrag abschließt und damit das Semesterticket in der bisherigen Form gestorben ist.

Die Universitätsverwaltung wird eine Umfrage unter den Studierenden durchführen. Jede(r) Studierende erhält mit den Rückmeldeunterlagen einen Fragebogen, auf dem die verschiedenen Positionen zur "Abstimmung" stehen: die Position des VRN, die Variante von FSK und Universität (105,00 DM und Angebotsverbesserungen) und die dritte Möglichkeit: Ende des Semestertickets. Auf jeden Fall darf man gespannt sein!

Herr Dr. Wagner, Geschäftsführer des VRN, erklärte sich kurzfristig zu einem Interview bereit.

ruprecht: Die FSK Heidelberg hat einen Forderungskatalog mit Verbesserungsvorschlägen erstellt. Ein Großteil dieser Vorschläge ist ohne hohen finanziellen Aufwand zu realisieren. Warum geschieht hier so wenig?

Wagner: Das Angebot ist zum Teil schon verbessert worden. Der Takt auf der Linie 12 ist zeitweise zum 10-Minuten-Takt verdichtet worden, auch die OEG fährt zu Spitzenzeiten im 10-Minuten-Takt. Ich persönlich wünsche mir eine ganztägige Verdichtung des Taktes auf der Linie 12 und werde mich bei der HSB darum bemühen. Die HSB hat durch die leistungsorientiertere Einkommensverteilung ab 1996 eine stärkere Stellung im HSB. So ist zu hoffen, daß in dieser Richtung im nächsten Jahr etwas geschieht.

ruprecht: In Ihrem Kündigungsschreiben sprechen Sie davon, daß die Kalkulationsgröße von 19 DM pro Student und Semester der langfristigen Entwicklung der Studentenzahlen angepaßt werden sollte. Wie ist das konkret zu verstehen?

Wagner: Diese Formulierung läßt alle Optionen offen. Uns ist es wichtig, in Heidelberg und Mannheim das Semesterticket zu den gleichen Bedingungen anbieten zu können.

ruprecht: Ist diese Komplementärfinanzierung überhaupt notwendig? Ihr Angebot ,Karte ab 60" bieten Sie ähnlich günstig wie das Semesterticket an, ohne eine solche Finanzierung.

Wagner: Dabei handelt es sich um eine extreme Ausnahme! Uns wurde eine Mindestabnahme von 8000 Tickets im Jahr garantiert, außerdem haben die Stadt Heidelberg und umliegende Gemeinden gebürgt. Vor der Einführung des Semestertickets hat keiner mit einem so großen Erfolg gerechnet, ein entsprechender Vorschlag wäre also gewiß gescheitert. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, daß das Studentenwerk bereit gewesen wäre zu bürgen.

ruprecht: In Ihrem Kündigungsschreiben heißt es, die Fortführung des Semestertickets ab Oktober 1996 sei gesichert, wenn das Studentenwerk der Preiserhöhung auf 105 DM zustimmt, und unabhängig davon würden Sie gern die Gelegenheit wahrnehmen, eine Neuverhandlung anzuregen. Wie ist das konkret zu verstehen?

Wagner: Genauso, wie es dort steht. Das Semesterticket wird es bei Zustimmung im Wintersemester 1996 geben, und zwar zu einem Preis von 105,00 DM. Gleichzeitig weisen wir aber darauf hin, daß es sich bei dem Vertrag um ein Provisorium handelt. Wir wollen bei Tarifänderungen den Preis für das Semesterticket an die anderen Preise anpassen können, ohne den Vertrag jedesmal kündigen zu müssen. Es geht nicht um die überproportionale Verteuerung des Semestertickets, sondern um die Vermeidung von Mitnahmeeffekten: Wenn Mehrfahrtenkarten für den Gelegenheitsfahrer teurer sind als das Semesterticket, dann kauft er dieses, und wir schaden uns selbst. Außerdem muß auch die soziale Relation erhalten bleiben. Es darf nicht sein, daß Jobticket oder Seniorenkarte teurer werden, während der Preis für das Semesterticket nicht steigt.

ruprecht: Falls es zu keiner langfristigen Einigung über einen neuen Vertrag kommen sollte und das Studentenwerk sich aus dem Vertrag zurückzieht, wird der VRN dann von sich aus ein Semesterticket anbieten?

Wagner: Wir sind daran interessiert, den Vertrag fortzuführen, aber nicht um jeden Preis. Ich hoffe deshalb, daß wir zu einer Einigung kommen, die die langfristige Weiterführung des Semestertickets sichert. Sollte der Vertrag aber aus irgendeinem Grund eines Tages nicht mehr fortgeführt werden, dann wäre es durchaus möglich, daß der VRN ohne das Studentenwerk ein Semesterticket anbietet. Allerdings wäre es dann deutlich teurer als zur Zeit.

(mab,hpc)


Sturm aufs Rektorat

... vom Hausmeister in letzter Minute verhindert

Nur der heldenhafte Einsatz des zuständigen Hausmeisters konnte am 23. November den Sturm des Rektorates durch eine Horde fröhlicher Studierender verhindern.

Unter dem Motto "Donnerstag ist Zahltag" hatte ein seltenes Bündnis fast aller Heidelberger Studierendenvertretungen und Hochschulgruppen zu einer Demonstration aufgerufen - und immerhin 800 Studierende kamen. Die Demonstrationen und die sie begleitenden Aktionen richteten sich zum einen gegen die Pläne von Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers, die BAföG-Kredite demnächst zu Marktkonditionen zu verzinsen. Zum anderen gingen sie gegen die immer noch propagierten Pläne für Studiengebühren an deutschen Universitäten. Da der Heidelberger Rektor Peter Ulmer sich als Befürworter solcher Abgaben profiliert hat, galten die Reden und Aktionen auf dem Uni-Platz auch ihm.

Im Anschluß an die Kundgebung wollten etwa 30 Hartgesottene dem Rektor persönlich 4000 unterschriebene Protest-"Tausendmarkscheine" übergeben. Der Rektorats-Hausmeister konnte die tobenden Massen jedoch durch gute Worte aufhalten. In einem offenen Brief an die FSK schrieb der Rektor in der darauffolgenden Woche überraschend, daß er wie die Hochschulrektorenkonferenz Studiengebühren "unter den jetzigen Rahmenbedingungen" ablehne - nicht aber grundsätzlich. Er betonte, daß auch er gegen die geplante BAföG-Änderungen sei.

Die Aktionen vor allem gegen das verzinste BAföG gehen am Mittwoch mit einer Podiumsdiskussion und am Donnerstag mit einer "Nikolaus-Aktion" weiter. Dann wird sich das Bundeskabinett mit der Neuregelung des BAföG befassen. (hn)

Genaueres und Kommentar: S. 6


Radioaktive Mensamahle

Uni-Radio des Medien-AKs verläßt Planungsphase

Fest steht noch nichts, aber wenn alles glatt geht, beschallt "Radioaktiv", das Campus-Radio des Arbeitskreises Medien, ab Anfang Januar flächendeckend Heidelbergs Mensen und Studentencafés. Das einstündige Programm sieht seine Themenschwerpunkte im Bereich Hochschulpolitik/ Lebensumfeld der Studierenden. Gemeinsam mit den Mannheimer Kollegen/innen will man uns jede Woche neu die Nahrungs- und Kaffeeaufnahme erleichtern.

Gaben Studentenwerk und Uni-Verwaltung beider Städte bereits grünes Licht, so liegen die Probleme derzeit noch in fehlender technischer Ausrüstung und den schwierigen akustischen Verhältnissen. Unklar ist ferner, ob der werbungsfreie und nicht kommerzielle Unisender GEMA-Gebühren abführen muß. Wäre dem so, entstünden dem finaziell ohnehin schwachbrüstigen Projekt Kosten in vierstelliger Höhe, was vorerst das Ende aller Ambitionen bedeutete. Nach Vorbild des Karlsruher Senders "Radio Querfunk" will man im Verlauf der Zeit einen Unisender mit eigener Frequenz etablieren. Tatsächlich böte das studentische Ballungszentrum MA/HD einen großen und bislang unbedienten Markt. Phantasievolle Optimisten träumen gar von einem Fernsehprojekt. Erste Sondierungsgespräche mit SDR verliefen jedoch ergebnislos, konkrete Perspektiven oder gar Termine für einen Einstieg in den Äther liegen nicht vor. So muß man sich bis auf weiteres mit bescheideneren Foren begnügen. Ob ausgerechnet die geschirrklirrende Mensa ein geeigneter Klangraum bietet, ist fraglich. Die Initiatoren sehen das Projekt "Radioaktive Mensa" als Probelauf für höhere Aufgaben. Solches mögen sie mit unseren Mensaköchen gemein haben. (eile)


Ey!

Advent heißt Ankunft, das heißt, man muß nur lange genug warten, und es kommt etwas vorbei. Wir warten auf einen Gedanken, aber als erstes kommt der Husten. Gleich einen Zettel nehmen und für die Zukunft notieren: Nie direkt in eine volle Tasse Erkältungstee husten! (Hoffentlich gehen die Flecken aus den Leihbüchern wieder 'raus!)

Normalerweise fällt mir etwas ein, wenn ich lange genug warm dusche, aber das ist keine Lösung mehr: Bei der Wasserrechnung der letzten sechs Monaten (meine Magisterarbeit!) hatte ich zuerst gedacht, es sei der Wunschzettel der Stadtwerke Heidelberg.

Vielleicht bringt ein Spaziergang an der frischen Luft etwas Erleuchtung: Das Kratzen im Hals vergeht, aber was kommt, ist eine Horde glühweingedopter Odenwälder. Das gibt sofort die nächste Adventsnotiz: Wer fünfzehn Mark für eine Zipfelmütze mit Blinklicht ausgibt, bestimmt auch, was lustig ist. (P.S.: In Aglasterhausen ist "Nikolaus" ein Schimpfwort. Merken!) Zuhause wartet immer noch der kamillenbefleckte Schreibtisch in seiner vorweihnachtlichen Stille: Sollte ein Gedanke vorbeigekommen sein, ist er in der Zwischenzeit schon wieder verschwunden. Was kommt im Radio? Da kommen die Hirten, die Männe-her u-hund Frau'n. Um Gottes willen, wieso finde ich das jetzt komisch?Dezemberzettel Nummer drei: Weihnachten ist das Fest der Liebe, aber deswegen sind Weihnachtslieder noch lange nicht zweideutig gemeint! Der Advent heißt dementsprechend ja auch "Zeit der Besinnlichkeit" und nicht "Zeit der Sinnlichkeit". Zusatz mit Bleistift: Das wäre ein hinreichender Grund, um alle Duftkerzenverkäufer ein für alle Mal vom Weihnachtsmarkt zu verbannen! Was allerdings schenkt der einfallslose Student, wenn es keine geschmacksverstärkten Lichter und keinen Schmuck aus Neckarkieseln mehr zu kaufen gibt? Halt! Zusatz ausradieren, neue Notiz anlegen: Geschenk für Christiane: graubraune Steinohrringe. Na, zumindest das wäre erledigt. Und jetzt! Endlich kommt unser Gedanke ums Eck gebogen, wir greifen zum großen Bogen Papier und beginnen zu schreiben: Liebes Christkind! Komm schnell, aber kündige dich das nächste Mal nicht mehr an! Sonst machen sie wieder so einen fürchterlichen Advent draus. Das wünscht sich der brave (step)


ruprecht point& counterpoint:

Latinum als Studienvoraussetzung?

Auslaufmodell oder ewiger Klassiker?

Japanologen brauchen es, Mediziner nicht. Slavisten brauchen es immer noch, Ethnologen nicht mehr. Das Latinum: Einerseits unnötiger Stolperstein für viele Studenten, andererseits Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens, sowohl Schulung logischen Denkens als auch anachronistische, weil tote Sprache. Errare humanum est. Hat das Latinum eine Zukunft?

"Ja"

Prof. Dr. med. Wolfgang U. Eckart
Ordinarius für Geschichte der Medizin der Universität Heidelberg

Westliche Kultur und moderne Universität sind ohne Latinität nicht vorstellbar. Unstrittig ist ihre Bedeutung als "Ferment abendländischer Geisteskultur", aus der die Latinitas als entscheidendes Element der Bildung und geistigen Prägung nicht weggedacht werden kann, wie es Jules Marouzeau einmal formuliert hat. Wo die mittelalterliche Idee der Universitas magistrorum et scholarium und das humanistische Ideal einer Ars docendi et erudiendi oder das Novum organon scientiarum eines Francis Bacon nicht einmal mehr übersetzt werden können, dort darf man auch nicht erwarten, daß sie verstanden, geschweige denn gelebt oder geachtet werden.

Aber es gibt auch ganz praktische Aspekte, die für den Erhalt oder die Wiederbelebung des Latinums als unabdingbare Voraussetzung für ein universitäres Studium sprechen. Wer wollte sich ein Erlernen der modernen romanischen Sprachen ohne den verständnisbildenden Rückgriff auf deren gemeinsame langue mère (Marouzeau) vorstellen, wer ein Studium der antiken bis neuzeitlichen europäischen Geschichte ohne jede Fähigkeit des sprachlichen Zugriffs auf deren lateinisches Quellenkorpus.

Auch in der Wissenschaftsgeschichte entspräche Verzicht auf lateinische Sprachkenntnisse einem Verzicht auf Geschichtlichkeit nahezu insgesamt. Der Verzicht auf Geschichtlichkeit aber verführt zum Verzicht auf die kritische Bestimmung des eigenen historischen Standortes ebenso, wie er zur Entsorgung tradierter ethischer Normen und Werte verleitet.

Unentbehrlich sind Kenntnisse des Lateinischen zweifellos auch für die Kommunikation in den verschiedensten Wissenschaftsbereichen der gelehrten Welt. Nehmen wir etwa die Medizin. Wie sollen denn unseren Studentinnen und Studenten ohne Rückgriff auf das Lateinische und Griechische diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden, die sie befähigen, die medizinische Fachsprache so zu erlernen, daß sie sie im Studium und bei der Ausübung des ärztlichen Berufes korrekt, präzise und situationsgemäß anwenden können? Charakter, Funktionen und Grundelemente dieser Sprache fußen zum größeren Teil auf dem Lateinischen, auch wenn uns heute viele ihrer Zentralbegriffe durch die - bedauerliche - Verlagerung der Wissenschaftskommunikation ins Englische bisweilen zuerst als Anglizismen begegnen.

Der Verzicht auf das Lateinische Scriptum zugunsten einer verstärkten Hinwendung zu den Kegelschnitten, um eine berühmte Kampfparole des bedeutenden Physiologen Emil Du Bois-Reymond in der Auseinandersetzung um das Realgymnasium leicht abgewandelt zu zitieren, dürfte heute wohl mit der gleichen Berechtigung wie zu seiner Zeit durch Theodor Mommsen als Rückfall in die Barbarei bezeichnet werden. Moderne Medizin ist über weite Stecken paradigmatisch durch die modernen Naturwissenschaften bestimmt. Wer wollte daran zweifeln? Moderne, neuzeitliche Naturwissenschaft aber fußt letztlich auf der wissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts und ist etwa ohne die lateinischen Schriften eines Francis Bacon oder die selbstverständlich in lateinischer Sprache verfaßten Philosophiae naturalis principia mathematica (1687) eines Isaac Newton nicht denkbar. Lateinische Sprache und lateinisches Denken sind früher Ausdruck und unbestreitbare Grundlage unserer westlichen Zivilisation. Wir sollten sie nicht ohne Not über Bord werfen.

"Nein"

Prof. Dr. phil. Arnold Rothe
Ordinarius am Romanischen Seminar der Universität Heidelberg

In der Promotionsordnung der drei Heidelberger geisteswissenschaftlichen Fakultäten wird durchweg der Nachweis des Großen Latinums verlangt. Ausnahmen bedürfen im Promotionsausschuß der erfahrungsgemäß nur selten erreichten 2/3-Mehrheit. In der Magisterprüfungsordnung wird der Nachweis des (Kleinen) Latinums verlangt, "soweit [...] keine abweichenden Regelungen getroffen sind". In der Neuphilologischen Fakultät gilt der Verzicht auf das Latinum nur für Deutsch als Fremdsprachenphilologie und Englische Philologie im Nebenfach. Warum aber nicht auch für Slavistik? Russisch hat mit Latein doch noch weniger zu tun.
In der Tat: die nahezu flächendeckende Einforderung des Latinums geht nicht auf fachspezifische Bedürfnisse zurück, sondern, wie ich meine, auf die Tatsache, daß Latein einst als die Wissenschaftssprache auch die Sprache der Dissertationen war. Damit ist es aber schon seit Generationen vorbei. Um die Allgemeinverbindlichkeit des Latinums trotzdem zu erhalten, mußten seither andere Begründungen, oft nachgeschobene Ersatzbegründungen, herhalten. Da ist das Argument der Denkschulung. Daß das Latein logischer sei als andere Sprachen, kann man heutzutage aber keinem Sprachwissenschaftler mehr verkaufen. Sodann die kulturelle Argumentation, die Absicherung der Teilhabe an der abendländischen Tradition. Warum aber nicht gleich zu den Ursprüngen zurück: zu Homer, Platon, den attischen Tragikern und das Graecum verbindlich machen? In den restaurativen Anfängen der Bundesrepublik ging es schließlich um die Kenntnis des lateinischen Mittelalters als Vermittler zwischen Antike und Neuzeit. Die in den Latinumskursen üblicherweise gelesenen römischen Klassiker sind hierfür allerdings wenig tauglich. Auf Umwegen dürfte es auch um den Fortbestand des Humanistischen Gymnasiums gehen, das nicht nur Bildung, sondern auch Sozialprestige vermittelt. Und zu guter Letzt hin und wieder auch die allzumenschliche Reaktion: warum sollen es andere besser haben als wir?

Das Latein kann also schon lange kein Monopol mehr beanspruchen, erst recht nicht in einer Zeit, da über das berufliche Fortkommen von Hochschulabsolventen nur allzu oft die Kenntnis mehrerer lebender Fremdsprachen und ein gesamtkulturelles Wissen entscheiden. Unter diesen Umständen sollte jedes Fach für sich entscheiden, ob seine Studierenden Latein brauchen, welches Latein und auf welchem Niveau. Einleuchtend dürfte der Bedarf in meinem Fach sein, das es mit Sprachen zu tun hat, die man bis zum Vulgärlatein zurückverfolgen können sollte. Den Historikern dürfte mit der kontrastiven und evolutiven Betrachtung bis hin zum Neulatein mehr gedient sein als mit der Beschränkung auf das klassische Latein. Schließlich: ein angehender Germanist sollte von Vergils Aeneis lieber viele Gesänge in Übersetzung als wenige Verse im Original gelesen haben. Daß jemand, der eine Dissertation über die Catull-Imitation im Rokoko verfaßt, vertiefte Lateinkenntnisse benötigt, liegt auf der Hand. Er kann aber nicht zum allgemeinen Maßstab erhoben werden.

Wohlgemerkt: ich wende mich nicht gegen das Latinum schlechthin, sondern dagegen, daß es von denjenigen nachgefordert wird, die es nicht schon mitbringen. Unter Berücksichtigung des sonstigen Fremdsprachenbedarfs sollten für sie vielmehr fachspezifische Einführungen in lateinische Sprache und Literatur eingerichtet werden. Das Fehlen eines einsichtigen Fachbezugs beim Einheitslatinum führt hingegen oft dazu, daß die Crashkurse als ungeliebte Pflichtübung oder als bloße Schikane empfunden und rasch wieder vergessen werden.

Abgesehen davon sollten von Studienortswechslern in Prüfungsnähe oder mit erster Abschlußprüfung Lateinkenntnisse nicht mehr abverlangt werden. Sie können für das Studium ja nicht mehr fruchtbar gemacht werden. Außerdem: wie oft mußte ich erleben, daß Absolventen ausländischer Universitäten am Latinum gescheitert sind oder sich deswegen hier gar nicht erst immatrikuliert haben. Eine Provinzialisierung, die hieraus erwächst, können wir uns nicht leisten.

(red."point/counterpoint" jr,te,mab,jk)


Interview mit Cees Nooteboom

Auf dem Gipfel einer Pyramide

Cees Nooteboom, Weltliterat. Mit 17 begann er zu reisen, mit 20 veröffentlichte er seinen ersten Roman, studiert hat er nie. Heute, mit 63, blickt er auf gut ein Dutzend "Reisererzählungen", mehrere Gedichtbände und zwei Welterfolge zurück. Seine Romane Rituale (1985) und Die folgende Geschichte (1992, ) wurden allein in Deutschland über 500.000 mal verkauft. Nootebooms Literatur führt durch Länder und Texte dieser Welt hinein in Sphären jenseits von Raum und Zeit, in zärtliche Geschichten von Lieben und Lust, in gelehrte Reflexionen über deren Vergänglichkeit und den Tod. Der Wahlberliner und leidenschaftliche Europäer eröffnete ruprecht seine Sicht der Dinge.

ruprecht: Herr Nooteboom, Sie sind immer unterwegs, und Reisen hat für Sie eine besondere Bedeutung. "Auf Reisen extendiere ich", schreiben Sie und bemerken gleichzeitig, daß dies eines der beiden Attribute sei, die Spinoza Gott zuordnet. Ist für Sie Reisen in diesem Sinne ein göttliches Geschäft ?

Nooteboom: Och, so schön würde ich das nicht sagen. Philosophie lese ich für mein reines Vergnügen, wegen der Spiele, die man dort findet. Auf Reisen vermehrt man sich, wenn man zum Beispiel sehr genau zusieht, wenn man beobachtet. In diesem Sinne habe ich das "extendieren" genannt. Aber ich denke, man kann genauso gut extendieren, wenn man ein Buch liest. Man muß aufpassen mit Schriftstellern. Wörter sind verführerisch.

ruprecht: Sie wurden ja in einem Klosterinternat erzogen, und auch in ihren Büchern finden sich immer wieder Reflexionen über Gott und Kirche.

Nooteboom: Mit Religion hat das essentiell nicht einmal soviel zu tun. Zu Anfang meiner Erziehung spielte die Religion eigentlich kaum eine Rolle. Als ich in diese Internate kam, hat mich das sehr fasziniert. Wie mich alles neue fasziniert. Aber es war schon zu spät, in eine schwere religiöse Krise zu geraten. In meinem Fall war das doch ziemlich äußerlich. Aber gleichzeitig behandelt Poesie und Literatur immer das Thema einer Transzendenz. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, daß ich extreme Leben interessant finde. Es gibt ja zwei Arten Mönchsorden: die Kontemplativen und die Aktiven. Die Kontemplativen haben mich immer sehr interessiert, und die besuche ich dann auch gerne in Spanien. Einmal habe ich gesagt, daß diese Orden den anderen, den Progressiven des linearen Fortschritts schon mehrmals im Laufe ihrer Existenz begegnet sind. Verstehen Sie? Denn die einen gehen immer weiter, und die Mönche bleiben immer an einem Ort, auch in der Zeit.

ruprecht: Die Frage ist doch aber auch, wie gesellschaftliche Veränderungen, die ja auch manchmal notwendig sind, durch diese "Flucht" aus der Wirklichkeit initiiert werden können.

Nooteboom: Sagen wir das auch mal ganz ehrlich, sub specie aeternitatis sind die Veränderungen nicht in jedem Lebens- und Zeitalter dieselben? Intellektuell weiß man, was alles nicht in Ordnung ist, aber ich war zum Beispiel in den sechziger Jahren in Bolivien und habe dort die Zeit mit Che Guevara erlebt, ohne selbst mitgemacht zu haben. Ich war aber dort, auch als er getötet worden ist. Da hat man sich natürlich unendlich aufgeregt. Dann kommt man nach 20 Jahren zurück und nichts hat sich geändert.

Es kommt ein Moment, an dem man sich in dem einem sterblichen Leben über andere Sachen aufregt.

ruprecht: Sie haben ja Politik und Geschichte ganz hautnah erlebt. In ihrer Kindheit sahen sie Rotterdam in Flammen stehen.

Hat Sie das den Deutschen gegenüber nicht immer mißtrauisch bleiben lassen?

Nooteboom: Nein. Das gefährliche ist wahrscheinlich nur ein Volk, das vor sich selbst als Volk Angst hat. Das muß noch verschwinden. Rechtsradikale gibt es in Frankreich und England auch. Die Deutschen beanspruchen immer eine Sonderrolle. Das sollten sie nicht tun. Gut, man kann höchstens sagen, das darin schon etwas Positives liegt, insofern, als die jungen Leute sich der Problematik nun sehr gut bewußt sind. Ihr müßt mit Eurem eigenen Volk zurechtkommen; und wenn ich Euch sehe, denke ich, Ihr werdet es auch schaffen. In Diskussionen hier ist mir öfters etwas sehr Blasphemisches aufgefallen. Wenn man hier unbedingt recht haben will, dann fängt man gleich mit Auschwitz an, um den anderen vom Tisch zu fegen. Das ist Blasphemie. Auch in Diskussionen mit deutschen Intellektuellen hab ich das oft gespürt. Wenn sie über das Ausländerproblem sprechen und wie schlecht die hier behandelt werden. Fragt man dann aber: Und wo wohnen Sie? Wohnen Sie in einem Viertel mit Türken? Dann ist das meistens nicht der Fall. Sie schreiben also einer viel einfacheren, nicht studierten Bevölkerungsschicht vor, wie sie sich benehmen soll, aber vergessen dabei, daß es für diese Menschen viel schwerer ist. In dieser Art von Diskussionen fallen dann immer wieder dieselben Schlüsselwörter. Die Vergangenheit, Ausschwitz. Dann hat man immer Recht. Aber man sollte auf diese Weise vielleicht kein Recht haben. Ich sehe die letzten 50 Jahre der deutschen Geschichte sehr positiv. Ich bin, das hört man auch nicht so gerne, mit eurem großen Bundeskanzler völlig einig was seine Europapolitik betrifft, weil er ein gutes historisches Gefühl hat. Wenn man Deutschland allein lassen will mit dieser riesigen ökonomischen Macht und dem spezifischen Gewicht der deutschen Geschichte, scheint mir das sehr gefährlich. Die, die das sogenannt bessere Gewissen haben, die zum Beispiel die militärischen Einsätzen und die Einheitswährung nicht mitmachen wollen, finde ich viel gefährlicher als vieles, was der große dicke Mann alles so will. Aber gut.

ruprecht: Diese Angst vor uns selbst ist unser Generation anerzogen worden. Gleichzeitig erleben wir in Europa, das Ihnen als Thema sehr am Herzen liegt, das Wiedererstarken faschistischer Bewegungen. Wo liegen für sie die Ursachen ?

Nooteboom: Das ist natürlich das große Wunder der Welt, daß Menschen nicht genauso denken wie man selbst. Das ist das allererste.

Die meisten Menschen haben einfach nicht den Überblick. Sie hören nur Slogans und bestimmte Phrasen. Als mich eine jüdische Freundin in Berlin besuchte, sagt sie - sie ist Französin : "Ici on parle trop de juif". (Es wird hier zuviel über Juden gesprochen.) Wenn man die intellektuellen Fähigkeiten nicht besitzt und immer bestimmte Wörter hört, dann ist das das erste, was aufgegriffen wird, wenn Aggressivitäten entstehen. Man muß sich auch in die Position von Leuten hineindenken, die nicht die Möglichkeit haben, differenziert darüber zu denken und Unterschiede zu machen. Das wird aber ein sehr ernsthaftes Gespräch...

ruprecht: Dann lieber etwas Leichteres. Sie selbst bezeichnen sich ja als tapferes Versuchskaninchen der Europäischen Idee.

Nooteboom: Ja, ach, das sollten Sie nicht so ernst nehmen. Da wird man auf irgendwelche Kongresse eingeladen und muß dann etwas sagen. Ist ja auch kein Unsinn, was ich sage, aber erstmal muß man sich klarmachen, daß man schon Europäer ist. Das Europa, von dem man redet, ist schon lange da. Das ist das Europa von Goethe, Voltaire und Cervantes. Worum es jetzt noch geht, ist das Geld und der Markt, das müssen die Politiker jetzt in den Griff bekommen.

ruprecht: Sie betonen immer ihre niederländische Herkunft, was ist dann an ihrer Literatur das Niederländische.

Nooteboom: Die Sprache. (Lacht.)

Na ja, ich bin eben doch ein Niederländer. Das ist eine Mentalität, die im Ausland normalerweise nicht so gut verstanden wird. Es gibt ein gewisses Maß an Frechheit im Umgang miteinander, etwas sehr Protestantisches auch, daß man sich nicht so leicht etwas sagen läßt. Und dann passieren bei uns auch Dinge, die man in anderen größeren Ländern nicht so sieht.

Nur ein Beispiel: Es hat vor einigen Jahren einen Poesieabend gegeben, wo unser Verteidigungsminister meine Gedichte vorgetragen hat. So etwas sehe ich nicht in Deutschland.

ruprecht: Das würden sich viele auch verbitten.

Nooteboom: Ja, dann waren da Nato-Gegner im Auditorium. Die haben ein paarmal Pang Pang Pang gerufen, und so weiter, nachher sind sie dann zum Verteidigungsminister gegangen und haben gesagt: "Aber Sie haben das sehr schön gelesen." Der ist jetzt Außenminister.

ruprecht: Ein weiterer zentraler Gedanke ihrer Schriften ist die Tatsache, daß Schriftsteller andere Schriftsteller immer wieder nur reformulieren können. Sie empfinden "die Welt der Literatur als einzigen Querverweis."

Nooteboom: Besser als ich es dort gesagt habe, kann ich es nicht sagen. Man kann nicht mehr unschuldig leben, man hat schon so viel gelesen, und die Thematik ist beschränkt. Aber die kann man immer, und das ist das Wunder, auf seine eigene Weise ausdrücken. Man ist immer auf dem Gipfel einer Pyramide.

ruprecht: Sie bezeichnen Schriftsteller als Jäger und Sammler. Es scheint zur Zeit so, daß man in den Niederlanden oder in Österreich viel jagen kann, in Deutschland hingegen stagniert die literarische Entwicklung.

Nooteboom: Na ja, Literaturen reflektieren doch auch etwas Nationales, natürlich. Ich muß sagen, ich fühle mich mehr von spanischer oder amerikanischer Literatur angezogen. Da bin ich irgendwie offener. Hier gibt es teilweise noch eine Sicht vom Schriftsteller als Hohepriester - etwas Hohes, etwas Fernes - das Bild des zurückgezogenen, "heiligen Schriftstellers". Davon halte ich, offen gesagt, sehr wenig.

ruprecht: Viel diskutiert wurde ja hier über Günter Grass und sein "Weites Feld".

Nooteboom: Also, ich kann darüber nicht urteilen. Ich habe das Buch (noch) nicht gelesen,

ruprecht: Wir auch nicht.

Nooteboom: (Lacht.) Ja, jetzt wird es eine wirkliche europäische Intellektuellendebatte: Mehrere Menschen sprechen von Dingen, die sie nicht verstehen. Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, daß Günter Grass ein großer Schriftsteller ist. Andererseits bin ich politisch mit ihm absolut nicht einverstanden. Ich kann dem Gedanken, daß da im Osten eine Art bulgarisches Deutschland gelegen haben soll, unabhängig und sogenannt glücklich, nicht folgen. Also, dann hätten sie wirklich das Gefühl gehabt, vom Westen kolonialisiert zu sein. Sie brauchten nun mal dasselbe Geld. Im Westen hatte man zur gleichen Zeit ein riesiges Asylproblem. Das ist ein Alptraum, wenn man versucht durchzudenken, wenn es so gekommen wäre, wie Grass das gerne gesehen hätte. Aber das ist genau sein Punkt, er will die Einheit einfach nicht. Er hat in Holland ein Interview gegeben, da hat er das klar gesagt. So eine Position haben wir Schriftsteller nicht; wir haben nichts zu wollen. Wichtig ist, was die Bevölkerung will.

ruprecht: Günter Grass wurde von Reich-Ranicki nicht gerade mit Samthandschuhen angefaßt.

Nooteboom: Nein, das kann man sagen.

ruprecht: Sie dagegen wurde von ihm hochgejubelt. Was haben sie dem Kritiker und seiner FAZ zu verdanken?

Nooteboom: Daß er mich hochgejubelt hat, das tat er natürlich völlig zurecht. (Lacht.) Ich hoffe, das Lachen nehmen sie auch mit. - Aber wenn er es nicht gemacht hätte, wäre das Buch genau dasselbe geblieben. Das ist nun dabei die Lotterie. Es ist ungerecht, daß ein anderes Buch vielleicht nicht bejubelt wird, das vielleicht auch sehr gut ist. Als Rituale in Deutschland erschien (1983), verkaufte man 2000 Exemplare davon. Dadurch wurde das Buch nicht ein Gramm schlechter aber auch nicht besser. Hat das Buch es nun verdient, so gelobt zu werden?

Ich bin jedenfalls froh, daß Sie es gelesen haben. Sehr froh bin ich auch über Reich-Ranickis positive Kritik, denn für mich hat es einen großen Unterschied gemacht. Es macht mir das Leben wirklich leichter - schwerer auch. (eile, fw, hee)


ruprecht-Serie "Typen, die die Welt vergaß"

Der alte Mann und die Brücke

Jetzt mal ehrlich! Bist Du Medizinstudent und assoziierst den Namen Vincenz Czerny mit nichts anderem als dem gleichnamigen Bauwerk nördlich des Hauptbahnhofs? Dann schäm' Dich was, laß Dir auf keinen Fall etwas anmerken und lies diesen Artikel mindestens dreimal täglich! Für Dich und alle anderen historisch interessierten ruprecht-Leser beleuchten wir Leben und Werk eines großen Chirurgen.

Er war prädestiniert zum Wissenschaftler, der kleine Junge, der in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts die Wälder rund um das österreichische Trautenau nach Schmetterlingen und anderen Insekten durchkämmte, um seine Funde - fachgerecht zerlegt - in Alben zu präsentieren. Diese Leidenschaft hatte Klein-Vincenz (Jahrgang 1842) von Vater und Onkel geerbt, beides Apotheker mit Hang zur heimischen Flora und Fauna. Seine in der Schulzeit durchschlagende Affinität zum Arztberuf kleidete Czerny später in die Worte: "Mit dem Schönschreiben wollte es bei mir niemals recht gelingen." Bis zuletzt allerdings versuchte er seinem Medizinerschicksal zu entkommen, um dem Traum seiner frühen Jahre gemäß als Naturforscher in die Annalen der Wissenschaft einzugehen. Glücklicherweise erkannte sein Professor bereits während des ersten Studienjahres in Prag sein Talent und schickte ihn zu Prof. Brücke (!) nach Wien. Dort entwickelte er so nebenbei getunte Versionen des damals zum Sezieren gebräuchlichen einfachen Rasiermessers, die Vorläufer des Mikromessers wurden.

Czerny promovierte summa cum laude und wurde Assistent des berühmten Chirurgen Theodor Billroth, über den Neider und Feinde ob seiner für die damaligen hygenischen Verhältnisse tollkühnen Operationsmethoden den Spruch prägten: "Heute Billroth, morgen tot." Damit waren die Weichen für seine Laufbahn gestellt; und das, obwohl er sich noch kurz zuvor beim Anblick einer Oberkieferresektion gesagt hatte: "Nein, Chirurg kannst Du nicht werden."

Nach seiner Habilitation für das Fach Chirurgie folgte ad hoc der - von Billroth vermittelte - Ruf als Ordinarius an die Universität Freiburg. Im Jahre 1877 übernahm er als Nachfolger des verstorbenen Prof. Simon die Leitung der chirurgischen Klinik Heidelberg, die unter ihm wesentlich an Größe und Bedeutung gewann. 1902 wurde er Prorektor der Universtät (Rektor war traditionell der Großherzog), und ab 1906 schließlich leitete er das auf seine Initiative hin neugegründete Institut für Krebsforschung, das später seinen Namen tragen sollte und der Vorgänger des heutigen Krebsforschungszentrums ist.

Vincenz Czerny starb am 3. Oktober 1916 - an Leukämie.

Als einer der berühmtesten Chirurgen seiner Zeit führte Czerny die erste erfolgreiche Entfernung eines Speiseröhrencarcinoms und die erstmalig gelungene Exstirpation eines carcinomatösen Uterus durch. Er bereitete schon während seiner Assistentenzeit durch Kehlkopfexstirpationen an Hunden und Versuche mit künstlichen Kehlköpfen seinen Kollegen Billroth und Gussenbauer den Weg zu Erfolgen auf diesem Gebiet und öffnete der gynäkologischen und plastischen Chirurgie Horizonte.

Vor allem aber kennzeichnete ihn, der das Elend in den Lazaretten zweier Kriege (1866 und 1871/72) kennengelernt hatte, daß er immer in erster Linie Arzt und erst dann Wissenschaftler war. Dies hinderte ihn auch daran, seinen "Erfahrungen eine abgerundete Form in einem größeren Werke zu geben. [...] Es ist deshalb in der Ordnung und natürlich, daß meine Leistungen bald der Vergessenheit anheimfallen werden."

Nicht doch, Herr Czerny, wir werden Ihnen und Ihrem Werke gedenken, das so vielen heute alltäglichen Operationsmethoden den Weg bahnte und das wahrlich eine Brücke schlug zwischen traditioneller und moderner Chirurgie. (mm)


Members only

Die Studentische Vereinigung MOSAIC

Beim Wort MOSAIC denken die meisten wohl an diese hübsche Ansammlung von bunten Steinchen, die immer wieder von ein paar alten Männern irgendwo im Süden aus dem Staub gegraben werden. Hinter dem Begriff verbirgt sich aber eine Studierendenvereinigung, die 1984 von einer Organisation traditionsreicher Universitäten in Europa, "Coimbra" genannt, gegründet wurde, die wiederum erst kurz vorher von einigen Professoren ins Leben gerufen worden war. Das Ziel von "Coimbra" - benannt nach einer portugiesischen Uni - ist der kulturelle Austausch kleinerer, alter Universitäten Europas wie Heidelberg, Cambridge, Bologna oder Salamanca. Die Mitglieder, jeweils zwei bis drei Professoren pro Uni, wünschten sich eine Kontrollinstanz und studentische Vertretung, und so entstand noch im selben Jahr MOSAIC (Meeting of Students Aiming at the Integration of the Coimbra Group). Deren Mitglieder setzen sich beispielsweise für die internationale Anerkennung von Studienabschlüssen, faire Zugangsbedingungen zu den Universitäten und die finanzielle Unterstützung der Studenten ein, organisieren Austauschprogramme und betreuen ausländische Studenten.

Zweimal im Jahr findet ein "General Meeting" statt, an dem jeder Interessierte teilnehmen kann, daneben eine "Acadamic Conference" und eine "Cultural Conference", zu der nur Delegierte geladen sind. Wer das allerdings wird, darüber gibt es nicht nur in Heidelberg Uneinigkeiten. Die Voraussetzungen sind zum einen die Beherrschung der englischen Sprache, zum anderen sollte man bei der Studierendenvertretung mitarbeiten. Da es sowohl in Baden-Württemberg als auch in Bayern offiziell keine Studierendenvertretung mehr gibt, entstehen hier die ersten Probleme. In Heidelberg wurden vom Rektorat zwei Mitglieder von AEGEE - einer Studierendenvereinigung, die den Europagedanken vorantreiben will - rekrutiert. Die hiesige Fachschaftskonferenz sieht das dagegen ganz anders: Als sie im letzten Jahr davon erfuhr, plädierte sie beim Rektorat auf Mitgliedschaft, mit der Begründung, daß sie noch am ehesten die geforderte Studierendenvertretung darstelle. Das Rektorat entschied salamonisch, je ein AEGEE- und ein FSK-Mitglied aufzunehmen. Darauf einigten sich dann auch auf einem Treffen die beiden Gruppen. Als dann aber zur Konferenz in Spanien doch die beiden AEGEE-Mitglieder fuhren, legte man dies bei MOSAIC als Desinteresse aus. Die FSK wollte jedoch - laut Eigenaussage - nur den beiden, die sich ein halbes Jahr auf das Treffen vorbereitet hatten, nicht die Plätze wegnehmen. Bisher wartet die FSK auf eine Nachricht von MOSAIC; dort glaubt man jedoch, die FSK möchte nicht bei MOSAIC partizipieren. "Wenn sie bei uns mitmachen wollen, dann sollen sie doch kommen; wir rollen ihnen nicht den roten Teppich aus", meint eine MOSAIC-Delegierte. Von FSK-Seite heißt es jedoch, daß man noch viele andere Interessen habe und Veranstaltungen zum Thema Europa besuche, die teilweise viel interessanter sind. Die unterschiedlichen Interessen - bei MOSAIC der kulturelle Austausch, bei der FSK eher die Politik in bezug auf Europa - machen es den beiden Gruppen schwer, zueinander zu finden. Doch wenn die Fronten im Moment auch festgefahren zu sein scheinen, sollte man hoffen, daß es hier nicht wie in Würzburg oder Göttingen endet, wo aufgrund ähnlichen Zwistigkeiten überhaupt keine Delegierten mehr geschickt werden. (gz)


Ummelden!

Wer aus einem anderen Bundesland kommt und an den Landtagswahlen in Baden-Württemberg am 24. März 1996 teilnehmen will, muß bis zum 24. 12. seinen Wohnort in Heidelberg angemeldet haben. Schließlich interessiert es uns doch alle, wer uns in den nächsten vier Jahren regiert, z.B. auch unsere Hochschulpolitik macht. Oder?


Die Kommissare tagen ...

Nur langsam formieren sich die Studienkommissionen

Mit dem neuen Universitätsgesetz wollte sich Wissenschaftsminister Klaus von Trotha Anfang 1995 als Reformator der Hochschulen empfehlen. Eine der Neuerungen, die ins Gesetz geschrieben wurden, war die Einführung von "Studiendekanen" und "Studienkommissionen". Was soll nun deren Aufgabe sein? Was ist in dieser Sache bisher in Heidelberg geschehen?

Der Studiendekan (nein, es gibt in Heidelberg keine Studiendekanin) soll das Studium und den Ablauf desselben koordinieren und Verbesserungsvorschläge, insbesondere der Studienkommission, in die Tat umsetzen. An ihn dürfen sich künftig Studierende mit Beschwerden und Vorschlägen wenden.
Um der Vielzahl von Fächern an großen Fakultäten gerecht zu werden, können bis zu drei StudiendekanInnen und -kommissionen gewählt werden. Der/die StudiendekanIn - natürlich immer ProfessorIn - ist VorsitzendeR der Studienkommission, wird jedoch nicht von ihr, sondern vom engeren Fakultätsrat gewählt und soll die Empfehlungen der Kommission Wirklichkeit werden lassen - muß es aber nicht, da er/sie nicht an Beschlüsse der Studienkommission gebunden ist.

Die zehnköpfige Studienkommission wird vom erweiterten Fakultätsrat gewählt. Sie soll Verbesserungsvorschläge erarbeiten und dem/der StudiendekanIn und dem Fakultätsrat vorschlagen. Studentische AgitatorInnen könnten hier auf den ersten Blick entzückt sein, stellen sie mit vier KommissarInnen doch ebenso viele Mitglieder wie die ProfessorInnen. (Der Mittelbau stellt nur zwei Mitglieder, obwohl er in vielen Fächern die Hauptlast der Lehre trägt.) Warum das so sein kann, wird schnell klar - die Studienkommissionen sind rein beratende Gremien, sie können nur Empfehlungen geben. Die Entscheidungen beispielsweise über Studien- und Prüfungsordnungen, bleiben weiterhin dem Fakultätsrat und dem Senat überlassen, in denen die ProfessorInnen über verfassungsgerichtlich garantierte Mehrheiten verfügen.

In Heidelberg sind fast alle Studienkommissionen und -dekanInnen gewählt. Nur in der Neuphilologischen Fakultät, der größten und fächerreichsten, ist alles schwieriger: Dort bekam man gerade mal eine Kommission zusammen, ein Studiendekan wird vielleicht am Mittwoch gewählt - der erste hatte seiner Zwangsrekrutierung nicht zugestimmt; er war auf der Sitzung, auf der er gewählt wurde, nicht da...

Es ist nicht überall so schwierig, die Mitglieder zu finden - trotzdem wird die Mitarbeit an einigen Fakultäten, gerade von den ProfessorInnen als lästige Pflichtübung empfunden. "Eher lustlos, da keine Kompetenz und zusätzliche Arbeit" faßt ein studentisches Mitglied der Philosophisch-Historischen Fakultät die Stimmung bei den Profs zusammen - anders sieht es ein Kommilitone an der Fakultät für Orientalistik und Altertumswissenschaften: "das Amt des Studiendekans war wohl attraktiv". Sorgen macht ProfessorInnen offenbar die Beschwerdeflut; für manche scheint dies das größte Bedenken gegen die Übernahme des Amtes gewesen zu sein.

Was man überhaupt machen soll, ist ohnehin unklar: das Gesetz ist da sehr vage. Einige hoffen auf Direktive von oben - "was wir machen, bestimmt ohnehin der Rektor" - bekamen Studierende von ihrem Dekan zu hören. Prorektor Norbert Greiner möchte da allerdings keine falsche Hoffnung machen: Vorgaben des Rektorats werde es nicht geben. Einige Fakultäten verstehen allerdings schon Empfehlungen des Rektorats als Richtlinien - und sicher nicht zufällig. Der Rektor berät die DekanInnen, damit auch das kommt, was man will - natürlich mit studentischer Beteiligung

Viele Vorschläge, die in den letzten Jahren abgelehnt wurden, erhalten jetzt eine Chance auf Umsetzung - "made by Studienkommission". In der Praxis sieht es auch jetzt schon so aus, daß studentische Kritik in ihrer Situationsbeschreibung genau gelesen wird. Was für die ProfessorInnen akzeptabel ist, übernehmen sie dann auch.

Man braucht die "studentische Beteiligung" - für die Inhalte und für die Optik. Zumindest nach außen. In der Physik z.B. wurden zwar vier Studierende gewählt - aber nur drei von den Studierenden benannte; eine Kandidatin wurde vom Lehrkörper benannt. Ähnliches gibt es in anderen Fakultäten: Die Lösung "drei Studis und ein HiWi" nimmt den Studierenden letztendlich doch die Möglichkeit, ihre Position auch als Gruppe zu vertreten. Studentische Gremienmitglieder befürchten, daß - wie in anderen Gremien - "Kooperationssdruck" geschaffen wird, indem nach außen die Zusammenarbeit betont, intern aber geblockt wird.

Studierende in der Theologie haben einmal aufgelistet, welche Bestrebungen zur Studienreform an ihrer Fakultät seit 1980 im Sande verlaufen sind: eine Liste, die nicht zuversichtlich stimmt. Warum soll auf Anordnung klappen, was seit Jahren nicht freiwillig funktioniert hat? Doch gerade hierin sehen sie auch eine Chance: Die Kommissionen müssen Ergebnisse vorlegen. So können sie ihre Ideen endlich einbringen - und vielleicht umsetzen. Die Erfahrungen der Fakultäten, die schon länger tagen, zeigen daß diese Hoffnung nicht völlig unbegründet ist: In der Biologie konnten in der Studienkommission die größten "Hämmer" in der neuen Diplomprüfungsordnung verhindert werden. Allerdings ist sie weitaus schärfer als die vorherige. Doch wie wäre sie erst ohne Kommission geworden?

In Mathematik führt die Kommission bereits seit Ende '94 die Arbeit fort, die ansatzweise vom Diplomprüfungsausschuß geleistet worden war. Eine Tradition, die auch die Frage nach Sinn und Aufgabenbereich einer Studienkommission gar nicht aufkommen ließ. Inzwischen hat man sich intensiv z.B. mit dem Lehramtsstudium und den Mathevorlesungen für PhysikerInnen und andere Fachfremde befaßt. Hier wären die Gelegenheit für die Zusammenarbeit mit anderen Kommissionen.

Fraglich ist allerdings, ob eine einzige Studienkommission gerade an Fakultäten wie der Neuphilologischen oder der Fakultät für Orientalistik und Altertumswissenschaften überhaupt etwas bewirken kann; selbst drei Lehrverbesserungsgremien hätten für die sehr unterschiedlichen dort vertretenen Fächer nicht ausgereicht. Eine andere Lösung, die Einführung beratender Institutsbeiräte am jeweiligen Fachbereich hat Rektor Peter Ulmer vor zwei Jahren im Großen Senat verhindert. In der Germanistik wird man höflich hüsteln, wenn Vorschläge von einer Studienkommission Neuphilologie kommen - und weil man dies tut, werden weder der Fakultätsrat noch der "Kollege Studiendekan" ernsthaft etwas unternehmen.

Kompetenzschwierigkeiten sind ohnehin absehbar: An wen wendet man sich mit Prüfungsbeschwerden? An den/die StudiendekanIn, weil er/sie das Studium verbessern soll? An den Prüfungsausschuß oder dessen VorsitzendeN, weil es um eine Prüfung geht? An den Institutsleiter? Wozu ist letzterer eigentlich noch da?

(khp/hn; Mitrecherche: rot)

Vorschläge! Beschwerden!
Die Studiendekane der Fakultäten:

Theologie: Gehard Besier, 54 33 94
Jura: Herbert Kronke, 54 22 40
Medizin (MA): Manfred Singer, (0621) 38 33 59
Medizin (HD): Peter Wahl, 56 86 03
Phil-Hist: Frank Pfetsch, 54 28 72
Orient.-Alt.: Michael Ursinus, 54 29 62
Neuphilologie: Vielleicht irgendwann
VWL: Hartmut Sangmeister, 80 26 44
Sozial-und Verhaltenswissenschaften:
Psych/Geront. Reiner Bastine, 54 73 49
Soziol./Ethnol.: Uwe Schleth, 54 29 70
Erzieh./Sport: Micha Brumlik, 54 75 17
Mathematik: Hermann Rost, 56 57 74
Chemie: Bernhard Schramm, 56 34 56
Pharmazie: Michael Wink, 56 48 81
Physik/Astr.: Klaus Tittel, 56 43 31
Biologie: Thomas Rausch: 56 36 21
Geo: Heinz Karrasch: 56 45 78


Auf die Straße für den schönen Mammon

1000 demonstrierten für den Rest gleich mit

Der "Rote Splitter" hatte den Anstoß dazu gegeben, auch in Heidelberg zu demonstrieren: Gegen die Pläne von Bundesbildungsminister Rüttgers, bei BAföG-Darlehen künftig Marktzins zu verlangen; gegen die weiter diskutierte Einführung von Studiengebühren.
Daraufhin formierte sich dann sehr schnell ein reichlich ungewöhnliches Bündnis: Die Fachschaftskonferenz der Uni und der AStA der PH waren ebenso dabei wie der RCDS, die "Jungen GenossInnen" der PDS ebenso wie die Liberalen, die Jusos und die GEW-Hochschulgruppe.

Direkt angesprochen bei der Kundgebung war natürlich der Heidelberger Rektor Peter Ulmer - auch wenn er die Demo nicht mit seiner Anwesenheit ehrte. Schon als ein hochschulpolitisches Kabarett die Teilnehmer aufwärmte, setzte es Seitenhiebe auf den Rektor. Vor etwa 1000 Studierenden wurde Ulmer danach von den RednerInnen aufgefordert, auf der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) studentische Interessen zu vertreten, statt die Einführung von Studiengebühren vorzubereiten. Ausgeteilt wurde natürlich an Bildungsminister Rüttgers und seine BAföG-Pläne. Einstecken mußten allerdings auch die Anwesenden selbst: Im längsten Redebeitrag fühlte sich ein Gewerkschafter aus dem Konzern bemüßigt, die studentischen Demonstranten mit einem minutenlangen Bericht über die Situation der DASA-Arbeiter zu unterhalten.

Daß sehr verschiedene Leute zum Protest aufriefen, sah man schon beim Redebeitrag des RCDS: Der dort vorgetragene Vorschlag, Langzeitstudierenden zumindest die Vergünstigungen des Studiausweises zu entziehen, wurde mit Buhrufen quittiert. "Wir nehmen trotzdem weiter an den Aktionen teil", erklärte die Rednerin des RCDS, Christiane Grathwohl dazu dem ruprecht, "es ist wichtig, daß alle Gruppen gemeinsam diese Aktionen tragen".

Nach den Reden wurde in einer feierlichen Zeremonie eine gelbe Stoffelefantin zur Gegenrektorin gewählt: Pflegeleichter, ungefährlicher, weicher, einstimmig angenommen. Danach versuchten die dreißig letzten Ausharrenden, Peter Ulmer persönlich 4000 unterschriebene Protestnoten - "Tausendmarkscheine" zu überbringen. Ein beherzter Hausmeister wußte dies zu verhindern

Ulmer antwortete eine Woche später mit einem offenen Brief: Er warf den Veranstaltern "Falschmeldungen" in Bezug auf seine Positionen vor und betonte, er sei wie die HRK "unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen" nicht für Studiengebühren und lehne auch die BAföG-Verzinsungspläne ab. Allerdings machte er deutlich, daß er Studiengebühren immer noch prinzipiell befürwortet. Auf den offenen Brief Ulmers reagierten die Veranstalter der Aktionen wiederum mit einer Presseerklärung, in der sie dem Rektor vorwarfen, über den Protest der Studierenden hinwegzugehen. Am Donnerstag, wenn das Bundeskabinett die BAföG-Pläne beraten hat, geht der Rabatz weiter: Nikoläuse werden in den Mensen Protest-Flugblätter verteilen. (hn)

Infoverstaltung BAföG:
Mittwoch, 13.12., 16.30 Uhr im Hörsaal 8 der NU, mit K.-D.Motzkau, Leiter des BAföG-Amtes des Heidelberger Studentenwerkes, und S. Kiel, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Hochschulpolitik der Grünen.


Ein Pfeifkonzert

Kommentar von Wolfram Eilenberger

Noch bevor Prof. Dr. Ulmers Pressesprecher die annähernd 4000 studentische Protestnoten und des Rektoren Schwanz eingezogen hatte, noch bevor die FSK in einer einfallsreichen und fein ausgedachten Gegenwahl das Elephantenplüschtierweibchen Ayla zu Gegenrektorin ausrufen ließ, noch vor alledem hatte die Protestveranstaltung ihren eigentlichen Höhepunkt erreicht. Müde war die Demo vor sich hingeplätschert. Erfrischte eine Rote Splitterin zu Beginn noch mit dem engagierten Hersagens des sozialistische ABCs ( von A wie Ausbeutung bis zu V wie vrüher war in Zukunft alles und auch im Osten besser), so boten JUSOS und FDP getreue Abbilder ihrer Großen Schwestern. Die distrahiert vorgetragenen Reden (bekanntlich ein Gegenteil von sagen) unterbanden studentische Lauschangriffe im Ansatz. Schade. Eigentlich überraschend für alle ergriff nun ein von den Roten Splittern gesponsorter frei organisierter linker Arbeiter stellvertretend, wie er betonte, für sich selber das Wort. 20 Minuten überzogenes Gewinsel machten deutlich, weshalb die Idee eines revolutionären Zusammenschlusses von Studenten- und Arbeiterschaft aus Zeiten stammt, die uns keine Lösungen mehr bieten. Eigentlich gut gemeint war es auch, einem farbigen Studenten symbolisch für alle ausländischen Kommilitonen das Mikro zu reichen. Klar, nicht nur, aber vor allem Studenten aus wirtschaftlich schwächeren Staaten sind auf staatliche Unterstützung und Jobben angewiesen. Studiengebühren wären für sie schlicht nicht zu verkraften. Aus diesen Tatsachen aber, wie er es tat, ein rassistisches Komplott abzuleiten, mit dem Ziel "aber auch alle ausländischen Studenten von der Hochschule zu vertreiben", Zitat Ende, ist absurd und geht, um im Politikerdeutsch zu bleiben, völlig an den Tatsachen vorbei. Für beide gilt und galt: Guter Wille ist gut, gute Argumente sind besser. Argumente - Inhaltsvolle Satzstrukturen, die in offen geführter Diskussion zu der Menschen bestmöglichen Lösung leiten. So sollte Demokratie vorstellbar sein. Eine Demokratie, von der wir an unserer Uni nicht ausschließlich aufgrund mittelalterlicher Hierarchiestrukturen weit entfernt sind. Womit wir bei o.g. Höhepunkt wären. Ohne daß sie ein Wort gesprochen hätte, pfiff ein bunter Fanblock, der noch anläßlich des Gewerkschaftsfuzzis einsam über sich hinausgewachsen war, die RCDS-Sprecherin aus und legte von seinem Unverstand beredtes Zeugnis ab. Daß es ein Privileg der Linken ist, moralisch und sachlich quasi ontologisch im Recht zu sein, weiß jedes Kind. Daß es ein Privileg der Linken sein sollte, erst zu pfeifen, nachdem man zugehört hat, wissen weniger. So wurde der Zuhörer um das entbehrliche Vergnügen gebracht, den "wahren Lösungsansatz" (Zitat) der demokratisch Gläubigen zu vernehmen. Macht aber eigentlich nichts. Am 24. kommt nämlich das Christkind. (eile)


Was kostet denn das alles? - Der Preis der verschiedenen Ausbildungsförderungsmodelle

Dieser Mittwoch, der 13. (Dezember), wird manchen Studierenden das Fürchten lehren, sollte die Bundesregierung dem 18. Änderungsgesetz des BAföG zustimmen. Das Gesetz sieht vor, daß das BAföG zukünftig verzinst werden soll - während der Förderungsdauer und der folgenden vier Jahre durch den Staat und anschließend durch die Darlehensnehmer. Da sich die Verzinsung am bankenüblichen Zinssatz "Fibor" orientieren wird, kann die Belastung - bei einer normalen Förderungsdauer von zehn Semestern - nicht auf 300 DM pro Monat ansteigen, sondern auf rund 380 DM, so die Bundesregierung.

Das Bundesbildungsministerium erwartet von dieser Umstellung Einsparungen beim BAföG, die für andere Bereiche verwendet werden sollen. Allein bis 1999 sollen Einsparungen von insgesamt 2,5 Mrd. DM realisiert werden. Ob diese Größenordnung erreicht wird, hängt vom Zinsniveau ab. Werden nur die Ausgaben berücksichtigt, ist die Umstellung tatsächlich kostengünstiger als das heutige Modell. Werden die Einnahmen allerdings gegengerechnet, um den Zuschußbedarf auszurechnen, wendet sich das Blatt. Ab Anfang des kommenden Jahrzehnts führen die Rückzahlungen zu einem geringeren Zuschußbedarf des heutigen Modells. Weitere Verteuerungen sind bei der Verwaltung des Rückzahlungen durch die Deutsche Ausgleichsbank zu erwarten. Diese Kosten sollen durch die einprozentige Erhöhung des Zinssatzes aufgefangen werden, was zu Mehrausgaben von rund 70 Mio. DM pro Jahr führt. Für die Rückzahlungsverwaltung entstehen heute Ausgaben von unter 25 Mio. DM. Somit spricht alles gegen eine Umstellung auf der Basis des Rüttgers-Vorschlages, eine generelle Neuordnung des BAföG erscheint aber notwendig; Vorschläge gibt es mehrere. Die Grünen haben sich auf dem Parteitag Anfang des Monat einen auf den Vorschlag eines Bundesausbildungsförderungsfond geeinigt, aus dem die Studierenden elternunabhängig 1000 DM erhalten sollen. Die Förderung soll auf insgesamt 16 Semester verteilt werden können, wobei eine Gesamtsumme von 72000 DM nicht überschritten werden darf.

Dieser Vorschlag benötigt ein Finanzvolumen von 15 bis 18 Mrd. DM pro Jahr, das u.a. durch eine Streichung der heutigen Transferleistungen an Studierende und Eltern finanziert werden soll. Dies entspricht nach Berechnungen des Forschungsinstituts Bildungs- und Sozialökonomie einem Volumen von rd. 9,5 Mrd. DM, der Rest wäre aus anderen Mitteln zu finanzieren - derzeit kaum eine realistische Forderung. Einen anderen Vorschlag hat das Deutsche Studentenwerk mit seinem 3-Stufen-Modell: Die heute den Eltern gewährten Transferleistungen (Kindergeld, Steuerfreibeträge) sollen gestrichen und als einkommensunabhängige Grundförderung an die Studierenden ausgezahlt werden. Dieser Sockel soll kostenneutral 300 DM für ElternwohnerInnen und 400 DM für andere Studierende betragen. Kostenneutral ist dieses Volumen nach unseren Berechnungen jedoch nur zu finanzieren, wenn ausschließlich Studierende bis zum 9 oder 10. Semester gefördert werden - und einige Positionen eingerechnet werden, deren Streichung rechtlich problematisch (z.B. Waisenrenten). Über diesen Sockel hinaus soll eine je hälftige Zuschuß- und Darlehensförderung den Betrag auf 1050 DM pro Monat erhöhen. Der Rest bis zum monatlichen Bedarf von 1250 DM soll durch Erwerbstätigkeit oder ein verzinsliches Darlehen aufgebracht werden, was eine geringere Entlastung im unteren Einkommensbereich bedeutete. Daher sollte die vorliegenden Fassung nicht umgesetzt werden. Eine ausführliche Analyse der o.g. Modelle erscheint in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift "Sozialer Fortschritt".

Dieter Dohmen, Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie, Köln


Unterwegs im Auftrag des Herrn

Christliche Studierendengruppen bevölkern auch den Heidelberger Campus

Fast täglich erhält der Heidelberger Studierende Flugblätter von christlichen Organisationen auf dem Campus. Da man bei der Fülle an Informationen leicht den Überblick verlieren kann, möchte der ruprecht Euch ein wenig über Inhalt und Aktivitäten dieser Gruppen aufklären.

"Wir sind die Autonomen!" schreibt die aESG in ihrem Semsterprogramm und verdeutlicht damit, daß sie die klassischen "linken" Positionen vertritt. Statt auf "Profi-Popen" zu hören, engagieren und finanzieren sie sich lieber selbst durch einen Solidaritätsbeitrag von 30,- DM pro Semester und verbinden Glauben sehr eng mit "Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Umwelt , Selbstbestimmung und Offenheit".

Im Herbst des Jahres 1987 spaltete sich die aESG von der ESG ab, als diese mit der Universitätsgemeinde verbunden und somit eine ESG "mit neuem, gemäßigterem Profil" installiert wurde. Wichtigstes Organ ist die Gemeindevollversammlung (GVV) , die zweimal pro Semester zusammentritt und Beschlüsse im Konsens trifft.

Da die aESG keine "Freizeitgemeinde" sein möchte, setzen sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den politischen und sozialen Bereich. Die "Initiative Südliches Afrika", der Kurdistan- und der Bosnien-Arbeitskreis sind deutliche Merkmale dieser Überzeugung. Außerdem lädt sie in die Theatergruppe Kontrapunkt zum gemeinsamen Schauspielern ein.

Jeden zweiten Sonntag feiern "die Autonomen" einen "etwas anderen" Gottesdienst, dem ein gemeinsames Abendessen folgt, bevor dann eine Diskussion zum Semesterschwerpunkt, der diesmal "Selig sind die Friedenstiftenden" lautet, folgt, zu denen dann Referenten eingeladen werden.

Zu einem Happening ganz besonderer Art könnte der Besuch eines Gottesdienstes der Universität-Bibel-Freundschaft für Euch werden, denn ihr werdet wahrscheinlich ein paar "alte Bekannte" wiedererkennen, die mit Euch schon des öfteren zusammen in der Bibel lesen wollten, da es Ziel eines jeden Gemeindemitglieds ist, mit 50 Studenten ein Bibelstudium durchzuführen. Die im Sekteninfo Essen als "sehr bedenklich" und "destruktiv" bezeichneten "Christen", sehen sich selbst als fundamentalistisch im positiven Sinne an. Die aus Korea stammende, vierzig Anhänger zählende, autoritäre Organisation (University-Bible-Fellowship), die auch zu einem großen Teil aus nichtstudentischen Mitgliedern besteht, möchte das sogenannte christliche Deutschland zum rechten Glauben bekehren. Dafür gehen sie auch in Studentenwohnheimen von Tür zu Tür, um anderen ihre Philosophie auf "Teufel komm raus" zu präsentieren.

Finanziert wird die Heidelberger Gemeinde ausschließlich durch Spenden. Neben dem sonntäglichen Gottesdienst veranstaltet UBF noch einen Bibelkreis. Das autoritäre Verhalten der führenden Gemeindemitglieder zusammen mit dem immer wiederkehrenden Betonen der menschlichen Sündhaftigkeit übt sicherlich einen psychischen Druck auf die Gläubigen aus. Dies alles hat mit Christentum nicht viel zu tun.

Mit diesem Gruppennamen drücken die ca. 40 Angehörigen dieser Vereinigung von Gläubigen schon einen Großteil ihrer Überzeugungen aus. Nach eigenen Worten "verbindet sie der Wunsch, ihren Glauben an Jesus Christus auch im Hochschulalltag zu leben".

Die Heidelberger StudentInnen dürfen sich glücklich schätzen, daß sie zu den wenigen gehören, die von hauptamtlichen Mitarbeitern betreut werden, deren Ausbildung aus Seminaren und einem Lehrjahr besteht. Ihr täglich Brot erhalten diese durch Spenden von ihrem sogenannten persönlichen Freundeskreis, wobei es keinen offiziellen Beitritt zum "Campus für Christus" gibt. Zusätzlich unterstützt werden die Gruppe und ihre Helfer vom Dachverband in Giessen, der auch die Russland-Winterhilfe bezuschußt. Allerdings gibt es kein caritatives Engagement des Heidelberger "Campus" als Uniorganisation. Seine Arbeit besteht hauptsächlich aus Bibelkreisen, wöchentlichen "Campus-Abenden", die unter einem besonderen Motto stehen, Angeboten zu Einzelgesprächen, Kulturveranstaltungen, Freizeiten und einem Gebetsabend .

Das "Campus für Christus" ist eine missionarische Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Studenten im Glauben zu stärken und zu Verantwortung in der Gemeinde, aber auch in der Gesellschaft zu erziehen, damit wieder christliche Werte Einzug in die Berufswelt erhalten. Allerdings will "Campus" nur auf seine Aktivitäten und auf Jesus aufmerksam machen, frei nach dem Motto : sagt ja nicht, ihr hättet nichts von uns gewußt. Das gelingt seinen Anhängern auch. Denn die meisten Flugblätter, die ihr in die Hand gedrückt bekommt, sind vom "Campus für Christus" oder von der

Mit Auffassungen, die denen des "Campus" sehr ähnlich sind, präsentiert sich die Studentenmission Deutschland. Dieser Name kann die Anhänger der Gruppe allerdings nicht unbedingt zu Beifallsstürmen bewegen, denn zum einen sind sie nicht deutschnational, und zum anderen sind sie sich des schlechten Beigeschmacks des Wortes "Mission" in der Öffentlichkeit bewußt.

Geführt wird die Heidelberger Gemeinde von einem dreiköpfigen Leitungskreis, der von seinen Mitgliedern gewählt wird, die sowohl die Richtlinien der Studentenmission unterschreiben müssen, in denen das Ziel, "durch gemeinsame Bezeugung des Evangeliums Studierende zur Begegnung mit Jesus Christus zu bringen, damit sie errettet werden", abgesteckt ist, als auch den Semesterbeitrag von 60,- DM zahlen.

Alle zwei Wochen findet ein Gesamttreffen statt, bei dem sich dann ungefähr siebzig Studis zusammenfinden. Desweiteren verbringen die "Studentenmissionare" ihre Freizeit mit Skifahrten, Bibelhauskreisen, Singen und Tanzen.

Sowohl bei der Studentenmission als auch beim "Campus für Christus" ist durch den Missionsauftrag der Dialog zu anderen nichtchristlichen Religionen erschwert, da beide den Wahrheitsanspruch des Christentums als Grundvoraussetzung ihres Glaubens ansehen. Nichtsdestotrotz konnten sie aber glaubhaft versichern, daß Toleranz ebenso eine ihrer Grundüberzeugungen ist.

"Die geistliche Grundlage der ESG Heidelberg ist das Evangelium Jesu Christi. Die Gemeinde sucht nach Formen, heute in seinem Geist zu leben." So heißt es in der Präambel der Gemeindesatzung zum Selbstverständnis, in der auch die Begegnung mit ausländischen Studierenden als Eckpfeiler festgehalten sind. So verwundert es nicht, daß auch im Gemeinderat, den jeder Studierende mitwählen kann, eine Studentin mit hinduistischer Glaubensgrundlage vertreten ist.

Herzstück der Gemeinde ist das Karl-Jaspers-Haus, in dem sich Pfarramt, eine Kapelle, Gemeinschaftsräume, Kellerbar und eine Cafeteria befinden. Jeden Sonntag findet ein Gottesdienst in der Peterskirche statt, der sowohl für die StudentInnen als auch für die Universitätsgemeinde (Profs, Mittelbau, "gemeines Volk" ) veranstaltet wird, der mit ca. 300 Gläubigen gut besucht ist. Finanziert werden Einrichtung, Mitarbeiter und Arbeitskreise von der Landeskirche.

Rund 200 StudentInnen beteiligen sich an den zahlreichen Arbeitskreisen. Diese beschäftigen sich mit politischen Themen, religiösen Inhalten, Kultur, und sie engagieren sich im sozialen Bereich (Besuchskreise im Krankenhaus und in der Psychatrie, Gottesdienst im Knast). Jeden Mittwoch gibt es einen Gemeindeabend zum Semesterthema (zur Zeit: Einfach glauben - Anfragen an das Christentum).

Ganz groß geschrieben wird auch die Ökumene. Es bestehen sehr freundschaftliche Verbindungen zur KSG, die in vielen gemeinsamen Aktivitäten zum Ausdruck kommen.

Die KSG, die sich als "Kirche an der Hochschule" (Synode) versteht, hat ihren Sitz im Edith-Stein-Haus, das ein "offenes Haus, ein Treffpunkt und ein Ort zum Gedankenaustausch" sein soll. In diesem befinden sich Büro, Cafeteria, Küche, Bar und Waschmaschine. Im Gemeinderat sitzen neben den Hauptamtlichen noch sieben studentische Mitglieder, die nach den gleichen Modalitäten wie bei der ESG gewählt werden.

Einen Schwerpunkt legt die KSG auf die Seelsorge, die in Gruppen zu bestimmten Themen (z.B. Tod) oder mit dem Pfarrer bzw. Gemeindeassistenten persönlich stattfinden kann. Besondere Aufmerksamkeit widmen sie dort den Erstsemestlern.

Die wöchentlich stattfindenden Treffen der Arbeitskreise (Chor, Theater, Film, Gebete, politische Themen) bieten den Interessierten ein breites Betätigungsfeld. Jeden Sonntag findet ein Gottesdienst speziell für die StudentInnen statt. Die KSG veranstaltet jeden Mittwoch einen thematischen Gemeindeabend, an dem z.B. über Abtreibung, Medien oder Träume diskutiert wird. Neben den bei der ESG aufgeführten ökumenischen Veranstaltungen organisiert das KSG-Team regelmäßig Freizeiten und Seminare. (te)

Adressen:

aESG - Fischergasse 2, 22882
Campus für Christus - 419264
ESG - Plöck 66, 163230
KSG - Neckarstaden 32, 28052
SMD - 25815
UBF - Landhausstr.12, 164786


Chemie goes Pharma

Zukunft der pharmazeutischen Fakultät weiter völlig offen

Die Pharmazeuten müssen weiter um die Fortsetzung ihres Daseins am Neckar bangen. Nachdem der Verwaltungsrat die Pharmazie als eigenständige Fakultät an der Heidelberger Uni zu Grabe getragen hat (wir berichteten), tickt jetzt bis zum 31. Dezember die Uhr, die das Rektorat den drei verwandten Fakultäten Biologie, Chemie und Medizin aufgezogen hat. Die sollen ihre interne Bereitschaft erkunden, den gebeutelten Apothekern unter ihrem Dach Asyl zu gewähren.

Am weitesten fortgeschritten ist der Selbsterkundungsprozeß bei den Chemikern, gleichzeitig Wunschkandidaten der Asylsuchenden. Der Fakultätsrat hat sich einstimmig für die Aufnahme der Pharmazeuten ausgesprochen. Die Pharmazie sei angewandte Biochemie, weswegen eine Integration zu einer besseren Angliederung der hiesigen Chemie an die Biowissenschaften führen würde und also zu begrüßen sei, so das Dekanat. Auch finanziell erhofft man sich Entschädigung für den Gnadenakt. Biochemie ist momentan trendy, und die deutsche Pharmaindustrie geizt nicht mit Drittmitteln.

Friede, Freude, Eierkuchen also? Entschieden ist noch gar nichts, und das letzte Wort kommt sowieso vom Uniplatz. Der medizinische Fakultätsrat tagt am 14. 12., und auch hier scheint sich Aufnahmebereitschaft abzuzeichnen. Probleme könnten sich allerdings daraus ergeben, daß die Medizin keine Vollblut-Naturwissenschaft ist und die Fäkultät z.B. keinen Dr. rer. nat. verleihen darf.

Zudem ist die Empörung der Pharmazeuten noch lange nicht abgeebbt. Böse Zungen behaupten, die Chemie sei nur so aufnahmewillig, weil eine Fusion ihr die Möglichkeit gäbe, zehn Prozent des noch pharmazeutischen Territoriums selbst zu schlucken. Im Chemie-Dekanat bezeichnet man diese Theorie zwar wörtlich als "bullshit", die Räume seien der Chemie schon voriges Jahr zugesprochen worden und würden zurückgegeben, sobald der ersehnte Neubau endlich stehe. Aber nach den jüngsten Erfahrungen mit der Univerwaltung scheint man sich bei den Apothekern schwer zu tun, noch irgendjemandem zu trauen. "Es wird soviel geredet, das glauben Sie nicht!" (gvg)


Es ist angerichtet!

Studierende gründen Heidelberger Tafel

Jeden Tag laufen wir an ihnen vorbei. Wir ertragen ihr plärrendes Kofferradio, wenn wir zur Vorlesung stürzen, wir setzen in Bogart-Manier das Ignoranten-Gesicht auf, wenn sie uns mit der Frage "Haste vielleicht 'ne Marke für mich?" vor der Mensa abfangen. Klar, das Gewissen meldet sich schon, wenn wir dann nach einem Fünf-Minuten-Marsch völlig durchgefroren in unsere warme Stube zurückkehren und uns heiße Spaghetti Bolognese einverleiben. Doch nicht nur die, die wir mit Schlafsack auf der Straße sehen, wissen heute nicht, wovon sie morgen leben sollen. Denn neben den Obdachlosen gibt es noch viele andere - z.B. Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger - in Heidelberg, die am Rande des Existenzminimums leben, sich aber scheuen, ihre Armut in der Öffentlichkeit preiszugeben. Auf der anderen Seite wird allerdings ein Fünftel aller Lebensmittel weggeworfen.

Die Idee, daß sich dieses Problem mit einer einfachen Rechnung lösen lassen müßte, war zwar nicht in Heidelberg geboren, doch ein paar Heidelberger Studenten nahmen sich das Modell der "Hamburger Tafel" zum Vorbild: Dort werden schon seit einigen Jahren Lebensmittel aus dem Einzelhandel, die nicht mehr gebraucht werden, eingesammelt und an Bedürftige verteilt. Nach dem Motto "Was die Hamburger können, können wir schon lange" gingen im Juli dieses Jahres sieben Studierende ans Werk und initiierten die "Heidelberger Tafel". Nach einigen Monaten Organisationszeit startete das Projekt nun endlich im November.

Nicht Soziologen oder Theologen taten pünktlich zur Weihnachtszeit das gute Werk, sondern Mediziner, Juristen und eine werdende Lehrerin waren die Initiatoren. Inzwischen sind ca. 14 ehrenamtliche Mitarbeiter damit beschäftigt, von Bäckereien, Gemüsemärkten und Lebensmittelhändlern die Reste des Tages, die nicht mehr verkauft werden, abzuholen und an die "Kunden" weiterzuleiten, im Heidelberger Selbsthilfebüro, wo sie z.Z. untergekommen sind, Telefondienst zu leisten oder neue Quellen zu erschließen. Das Projekt lief in den ersten beiden Wochen so gut an, daß die Organisatoren mit Backwaren schon förmlich übersättigt sind, bei Lebensmittelhändlern und vor allem großen Ketten ist die Resonanz bisher allerdings sehr bescheiden. Die bundesweiten Großketten z.B. boten der "Heidelberger Tafel" Waren zum ermäßigten Preis an, doch dies ist nicht der Sinn des Projekts und könnte auch gar nicht finanziert werden. Spenden werden natürlich immer gern angenommen, denn ganz ohne Geld kann auch ein ehrenamtlich geführter Verein nicht leben. Die "Tafel" hat das Glück, daß sie die Büroräume vom paritätischen Wohlfahrtsverein kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt, "doch irgendwann müssen wir sicherlich zahlen", befürchtet einer der Mitinitiatoren. Die einzige Anschaffung, die im Moment überlegt wird, ist ein "tafeleigenes" Fahrrad, denn alle Wege und Transporte können noch gut mit dem Rad bewältigt werden. Ansonsten muß der private Drahtesel oder das eigene Auto herhalten. Die beiden weiteren Utensilien, die sie ihr Eigen nennen können, eine Schreibmaschine und ein Anrufbeantworter, bekamen sie vom Germanistischen Seminar geschenkt. Die Universität zeigte sich auch sonst ganz interessiert, und das Internationale Wissenschaftsforum bot an, übriggebliebene Lebensmittel von Sonderveranstaltungen der "Tafel" zu geben. Das Problem dabei ist jedoch, daß dies schon zubereitete Gerichte sind, das Projekt aber gerne die Selbständigkeit ihrer Kunden fördern möchte und deshalb lieber selber kochen läßt.

Ein Großteil der Lebensmittel geht an die Wärmestube in der Römerstraße, in der Obdachlosen eine Küche zur Verfügung steht. Der SKM (Sozialdienst Katholischer Männer) ist einer ihrer Abnehmer, ebenso christliche Jugendgruppen, die auf dem Markplatz stehen und Lebensmittel und Kleidung verteilen. Den Rest liefert die "Heidelberger Tafel" direkt ins Haus der Arbeitslosen oder sonstigen Bedürftigen.

Die Unterstützung des Sozialamtes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hilft den Organisatoren sehr, doch auf die Dauer hoffen sie, einen Zivi oder durch eine ABM-Maßnahme einen Helfer zu finden. Ansonsten sind natürlich alle willkommen, die bei der "Heidelberger Tafel" mitarbeiten, besonders organisieren wollen. (gz)

Heidelberger Tafel e.V., c/o Heidelberger Selbsthilfebüro, Alte Eppelheimer Straße 38, Tel.: 16 65 79, Mo. bis Fr. von 10 bis 12 Uhr


Gut aufgelegt.

Unter 184708 bietet die Nightline Gespräche als Lebenshilfe

Das Telephon verkörpert die Ambivalenz des Jahrtausends an sich. Es ermöglicht dem Unverzichtbaren, überall gleichzeitig zu sein und niemanden durch Nichtbeachtung vor den Kopf zu stoßen. Und es ist der Draht, der den einsamen, nirgendwohin eingeladenen und von niemandem besuchten Einzelgänger an einem Wochenendabend per Kontaktaufnahme durch die Muschel mit menschlicher Wärme versorgt. Wirklich allein ist nur, wer niemanden hat, mit dem er telephonieren könnte, weil alle, die in Frage kämen, gerade auf einer Party sind.

Das Telephon ist außerdem der meistbesungene technische Gegenstand der Rockmusik, und wurde dadurch zu einem potentiell hochkitschigen Thema. Lou Reed zog es mit gewohnter Souveränität in den Dreck: "Oh how ba-a-ad... And why do you call? - Oh I'm gla-a-ad to hear from you all..." Pure Selbstironie natürlich, denn zwei Lieder weiter folgt sie dann, die Hymne der traurigen Samstagabende: "Nobody calls me on the telephone, I put another record on my stereo..."

Schlecht gewähltes Beispiel eigentlich, denn Samstagabend ist unter der Nummer 06221/184708 gerade keiner zu erreichen. Aber das Projekt Nightline befindet sich noch in der Anfangsphase. Auch sind sich die Nightliner darüber im Klaren, daß den meisten Problemen der Wochentag eher egal ist, und Einsame nicht erst seit Lou Reed dies bevorzugt samstags sind. Eines der vorrangigsten Ziele der studentischen Initiative, die die Nightline vergangenen Sommer ins Leben gerufen hat, ist denn auch die Ausweitung der Gesprächszeiten, die sich im Moment noch auf die Tage Montag, Mittwoch und Freitag jeweils in der Zeit von 21.00 bis 2.00 Uhr beschränken. Wer gesehen hat, mit welcher Lückenlosigkeit seit Juni alle universitären Einrichtungen mit den blauen Nightline-Plakaten versorgt wurden, wird kaum daran zweifeln, daß es früher oder später gelingen wird, die zeitlichen Limits zu sprengen und die Nightline fest zu etablieren. Hier wurde einige Energie investiert, um auch größere Scheuklappen zu überlisten.

Die Wurzeln der Idee zu einer deutschlandweit in dieser Form einmaligen "telephonischen Anlaufstelle von Studierenden für Studierende", wie sie sich selbst bezeichnet, liegen witzigerweise auf der Insel, in Oxford genauer gesagt. Witzigerweise deswegen, weil damit wieder einmal bewiesen wäre, daß man mit Klischee-Denken doch recht weit kommt: "Großraum London? Kalt, naß und trostlos..."

Kann hier ja nicht passieren. Oder doch? Nach der knapp halbjährigen Warmlaufphase in Heidelberg scheint einiges dafür zu sprechen: "Wir sind eigentlich jede Nacht gut beschäftigt." Auf meine Frage, ob diese Aussage in Zahlen ausdrückbar sei, antworten die Nightliner ausweichend. Man ist vorsichtig geworden, seit man mit einem Redakteur des Uni-Spiegels schlechte Erfahrungen gemacht hat, auch wenn allen klar ist, daß die dauerhafte Etablierung einer Nightline entscheidend von deren Bekanntheitsgrad abhängt. Auch bei einigen anderen neugierigen Detailfragen wird schnell abgeblockt. Im Zweifel geht die Anonymität über alles, niemand soll das Gefühl haben, daß seine ganz persönlichen Angelegenheiten nicht absolut diskret behandelt werden.

Die Gründe, aus denen Studenten bei der Nightline anrufen, sind so heterogen wie die Uni selbst. Private Themen stehen im Vordergrund, und die zu Beginn des Artikels plakativ plazierte Einsamkeit ist tatsächlich eines der Hauptanliegen, die den Griff zum Hörer evozieren. Auch sexuelle Probleme würden öfters angesprochen, und gerade darum sei es besonders wichtig, möglichst jede Schicht mit einem männlichen und einem weiblichen Gesprächspartner zu besetzen. Vor allem dieser Zwang zur Doppelbesetzung steht im Moment einer Ausweitung des Angebots im Weg. Mit 25 bis 30 aktiven Studenten, Altstädter, "Feldler" und Pädagogen, sind mehr als drei Termine pro Woche kaum zu machen, zumal ein Abend an der Strippe erhebliche Konzentrationsreserven mobilisieren muß. Wie wird man Nightliner? Spezielle Wochenendkurse, die unter Leitung von Psychologen regelmäßig abgehalten werden, bereiten auf den Einsatz vor. Hierbei sollen Techniken der Gesprächsführung und -lenkung erlernt und geübt werden, mit besonderem Augenmerk auf den Beginn einer potentiellen Unterhaltung. Konkret hat man sich das so vorzustellen: Zwei Kursteilnehmer simulieren einen Anruf via Kabel, das wie in Agentenfilmen von einem kleinen Lautsprecher angezapft wird. Um den gruppieren sich Schüler nebst Psychologe zur Analyse. Es bedarf keiner großen Phantasie sich vorzustellen, daß unter Umständen einiges an Einfühlungsvermögen nötig ist, um ein Gespräch erstmal in Gang zu bringen. Ziel ist es dann auch, diese Kommunikationsbarrieren Schritt für Schritt niederzureißen, und gerade hierin sieht die Nightline ihre Stärke. Die Gesprächspartner an beiden Enden der Leitung studieren in derselben Stadt und haben vergleichbares Alter, dies ermöglicht eine Unterhaltung auf gleichem Niveau, wie sie ein Psychologe oder auch eine Telephonseelsorge nur schwer oder gar nicht anbieten kann. "Niedrigschwellig, offen und entgegenkommend" möchte man sein, und die Erfahrung zeige, daß genau dies von den Anrufern auch erwartet und geschätzt wird. "Das Problem an unserem Projekt ist, daß für das, was wir machen, kein vernünftiges Wort existiert." Die Häufigkeit, mit der mich die Nightliner in unserem eineinhalbstündigen Gespräch gerade darauf hinweisen, sieht zwar auf Anhieb etwas nach Identitätsneurose aus, zeigt aber deutlich, wie wichtig ihnen dieser Punkt ist, und wie sehr man sich über den Uni-Spiegel geärgert hat. Ein Anruf bei der Nightline kann und soll kein psychotherapeutisches Beratungsgespräch sein, und auch eine Telephonseelsorge, wie sie von christlichen Gemeinden häufig angeboten wird, hat eine andere Zielgruppe und einen anderen Ansatz.

Gegen Ende des Gesprächs fällt ein schöner Vergleich: Zwei Menschen sitzen in einem Bahnabteil, im Intercity von Blieskastel nach Kleinhinterlaibach, vorbei an Bahnhöfen niegehörter Käffer, und kommen ins Gespräch: erst über die Welt, dann über Gott und schließlich über sich selbst. Die beiden werden sich nie wieder sehen und haben sich vielleicht nicht einmal vorgestellt, als der eine in Neupommelshausen plötzlich aussteigen muß.

Am Abend vor der Entstehung dieses Textes sitze ich auf dem Fußboden in einem Zwischenabteil des überfüllten Sonntagabend-Interregios Stuttgart-Dortmund. Einer jungen Frau aus Heppenheim geht es genauso, sie hat Zigaretten dabei und wir leeren die Schachtel. Vielleicht ist es der seltene Glücksfall dieser Zigaretten im Zwischendrin, den man mit der Nightline versucht zu institutionalisieren. Viel Erfolg! (gvg)

Die Nightline ist montags, mittwochs und freitags von 2100 bis 200 Uhr unter der Nummer 18 47 08 zu erreichen.


Glasfigurenkabinett?

Europa wächst. Zusammen auch manchmal. Die Chipkarte, seit zwei Jahren in den Köpfen von Software-Entwicklern und Verwaltungspersonal, soll die Hochschulbürokratie über die Grenzen hinweg vereinfachen.

Langsam aber unaufhaltsam sickert die Plastikkartenschwemme an den Universitäten und Fachhochschulen in die Verwaltungen ein. Um diese Art der elektronischen Datenerfassung hochschulgerecht einzuführen, versucht man sich bundesländerübergreifend an einem gemeinsamen Projekt: UniversCard, die Initiative deutscher Hochschulen auf Forschungs- und Verwaltungsebene - allen voran die TU Chemnitz -, will in den nächsten vier bis fünf Jahren in Verbindung mit einer Softwarefirma EDV-Systeme für Anwendungen wie Rückmeldung, Bezahlung des Mensaessens, Parkraumbewirtschaftung, Bibliotheksbenutzung und auch als Studentenausweis realisieren.

Anstoß für diese Entwicklung ist zum einen das Personaldefizit der Universitätsverwaltungen, die an zahlreichen Hochschulen Rückmeldungen und Exmatrikulationen noch manuell handhaben. Damit wird Arbeitserleichterung und kürzere Bearbeitungszeit angestrebt. Personalabbau ist nicht im Gespräch, da nur vorhandene Planstellen, das heißt Stellen, die wegen Geldmangels nicht besetzt sind, gestrichen werden.

Aber auch die anstehende bundesweite Parkraumbewirtschaftung, die die Einführung kostenpflichtiger Parkplätze für Studenten und Personal bedeutet, hat zu der Idee geführt, die verschiedenen "Währungen" an den Hochschulen - Mensamarken, Studentenausweis, Kopierkarte, Bibliotheksausweis und später auch Parkschein - auf einer gemeinsamen Karte zusammenzufassen.

Hierbei spielt Deutschland keineswegs die Vorreiterrolle. In Italien, an den Universitäten Bologna und Mailand, sind bereits seit geraumer Zeit entsprechende Systeme in Gebrauch, Frankreich sammelt an der Universität Lille Erfahrungen, auch in Linz und Wien beschäftigt man sich mit diesem Verwaltungsverfahren. In diesem Wintersemester fiel nun der Startschuß für Hochschulen in Holland und Deutschland. In Trier läuft seit diesem Wintersemester an der Fachhochschule ein Pilotprojekt zur Bezahlung des Mensaessens, im Sommersemester soll noch die Bibliothek hinzukommen. Später einklinken werden sich die Universität Würzburg, die TH Darmstadt und FHT Eßlingen. Als Versuche in kleinem Rahmen sollen allerdings zunächst nur parallel laufende Systeme mit getrennten Chipkarten eingeführt werden. Überschaubarkeit und damit wirkungsvolle Kontrolle und Auswertung der Ergebnisse bestimmen bis auf weiteres das Projekt. Aber auch der Finanzrahmen des Landes Rheinland-Pfalz von 500.000 DM läßt umfassendere Anwendungen vorerst nicht zu. Für die Zukunft jedoch sind solche Insellösungen kaum sinnvoll, da speziell für jede Hochschule entwickelte Software Kosten in unverantwortlicher Höhe zur Folge hätte.

Die Erfahrungen aus diesen Pilotprojekten sollen in einigen Jahren die Einführung der Multifunktionskarte ermöglichen. Im Gespräch sind dabei weitergehende Anwendungen wie Anmeldung zu Prüfungen, Ausdrucken von Scheinen oder Abfragen von Prüfungsergebnissen. Daß vor allem letzterer Einsatzbereich viele Beteiligte an diesem Projekt, Studentenvertretungen wie auch Verwaltungspersonal, die Stirn runzeln läßt, ist verständlich. Mit einem eindeutigen 'Nein' stellen sich besonders die Asten diesem Gedanken entgegen: des Datenschutzes wegen. Über die auf der Ausweis-Chipkarte gespeicherte Information hat zwar ausschließlich der Inhaber die Kontrolle. Die in einem Zentralrechner vorhandene Datenmenge kann unter Umständen aber nicht einwandfrei unter Verschluß gehalten werden. Ein Problem, das, so einige Kritiker, mit 500.000 DM Landesbeitrag nicht zu lösen sein wird. Zum Vergleich: In Holland - bei einem Versuch mit 26.000 mit dem Plastik bestückten Teilnehmern - sind Kosten in Höhe von 4,5 Mio. DM entstanden, für eine Karte, die neben Buchausleihe, Essensbezahlung und Kopierfunktion auch bargeldloses Telefonieren beinhaltet und als Fahrausweis für öffentliche Verkehrsmittel dient. Um im Bereich des Datenschutzes Kontrollmöglichkeiten zu schaffen, hat der AStA Trier einen 10-Punkte-Katalog durchgesetzt, der Kriterien für den Betrieb von Chipkartensystemen festlegt, die von einer Senatskommission überwacht werden sollen. Zudem ist die Kartenbenutzung freiwillig.

In Heidelberg geht man noch vorsichtig mit dieser Entwicklung um. Eine Entscheidung zu diesem Thema soll allerdings dieses Jahr mit der Abstimmung über die Parkraumbewirtschaftung fallen. Aber selbst dann ist, nach einer Anlaufzeit von rund zwei Jahren, zunächst nur eine elektronische Arbeitszeiterfassung für das Verwaltungspersonal geplant, die nach einer Vorgabe des Landes Baden-Württemberg Bedingung für flexible Arbeitszeiten ist.

Kritische Betrachtung und bewußte Selbstbeschränkung sind nötig, um nicht Chancen wie Kostenersparnis und übersichtliche Handhabung zu vertun, aber auch, um sich der Probleme wie Datenschutz und Arbeitsüberwachung immer bewußt zu bleiben. (rot)


ruprecht-Serie "Heidelberger Profile"

Unverplantes Leben - Oded Netivi

Von Haifa nach Heidelberg - vom Fischzüchter zum Künstler

Baumwollpflücker, Regiestudent, Heidelberger, Alt-68er, Israeli, Fischzüchter, Künstler, Jude. Das ist Oded Netivi.

Geboren wurde er 1950 in Haifa. Von seiner Kindheit erzählt er nur, daß er wie verrückt geklaut habe: "Das war ein neurotischer Ersatz", und bescheiden lächelnd fügt er hinzu: "Heute ist mein kindlicher Anteil eher im Verborgenen."

Durch die sozialistische Israelische Jugendbewegung kam er mit 19 Jahren in einen Kibbuz, wo er sich der Fischzucht und der Baumwolle widmete. Im Kibbuz, eins der wenigen Experimente, in denen der Kommunismus funktioniert, hielt es Netivi nicht lange aus. Sozialismus in Ehren, aber das Individuum kam ihm doch zu kurz. So siedelte er über nach Jerusalem, wo er beim Fernsehen arbeitete. Doch auch diese kosmopolitische Stadt konnte ihn nicht lange fesseln. Noch 1969 entschloß er sich zu einem Aufenthalt in Deutschland, wo er sich bis 1971 beim Südwestfunk Baden-Baden mit Film- und Fernsehregie beschäftigte. Dort erlernte er die Muttersprache seiner Eltern. Und weil hier das Studium gratis ist, beschloß er, das "noch mitzunehmen". In Heidelberg studierte er bis zum 26. Lebensjahr Sozialwissenschaften. Er erlebte hier die heißesten Zeiten der Studentenrevolte - und war, versteht sich, voll dabei. "Ja, ja. Da habe ich mich mit den Bullen rumgeprügelt", erinnert er sich lachend.

Wie er eigentlich auf die Idee kam, in Deutschland zu studieren, weiß er selbst nicht so genau: "Vielleicht war die eigentliche Ursache der Wunsch meines Vaters gewesen, daß ich sein verpfuschtes Leben in Deutschland korrigiere. Daß ich das tu, was man ihm verwehrt hat: In Deutschland ein Künstler sein."

Oded Netivis Vater hatte als Theaterregisseur eine Traumkarriere vor sich gehabt; er war in Darmstadt bei Gustav Hartung Regieassistent gewesen, mußte jedoch in den 30er Jahren nach Israel fliehen. Dort lernte der Vater seine Frau kennen, die wie er aus Deutschland nach Israel emigriert war.

Die tragische Vergangenheit seiner Eltern hatte auf Odeds Leben den größten Einfluß. Doch sie haben ihn keinen Haß gelehrt. Oded lernte durch sie die europäische Kultur kennen, und zugleich lehrten sie ihn, daß man Traumata nicht durch Flucht verarbeiten kann, sondern daß man sich ihnen stellen muß. Wohl auch deswegen war er nach Deutschland gekommen.

Daß er schließlich Künstler wurde, war für ihn selbst eine Überraschung. Innerhalb eines Zeitraums von zwei bis drei Wochen entschloß er sich dazu, die Kunst professionell zu betreiben. Damals kamen sehr viele Ereignisse zusammen: Er las beispielsweise viele Künstlerbiographien; und eines morgens sah er den "Prinzen aus dem Morgenland", einen wunderschönen Schwarzen, der im Atelier eines Heidelberger Künstlers das Faktotum war. Grund genug für Oded, sein Leben mal wieder umzukrempeln.

Von der Theorie hatte er eigentlich wenig Ahnung, was ihn aber nicht daran hinderte - "frech wie Oskar" - von Anfang an Kurse zu geben. Künstlerische Vorbilder hat er keine, oder genauer gesagt: recht viele. Eigentlich haben ihn alle Künstler beeindruckt, "weil sie ihr Leben der Kunst gewidmet haben".

Aber Vorbild hin oder her, meint Oded, im Grunde seien die Themen der Kunst ohnehin sehr eingeschränkt, wiederholen sich bei jedem Künstler. Die Unterschiede zwischen den Kunstwerken ergäben sich aus nur zwei Komponenten: der Entwicklungsstufe, in der sich die Menschheit gerade befinde (also der Mode), und dem Charakter des Künstlers. Gute Kunst weist sich nach Netivis Ansicht dadurch aus, daß sie bei Leuten etwas bewegt. "Gut ist ehrlich", kommentiert er.

Jeff Koons zum Beispiel bewege ihn nicht. "Das ist nicht mal Pornographie. Was er malt, möchte ich ausleben, aber nicht anschauen. Der Betrachter ist ausgeschlossen", erklärt er. Bei seinen eigenen erotischen Bildern versucht Netivi mit Lichtflecken, Schatten, Farbspielereien den Betrachter einzubeziehen und "in ihm mit einem Schmunzeln Assoziationen zu wecken".

Wichtig ist ihm freilich auch, seine Kunst nicht kommerziellen Gegebenheiten anzupassen. "Ruinen vor Sonnenuntergang und schöne Frauen gehen weg wie warme Semmeln", erzählt er. Bei manchen Kunden frage er sich ohnehin, wieso sie sich statt eines Bildes nicht lieber einen Mercedes kaufen. Neben der dicken Haut, die fürs Geschäftliche zuständig sei, müsse man sich eine dünne Haut bewahren, die sensibel und künstlerisch ist, "zärtlich mit dem Material umgeht".

Wenn er auch aus ideologischen Gründen manche lukrativen Angebote ausschlägt, so meidet er doch - ganz unideologisch - die Politik in seiner Kunst. Mit gutem Grund, wie er meint. "Mit Kunst läßt sich keine Politik machen. Noch nicht mal die Kirchenfürstenkonnten mit ihren Höllenbildern und Jüngsten Gerichten tatsächlich Politik betreiben." Das heißt nicht, daß Oded kein politischer Mensch ist. Er ist davon überzeugt, daß jeder Verantwortung übernehmen müsse. Das sieht für ihn ganz praktisch aus. Zum Beispiel erfreut sich die Heidelberger Studentengruppe von amnesty international seiner tatkräftigen Mitarbeit, wenn es darum geht, bei der Öffentlichkeitsarbeit etwas künstlerisch zu gestalten.

Netivi hat sich auf keine bestimmten Motive festgelegt. Er betont, daß er da ganz flexibel sei. In seinem Atelier hängen Bilder mit Tiermotiven, Stilleben, Menschengruppen, erotischen Szenen etc. Der Autodidakt beherrscht zudem die verschiedensten Techniken: Neben der Malerei arbeitet er mit Gips, macht Fotos, Plastiken, Bühnenbilder etc. Und ebenso vielfältig ist Odeds Farbpalette. Seine Bilder sind meist bunt, sinnlich, vital, grell - fast zu grell für den deutschen Geschmack. Sie geben sein Leben wieder. Das Leben eines Kibbunziks, eines Rebellen, eines Künstlers. Unverplant. (hee)


1.11.1996: Oded Netivi geht ins WWW.

ruprecht on the record

Review

Wohlige Wunschkonzertweihnacht: Willkommen! Für alle die, die zum Frohen Fest nicht die siebenunddreißigste Kuschelrock oder ähnlichen Musikmüll verschenken wollen, sei an dieser Stelle nochmal auf einige, zutiefst subjektiv herausragende musikalische Schöpfungen der vergangenen 12 Monate zurückgeschaut. Beginnen wir mit dem Top-Act der deutschen Hip-Hop-Szene, den Fantastischen Vier. Deren LP "Lauschgift" legte - noch weit über "Sie ist weg" hinaus - die Meßlatte für deutschsprachigen Sprechgesang mit abwechslungsreicher musikalischer Untermalung weiter nach oben. Etwas schräger, aber mindestens genausogut (und auch, trotz "Fick mein Gehirn", ziemlich ernsthaft) präsentierten sich die Hamburger Fischmob mit "Männer können seine Gefühle nicht zeigen" (Extratip!). Im Rap/Jazz-Bereich sei auch nochmals auf "One step ahead of the Spider" von MC 900 Ft. Jesus hingewiesen: Niemand erzählt so relaxed und atmosphärisch dicht Geschichten, zu denen man am liebsten im Oldtimer durch eine verregnete Nacht fahren möchte. Im DancePop/Jazz-Grenzbereich (oder wie auch immer) erblühten dieses Jahr vor allem Portishead mit ihrem grandiosen, anheimelnd-kühlen Werk "Dummy": Wunderschön und eisig zugleich und man weiß gar nicht, ob man jetzt lieber allein oder zu zwein wäre; "Glory Box" ist denn ja auch ein richtiger Hit geworden.

Eine der meisterwarteten Platten war '95 auch "One hot minute" von den Red Hot Chili Peppers. Enthält zwar keinen Mega-Hit, ist aber dennoch verspielt, groovy und garantiert gut für - wie in nahezu jeder Kritik stand - mehr als eine heiße Minute. Ebenso aufgelebt sind auch die Frickel-Funk-Kollegen von Primus, die sich nach der etwas faden "Pork Soda" mit "Tales from the Punchbowl"wieder auf alte Tugenden besannen und ein (inzwischen) zwar etwas gewollt witzig wirkendes, aber dennoch wirklich ge(k)lungenes viertes Album vorlegten. An alte Zeiten knüpften glücklicherweise auch die p.c.-Hardcore-Recken von Fugazi mit "Red Medicine" an und besonders Sonic Youth bewiesen uns mit "Washing Machine" einmal mehr, wie nach Fein-und Hauptwaschgang inklusive Schleudern auch bei 95 Grad (kochend, mindestens!) eine Reinheit und Klarheit herauskommt, die Dutzend andere Produkte so einfach nicht bieten.

Zum Abschluß den Dreierpack:

1. Die beste Platte des Jahres war und ist "12" von den Weilheimern The Notwist. Melodisch, getragen, hart, krachig stößt diese Über-LP in Bereiche jenseits des Grunge vor, die zu erreichen wir niemals zu träumen gewagt hätten. Wer nicht ein kleines Tönchen dieses Albums gehört hat, hat das Musikjahr '95 wohl wirklich verpennt.

2. Das beste Weihnachtsgeschenk des Jahres stammt dennoch aus dem Popbereich und kommt somit auch den erwähnten Kuschelrock-Abhängigen entgegen: Die holländische Band The Nits veröffentlichte kürzlich eine Best-of-Compilation mit dem Titel "Nest". In selbig-weihnachtliches kann man sich diese Werkschau aus 17 Jahren Bandgeschichte auch unbedenklich legen, finden wir hier doch wunderschöne, balladeske, teils avantgardistisch angehauchte Popsongs, die in ihrer zeitlosen Schönheit ein wenig reale Besinnlichkeit schenken. Schlichtweg wunderbar.

3. Der beste Ausblick auf's kommende Jahr ist das neue, zweite Album von Mr. Bungle, dem musikalischen Alter Ego von Faith No More-Sänger Mike Patton. Was auf "Disco Volante" als Melange aus Jazz, DiscoDancing und Metal ebenso ungestüm und brachial wie durchdacht über uns hereinbricht, ist schlichtweg umwerfend. Und Titel wie "Everyone I went to Highschool with is dead", "Chemical Marriage" oder "Desert Search for Techno Allah" geben doch wirklich Hoffnung auf ein kurzweilig-unterhaltsames Musikjahr 1996, oder!? (jk)

Beastie

Money Mark: Mark's Keyboard Repair (Mo'Wax)
Eine Mo'Wax-Scheibe kann eigentlich nicht schlecht sein, und wer die Beastie Boys mag, wird auch die Soloplatte ihres Keyboarders Money Mark mögen, erinnern einige Instrumentaltracks teilweise doch stark an die letzten Veröffentlichungen der Band. Aber auch gewisse musikalischeTendenzen zum Portishead- oder Trickysound sind hier nicht zu überhören, wobei Money Mark allerdings darauf verzichtet, düster bis kommerziell zu klingen. Er verpackt hier Trip Hop, Jazz-, Funk- und Hip Hop-Elemente in ein Gewand aus Hammond und anderen analogen Späßchen, und so groovt diese Platte locker vor sich hin, ohne jedoch wirklich mitzureißen. Fast schon Easy Listening. (ml)

Techno

Astral Pilot: Electro Acupuncture (Harthouse/ Eye Q)
Und wieder einmal beglückt uns die Klangschmiede Eye Q mit einer Doppel-LP ihres inzwischen zum Popstar avancierten Mitbegründers Sven Väth. Dessen Experimentierfreudigkeit gepaart mit der klangtechnischen Perfektion eines B-Zet sind wohl die besten Voraussetzungen für das Projekt Astral Pilot. Väth läßt sich bei dieser Platte auf keine Kompromisse ein, er geht den alten, gewohnt monotonen, aber durchschlagenden Weg der Energie und hat hier in Zusammenarbeit mit B-Zet eine LP vorgelegt, die durch Klangfülle und Intelligenz besticht. Sei es der Titeltrack, der eher im Trancebereich anzusiedeln ist, oder das für den Sound der Frankfurter Schule typisch harte und dennoch klug durchdachte "Needle Drama", Väth und B-Zet ist es gelungen, durch die Verbindung eher konventionellerer Sounds und deren konstantem Aufbau innerhalb der Tracks eine musikalische Spannung zu erzeugen, die den Hörer bannt. (ml)

Stones

Die Live-CD, zu der sich die Rolling Stones in Hinblick aufs Weihnachtsgeschäft auch nach der aktuellen Tournee wieder entschlossen haben, konnte keine weitere Zusammenstellung von plattem, dümmlich arrangiertem und lieblos heruntergespieltem Stadion-Rock sein wie die des "Flashpoint"-Albums. So hat sich die Gruppe auf "Stripped" an den "Unplugged"-Boom angehängt und ihre Stücke durchgängig akustisch oder halbakustisch arrangiert. Bei den langsamen Songs geht dies Konzept voll auf; den anderen Liedern allerdings, so auch der als Single ausgekoppelten Fremdkomposition, fehlt es ein wenig an Biß. Erfreulich ist, daß wir eine erstaunliche Anzahl der Songs nicht schon von mindestens fünf anderen Alben und Hitkopplungen kennen. Immerhin gelingt es der Gruppe mit diesem Album, den seit 1972 andauernden Trend zur Selbstdemontage vorläufig zu stoppen, und die Erstversionen der Kompositionen werden in keinem Fall wesentlich beschädigt. Man stelle sich die Stones auf diesem Niveau voll elektrifiziert vor! (jpb)


Cyberbrains und Androiden

Masamune Shirows "Ghost in the Shell"

Seit kurzem gibt es nach "Appleseed" und "Dominion" von Ehapa eine dritte Comicserie vom japanischen Starzeichner und -texter Masamune Shirow. "Ghost in the Shell", so der Name des Comics oder besser Mangas, wie man japanische Comics auch nennt, erzählt die Geschichte Motoko Kusanagis, einer Majorin einer Anti-Terroreinheit in einer High-Tech-Welt nach dem vierten Weltkrieg.

Shirow, 1985 für "Appleseed" mit dem Shei-sho Preis für den besten Science-Fiction-Comic ausgezeichnet, bleibt seiner Linie mit diesem Comic treu und behandelt die Probleme der technisierten Welt, der die Verbindung zwischen Computerchip und Nervenzelle gelungen ist. Und so beschränkt sich Gewalt und Verbrechen nicht mehr auf die reale Welt, sondern findet auch in den Köpfen vernetzter Menschen und Androiden statt.

Shirow, graduiert in Ölmalerei an der Universität Osaka, besticht wie gehabt mit seinen genialen Zeichnungen, die zum Teil sogar coloriert sind, natürlich von ihm selbst. Ungewöhnlich oft ändert jedoch Shirow seinen Stil und wechselt von seinen abgefahrenen Technologievisionen zu einfachen Kinderzeichnungen. Allzu ernst scheint er "Ghost in the Shell" nicht zu nehmen. (jr)


ruprecht goes to the movies

(in Klammern die Anzahl der ruprechte)

ruprechts Notenskala:
- nicht empfehlenswert
* mäßig
** ordentlich
*** empfehlenswert
**** begeisternd

Biester (4)

Wirklich, Du fragst Dich eine knappe Stunde lang, warum dieses verschlossene, schüchterne Wesen namens Sophie, das noch nicht einmal lesen kann, eines der beiden im Titel protzig angekündigten Biester sein soll. Fast bist Du geneigt, Claude Chabrol einen Langweiler zu schelten, der sich in ermüdenden Schilderungen sozialer Milieus und schwerfälligen Dialogen verliert.

Doch dann, unmerklich und subtil, rutscht der Film in die Schieflage, bekommt Dynamik und Dichte. Und als es soweit ist, merkst Du, daß Chabrols Claude Dich wieder mal an der Nase herumgeführt hat, denn es war alles schon lange da. Inklusive der dunklen Geheimnisse von Haushälterin Sophie und ihrer Freundin Jeanne, die sie sich unter wildem Lachen gestehen: ein Vatermord, ein Kindermord.

Wie eine Lawine rast der Film weiter: Sophie wird gefeuert, will noch schnell ihre Sachen holen und platzt zusammen mit Jeanne in einen trauten Fernsehabend der Familie. Es folgen vier Leichen, von dicken Jagdgewehrprojektilen zerfetzt. Genial: Chabrol hält sich nicht lange mit psychlogischem Gequatsche auf, der Zuschauer wird brutal vor den Kopf gestoßen. Vergebens sucht er nach einem greifbaren Motiv, bleibt aber irgendwo in der diffusen Atmosphäre stecken. Aufatmen:Keine perfekt einrastenden Bausteine aus der Küchenpsychologie à la Hollywood, keine nervigen Rückblenden nach dem Motto "schwere Kindheit". Manches passiert eben einfach, wenn Biester mitspielen. So einfach kann ein Meisterwerk sein.

Der Postmann (3)

Irgendwo im Süden, auf einer kleinen italienischen Insel zu Beginn der 50er Jahre. Die Ruhe der Fischer wird gestört durch die Ankunft des chilenischen Dichters Pablo Neruda (Philippe Noiret), der hierher ins Exil geflohen ist. Da er Berge an Post bekommt, wird extra für ihn ein Briefträger gesucht. Der junge Mario (Massimo Troisi) sieht eine Chance, der Eintönigkeit des Fischeralltags zu entkommen und bewirbt sich um den Job. Da er einer der wenigen im Dorf ist, die überhaupt lesen können, kann er gleich seinen neuen Posten antreten. Langsam freunden sich die beiden ungleichen Männer an, und Mario lernt durch Pablo die Welt der Poesie kennen. "Die Zunge ist nicht nur dazu da, Briefmarken anzulecken", erkennt er. Seine neuen Fähigkeiten kann der eher schüchterne Mario gleich ausprobieren, als er sich in die hübsche Beatrice verliebt. Mit Hilfe seines Freundes - und einiger gestohlener Gedichte - schafft er es, die Angebetete für sich zu gewinnen. Bei der Hochzeitsfeier erhält Pablo die Nachricht, daß er in sein Heimatland zurückkehren darf.

Als die Politik in das Dorf Einzug hält, spitzen sich die Ereignisse schnell zu, und bei der Rückkehr Pablos nach fünf Jahren kann sich dieser nur noch die Tonbandaufnahmen Marios anhören.

Das Ambiente des Fischerdorfes und die Poetik Nerudas sind die Faktoren, die den Film tragen und ihn liebenswert machen. Die Tragik des Streifens liegt eher außerhalb, denn einen Tag nach Beendigung der Dreharbeiten ist der Schauspieler und Regisseur Troisi gestorben.

Der Totmacher (3)

Nach seinem kontrovers diskutierten Debüt Warheads sorgt Jungregisseur Romuald Karmakar auch mit seinem zweiten Werk für Aufsehen. Die Vernehmungsprotokolle des 1924 hingerichteten Massenmörders Fritz Hamann dienten als Drehbuchgrundlage eines Filmes, der in parabolischer Verdichtung den Ursachen einer Katastrophe nachgeht. Karmakar verläßt sich ganz auf die Macht der Sprache. Nie verläßt seine Kamera die düstere Amtsstube, die Gesichter seiner Schauspieler (beeindruckend Götz George als Hamann) sind lebendige Kulisse einer Suche nach Motiven und Ursachen grausamer Morde und dem Mensch im Schächter, der sie beging. "Taten die Opfer ihnen nicht leid?" fragt der Psychiater. "Waren doch nur Puppenjungs, hab´s doch nicht gewollt," lacht Hamann." So und so und so, ganz schnell ging das. Ist nicht viel, so ein Mensch." Zwei Stunden hört man dem Wahn beim Denken zu.

Die Zeiten des Großen Totmachers sollten noch kommen.

Sieben (2)

Steffi sagt: "Also ich fand den attraktiv" und meint den Mystik-Mörder John Doe (Kevin Spacey) aus dem Thriller Sieben. Darin jagen Morgan Freeman und Brad Pitt als Detectives Mills und Somerset einen mutmaßlich Geisteskranken, der seine Opfer rituell analog der sieben Todsünden ermordet. Zu Anfang noch atmosphärisch dicht (Taschenlampen in dunklen Räumen), in der Mitte leicht übertrieben (die Dekorateure müssen einen Mordsspaß gehabt haben, die Wohnung des Mörders einzurichten), am Ende leider absehbar (zumindest für alle die, die auch bei Miss Marple schon gerne mitgerätselt haben).

Von einigen logischen Fahrbahnunebenheiten (100.000 Bücher zuhause und trotzdem einen Bibliotheks-ausweis?) abgesehen, beugt sich allerdings auch der hier Häme ausgießende Rezensent der überwältigenden Mehrheit der Redaktion und gesteht dem Film zu, "für einen amerikanischen Film wirklich intelligent und spannend gemacht zu sein." Vielleicht geht die intellektuelle Diskussion an dieser Stelle nicht tief genug, vielleicht war der echte John Doe wirklich ein Mystiker des Mittelalters. Natürlich aber benutzt der Film das religiöse Motiv nur zur Mystifizierung, die er stellenweise auch bitter nötig hat. Seltsam, wie sich die mitunter recht gelungenen existentialistischen Dialoge mit nervigen Plattheiten abwechseln. Aber vielleicht ist ja das Leben tatsächlich so. Trotz aller differierenden Meinungen: Pluspunkte gibt's auf jeden Fall für den famosen Vorspann. Und das iss doch schon was.

Pocahontas (3)

Walt Disney-Filme sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Nach dem Shakespeare-Drama König der Löwen schockt die Company zur Weihnachtszeit mit einer Sophokles-Tragödie namens Pocahontas. Die Story dazu ist schnell erzählt und birgt sogar einen Funken Realitätsbezug: Die imperialistischen Engländer überfallen das wunderschöne Virginia. Pocahontas, die Tochter des Häuptlings des dort angesiedelten Indianerstammes, verliebt sich in den blonden und blauäugigen John Smith, einen Söldner. Dank ihrer Liebe zueinander verhindern beide einen Krieg zwischen den Siedlern und den Indianern. Sie bekommt jedoch ihn nicht am Ende. Und so verläßt man weinend das Kino mit der Gewißheit, daß die Liebe einzelner leider unter den Bedürfnissen vieler gegraben wird.

Wenn jetzt aber der Gedanke gekommen ist, der Film sei schlecht, so liegt man falsch. Die Bilder - vor allem die Landschaften - sehen wunderschön aus, die Lieder reizen einen nicht gleich zum Kotzen, und die Hauptdarstellerin ist weder blond noch hat sie eine geliftete Nase! Es ist der beste Film, den Disney jemals produziert hat, gerade weil er nicht in das übliche "ach, wie nett"-Schema paßt und ein trauriges Kapitel der amerikanischen Geschichte aufgreift. Pocahontas Volk existiert heute nämlich nicht mehr! Aber daß sich überhaupt ein Walt Disney-Film mit einer politischen Aussage befaßt, ist schon eine nennenswerte Neuigkeit, vor allem wenn der "pc"-Zeigefinger nicht allzu groß ist, und die letzten fünf Minuten noch ansehbar sind.


"Wouldn't you just love to open it?"

Abhandlung kaum über Putenbruststreifen an Blattsalaten aber mehr das Kommen und Gehen im Leben

Tage kommen und gehen. Manchmal auch wieder. Der physische Rest gedanklichen Ursprungs zersiebt langsam im endlosen Piepen der Eieruhr: "Mensch, s'kocht, merksch des nett ?!" Was wäre der Mann ohne Mitbewohner.

Fragen kommen und gehen. Manchmal auch. Wieder diese Antwort. Manisches Überbleibsel des morgendlichen "erstma' auf's Klo"-Joggens. Die halbvergammelte Banane schwimmt auf dem Müsli wie das Ei des Kolumbus auf dem präkambrischen Einzellergewusel, will sagen der Ursuppe. Gestern noch und heute auch und wer wird damit schon fertig?

Frauen kommen. Und gehen. Ersteres langsam, aber gewaltig. Hoffentlich immer öfter. "Wieder nichts", stellt Herr W. traurig fest. Einpacken und Heimgehen. Woanders: "Schön, Dich zu sehen." Die Nikolaussocke baumelt immer noch vom Kaminersatz-Bettpfosten. Überraschungseier als Aphrodisiakum des Lebens: Raider heißt jetzt Twix, und das schon ziemlich lange. Wer kann der Sucht wirklich Herr werden?

Titel kommen und gehen. Manchmal gestern. Gerade nannte man sie noch Überschrift. Mai Tai ist ein Cocktail und denkt an "Gallensteine jetzt auch in plüschrosa" oder "Brav, nett und Bratfett". Gedanken sind frei, doch wünschte man sich nicht manchmal Einschränkung? Sapiens, Sapiens, Tadel und auch Spekulatiusgewürz.

Adventskalender kommen und gehen. Wir haben gelernt, damit zurechtzukommen. Warum aber jemand auf die Idee kam, 200g Schokolade in 24 Portionen zu zerstückeln, werden wir nie verstehen.

Damen kommen und gehen. Das hatten wir schonmal. Es beschäftigt uns noch immer. Zwischentöne kann man nicht einfach ausblenden. Kaufte kürzlich Vitamin C + Calcium. Auch das Student-Welcome-Pack verteilt Rote Bullen, selbiges verleiht Flügel. Aber wer mietet schon ein Klavier? Verzeihung, welch Fauxpas. Doch die prä-heiligabendliche Besinnlichkeit trifft uns wie das Fallen der letzten Hülle, zumindest für den Fall, daß diese ein Wonderbra ist: Die Wahrheit ist eben niemals so voluminös wie die Lüge. Und mit platten Wahrheiten mag sich erst recht niemand zufrieden geben.

PH-ler kommen und gehen. Aber berührt uns das wirklich?

Artikel kommen und gehen. Manchmal. Andere enden nie. Wir sind froh. Beschwingt. Gerade leisteten wir uns eine neue CD. "Fröhliche Schwabenweihnacht". Die Fantastischen Vier und der Schpätzles-Chor singen "Kehrwoch um d'Chrischdbaum herum", "S'geit Gschenkles em Ländle" sowie

"Heidenei, s'eschd Mauldäschles-Weihnachd".

Gedanken kommen und gehen. Wo Gedanken ranken, verrenken Gedenken. Klasse. Ich gedenke von Herzen gerne Wittgensteins Feststellung: "Seltsamer Zufall, daß alle die Menschen, deren Schädel man geöffnet hat, ein Gehirn hatten." Wenigstens eine intellektuelle These hier. Aber wer macht schon Kalenderkreuze nach jedem Onanieren? "Zwei Leichen lagen schwach im Januar Brasiliens." Na denn!

Rahmen kommen und gehen. Manchmal stehen sie auch. Meistens im Weg. Man gibt sie einem Bilde. Oder seinem Leben, wenn man sich in selbigem befindet.

Namen kommen und gehen. Rein assoziativ. Pyjama-bekleidete Vormittage in WG-Dielen. Alla guud, trinke ma einer. Und gerne zwei. Im Adventskalender des Lebens öffnet sich so manches Türchen auch mal von alleine. Daß Twix jetzt Raider heißt, wurde oben schon erörtert: Raider heißt aber schon so lange Twix, daß eine Rückbenennung des Twix in Raider fällig wäre. Als Twix noch Raider hieß, stand auf dem Twix, also dem damaligen Raider, daß es in anderen Ländern Twix heißt. Man sollte auf Twix jetzt vermerken: "Hieß früher Raider" aber naja. Wir schließen: Raider kommen und gehen, und manche sind als Twix getarnt.

Artikel kommen und gehen. Manche sind bestimmt, andere unbestimmt. Manche bestimmte Artikel sind allerdings derart unbestimmt, daß man gut und gerne auf sie verzichten könnte. Vielleicht auch dieser. Zuerst sollte er davon handeln, wie schwierig es ist, zu der unüberschaubaren Vielzahl an Überschriften, die das Leben bietet, passende Artikel zu schreiben. Dann wollte ich über ein T-Shirt schreiben. Nun denn:

T-Shirts kommen und gehen. Auf meinem steht "Subraum Kader" klein auf der linken Brust, was eine Band ist, die eigentlich Vorgruppe war. Paritätisch gesehen: Die Hauptgruppe (sprich Headliner) hatte die bessere Musik, die Vorgruppe (support act!) die besseren T-Shirts. Mich überhäuften Fragen der Form "Was isch'n des?" oder "Was soll'n des heißen?" Die auf Gegenfrage geäußerten Assoziationen reichten denn auch von "Mei, isch denk annen U-Boot" bis zu "Also, gell, der Sepp". Dies mag sinnlos erscheinen. Ist es auch.

Bayern kommen und gehen. Nur absteigen werden sie leider nie.

Es erscheint mir - metaebnerisch - manchmal seltsam, solche Artikel zu verfassen. Klaus Kinkel sagt: "Die bilateralen Verhandlungen zwischen A und B wurden von zwei Seiten beidseitig hin- und hergeführt." Er geht. Wer kommt?

Zahnpastatuben kommen und gehen. Manche präferieren Elmex, andere Blendax. Doch auch wo Colgate draufsteht, ist nur Kariesprophylaxe drin. Wer länger als 5 min. putzt, bekommt zur Strafe seine Wärmflasche nicht auf. Gewarnt sei übrigens vor "Käpt'n Blaubär's Vitaminschluck", einem Pseudo-gesund-und-cool-sowie-kindlich-Produkt mit dem Aroma, als hätte man eine Vitamin C+Calcium-Tablette in ein in Apfelsaftschorle gelöstes Aspirin+C-Getränk geschmissen. Hört sich gesund an, schmeckt aber scheiße. (Fand auch Tobias, übrigens).

Kommen und gehen, ihr Frommen und Wehen, benommen besehen, auf Ommen und Zehen!

Ideen kommen und gehen. Manche für immer. Ich wollte unbedingt noch einen Satz mit "Unox heiße Tasse" und dem Wörtchen "kondomer-weise" (extra schön kreiert!) schreiben, hab' aber völlig vergessen, warum. Und auf Ideenrettungsversuche à la "Der durchschnittliche GV der zweiunddreißigjährigen Golf-Cabrio-Fahrer geht auch kondomer-weise schneller als eine Unox heiße Tasse" können wir, glaub' ich, alle verzichten.

Abschlußabsätze kommen und gehen. Denn: Ist nicht das ganze Leben ein ebensolches? Diese Frage war vorauszusehen. Gemeinsam gehen und dann ersteres. Somit:

Hinein geht's ins Bette
das feine und nette
und auch so gemütlich
aber bitte verhütlich
wenn Sie nicht alleine
Sie wissen, was ich meine

Prima Gedicht. Schlußwort auch. Gestern noch an, heute schon Licht aus. Durchgebrannt. Die letzte Sicherung. Kein Zewa wischt dies weg. Auch Geduld kommt und geht. Danke für's Durchhalten. (jk)


Personals

Römer! Gut gehalten für Dein Alter! Also dann, bis zu den zwei Katzen und noch weiter. - Die Hderin
Bernd! Wirklich rührend! - G.
Goser! Raskatan sinua. Sehr! - Rudy
Harald! Aber natürlich kann man auf drei Zeilen eine Notiz schreiben; genauso wie man vor Mo-morgen Artikel fertig haben kann! - anonym
Kashmir! Zum Versinken!the 1 who loses with toothbrush (sorry, no D.N.)
DermitdemElchtanzt! Suomi I'm coming för smörebröd christmas!
jk, eile! Ich komm' in 'ner Stunde, echt!!! step
janis m.! Verwirrung der Akzeptanz oder vice versa? hpc
No.1-23! Kinderüberraschung, tralala! Thanx+Luv. Das U-programm
Nina! Endlich! Dein Name 12.000 Mal. Zufrieden? - G.


du hast die Haut der Rosen
du läßt die Sonne selbst erblassen
du sprichst des Himmels klare Worte
du bist die Freude dieser Welt
du meine kleine Alina - Isis


Impressum

ruprecht, die Heidelberger Student(inn)en Zeitung, erscheint drei Mal im Semester, jeweils Anfang Mai, Juni, und Juli, bzw. November, Dezember und Februar. Die Redaktion versteht ruprecht als unabhängiges Organ, das keiner Gruppierung oder Weltanschauung verpflichtet ist. MitarbeiterInnen und RedakteurIinnen sind willkommen; die Redaktion trifft sich während des Semesters jeden Montag um 20 Uhr in der Lauerstr. 1, 3. Stock (neben Heuscheuer). Für namentlich gekennzeichnete Artikel übernimmt der/die Autor(in) die Verantwortung.

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Red.-Schluß für Nr. 40: 29.01.1996.

ISSN: 0947-9570.

Internet: ruprecht, Anzeigenpreise und Leserbriefe zu finden unter http://ix.urz.uni-heidelberg.de/~ed6.


Eine Frage der Zeit

Günter Grass über die Andersartigkeit des "Weiten Feldes"

Günter Grass war da. Am vorvergangenen Wochenende konnte

Heidelberg den Dichter leibhaftig erleben: Zunächst in der Galerie Melnikow, wo er eine Ausstellung seiner Druckgraphik eröffnete, dann in der Neuen Aula der Universität bei einer Lesung aus dem 14. und 15. Kapitel seines neuen Romans. Professor Kiesel, der mit der Literarischen Gesellschaft Palais Boisserée und dem Rektorat den Aufenthalt des Künstlers in der Stadt arrangiert hatte, lobte in seiner Begrüßung ebenso ausführlich wie ausschließlich die "Blechtrommel".

Einem ausgewählten Kreis von Honoratioren und Wissenschaftlichen Hilfskräften stand der Künstler anschließend auf einem Empfang im Haus Buhl zur Verfügung, und ein noch ausgewählterer Kreis, eine streng begrenzte Anzahl angemeldeter Germanistik-Studierender , hatte am nächsten Tag im Rahmen eines außerordentlichen Seminars die Möglichkeit zu einer Fragestunde. Diesem schönen Beispiel lebensnaher Literaturwissenschaft verdanken wir einigen Aufschluß über den neuen Roman, denn der Autor antwortete nicht nur erstaunlich geduldig und genau auf die gestellten Fragen, sondern gab auch interessante spontane Selbstkommentare ab. Verbannen wir also die Aufgeregtheiten der journalistischen Primärrezeption aus dem Gedächtnis und versuchen, das "Weite Feld" noch einmal unvoreingenommen zu betrachten.

Grass selber sagt, es sei ihm um dreierlei gegangen: Er habe einerseits eine verdeckte Fontane-Biographie und andererseits einen Berlin-Roman schreiben und außerdem den Prozeß der deutschen Einheit erzählerisch gestalten wollen.

Seine Thesen zur Wiederverei-nigung sind aus verschiedenen Essaysammlungen sattsam bekannt. Aggressive Kritiker werfen ihm, nicht völlig zu unrecht, vor, in geschichtlichen und politischen Fragen mehr Meinung als Kenntnis zu besitzen; allerdings sollte man sich hüten, im gleichen Atemzug auch deren Ursprung zu verdammen, nämlich die Weigerung, die Konzentrationslager des Dritten Reiches hinter irgendeiner Art von Schlußstrich zurückzulassen. Unbestreitbar ist auch, daß das "Weite Feld" ein wesentlich differenzierteres Meinungsspektrum bietet, als man der öffentlichen Debatte nach annehmen sollte - was den Autor aber nicht hindert, das nur sehr bedingt antifaschistische Diktum von der DDR als einer "kommoden Diktatur" ausdrücklich aufrechtzuerhalten, das bei allem fontanesken Relativismus doch ein Tritt ins Gesicht jedes Stasi-Opfers ist.

Zugleich verwahrt sich Grass in Hinblick auf die Erzählstruktur des "Weiten Feldes" gegen die Annahme, er habe die Ereignisse dieses und des vergangenen Jahrhunderts "parallelisieren" wollen; es sei ihm in seinem Bemühen um eine geschichtliche "Tiefendimension" vielmehr nur darum gegangen, "zwei Folien übereinander[zu]legen, die sich stellenweise decken". Diese Äußerung ist bemerkenswert, denn sie gesteht unumwunden die Selektivität des Verfahrens ein und macht deutlich, daß das Romankonzept in der Tat nicht auf einen geschichtlichen Erkenntnisgewinn hin angelegt ist, sondern im Bereich der Beliebigkeit operiert.

Dieselbe Verschwommenheit und Diskontinuität herrscht in puncto Fontane. Das "Weite Feld" dokumentiert in eindrucksvoller Breite die Grass'sche Rezeption des Autors, ist aber in Bezug auf dessen Leben und Werk weitgehend wertlos: Abgesehen von einer Unzahl bloß zitierter Namen und Ereignisse bietet der Roman bestenfalls noch einige motivsystematische Betrachtungen; jedes Literaturlexikon bringt größeren Erkenntnisgewinn. So unglaubwürdig die selektive Parallelisierung als geschichtliches Begründungsmodell ist, so wenig nutzt Grass die Möglichkeit des Anschauungsgewinns, der allein die nun vollständige Projektion der fontaneschen Biographie in den Romanhelden der Wendejahre hätte motivieren können.

Und aus ähnlichem Grund ist auch das Unternehmen des Berlin-Romans gescheitert: In den seltensten Fällen wird eine spezifische, unverwechselbare Atmosphäre hergestellt, meistens bleibt es bei der Nennung von Namen und der Wiedergabe historischer Ausschnitte. Grass schildert, beschreibt, erzählt nicht, sondern er zählt auf, kompiliert, referiert und kommentiert; und seinen wenigen wirklich gelungenen Metaphern traut er so wenig, daß er sie sofort erklärt.

All dies gewinnt allerdings seine innere Rechtfertigung, wenn man den Text unter dem Aspekt des Erzählerkollektivs, der Angestellten des Potsdamer Fontane-Archivs, betrachtet: In der Tat stellt der gesamte Roman eine Archivierung dar oder zumindest die Beschreibung einer Archivierung. Aber wieviel eleganter und effektvoller ist hierin Walter Kempowski, dem schon mit seinen Chronik-Romanen Meisterwerke unprätentiöser Geschichtsliteratur gelungen sind und der im "Echolot"-Projekt völlig hinter seinen Stoff zurücktritt und nur noch als Herausgeber erzählerisch tätig wird!

In diesen Zusammenhang gehört auch der Vorwurf, daß die Haupt-figuren des neuen Romans, der Fontanewiedergänger und sein Spitzel-Begleiter, nichts als theoretische Konstrukte seien. Dazu sagt Grass, viele, wenn nicht überhaupt alle Figuren der Literatur seien "Kunstfiguren"; allerdings wirken die wenigsten so leblos wie die Grass'schen Protagonisten. Auch den Helden seiner großen Romane haftete stets etwas Artifizielles an; ihnen aber stand stets ein dichtes Inventar von Dingsymbolen zur Seite, in denen sich Gefühle und Gedanken sinnfällig manifestieren ließen, und außerdem ein extrem sensualistischer Schilderungsstil.

Im "Weiten Feld" werden stattdessen Gespräche geführt, Gespräche, die in den besseren Passagen den fontaneschen Plauderton imitieren, denn, wie der Autor mit Verweis auf sein Vorbild sagt, der Stil komme "immer aus der Sache". Grass übersieht dabei allerdings, daß Fontanes Romane ihre Wirkung keineswegs ausschließlich aus den Gesprächen beziehen.

Außerdem, so Grass weiter, entwickle sich "mit der Zeit eine eigene Diktion". Und genau so wirkt alle Sprache im "Weiten Feld", die sich nicht in der einen oder anderen Hinsicht von Fontane ableiten läßt: Wie ein Relikt aus besseren Tagen des Autors, als der Stil noch eine bestimmte Sicht des Beschriebenen bedeutete und den Text zu einer unlösbaren Einheit von Form und Inhalt verband, wie ein Überbleibsel, das nur mehr die Funktion hat, dem Text die Grass'sche Autorschaft einzuprägen.

Unzweifelhaft gibt es gelungene Passagen im "Weiten Feld", und Grass selbst sagt sogar, er könne "eine ganze Menge davon nennen". Allerdings zeichnen sich die in diesem Zusammenhang gewöhnlich zitierten Stellen weniger durch Lebendigkeit als durch einen sentimentalen Grundton aus. Das "Weite Feld" krankt daran, daß Grass einerseits im Detail zu nah an der Oberfläche der Gegebenheiten schreibt und damit den künstlerischen Wert ihrer Behandlung in Frage stellt und andererseits die Zusammenhänge 'gesprächsweise' derart verwischt, daß die Themen nur noch bedingt als solche ernstzunehmen sind. Und über alldem lastet ein bleischwerer Determinismus; denn sämtliche Ereignisse der erzählten Zeit sind dem Leser potentiell von vorneherein bekannt.

Es kann nicht Sinn einer Rezen-sion sein, in der Frage der Wer-tung auf die kommenden Generationen zu verweisen, wie ja im Zusammenhang mit dem "Weiten Feld" ernsthaft gefordert wurde. Dennoch scheint es angebracht, nicht einen ersten (und womöglich fremdgesteuerten) Impuls des Unwillens zum Urteil zu erheben, sondern, wie der Autor selbst fordert, zu versuchen, den Roman "in seiner Andersartigkeit" zu begreifen.

Am Ende sieht sich der Leser auf einen sehr grundlegenden Aspekt des Romans, ja der Literatur und gar seiner Existenz an sich verwiesen: auf den der reinen Zeitlichkeit. Die Länge des Romans, dessen Erschaffung lesend nachzuvollziehen als ein kathartisches Erlebnis begriffen werden kann, wird von Grass als ein "Reiz" des Werkes bezeichnet, und ebenso das Verschwimmen der Jahrhunderte, das manchen Leser irritiert: "Die Zeit ist aufgehoben. Das ist eine Stärke der Literatur."

Liegt in der Radikalität, mit der Grass zugunsten dieser Erfahrung letzlich von allen konventionellen literarischen Kriterien abstrahiert, die wahre Bedeutung des "Weiten Feldes"? Der Titel schließt, wörtlich genommen, diese Möglichkeit immerhin ein. (jpb)


Hilfe!

für angehende LehrerInnen (und ihre BeraterInnen)

Fast 7000 Studierende an der Uni studieren auf Lehramt - und kaum einer kann ihnen helfen, oft auch die sogenannten "LehramtsberaterInnen" nicht.
Um die Studierenden und ihre BeraterInnen zu beraten, hat der AK Lehramt der FSK und die GEW-Studierendengruppe einen "Lehramtsreader" herausgebracht. Es ist das erste (und somit allerbeste) Kompendium dieser Art in Heidelberg, mit Informationen u.a. zum Fachstudium, zum Pädagogischen Begleitstudium und zum Staatsexamen. Erhältlich ist er im Zentralen Fachschafsbüro (ZFB) in der Lauerstr. 1 und im EWS, Akademiestr. 3, Preis 1 Mark.

Der AK Lehramt trifft sich übrigens wieder am Montag, den 8. Januar, um 20 Uhr im ZFB.


Rausgeflogen

Das Arbeitsamt zieht aus dem Carolinum

Gerade erst hatte Hans-Joachim Böhler vom Arbeitsamt ein Zimmer im Carolinum bekommen, da ist es schon wieder weg. Ab dem 18. 12. zieht er - vorübergehend - ins BIZ.
Doch warum und wer hatte ihm denn da eigentlich gekündigt? Der Leiter des Studentensekretariats, Eckhard Behrens, wußte immerhin, daß vermutlich die ZSB (Zentrale Studienberatung) die Räume benötigt. Der zweithöchste Chef im Carolinum, Jürgen Brachmann, der außerdem für die Vergabe der Räume dort zuständig ist, reagierte auf Nachfrage nur mit: "Ach, davon weiß ich ja überhaupt nichts! Warum hat mir denn Herr von der Malsburg nichts gesagt?" Dieser gab auf Anfrage widerwillig zu, daß er die Räume für fünf neue Mitarbeiter braucht. Tja, wer zuerst kommt...


Termine

Car-Walking-Seminar

Wie übergehe ich Autos im wahrsten Sinne des Wortes, wenn sie mich stören? Wie gehe ich geschickt mitten auf der Straße, um die Autos zu ärgern, die unsere Luft verpesten? Wie stelle ich am besten Autoparkplätze mit meinem Fahrrad zu? Wichtige Fragen unserer Zeit, die Michael Hartmann, der bekannte "Car-Walker" aus München, auf einem Seminar am 17.12. um 10 Uhr im Karlstorbahnhof beantwortet. Anmeldung unter Tel. 393241

"Wenn Du Dich nicht um mich kümmerst"

ist das Motto des nächsten Hochschultages an der PH, Keplerstr. 42, am 23.1.1996, ganztägig ab 9 Uhr. Es gibt Vorträge, Diskussionen und Workshops zum Thema "Demokratie lernen - eine pädagogische, politische und gesellschaftliche Aufgabe". Und abends wird noch gefeiert.

Geschichte, Archäologie und Gegenwart

Einen Projekttag veranstalten die Studierenden der Marstallhof-Institute am 28.Januar zwischen 12 und 18 Uhr im Marstallhof 4. Ganz praktisch wollen sie zeigen, wie es sich in grauer Vorzeit lebte: Zubereitung z.B. altägyptischer Speisen, Vorführung handwerklicher Tätigkeiten aus dem Altertum, Erprobung römischer Spiele. Außerdem gibt es Einblicke in das Studium von Archäologie & Co. und Rundgänge durch die Sammlungen der Fächer.

Eine Gewaltfreie Aktionsgruppe

gründet die "Graswurzelrevolution", eine Gruppe gewaltfreier Anarchisten in Heidelberg. Hier sollen verschiedene Aktionen für politische Veränderungen geplant und durchgeführt werden. Erstes Treffen ist am 14.12.95 um 20 Uhr in den Räumen der GWR in der Schillerstr. 28, Infos unter 183907.


Go for Gold

Märchenstunde bei Medaillen-Norbert

Jedes Jahr messen sich weltweit zahlreiche Studenten in unterschiedlichsten Sportarten bei Meisterschaften, von nationalen Titelkämpfen bis hin zu Weltmeisterschaften und Universiaden, den Olympischen Spielen der Studenten. Die erfolgreichsten unter ihnen wurden jetzt im Rektorat geehrt.

Leistung: Sektempfang, Kreuzbandriß, Märchenstunde, Buffet.
"Leistung", so Prorektor Norbert Greiner auf der Ehrung für erfolgreiche Sportler im Hochschulbereich, "muß sich lohnen, Leistung muß belohnt werden." Und verschenkte prompt ein Notfall-Set der Techniker-Krankenkasse. Denn das Kurieren von Verletzungen hat im Sport schon immer zur gern in Anspruch genommenen Dienstleistung gehört.

Der Festvortrag: John Updikes "Rabbit", die Geschichte eines gealterten Basketballspielers, der sich nir-gendwo mehr so souverän gefühlt hat wie in seiner Jugend auf dem Basketballfeld. Sehnsucht nach der einzigen objektiven Größe des Lebens, sportlicher Leistung.

Eine Geschichte für Sportler zwi-schen 20 und 32 Jahren? Vielleicht nicht gerade, aber doch die Botschaft, nicht auch noch seine ganze Seele an den Sport zu hängen, wenn schon der Körper dabei draufgeht. Der Kreuzbandriß. Das Notfall-Set. Vielleicht werden sie es in der nächsten Wett-kampfsaison brauchen, das Jahr 1995 zumindest ging auch ohne Verbandskasten für die Wettkampfgemeinschaft Heidelberg (aus Universität und PH) äußerst erfolgreich über die Bühne. In neun Sportarten 24 deutsche Hochschulmeister, drei Universiade-Teilnehmer (die Olympiade der Studenten) und zwei Teilnehmer bei den Studentenweltmeisterschaften. Plazierungen, die Heidelberg unter den 131 im Allgemeinen Deutschen Hochschulsport-Verband (ADH) vertretenen Universitäten die Führung übernehmen ließen. Vor Universitäten wie Berlin, München, Mainz und nicht zuletzt der Deutschen Sporthochschule Köln.

So wurde, um einige Beispiele zu nennen, Christian Pieper deutscher Hochschulmeister über 400m und 200m-Freistil sowie in der 4x100m Lagenstaffel. Die Ruderer erkämpften insgesamt vier deutsche Meisterschaftstitel und zwei dritte Plätze im Zweier mit und ohne Steuermann bei der Studentenweltmeisterschaft.

Auch die Leichtathleten gehören im Hochschulsport seit Jahren zur deutschen Spitze. W. Greisig etwa hat einen zweiten Platz im Hochsprung bei der Universiade in Buffalo vorzuweisen, mehrmaliger deutscher Hochschulmeister und ebenfalls Teilnehmer der Universiade über 3000m war Christian Stang. Und nicht zuletzt die 4x400m-Staffeln der Frauen und Männer, die schon seit Jahren auf den Spitzenplätzen zu finden sind, dieses Jahr sogar beide ganz oben standen. Insgesamt starteten rund 12.000 Athleten auf 136 Wettkämpfen für Studenten und Bedienstete deutscher Unis.

Erfolge, die allerdings der Universität Heidelberg mehr Ehre machen, als sie wirklich Arbeit auf diesem Gebiet verrichtet. Fast alle Sportler, die Ruderer ausgenommen, trainieren ausschließlich in ihrem Heimatverein unter ihrem Heimtrainer.

Nicht nur ist die individuelle Betreuung in den Vereinen wesentlich umfangreicher, sondern auch die Trainingsmöglichkeiten. An diesem Punkt wäre dabei von universitärer Seite allerdings mehr zu erwarten, ist doch Heidelberg Sitz des der Universität angegliederten Bundesleistungszentrum sowie des Olympiastützpunktes für die Rhein-Neckar-Region. (rot)


Stille Tasse, grüne Tasse

Unbesinnliches zum Thema Weihnachtsmarkt

Selbst konservativen Schätzungen zufolge beträgt die t.p.a (Zeit pro Jahr), in welcher Sie nicht von Weihnachtsmärkten belästigt werden, doch gut und gern einige Dutzend Wochen. Die brauchen Sie dann allerdings auch, um sich wieder zu erholen... Muß trotzdem 'ne Art Urbedürfnis des sogenannten homo sapiens sein, der Weihnachtsmarkt, irgendwelche archaischen Instinkte, back to the roots, gell, und schade, daß Freud schon tot ist, dem wär' sicher was schön Perverses dazu eingefallen, Sie wissen schon, Weihnachtsmärkte als Ausdruck der Analphase oder so. Was soll's, "Spaß muß sein, sonst mach' ich nicht mit" (aus: Karlsson vom Dach), also raus auffe Straße, gucke, was geht! Vorher noch grad' schnell zum EC-Automat, net wohr, ohne Geld brauchsch do gar net erscht zu kumme, Berschtelsche!

Klatschnaß, dampfend und rötlich schimmernd: So gehört das Pausengirl zwischen den Vorweihnachtsvorlesungen, vulgo auch Glühwein tituliert, und die Tassen sind dieses Jahr grün, genau wie der Tannenbaum. Welcher übrigens ein heidnisches Fruchtbarkeitssymbol ist, also auf unserem christlichen Fest bitteschön streng genommen nichts zu suchen hat. Aber schließlich ist man ja tolerant, nicht wahr, und politisch korrekt, und die lieben Kleinen mögen ihn auch. Was aber auf jeden Fall die Tassen angeht, die dieses Jahr übrigens grün sind, aber das Emblem ist noch das Gleiche, Sie erinnern sich, schnucklige Häuschen und Aaaha! Tannenbäume und Schneeflocken, die vom Himmel runtertorkeln, so ein Blödsinn. Jetzt mal ehrlich: Wann gab's denn hier das letzte Mal Schnee? Na? Na also! Okay, wenn das hier Kiruna oder meinetwegen auch Anchorage wäre, dann vielleicht, aber hier ist Heidelberg, und das ist schon mal in Bezug auf Schnee ein Unterschied. Schrecklich, ständig diese Abschweifungen, weil, was ich eigentlich sagen wollte, ist, daß die grünen Tassen dieses Jahr, also ich meine, da wär' man doch blöd, sozusagen mediamarktmäßig blöd, wenn man die nicht mitnehmen tät', oder was meinen Sie? Gutgut, drei Mark Pfand für so 'ne Tasse ist vielleicht übertrieben, aber andererseits, jetzt mal ernsthaft, wo bekommt man denn heutzutage noch eine Porzellantasse für drei Mark, und dazu noch in Grün??!

Sogar ein Karussell hat's hier, lustig anzuschaun, wie sich das immer so rundrum dreht, da fällt mir ein, war das nicht vor jetzt auch schon wieder zehn Jahren, daß da so ne Gondel abgerissen..., naja egal, schön schaut's doch aus, da gibt's nix, aber schön blöd müßt ich da sein, bei der Saukälte mir auch noch den Fahrtwind anzutun, und es ist doch jedes Jahr wieder das Gleiche, an Heiligabend dann mit Schnupfen im Bett und die Frau kommt und lacht und erzählt, wie prächtig sich unten alle ohne mich amüsieren.

Wohin mein Auge auch hinfällt, oder gern hinfallen würde, weil, meine Brillengläser sind natürlich beschlagen, wir haben ja Winter, es ist eiskalt, alle frieren sich einen ab, bis auf die Typen in den Norwegerpullis, die lachen und tun so, als würden sie kein bißchen schwitzen in den Monsterteilen, nämlich im Winter ist es so für den Brillenträger: Sie gehen friedlich durch die Kälte und betreten dann eine Behausung, sei es Büro, Kneipe, trautes Heim, never mind, und buuutts!! seh'n Sie nix mehr: Fog-Alarm! Kleine Kondenströpfchen rieseln im fortgeschrittenen Stadium an Ihren Gläsern runter und verschmieren Ihnen die letzten kleinen Löcher, durch die Sie geblinzelt haben. Na prima! Das Gleiche passiert übrigens, und juchuh!, wir sind wieder beim Anfang des letzten Satzes und haben somit die inhaltliche Kurve gekriegt, wenn man Glühwein trinkt, der von einer der zahllosen Buden, auf die mein Auge gerne fallen würde, stammt, und deshalb seh' ich auch nix, weil ich eben gerade Glühwein trinke (aus den berühmten Weihnachtsmarkttassen, die, das nur nebenbei, dieses Jahr in geschmackvollem Grün gehalten sind) mit viel Rum drin, weil ich das Mädchen kenne, welches das Gebräu verkauft. Ich brauch zum Glück auch nix zu seh'n, weil alles so ist wie immer. Jaja, Ihr CDU-Wähler und anderen Konservativen: Nicht alles geht den Bach runter, eines bleibt und das ist jetzt mal nicht die Partei und auch nicht der Bundeskanzler, nein, noch ein drittes Mal raten - ja?... genau! -, es sind die Weihnachtsmärkte.

Immer dieselben Stände, dieselben Typen, wahrscheinlich auch derselbe Glühwein, der dieses Jahr in grünen Porzellantassen verkauft wird. Also bitte: alles wie immer, von den Preisen abgesehen, aber das ist man ja gewöhnt, da regen wir uns jetzt einmal nicht drüber auf, weil: 's bringt ja doch nix, nur gefrorene Rotzklumpen, die auf dem gefrorenen Wasser zerspringen, wenn wir vor lauter Aufregenseifer so schnell reden, daß auch noch Spucke und halt Rotz mitrauskommt, und überhaupt, was soll der kleine Mann auf dem Weihnachtsmarkt schon machen, außer schimpfen und seinen Glühwein aus grünen Tassen trinken? Genau! Prostata!!

Es ist auf der anderen Seite und nach dem sechsten Glühwein auch sehr beruhigend, schon alles zu kennen, weil, dann ist man schneller fertig und kann heimgehen. Keine Norwegerpullis mehr, keine quengelnden Kinder, keine fressenden Mamis und Papis, keine fettigen Pommes, keinen doofen getöpferten, gebatikten, gestrickten und gesonstwasten Krimskrams, den man sowieso nie braucht, außer um ihn "Freunden" zu schenken, die ebensolche am besten nicht mehr bleiben sollen, keine Räucherstäbchen, keine Bekannten, die man seit Ewigkeiten (nämlich seit dem letzten Weihnachtsmarkt) nicht mehr gesehen hat, aber dummerweise jetzt wieder und "wären wir doch besser schon früher gegangen aber zu spät: sie haben uns schon gesehen", keinen Schneematsch, der die neuen Jeans von H&M versaut, undsoweiter undsofort. Das einzig Wahre am Weihnachtsmarkt kann man sogar getrost mit nach Hause nehmen: die Tassen, welche, und das kann man nicht oft genug sagen, heuer grün sind, und die man sich dann zu Hause mit billigem Aldi-Glühwein (in der Mikro schnell aufgewärmt) vollschütten kann und die Couchgarnitur gleich mit und sich gemütlich die Kanne geben kann, und sich bei jeder Tasse über die gesparten drei Mark freuen. Kleiner Tip: Fernsehen an, Regionalprogramm, schöner Bericht über die Weihnachtsmärkte der Region, frierende Menschen mit roten Schnapsnasen auf dem Breitformatbildschirm, dezent klingelt "Jingle Bells" im Hintergrund, natürlich perfekt abgemischt aus der Konserve, nix da mit falschen Tönen und zugefrorener Tuba wie auf dem echten Weihnachtsmarkt! Wie sagte doch Martin Walser so schön und treffend, fast, als wär' er auch schon ein alter Weihnachtsmarkt-Veteran: "Life's better on TV than at my front door."

Und falls Sie noch ein Geschenk suchen, das ihre/n Lebensabschnittsgefährt(in) aus ihrer/seiner winterlichen Depression holen könnte: Wie wär's denn mit einer Original Heidelberger Weihnachtsmarkt-Tasse? Die passen nämlich A.D. 1995 besonders gut zum Tannenbaum, weil sie, (aaaahhh nein, nicht schon wieder!), GRÜN sind... (kw)


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