<< >> Title Contents Contents


Heidelberg


Alltagsgeschäft

Castor-Blockaden werden zur Routine

Wenn Ende März der Frühling seine zarten Arme über das Land spannt, wird sich eine kleine Stadt in Ostwestfalen in in eine schwer bewachte, großflächig belagerte und hart umkämpfte Festung verwandeln: Dann, vom 20.-25.3., rollt der nächste große Atommüll-Transport vom baden-württembergischen Neckarwestheim nach Ahaus .

Tausende Polizisten werden versuchen, einem weiteren "Castor" den Weg durch zehntausende Demonstranten zu bahnen. Und auch eine Gruppe Heidelberger - etwa zur Hälfte Studierende - wird wieder antreten, den Transporteuren das Leben so schwer wie möglich zu machen. Wie immer, könnte man sagen.

Trotzdem ist einiges anders, als letztes und vorletztes und vorvorletztes Jahr in Gorleben. Denn sowohl Plutonium-Transporteure als auch Atomkraftgegner haben ihre Strategien geändert: Abseits der großen Schlachten an den bekannten Orten wie Gorleben rollen regelmäßig kleinere Castor-Züge durch die Republik - mitunter gefährlicher als die großen Behälter, aber in den letzten Jahren relativ ungestört.

Die Atomkraftgegner widmen sich jetzt verstärkt auch diesen Waggons. "Ich sitze mittlerweile jeden Monat irgendwo auf einer Schiene", schätzt Petra* von der örtlichen Initiative - die Castor-Blockade wird zum Alltagsgeschäft. So wollen die Aktivisten den politischen und finanziellen Preis für die Verbringung von Atommüll - und damit den Betrieb von Kraftwerken - überall in die Höhe treiben, nicht nur dort, wo der Protest schon längst zum Mythos geworden ist. "Das bringt zwar nicht die großen Schlagzeilen", gibt Petra zu, "aber viele kleine Berichte. Die Leute merken, daß die Gefahr auch an Ihrer Haustür vorbeirollt."

Und ebenso wie die Befürworter der Atomenergie alles tun, um von Mythos Gorleben wegzukommen, ist für die Gegner mittlerweile auch der Weg das Ziel: Sie versuchen, ihren Protest auf allen Streckenabschnitten zu entfalten.

Das ist auch deshalb praktisch, weil man dann eben nicht so weit fahren muß, wenn man sich um das heimische AKW kümmert: Die im Karlstorbahnhof heimischen Heidelberger - zur Zeit etwa 50 potentielle Störenfriede, von denen in der Regel etwa 25 ausschwärmen - kümmern sich beispielsweise mit anderen lokalen Gruppen um das Kernkraftwerk Neckarwestheim, von dem viele Transporte ausgehen. "Wir sind für die Betreuung von Ortsfremden am AKW zuständig", grinst Petra angesichts des hier vorgeführten modernen Protest-Managements, "nach Ahaus fahren wir erst, wenn wir einen Transport hier lange genug aufgehalten haben."

Auf der anderen Seite, bei den Stromkonzernen, hofft man nicht nur, daß die Blockaden irgendwann eimal langweilig werden, die Sympathie der Öffentlichkeit abflaut und die Aktivisten ermüden. Man versucht auch, die Blockierer zu foppen, indem man beispielsweise Züge früher, später oder anderswo fahren läßt. Und die beteiligten Ordnungshüter langen jetzt härter zu: Die Personalien werden richtig gründlich geprüft, die "Ingewahrsamnahme" wird vorbeugender und ausgiebiger. Der Verfassungsschutz IST ohnehin ein ständiger Gast bei den Aktionen zu sein.

Wer hat den längeren Atem, am Ende die bessere Öffentlichkeit?

"Unsere Leute werden zum Teil erst durch ihre Mitarbeit in unseren Gruppen politisiert", weiß Petra, "und gerade dadurch wird der Schwung erhalten bleiben. Wir sind jetzt schon die erfolgreichste Protestbewegung der letzten Jahre".

"Wir können gelassen abwarten, bis sich unsere besseren Argumente durchsetzen", glaubt ein Sprecher des "Informationskreis Kernenergie", einer Öffentlichkeitsstelle der Energiewirtschaft.

Die Scharmützel werden also weitergehen. (hn)

Castor im Internet:
http://www.kernenergie.de (dafür)

http://www.i-st.net/~buendnis/ (dagegen)

* Name der Prozeßerfahrenen geändert


<< >> Title Contents Contents